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Bei einem Mittagsessen in dem Hause der Gräfin D. sahe der Herr Leclerc, der für diese Dame verschiedene Wechselgeschäfte besorgte und darum oft bei ihr speiste, die älteste Tochter des H. von F ..., eines armen Edelmanns, der in dem letzten französischen Kriege geblieben war und seinen Töchtern nichts als den für sie lästigen Vorzug der Geburt hinterlassen hatte; sie sehen und sich verlieben war eins; Herr Leclerc hielt um sie an, und nach einigen Schwierigkeiten war sie ein Vierteljahr darauf mit ihm getraut. Dem Manne schien nunmehr nichts weiter zu fehlen, um so glücklich als beneidenswürdig zu sein. Seine Handlung war in dem herrlichsten Stande, weitläuftig, von dem besten Rufe, und die mannigfaltigen Verbindungen, worinnen er andern mit seinem Gelde oder Kredite nützen konnte, verschafften ihm ein gewisses Ansehn, das ihn in die Gesellschaft der vornehmsten Häuser brachte, wo sich jedermann befleißigte, ihm mit der größten Achtung zu begegnen, weil jedermann sein Schuldner war. Itzt kam zu diesen günstigen Umständen eine Gattin hinzu, die, wenn er auch ihre Geburt von seinem Vermögen zu weite Seele. Sie war ein wirklicher Abgrund, in welchen das Schicksal alle seine Herrlichkeit werfen konnte, ohne ihn jemals zu erfüllen; es blieb beständig ein leerer Raum übrig, und da unglücklicherweise seine Begierden unaufhörlich arbeiteten, die Lücke voll zu machen, und doch, wenn sie voll schien, sich sogleich wieder eine neue öffnete, so bestund sein ganzer Lebenslauf in der immerwährenden Bemühung, ein Herz wie das Sieb der Danaiden auszufüllen. Sein Kopf war daher gleichsam eine Niederlage von Entwürfen und Projekten zu seiner Vergrößerung, die oft so weit hinaussahen, daß ihre Ausführung nach aller Wahrscheinlichkeit zeitlebens verschoben bleiben mußte.
Bei seiner Bewerbung um das Fräulein F ... machten es ihre Anverwandten, weil sie seinem Vermögen nicht widerstehn konnten, zur vorzüglichsten Bedingung, daß er sich adeln lassen sollte. – Sein übermäßiger Stolz nahm die Bedingung mit Freuden an, allein – wer sollte das vermuten? – das Fräulein setzte sich dawider, und zwar aus einem raffinierten Stolze: Sie wollte sich vermutlich dadurch einen Schein von Vernünftigkeit geben, daß sie einen solchen Vorzug ebenso leicht wegwerfen konnte, als ihn andre gierig zu erhaschen suchten; vielleicht wollte sie auch die Welt dadurch belehren, daß sie sich mit ihrem persönlichen Werte genug zu glänzen getraute, ohne einen fremden zu borgen; genug, auf ihr dringendes Bitten unterließ der Herr Leclerc, sich den Adel zu erkaufen, ob er gleich mit schwerem Herzen darein willigte.
Diese Unterlassung war für ihn die Ursache einer immerwährenden ihm schuldig sein sollte. Aus dieser Kränkung seines Stolzes entstund unmittelbar nach seiner Vermählung eine gewisse zurückhaltende komplimentenreiche Kälte, die sich natürlicherweise gar bald auch seiner Gemahlin mitteilen mußte. Wenigstens konnte ihre Liebe, wenn sie auch noch so groß gewesen wäre, sich an seiner steifen Höflichkeit nicht hinlänglich erwärmen, um in Flammen auszubrechen. Sonach verstunden beide einander unrecht: Sie hielt seinen Kaltsinn für Bürgerstolz und er den ihrigen für Ahnenstolz, und diese Voraussetzung äußerte sich auf seiner Seite zuerst durch lautes offenbares Mißvergnügen, wodurch es nach einigen kleinen Verdrießlichkeiten dahin kam, daß beide ganz abgesondert aßen, tranken und schliefen und sich nicht anders sahen, als wenn sie sich im Hause unvermeidlich begegneten, welches noch sehr selten geschah.
So ruhig während dieser Zeit die Frau Leclerc ihre Stunden mit Lesen und weiblichen Arbeiten zubrachte, so unruhig war jeder Augenblick für ihren Mann. Er liebte sie wahrhaftig, und wenn nicht der Stolz seine Zärtlichkeit daniedergedrückt hätte, so würde er nie den mißlichen Schritt getan haben, sie seine Unzufriedenheit so deutlich fühlen zu lassen. Allein der Stolz hatte den Schaden angerichtet; er mußte ihn also wiedergutmachen. Seine Zärtlichkeit arbeitete sich während jener Absonderung wieder empor; er wünschte wieder mit ihr zu leben, und da dieses nicht geschehen konnte, wenn er sich nicht die Grille aus dem Kopfe schaffte, daß sein Stand ihn in ihren Augen verächtlich mache, so beschloß er ohne ihr Vorwissen sich den gräflichen Titel zu kaufen, um
Zur Ausführung seines Projektes bediente er sich eines Abenteurers, der sich während jener Uneinigkeit unter dem Namen eines Grafen von Z. in sein Haus eingeschlichen hatte. Ein Mann war es, der mit allen Großen und Vornehmen in der Welt die genauste Verbindung zu haben vorgab und, wo er sie nicht hatte, sie doch durch seine Dreistigkeit und Zudringlichkeit sehr leicht erlangte. Durch keine andern Mittel hatte er sich in die Bekanntschaft des Herrn Leclerc gebracht, dem er sogleich, seine Dienstleistungen bei allen Potentaten unter der Sonne anbot, und der leichtgläubige Mann, der seinen Eigendünkel durch diese Freundschaft mit den herrlichsten Aussichten geschmeichelt sah, ließ sich alles von ihm bereden und würde ihm Glauben beigemessen haben, wenn er ihm gleich einen Platz auf dem chinesischen Throne versprochen hätte. Indessen daß er so den Mann mit goldnen Vorstellungen von künftiger Größe hinterging und keinen geringen Vorteil aus seiner freigebigen Leichtgläubigkeit zog, so machte er unterderhand Anstalt, einen heimlichen Roman mit der Frau anzufangen, welches die einzige Absicht war, warum er sich in das Haus einzuführen gesucht hatte. Obgleich die Natur für gut befunden hatte, ihn mit einer Gestalt zu begaben, die auch die schwachherzigsten Frauenzimmer vor dem Unglück, sich in ihn zu verlieben, bewahren konnte, so trug er doch zu der Stärke seines Witzes und seinen rednerischen Talenten das feste Vertrauen, daß sie ihn bei allen möglichen Liebesoperationen hinlänglich unterstützen und zum Sieger machen würden, und da ihm etlichemal ich weiß nicht welches günstige Ohngefähr seine Absichten hatte gelingen lassen – was er nicht seinem guten Glücke, sondern seiner großen Geschicklichkeit zuschrieb –, so hoffte er dreist, daß sie ihm nie fehlschlagen könnten, und
Die Frau Leclerc – um bei dieser Gelegenheit den vornehmsten Zug ihres Porträts zu geben – war im Grunde weder untüchtig noch ungeneigt zu solchen verliebten Unternehmungen, denn lieben mußte sie; ihr Herz war von Natur zur beständigen Empfindung gestimmt, und sie befand sich also gegenwärtig, da sie ihren Mann nicht lieben konnte, in einem wirklichen Bedürfnisse nach einem Gegenstande, dem sie ihr vakantes Herz zuwenden konnte. Aber weit gefehlt, daß ihre Liebe von einer Stärke des Gefühls, einer zu hoch gespannten Empfindungskraft herrührte! Nein, es war vielmehr eine übertriebne Weichheit des Herzens, das keinem einzigen Eindrucke widerstehn konnte und jederzeit dahin gerissen wurde, wohin es der gegenwärtige Stoß trieb, und ebenso leicht sich den Augenblick darauf wieder auf die entgegengesetzte Seite hinziehen ließ. Diese unglückliche Schwäche allein machte die vielen und großen Vergehungen möglich, die sie bei aller Güte des Charakters in der Folge beging, und versprach auch itzt dem Grafen Z. einen glücklichen Erfolg und würde ihm doppelten Mut gegeben haben, wenn ihn seine Liebe etwas mehr gelehrt hätte, als daß die Frau Leclerc anbetenswürdig war.
Kaum hatte der Liebesritter in Erfahrung gebracht, daß ihr Mann entschlossen sei, sich und seine liebe Ehefrau mit einem höhern Stande zu beschenken, als er vor Freuden die Hände zusammenschlug, daß ihm eine so günstige Gelegenheit zur Ausführung seines Plans aufstieß, und der Gang seiner vorhabenden Unternehmung war ihm von den Umständen Vernünftigkeit, worauf sie sich ungemein viel zugute tat, nicht Zutrauen genug habe, um ihre Liebe zu erwarten, ohne seine Zuflucht zu einem so elenden Hülfsmittel zu nehmen; ihr Mann mußte ihr durch eine solche Vorstellung wirklich verächtlich und womöglich verhaßt werden – ein guter Grund, worauf sich leicht weiter bauen ließ! Und um seine öftern Besuche desto ungehinderter und ohne Verdacht fortzusetzen, mußte er sich bei dem Manne das Ansehn einer Mittelsperson zu ihrer Aussöhnung geben. – So mußte er natürlicherweise verfahren, und kaum hatte er dies Ganze bei sich überdacht, als er ohne Verzug Hand an das Werk legte.
Der erste Schritt, den er tat, ging dahin, daß er die Frau Leclerc von dem Vorsatze ihres Mannes unterrichtete und ihn in dem widrigsten Lichte vorstellte. – »Madam«, sprach er eines Abends, als er bei ihr auf dem Sofa saß, »Sie werden in wenig Wochen eine Gräfin sein. Ihr Mann glaubt Ihren Stolz beleidigt zu haben, daß er Ihnen statt eines Namens, den so viele edle Vorfahren führten, nur einen kahlen bürgerlichen gab; er will ihren Verlust ersetzen und ist itzt im
Die Rede, die er unter verschiedenen ähnlichen Wendungen noch länger ausdehnte, tat ihre gewünschte Wirkung; je gewisser Herr Leclerc das Mittel ausgefunden zu haben glaubte, sich mit sich selbst und mit seiner Gemahlin wieder einig zu machen, je gewisser war es nunmehr nach jener falschen Eingebung, daß er das Mittel gewählt hatte, alle Einigkeit auf immer aus ihrer Ehe auszuschließen.
Der Graf Z. trat unmittelbar darauf seine Reise an, die verlangte »Ich will unrecht haben, ich will Beleidigerin heißen, und unsre Versöhnung soll mit diesen Worten unterzeichnet sein, ob ich gleich tausend Ursachen hätte, Sie wegen eines Geschenkes zu hassen, das ich verachten gelernt habe.« – Er beschwor sie; seine Umarmung wurde feuriger, seine Zärtlichkeit
Der Plan des Grafen war nicht vereitelt, sondern nur weiter hinausgeschoben; sosehr sich auch die beiden Eheleute zu lieben schienen, weil der beruhigte Stolz des Herrn Leclerc ihn itzt den gefälligsten, zufriedensten Manne sein ließ, so versprach doch seine Veränderlichkeit und die üble Laune seiner unersättlichen, immer höher strebenden Begierden dem lauschenden Hinterlistigen tausend Gelegenheiten, wo es leicht werden konnte, die anscheinende Stille in lauten Sturm zu verwandeln; er betrog sich nicht.
Der Ehrgeiz des neuen Grafen empfand bald, daß die gehofften Glückseligkeiten seines angenommnen Standes in dem Genusse minder groß waren als in der Erwartung; seine Mitbürger verachteten aus Neid einen Mann, der sich seiner Gleichheit mit ihnen geschämt hatte, und versagten ihm desto mehr die Ehrerbietung, welche er verlangte, je mehr er zu erkennen gab, daß er sie vermißte; auch war es wirklich unmöglich, sie ihm in einem noch so großen Maße zu geben und nicht immer nach seiner Rechnung ihm ebensoviel schuldig zu bleiben. Was war natürlicher, als daß die Ehrsucht des Mannes, der in seiner stolzen Hoffnung so außerordentlich betrogen wurde, die ganze Stadt mit allen ihren Einwohnern hassen mußte, wo jedermann zu dumm oder zu plump, ungeschliffen und ohne alle Lebensart war, um das erkaufte Verdienst seiner neuen Größe gehörig zu ehren. Eine so hintergangne Erwartung konnte nichts anders als Unzufriedenheit,
Welche günstige Umstände für den Grafen Z.! – Hurtig! Der Gräfin dies wunderliche Betragen von der schwarzen Seite vorgestellt! Für sie angreifende Ursachen dazu erdichtet! – Ursachen, die sie aufbringen, die sie überreden müssen, daß sie gekränkt wird, daß sie Unrecht leidet! und die Sache ist zur Hälfte getan, die Uneinigkeit wiederhergestellt. – So machte es der Graf Z., und so gelang's ihm.
Die beständig nagende Unruhe, Verdruß, Unzufriedenheit wurden dem Grafen von Longueville – diesen Namen hatte der Herr Leclerc angenommen – endlich so lästig und sein Verlangen nach Ruhe, das heißt bei ihm, nach Nahrung für den Stolz, so überwältigend heftig, daß er beschloß, seinen Aufenthalt zu verändern und sich mit seinem Vermögen an einen Ort zu wenden, wo man ihn nur als Grafen und nicht als geadelten Kaufmann kannte und ihm darum ohne Neid, ohne Mißgunst die gebührende Ehre in dem Grade, wie er sie wünschte, erzeigen würde. Der Entschluß war gefaßt,
Dieser Mangel an Zutrauen war für den letztern schon ein hinlänglicher Bewegungsgrund, ihn wider den Grafen von Longueville zu reizen, besonders da er vorher der unumschränkteste Vertraute desselben gewesen war und also itzt bei einer so plötzlichen Änderung der Freundschaft besorgen mußte, daß sein Freund auf die Spur seines Anschlages auf die Gräfin gekommen sei, welches ihm das Bewußtsein seiner Absichten höchstwahrscheinlich machte. Er mußte eilen, die Abreise des Grafen auf alle Weise zu nützen, seine Verschwiegenheit gegen seine Gemahlin als die häßlichste Treulosigkeit abzumalen, den ganzen Rest von Liebe in ihr niederzustürzen und sich in ihrem Herze festzusetzen. Das Spiel wurde also sehr ernsthaft: Es war nicht mehr eine verliebte Komödie, ein Roman, sondern das hitzigste Schauspiel, worinne Rache, Eigennutz, List auf seiten des Grafen die obersten Rollen hatten; er wollte durch alle Künste die Gräfin zu einer Untreue gegen die Gesetze des Ehestandes bewegen, zwingen oder, wie es sonst tunlich wäre, nicht aus Wollüstigkeit sie zu genießen, sondern aus List sie durch eine solche Handlung fest an sich zu knüpfen und ihre beiderseitige Sache zu einer und derselben wider ihren Gemahl zu machen, den er nunmehr haßte. Allein dieser Haß war nicht bloß die Folge von dem Unwillen über das Mißtrauen des Grafen gegen ihn, sondern eine Gärung, die der Eigennutz schon lange in ihm unterhalten hatte. Der Graf von Longueville war in seiner unmutigen Laune weniger freigebig, schlug seinem Freunde jede Bitte und oft mit Härte ab, begegnete ihm mit stolzer Kälte und ließ es ihn überhaupt fühlen, daß er ihm Verbindlichkeiten auferlegt zu haben glaubte. So lag der Haß als Embryo seit langer Zeit in dem Herze des Grafen Z.
Wie es geschah, soll uns ihre eigne Aussage belehren, die sie als Matrone in einem Briefe an jene Freundin tat. Hier ist er:
»Wenn ich sagte, daß ich meine Tugend als ein unschuldiges, reines Mädchen in ein Alter von funfzig Jahren mitgebracht habe, so wäre ich Ihrer Offenherzigkeit nicht wert, und Zunge und Feder würden sich widersetzen, eine solche Unwahrheit auszubreiten. Sie ist nur einmal gefallen, gefallen unter den Händen des listigsten Nachstellers, aber zu meinem Unglücke war dies einmal genug. Dies Vergehen war von einer Kette, die bis zu meinen gegenwärtigen Tagen der Ruhe reicht, das erste Glied, das der Verbrecher ergriff, um mich durch unzählbare Martern, neue Vergehungen und neue Unglückseligkeiten hindurchzuschleppen, und wenn ich überlege, wie ihm dies gelang – Gott! denke ich alsdann, welch ein verächtliches, elendes Ding ist menschliche, besonders weibliche Tugend! Eine Feder, die von tausend Winden nach tausend Richtungen hingetrieben wird, von jeder Luft einen Stoß empfängt und durch ein kleines Windchen niedergeblasen wird! Bei dem Nachdenken über meinen Fall schäme ich mich vor mir selbst, daß so nichtsbedeutende Ursachen ihn bewirken konnten, so nichtsbedeutende, daß sie mir oft ganz verschwinden und ich gefallen zu sein scheine, ohne sagen zu können, wodurch. Der Mann hatte nicht das mindeste Einnehmende, das mich entschuldigen könnte und das oft unser Herz schon weggerissen hat, ehe die Vernunft mit ihrem Rate dazwischenkommen kann; er war ungestaltet – Sie haben ihn ja gesehn, den Grafen Z., und das ist mehr als mein Gemälde; aber der Schlaue hatte eine Gabe, ein feines, einschleichendes Talent, die Augen gegen alle seine 5
Der Graf unterhielt und stärkte von Zeit zu Zeit meinen Widerwillen, gab jeder bösen Laune meines Mannes durch Übertreibungen und Vergrößerungen ein auffallendes Licht, schob ihr beleidigende Bewegungsgründe unter, machte mir seine Liebe verdächtig, welches nicht schwerfiel, drehte mir jede, auch die gleichgültigste seiner Handlungen auf der schlimmen Seite zu und machte besonders die Heimlichkeit, womit er seine Reise unter so großen Zurüstungen veranstaltete, zu einem Hauptverbrechen, das mich nicht bloß abgeneigt gegen ihn – das ihn mir verhaßt machen mußte. Mein Herz war lange leer gewesen – und ein leeres Herz, welch
Seitdem hat mich der Unwürdige so fest an sich gefesselt gehalten, daß sein Interesse mit dem meinigen zusammenschmolz; ich war die Marionette, die er an dem Drahte der Liebe nach Willkür regierte: Jede seiner Handlungen
Die Folgsamkeit gegen den Grafen, deren sie zu Ende des Briefs gedenkt, äußerte sich mehr als zu sehr, da ihr Gemahl zurückkam und ihr ankündigte, daß er sich mit seinem ganzen Vermögen nach G. wenden werde, wo er schon einige Besitzungen angekauft habe, und nunmehr erwarte, die Vorteile und die Annehmlichkeiten derselben mit ihr zu genießen; er bat sie zugleich sehr gütig, sich zu der Abreise so hurtig als möglich in Bereitschaft zu setzen, deren eigentlichen Zeitpunkte er übrigens ihrer eignen Bestimmung überlasse. Der Graf Z. hatte dies Geheimnis gleich bei seiner Ankunft aus ihm zu locken gewußt und die Gräfin auf die Bitte ihres Gemahls vorbereitet, die sie auf seine Eingebung geradezu abschlagen mußte. Vielleicht war es nur ein eigensinniger Widerwille, der den Grafen Z. zu diesem Widerstande antrieb – denn sichtbaren Nutzen hatte er nicht davon – und vielleicht auch Begierde, seine Gewalt über die Gräfin zu gebrauchen und ihren Gehorsam auf die Probe zu stellen – genug, sie versicherte ihn mit einem etwas pikanten Tone, daß sie sich an Ort und Stelle recht wohl befinde und nicht unruhiges Blut genug besitze, ihren Aufenthalt so oft zu verändern. Ihr Gemahl setzte in sie, tat ihr Vorstellungen, ersuchte den Grafen Z., sie von ihrer Hartnäckigkeit zurückzubringen; er versprach's und tat gerade das Gegenteil. Der Graf von Longueville war in der schrecklichsten Unruhe; solange sein Stolz nicht in ihm stürmte, stürmte die Liebe; er war alsdann,
Der Graf von Longueville war abermals unglücklich; er war wohl an dem Orte, den er nach langer Überlegung zu seinem Aufenthalte ausgesucht hatte, der Reichste, der Vornehmste, er hatte die schönsten Möbeln und gab der kleinstädtischen Neubegierde ungemein viel Beschäftigung, wenn er ausfuhr, und reichen Stoff zum Gespräche, allein die Leute waren ihm alle zu ungleich, sie hatten vielen Respekt vor seinem Gelde und seinem Stande, aber sie gingen ihm aus dem Wege; an die vornehme abgemeßne Lebensart war niemand gewöhnt, der gute Ton seines Hauses war für alle Zwang; niemand zu sehr ehrte; sein Aufenthalt wurde ihm lästig, er sann auf eine Veränderung. Die Ankunft seiner Gemahlin gab ihm noch eine vorübergehende Aufheiterung: Er hatte doch jemanden, vor dem er prangen und sich selbst bewundern konnte, ob die Gräfin gleich alle Geschenke ziemlich kalt annahm und alle Schönheiten seines Hauses und seiner Landsitze bloß ansah.
Er hatte dem Grafen Z. gemeldet, daß er eine Veränderung seines Aufenthaltes wünschte, und ihn, seinen alten dienstfertigen Freund, der durch seine wichtigen Bekanntschaften ungemein viel für ihn vermögen würde, ersucht, einen Plan zustande zu bringen, dessen Ausführung ihn nach seiner Einbildung überglücklich machen sollte. Seiner Größe fehlte noch ein ansehnlicher Titel an einem ansehnlichen Hofe; er hatte diesen Mangel kaum gefühlt, als er ihn zu heben wünschte; sein Wunsch wurde durch die Unannehmlichkeiten seines gegenwärtigen Aufenthaltes dringender gemacht; er bat also den Grafen inständigst, unter Versprechung wichtiger Belohnungen, für ihn einen solchen Titel auszuwirken und Güter in S. anzukaufen, um sich dadurch die Erlangung des Titels zu erleichtern. Der Graf Z. sah ein weites Feld für seinen Vorteil vor sich, eilte deswegen, wie bereits gesagt worden ist, nach G., und die Gräfin mußte mit ihm, ohne daß er ihr die Veranlassung seiner Reise entdeckte.
Er erhielt also von dem Grafen von Longueville seinen vollständigen Auftrag, wurde mit Wechseln und Gelde versehen und reiste auf sein Geschäft aus. Da er aber die Schwäche der Gräfin kannte und sie nicht gern auf die Seite ihres Gemahls in seiner Abwesenheit ziehen lassen wollte, welches ihr möglich gewesen wäre, sosehr sie auch itzt von ihm abgeneigt schien, so beredete er sie, daß sie unterdessen an den vorigen Ort ihres Aufenthalts zurückgehn mußte, und er begleitete sie selbst dahin.
Er war in seiner Verrichtung überaus glücklich; er hatte seinen Mann gefunden, dessen Privatvorteile er mit der Erlangung seines Gesuchs so zu verflechten wußte, daß er unermüdet am Hofe selbst arbeitete und seine Freunde dazu aufbot, als zu einer Sache, die die Wohlfahrt des Landes so sehr beförderte, daß es dadurch ich weiß nicht um wie große Summen reicher würde. In kurzem war der Wunsch des Grafen von Longueville gewährt, und sein Bevollmächtigter eilte mit der Hoffnung zu ihm zurück, die reichlichsten Belohnungen für die geleisteten Dienste einzuernten.
Warum werde ich so frostig mit einer so wichtigen Zeitung aufgenommen? – dachte der Graf Z. verwundernd, als er seinem Freunde zum ersten Male wieder in die Arme eilte und die freudigste Bewillkommung erwartete. Der Graf von Longueville dankte ihm zwar auf das verbindlichste mit angenommner Freundlichkeit, aber der Schleier war zu dünne, um nicht ein geheimes Mißvergnügen durchscheinen zu lassen; da der Graf Z. alle Ursache hatte, nicht viel Gutes für sich aus solchen Aspekten zu argwohnen, so argwohnte er eine Entdeckung seiner Angelegenheiten mit der Gräfin, worinne er sich nicht im mindesten betrog. Der Graf von Longueville hatte in seiner Abwesenheit einen Brief von ihm an die Gräfin gefunden, der zwar schon alt und auf einer Reise geschrieben war, die er ebenfalls in seinen Geschäften hatte unternehmen müssen – einen Brief, voll der anzüglichsten Spöttereien wider den Grafen von Longueville, mit einer Schilderung von ihm, worinne ihn jeder Zug zum Narren und zum Dummkopfe machte, mit etlichen Anspielungen, die der Eifersucht eines Mannes Materie genug zum Nachdenken listige Rache zu sinnen. Eine Frau, schloß er zu gleicher Zeit sehr richtig, der man ein solches Gemälde von ihrem Manne vorlegen darf, muß selbst keine bessere Idee von ihm haben und auch geneigt sein, ein gleiches zu machen; seine Eifersucht brauste auf, und alles an seiner Gemahlin und an dem Grafen Z. wurde ihm verdächtig, widrig, verhaßt. Bei solchen innerlichen Empfindungen fiel es ihm ungemein schwer, die Belohnung seines Bevollmächtigten so groß zu machen, als er ohnedies getan haben würde. Dieser war einmal argwöhnisch und wider seinen Freund eingenommen, sahe also sein Geschenk nicht für halb so beträchtlich an, als es wirklich war, die Besorgnis einer Entdeckung hetzte ihn auf, er dachte deswegen auf Rache, ehe er die Beleidigung gewiß kannte, weil für ihn, nach der Lage der Umstände, Rache und Verwahrungsmittel eins war: Er reiste zur Gräfin.
Der Graf von Longueville befahl in seiner eifersüchtigen Laune seiner Gemahlin etwas auffallend gebieterisch, an einem bestimmten Tage abzureisen und an einem bestimmten Tage bei ihm einzutreffen, um mit ihm auf seine neuangekauften Güter nach S. zu gehn; der Termin verfloß, und weder Antwort noch die Gräfin erschien. Er brannte vor Zorn, er reiste zu ihr, erlangte aber nichts als einen heftigen Wortwechsel und einen heftigen Ärger, der ihn so stark überwältigte, daß er in eine hitzige Krankheit verfiel. Den Grafen Z. traf er bei der Gräfin an und ließ etliche Sticheleien auf ihn fliegen, die jenem die Ursache seines Grolles völlig aufklärten; er nahm sich der Gräfin bei dem darauffolgenden Zanke an, mißhandelte ihren Gemahl und wollte sogar den Degen
Das hastige Verfahren des Grafen von Longueville schien seiner Gemahlin auf einmal alle ihre guten Eigenschaften genommen zu haben; sowenig sie ihn bis her geliebt hatte, so war doch ihr Mißvergnügen beständig in einen bald dünnern, bald stärkern Schleier von Politesse und Anständigkeit gehüllt, und selbst ihre Widersetzlichkeit bei etlichen Gelegenheiten hatte sozusagen noch den guten Ton der Widersetzlichkeit, war mit einer gewissen Schonung verbunden; doch itzt! – itzt warf ihr Unwille und die Anstiftung ihres Liebhabers auch die leichteste Bedeckung ab; sie mißhandelten beide den kranken Mann auf die unbarmherzigste Weise. Sie hielten sich fast immer in der Stube auf, wo er lag, weil er in seinen Paroxysmen oft nach seiner Gemahlin und ihrer Wartung verlangte, doch wurde ihm nicht gewillfahrt, damit man seine Schmerzen linderte, sondern damit man sie angreifender und nagender machte. Die beiden Liebenden saßen auf dem Kanapee seinem Bette gegenüber, schäkerten, lachten, liebkosten sich – bloß um ihn zu ärgern –, spotteten über ihn, wenn er etwas dawider sagte, ahmten seine Seufzer komisch nach, verdrehten seine Klagen über Schmerz und gaben ihnen einen lächerlichen Zusatz; wenn er Wasser foderte, reichte man ihm scharfen Essig und lachte, wenn er in der Hastigkeit einen großen Teil davon verschluckte und dann das Gesicht in bittre Mienen verzerrte, wenn ihn die herbe Empfindung den Betrug lehrte. – »Aber warum quälen Sie mich so, Madam?« sprach er mit ärgerlicher, halb erschöpfter Stimme. »Warum tun Sie Dinge vor meinen Augen, die einer rechtschaffnen Ehefrau im mindsten nicht anstehn?« –
»O der empfindlichen Reden! So quälen Sie mich doch, wenn ich wieder gesund bin –«
»Dieser Zeitpunkt möchte vielleicht nie kommen«, fiel ihm der Graf Z. mit ausbrechendem Lachen ins Wort. »Man muß die Gelegenheit nützen.« –
»O Gott! Ich werde sterben und –«
»Sterben Sie, sterben Sie!« rief der Graf hastig; »nur bitte ich, das im stillen zu tun.« –
»Soll ich in meinem eignen Hause nicht einmal klagen dürfen?« –
»Tun Sie das! Nur nicht, wenn wir sprechen.« –
»Himmel! ich zerspringe! – Ungeheuer, daß dich die Erde verschlinge!« –
»So schnell geht das nicht zu. Sehn Sie? Ihre Befehle gelten gar nichts mehr. Nun ist es wohl aus mit Ihnen, glückliche Reise!« –
Der Kranke schäumte, geriet in Raserei, sprach von würgen, ermorden, Gift, Dolch und Pistolen. Der Graf foderte ihn höhnend auf, Wort zu halten, und stellte sich in Bereitschaft, mit ihm zu fechten; dem Kranken gab Wut und Raserei Kräfte, er sprang bei dieser Höhnerei auf und faßte den Spötter so rasch bei der Kehle, daß er ihn gewiß erwürgt hätte, wenn man auf das Geschrei der Gräfin nicht zu Hülfe gekommen wäre. Seit dieser gefährlichen Szene wagten sie sich wenig wieder in das Zimmer des Kranken und ersparten ihm durch ihre Abwesenheit einen Schmerz, der alle Empfindungen der Krankheit weit überwog. Dafür schmiedete der Graf indessen den völligen Entwurf, wie er nach dem Tode des Grafen von Longueville mit seinem Vermögen verfahren wollte, und paßte Einnahme und Ausgabe schon so genau zusammen, als wenn er der wirkliche Besitzer davon wäre;ihn heiraten würde, und nach diesen Voraussetzungen war es gar nichts Ungereimtes, daß er schon Einrichtungen mit seinem künftigen Vermögen machte. Allein der Erfolg widersprach seinen Voraussetzungen, und so stürzten seine ganzen schönen Entwürfe in nichts zusammen. Der Graf von Longueville wurde wieder gesund und der Graf Z. unsichtbar.
Eine wunderbare Revolution, die alle Leute überaus befremdete, welche nicht wußten, daß der Graf Z. aus zu großem Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seiner Voraussetzungen sich schon als wirklichen Besitzer von dem Vermögen des sterben sollenden Kranken betragen, seine eignen Schulden davon bezahlt, seine Garderobe erweitert und verschiedene andre große Ausgaben gemacht hatte, die aller Wahrscheinlichkeit nach der wieder aufgelebte Eigentümer nicht für gültig erklären wollte. Er hielt es also für das sicherste, mit seinen Effekten zu entfliehen, bis die Gräfin und die Umstände seine Rückkunft wieder bewerkstelligen würden.
Man könnte vermuten, daß der Graf nach seiner Genesung sich für die Kränkungen rächen würde, die er hatte erdulden müssen; allein er tat es nicht, sondern war zufrieden, daß sich der Friedensstörer seines Hauses entfernt hatte, und hoffte nunmehr, seine Gemahlin wiederzugewinnen, wozu er auch Versuche machte. Die Arbeit war schwer, doch machte er durch seine wiederholten Bitten und rührenden Vorstellungen einen so tiefen Eindruck auf ihr Gemüt, der desto freier auch in ihren einsamen Stunden fortwirken konnte, weil ihn der Graf Z. durch keinen entgegengesetzten verdrängte. Ihre große Empfindlichkeit und die Gewohnheit, jederzeit dem gegenwärtigen Zuge zu folgen und sich von der Überredung gleichsam herumtreiben zu lassen, begünstigten niederträchtig, und Niederträchtigkeit und ihre Seele stunden in natürlicher Antipathie – wenn ihre Empfindung nicht durch fremde Überredungen verdunkelt wurde. Doch bewegte sie ihren Gemahl, keinen gerichtlichen Regreß an den Grafen zu nehmen, sondern ihn seiner Schande zu überlassen, welches er heilig versprach.
Der Graf von Longueville war nunmehr das glücklichste Geschöpf unter der Sonne; die erquickendste Aussicht auf Ehre und Würde, auf eine ruhige und zufriedne Ehe – ein Glück, das ihm wegen seiner langen Unterbrechung doppelt süß schmecken mußte! –, seine Gemahlin wieder zurückgebracht, sein Feind und Friedensstörer verbannt, der Nebenbuhler vertrieben – was konnte er mehr brauchen, um in unaufhörlicher Heiterkeit und Zufriedenheit so vielen Vorteilen entgegenzugehn? – Auch war er itzt ganz neugeschaffen, liebreich, gefällig und an Dienstgeflissenheiten, an Achtsamkeiten gegen seine Gemahlin und an kleinen Erfindungen, sie zu belustigen, unerschöpflich; sie erstaunte über die Veränderung und schien von nun an nie wieder aufhören zu wollen, seine Gemahlin zu sein.
allein. Freilich war es übertriebne Liebe, alles auf seinen Gütern erst so einrichten zu wollen, daß zu dem Empfange seiner Gemahlin nichts fehle und der erste Anblick sie sogleich für den Aufenthalt einnehme. Der Fehler war unverzeihlich, weil er seinem Nebenbuhler volle Muße verschaffte, das ganze mühsam aufgeführte Gebäude wieder einzureißen und die Schwäche der Gräfin so zu seinem Vorteil anzuwenden, daß sie ihren Gemahl ebensosehr haßte, als er vor seiner Abreise von ihr geliebt zu werden glaubte. Welche Kunst gehörte dazu, den widrigen Eindruck, den seine Flucht auf sie gemacht hatte, erst auszulöschen und einen neuen an seine Stelle zu setzen, der kräftig genug war, alle diejenigen zu verdrängen, die ihr Gemahl in ihr zurückgelassen hatte! – So schwer es war, so brachte er es doch zustande. Kaum war ihr Gemahl fort, als sich der Graf Z. bei ihr einfand. Lange bestürmte er ihre Eigenliebe durch eine Hingeworfenheit, die ihm nur möglich war, dadurch, daß er die ganze Last ihrer Vorwürfe auf sich nahm, denn wußte er ihr Mitleid durch die rührende Vorstellung seiner unglücklichen Situation so für sich in Bewegung zu setzen, daß von Verzeihung nur noch ein Schritt zur Liebe war. – »Madam«, sprach er eines Tages, als sie ihn etwas mit harten Vorwürfen überhäufte – »Madam, hier an diesem Orte habe ich Ihnen die feierliche Zusage getan, Ihr Verfechter wider alle Ungerechtigkeiten Ihres Mannes zu sein. Ich wurde es, und zu meinem Schaden. Um Ihrentwillen wäre ich alles geworden – ein Bösewicht und ein Verbrecher. Bedenken Sie! Wohin würde es mit Ihnen gekommen sein, wenn ich Sie den Mißhandlungen Ihres Barbaren nach seiner Rückkunft von G. überlassen hätte, als er Sie wie die niedrigste Dirne von sich stieß, als er Sie eine Ehebrecherin nannte, als er Ihnen mit der äußersten Niederträchtigkeit das elende Ehre Ihrem Besten aufopfern? – Mehr kann ich nicht tun; Sie müßten denn von mir gefodert haben, zu erwarten,
Diese Verstummung wurde mit einem Blicke und einer Träne begleitet, die ein Herz wie der Gräfin ihres von Grund aufwiegeln mußte: Sie ging verwirrt hinweg. – So ließ er täglich durch seine listige Beredsamkeit alle Federn ihrer Empfindlichkeit spielen: Mitleid, Eigenliebe, Dankbarkeit – alles mußte für ihn arbeiten, selbst die Untreue der Gräfin mußte sie fester an ihn binden als an ihren Mann, den sie wegen des Bewußtseins ihrer Beleidigung immer noch fürchten mußte; und dann ließ er nicht selten einen kleinen Wink entwischen, daß die versöhnliche Güte ihres Gemahls wider seinen Charakter und also eine List sei, sie endlich desto ungehinderter und auf immer seinen Groll empfinden zu lassen. Diese Warnung erteilte er ihr mit einer so bedenklichen Miene, daß man notwendig ein Geheimnis dahinter vermuten mußte, und wenn sie in ihn setzte, so warf er sie unter dem Scheine der Gewissenhaftigkeit, als wenn er ihrem Gemahle nicht ein Verbrechen als gewiß auflegen wollte, wovon er selbst nur einige Spuren gefunden hätte, durch ein »mit der Zeit sollen Sie mehr erfahren« in noch tödlichere Unruhen; allein die Erfindung, womit er sie hintergehen wollte, lag schon völlig ausgesonnen in seinem Kopfe und wartete nur auf den günstigen Augenblick der Geburt.
Sie unternahm die Reise mit dem Grafen Z. auf die neuangekauften Güter ihres Gemahls, aber ohne sein Vorwissen. Auf diesem Wege war es, wo zwo Vorbereitungen zu der schrecklichsten Katastrophe geschahen; beide waren ein veranstaltetes
Der zweite Schritt war eine von ihm veranstaltete Komödie, deren Falschheit sie niemals entdeckt haben muß, wie man aus einer Stelle des vorhin angeführten Briefes schließen kann. Sie trafen unterwegs einen Mann in anständigen Kleidern an, der sich mit dem fürchterlichsten Ausdrucke der Verzweiflung an die Stirn schlug, auf die Erde warf, wütete und raste; die Gräfin erblickte ihn, zitterte vor Schrecken und bat den Grafen auszusteigen, um dem Elenden zu helfen oder zu hören, wie ihm geholfen werden könnte. Der Graf tat es und kam mit der Nachricht zurück, daß es ein unglücklicher Jüngling sei, den eine Partie Spieler in ihr Netz gezogen und gänzlich zugrunde gerichtet hätten. »Er hat einen Wechsel ausgestellt«, sagte er, »dessen Verfallzeit nahe ist; er hat kein Geld. Seine Gläubiger verfolgen ihn, und er kämpft mit dem grausamen Entschlusse, sich selbst umzubringen.«
»Sich selbst umzubringen!« rief die Gräfin bebend. »Wieviel ist er schuldig?« – »Eine Summe von viertausend Dukaten«, sagte der Graf. »O hätte ich sie! – Aber«, fuhr sie nachsinnend fort, »vielleicht können wir doch seine Flucht begünstigen: Wir wollen ihn zu uns nehmen.« – Der Graf stellte ihr vor, wie gefährlich dies sei, machte kalte Zweifel und Einwendungen,
Sie reisten unter diesen abwechselnden Empfindungen und Bemühungen zusammen bis in ein Wirtshaus, wo sie übernachteten. Des Morgens langten zween Bewaffnete mit großem Tumult an und verlangten ungestüm zu wissen, ob ein junger Mensch, den sie genau beschrieben, hier angelangt sei. Der Wirt, ein feiger Mann, den eine Pistole und ein Degen aus aller Fassung herausschrecken konnten, erinnerte sich mit Zittern, daß er in der Gesellschaft der Gräfin jemanden habe ankommen sehn, der mit der Beschreibung nicht uneben übereinkam; er meldete ihnen dieses. Sogleich rennten die beiden Angekommenen in die Stube der Gräfin, die eben aufgestanden war und drum nicht wenig über einen so unvermuteten Besuch erschrak. Sie taten mit dem nämlichen Ungestüm die nämliche Frage, die sie an den Wirt vorhin getan hatten, wiederholten ihre Beschreibung und verlangten den Menschen in ihre Gewalt, der dieser Beschreibung gliche. Die Gräfin war vor Entsetzen verstummt und hatte kaum Kräfte genug übrig, ihrem Kammermädchen zu rufen, das mit einem lauten Schrei die Blässe in dem Gesichte ihrer Gebieterin und die beiden Bewaffneten erblickte. Ihr Rufen brachte den Grafen herbei, der den Fremden ihre Unhöflichkeit
Dieses abgeredete Spiel, die entschloßne Tapferkeit des Grafen, sein lebhaftes Interesse für die Ehre der Gräfin, die Geringschätzung seines Lebens für ihre Ruhe, seine tätige Geschäftigkeit, der glückliche Erfolg seiner Unternehmungen, die Größe seiner Gefahr, der Anblick des herablaufenden Blutes – so eine Menge Umstände, die mit einem Male auf ihre Empfindung zudrängten, mußten gerade das Gefühl hervorbringen, das er zu seinem Endzwecke verlangte – eine aus Mitleid und Bewunderung erzeugte Hochachtung, die bald in Liebe zu verwandeln war – mit einem Worte, der Graf Z. sah sich nunmehr in ihrem Herze befestigt, und nichts war zu seiner Rache übrig, als daß er ihren Gemahl vollends herauswarf.
Auch dieses war leicht. Er wiederholte ihr oft den grausamen Vorsatz ihres Gemahls, sie einzusperren, erhöhte die Wahrscheinlichkeit desselben und ihr Mißtrauen bis zur Furcht. Mit dieser Furcht kam sie an. Ihre Ankunft, weil sie unvermutet und die nötigen Vorbereitungen noch nicht alle zustande waren, gab dem Grafen üble Laune: Sein Stolz fand sich doppelt beleidigt, daß man seine Befehle nicht erwartet hatte und daß er die Bewunderungen nicht alle einsammeln konnte, die er sich von ihr bei Erblickung seiner Veranstaltungen versprach. Seine üble Laune ging in sein Betragen
Mitten unter diesen Unruhen erhielt der Graf von Longueville verschiedene Wechsel zu bezahlen, die auf seinen Namen ausgestellt waren, ohne daß er sie ausgestellt hatte. Er hatte einige Gründe des Verdachtes wider den Grafen Z., allein anstatt ihn reif werden zu lassen und alsdann sicher gerichtliche Hülfe wider ihn zu suchen, ließ er sich von seinem Grolle verleiten, ihm zu zeitig eine hitzige Vorhaltung darüber zu tun und die ganze Last der Beschuldigung aufzulegen, ohne etwas anders als Vermutungen zum Beweise zu haben. Der Graf, der seinen Vorteil kannte, tobte, wütete und drohte so fürchterlich, sich wider einen so ehrenrührigen Verdacht Genugtuung zu verschaffen, daß sein Gegner, der seine eigne Übereilung merkte, abermals zum Nachgeben seine Zuflucht nehmen mußte; dadurch wurde die Gegenpartei desto mutiger.
Indessen fand doch der Graf Z. für nötig, sich wider ähnliche Fälle, wo sein Feind mit weniger Übereilung und mit reifern Gründen zu Werke gehen könnte, zu verwahren; denn er war sich bewußt, daß er eine Menge solcher Wechsel im Namen des Grafen ausgestellt hatte, die ihn endlich nötigen könnten, zu fliehen oder mit dem Leibe dafür zu haften; er
Mit verwilderter entsetzender Miene trat er eines Abends zu ihr ins Zimmer, schlug sich mit geballter Faust an die Stirn und rief: »Daß der Donner den Bösewicht zerschmettre!« – Die Gräfin staunte. – Nach einer kleinen Pause lief er auf sie zu; »Madam«, sagte er, »retten wir uns nicht, so sind wir beide Opfer unsers Tyrannen; aber eher soll mein Haupt kein Kopfküssen berühren, bis ich Sie und mich befreit, gerochen und den Verbrecher gezüchtigt, ganz vernichtet habe.«
»Um des Himmels willen«, rief die Gräfin erschrocken, »was haben Sie? Sie wüten ja.« –
Graf: »Kein Wunder, wenn ich raste! – So weit ist es doch gebracht, daß ich entweder mit Ihnen oder für Sie umkommen muß! – Aber wohlan! das letzte tue ich mutig, wenn ich nur das erste verhüten kann.«
Gräfin: »So reden, reden Sie doch! – Warum erschrecken Sie mich, ohne mir zu sagen, was ich zu fürchten habe? – Graf!« –
Er schwieg; sie setzte noch einmal in ihn. – »Aber, ich Tor!« fuhr er endlich auf, »warum entdecke ich Ihnen erst die Gefahr, da ich sie, ohne daß Sie es gewahr wurden, vertreiben und Ihnen den Schrecken ersparen konnte. Vergeben Sie meiner ersten Aufwallung, Madam; in einem Winke ist das getan, und dann bin ich entweder Ihr Befreier oder Ihr Märtyrer. Nur ein paar Minuten Geduld!« –
Graf: »Ja, freilich wollte ich Ihnen den wichtigsten tun; ich kann dies ohne Ruhmrätigkeit sagen, denn was wäre dem Menschen wichtiger als sein Leben.«
Gräfin: »Als sein Leben! – Und wer will –«
Graf: »Was würden Sie tun, Madam, wenn ein Räuber Sie auf einem engen Wege überfiele, wo Sie auf keiner Seite ausweichen könnten, Ihren Hals faßte und das Messer auf die Brust setzte; was würden Sie tun?«
Gräfin: »Unerklärliche Frage! – Was –«
Graf: »Was würden Sie tun, wenn der Mörder noch drei Schritte von Ihnen entfernt wäre und Ihnen alles seine blutdürstige Absicht ankündigte, wenn es noch in Ihrer Gewalt stünde, durch einen mutigen Stoß in seine verruchte Brust Ihr Leben zu erhalten? Würden Sie den Stoßwagen?«
Gräfin: »Warum nicht, Graf, wenn –«
»Wohlan!« rief er, faßte ihre Hand und sprang auf – »wohlan! so wollen wir ihn wagen!«
Gräfin: »Graf, ich erstaune über Ihre Wut!«
Graf: »Kommen Sie! Stoßen Sie den Mörder nieder, oder er stößt zu.«
Gräfin. »Phantasieren Sie? – Welchen Mörder?«
Graf: »Ihren Mann – oder vielmehr den Unwürdigen, der sich so nennt! Hurtig! oder –«
Die Gräfin verstummte, voller Entsetzen über die wutvolle Miene des Grafen; sie schwieg lange mit ängstlicher Verwirrung,
Graf: »Sie! – Hier lesen Sie! Und denn lassen Sie mich!«
Er gab ihr einen Brief, den der Graf von Longueville, als er eine geheime Verbindung zwischen seiner Gemahlin und dem Grafen Z. argwohnte, in der ersten Hitze der Eifersucht und des Unwillens an diesen schrieb, worinne er sagte: »Wollte der Himmel, daß ich von meinem häuslichen Elende erlöst wäre, sollte es auch durch den Tod meiner unwürdigen Gemahlin geschehen! Und könnte ich ohne Verbrechen etwas dazu beitragen, so tät ich's in diesem Augenblicke; aber meine Rache gegen sie und ihren schändlichen Verführer soll nur aufgeschoben sein.« –
Die Gräfin ließ den Brief zitternd sinken; in der Gemütsverfassung und so vorbereitet, wie sie ihn las, mußte ihr jedes Wort eine ausdrückliche Androhung des Todes scheinen. Sie zweifelte nicht, daß ihr Gemahl einen so grausamen Plan gemacht haben könne; ihr Widerwille gegen ihn erhöhte die Wahrscheinlichkeit eines solchen Anschlags und die Stärke des Beweises dafür; alles tumultuierte in ihr, jede Idee zog sie auf eine andre Seite, und ihre Mienen waren der völlige Ausdruck ihres innerlichen Kampfs. Kaum hatte der Graf ihre Unruhe bemerkt, als er sie bei der Hand ergriff. »Wohl, so sehen Sie noch einen Beweis!« sprach er. Sie ließ sich in der Verwirrung fast ohne ihr Bewußtsein von ihm führen und wurde erst mit Erschrecken inne, wohin er sie führte, als sie in das Zimmer ihres Gemahls trat. Sie fuhr zurück, allein der Graf riß sie mit sich fort zu dem Schreibeschranke des Grafen von Longueville, den er in der Abwesenheit desselben – denn er war spazierengegangen, seinen Unmut zu zerstreuen – geöffnet hatte. »Sehen Sie! und dann glauben oder zweifeln Ihren Befehl!« war des Grafen kaltblütige Antwort. Ihre Wut verdoppelte sich, aber er hielt sie gelassen aus; sie sprach vom Entfliehen, aber der Graf widersetzte sich, weil die Flucht den völligen Verdacht auf sie bringen würde, Himmel und Erde waren für die Gräfin zu enge.
Die eigentliche nächste Ursache, die den Grafen Z. zu einer solchen Untat bewog, war ein heftiger Zank zwischen ihm und dem Grafen Longueville, worinne ihm dieser Galgen und Rad prophezeite und deutlich zu erkennen gab, daß es ihm nicht unbekannt sei, wie viele Wechsel von ihm in seinem Namen ausgestellt waren, ohne sich dabei der beleidigendsten Schimpfwörter zu enthalten, die ein solcher Mann verdient, aber nur nicht gern hört. Die Annehmlichkeit, mit vielem Gelde nach Willkür umgehen zu können, war ihm seit der Krankheit des Grafen, wo er sein ganzes Vermögen in seiner Gewalt hatte, beständig in zu süßem Andenken geblieben, um sie sich nicht wieder zu wünschen; solange der Graf von Longueville lebte, war er in unaufhörlicher Gefahr, daß seine Betrügereien entdeckt und er dafür bestraft werden möchte, was ihn die Drohungen seines Feindes in dem letzten Zanke sehr bald befürchten ließen; die Gräfin war liebenswürdig und er dem völligen rechtmäßigen Besitze derselben schon einmal so nahe gewesen, daß er nicht ein kleines Verlangen trug, in diese glückliche Lage wieder versetzt zu werden – alles Gründe, die den Tod des Grafen von Longueville für ihn höchst wünschenswürdig machten! Zorn und Rachsucht, die der letzte Zank bis zur Flamme entzündete, teilten jenen Gründen ihr Feuer mit, und der schreckliche Entschluß, seinen Gegner zu töten, entstand in ihm und wurde ausgeführt. Zu leugnen ist es nicht, daß der Graf Z. aus vielen Anzeigen Anstalten wider sein Leben von seiten seines Feindes argwohnen konnte, doch konnten es auch nur Anstalten zu seiner Wegschaffung sein sollen.
Die Gräfin rang indessen mit einer wirklichen Todesangst, und als sie seinen Tod vernahm, so sprang sie wie rasend im Bette auf und auf den Grafen zu, der bei ihr wachte; er hielt den Sturm aus und ließ sie toben, ohne sie beruhigen zu wollen, nur daß er ihr die Bedachtsamkeit empfahl, daß sie nicht mit ihm in Gefahr der Untersuchung geriet. Sie verdammte seine Bedachtsamkeit und hieß ihn gehn. Zween Tage lang blieb sie, als dieser verwilderte Zustand vorüber war, in der tiefsten Melancholie, ohne zu essen und zu trinken, mit kurzem unterbrochnen Schlummer, und der ganze Laut ihrer Stimme war ein Seufzer.
Öffentlich wurde die Vergiftung des Grafen als seine eigne Tat ausgegeben, und man fand so viele Beweise, die es glaublich machten, daß man sich wundern muß, wie eine falsche Sache mit so vieler Wahrscheinlichkeit bewiesen werden kann.
Nunmehr spannte der triumphierende Graf Z. alle Kräfte seiner kriechenden Dienstfertigkeit an, die Gräfin zu gewinnen; ihr schwaches Herz konnte nicht widerstehn, und er wurde ihr Gemahl; allein ihre Ehe war die unglücklichste unter der Sonne. Der Graf, als er sich im Besitze aller seiner Wünsche sah, warf die gefällige Maske ab und tyrannisierte in dem Maße, wie er vorher sklavisch gekrochen hatte. Sie schieden sich mit beiderseitiger Einwilligung. – Der Graf
Die Gräfin lebte in der tiefsten Einsamkeit, und ob sie gleich ihr Gewissen von aller wirklichen Schuld an dem Tode ihres Mannes freisprach, so hörte sie doch nicht auf, sich Vorwürfe über ihre vielfältigen Vergehungen und besonders über ihre Verheiratung mit dem Grafen Z. zu machen. Das Herz des Menschen ist schwach, aber am schwächsten das weibliche – war das Resultat ihrer Erfahrungen, das sie in dem Briefwechsel mit ihren Freundinnen fast immer wiederholte und zur Regel der Aufmerksamkeit empfahl.