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Vor meinem väterlichen Geburtshause, dicht neben der Eingangstür in dasselbe, liegt ein großer achteckiger Stein von der Gestalt eines sehr in die Länge gezogenen Würfels. Seine Seitenflächen sind roh ausgehauen, seine obere Fläche aber ist von dem vielen Sitzen so fein und glatt geworden, als wäre sie mit der kunstreichsten Glasur überzogen. Der Stein ist sehr alt, und niemand erinnert sich, von einer Zeit gehört zu haben, wann er gelegt worden sei. Die urältesten Greise unsers Hauses waren auf dem Steine gesessen, so wie jene, welche in zarter Jugend hinweggestorben waren und nebst all den andern in dem Kirchhofe schlummern. Das Alter beweist auch der Umstand, daß die Sandsteinplatten, welche dem Steine zur Unterlage dienen, schon ganz ausgetreten und dort, wo sie unter die Dachtraufe hinaus ragen, mit tiefen Löchern von den herabfallenden Tropfen versehen sind.
Eines der jüngsten Mitglieder unseres Hauses, welche auf dem Steine gesessen waren, war in meiner Knabenzeit ich. Ich saß gerne auf dem Steine, weil man wenigstens dazumal eine große Umsicht von demselben hatte. Jetzt ist sie etwas verbaut worden. Ich saß gerne im ersten Frühlinge dort, wenn die milder werdenden Sonnenstrahlen die erste Wärme an der Wand des Hauses erzeugten. Ich sah auf die geackerten, aber noch nicht bebauten Felder hinaus, ich sah dort manchmal ein Glas wie einen weißen feurigen Funken schimmern und glänzen, oder ich sah
Im Sommer saß gerne am Abende auch der Großvater auf dem Steine und rauchte sein Pfeifchen, und manchmal, wenn ich schon lange schlief oder in den beginnenden Schlummer nur noch gebrochen die Töne hinein hörte, saßen auch teils auf dem Steine, teils auf dem daneben befindlichen Holzbänkchen oder auf der Lage von Baubrettern junge Bursche und Mädchen und sangen anmutige Lieder in die finstere Nacht.
Unter den Dingen, die ich von dem Steine aus sah, war öfter auch ein Mann von seltsamer Art. Er kam zuweilen auf der Hossenreuther Straße mit einem glänzenden schwarzen Schuhkarren herauf gefahren. Auf dem Schubkarren hatte er ein glänzendes schwarzes Fäßchen. Seine Kleider waren zwar vom Anfange an nicht schwarz gewesen, allein sie waren mit der Zeit sehr dunkel geworden und glänzten ebenfalls. Wenn die Sonne auf ihn schien, so sah er aus, als wäre er mit Öl eingeschmiert worden. Er hatte einen breiten Hut auf dem Haupte, unter dem die langen Haare auf den Nacken hinabwallten. Er hatte ein braunes Angesicht, freundliche Augen, und seine Haare hatten bereits die gelblich weiße Farbe, die sie bei Leuten unterer Stände, die hart arbeiten müssen, gerne bekommen. In der Nähe der Häuser schrie er gewöhnlich etwas, was ich nicht verstand. In Folge dieses Schreiens kamen unsere Nachbarn aus ihren Häusern heraus, hatten Gefäße in der Hand, die meistens schwarze
Eines Tages, da die Lenzsonne sehr freundlich schien und alle Menschen heiter und schelmisch machte, sah ich ihn wieder die Hossenreuther Straße herauffahren. Er schrie in der Nähe der Häuser seinen gewöhnlichen Gesang, die Nachbarn kamen herbei, er gab ihnen ihren Bedarf, und sie entfernten sich. Als dieses geschehen war, brachte er sein Faß wie zu sonstigen Zeiten in Ordnung. Zum Hineinstreichen dessen, was sich etwa an dem Hahne oder durch das Lockern des Zapfens an den untern Faßdauben angesammelt hatte, hatte er einen langen, schmalen, flachen Löffel mit kurzem Stiele. Er nahm mit dem Löffel geschickt jedes Restchen Flüssigkeit, das sich in einer Fuge oder in einem Winkel versteckt hatte, heraus und strich es bei den scharfen Rändern des Spundloches hinein. Ich saß, da er dieses tat, auf dem Steine und sah ihm zu. Aus Zufall hatte ich bloße Füße, wie es öfter geschah, und hatte Höschen an, die mit der Zeit zu kurz geworden waren. Plötzlich sah er von seiner Arbeit zu mir herzu und sagte: »Willst du die Füße eingeschmiert haben?«
Ich war, obwohl es mir schon von Anfange bei der Sache immer nicht so ganz vollkommen geheuer gewesen war, doch über diese fürchterliche Wendung der Dinge, und weil ich mit meiner teuersten Verwandten dieser Erde in dieses Zerwürfnis geraten war, gleichsam vernichtet. In dem Vorhause befindet sich in einer Ecke ein großer Steinwürfel, der den Zweck hat, daß auf ihm das Garn zu den Hausweben mit einem hölzernen Schlägel geklopft wird. Auf diesen Stein wankte ich zu und ließ mich auf ihn nieder. Ich konnte nicht einmal weinen, das Herz war mir gepreßt, und die Kehle wie mit Schnüren zugeschnürt. Drinnen hörte ich die Mutter und die Magd beratschlagen, was zu tun sei, und fürchtete, daß, wenn die Pechspuren nicht weg gingen, sie wieder herauskommen und mich weiter züchtigen würden.
In diesem Augenblicke ging der Großvater bei der hintern Tür, die zu dem Brunnen und auf die Gartenwiese führt, herein, und ging gegen mich hervor. Er war immer der Gütige gewesen, und hatte, wenn was immer für ein Unglück gegen uns Kinder herein gebrochen war, nie nach dem Schuldigen gefragt, sondern nur stets geholfen. Da
Er aber lächelte und sagte: »So komme nur her zu mir, komme mit mir.«
Bei diesen Worten nahm er mich bei der Hand, zog mich sanft von dem Steine herab, und führte mich, der ich ihm vor Ergriffenheit kaum folgen konnte, durch die Länge des Vorhauses zurück und in den Hof hinaus. In dem Hofe ist ein breiter, mit Steinen gepflasterter Gang, der rings an den Bauwerken herum läuft. Auf diesem Gange stehen unter dem Überdache des Hauses gewöhnlich einige Schemel oder derlei Dinge, die dazu dienen, daß sich die Mägde beim Hecheln des Flachses oder andern ähnlichen Arbeiten darauf nieder setzen können, um vor dem Unwetter geschützt zu sein. Zu einem solchen Schemel führte er mich hinzu und sagte: »Setze dich da nieder und warte ein wenig, ich werde gleich wieder kommen.«
Mit diesen Worten ging er in das Haus, und nachdem ich ein Weilchen gewartet hatte, kam er wieder heraus, indem er eine große, grünglasierte Schüssel, einen Topf mit Wasser und Seife und Tücher in den Händen trug. Diese Dinge stellte er neben mir auf das Steinpflaster nieder, zog mir, der ich auf dem Schemel saß, meine Höschen
Ich lachte fast unter den Tränen, ein Stein nach dem andern war mir während des Waschens von dem Herzen gellen, und waren die Tränen schon linder geflossen, so rangen sie jetzt nur mehr einzeln aus den Augen hervor. Er holte mir nun auch andere Höschen und zog sie mir an. Dann nahm er das trocken gebliebene Ende der Tücher, wischte mir damit das verweinte Angesicht ab und sagte: »Nun gehe da über den Hof bei dem großen Einfahrtstore auf die Gasse hinaus, daß dich niemand sehe, und daß du niemanden in die Hände fallest. Auf der Gasse warte auf mich, ich werde dir andere Kleider bringen und mich auch ein wenig umkleiden. Ich gehe heute in das Dorf Melm, da darfst du mitgehen, und da wirst du mir erzählen, wie sich dein Unglück ereignet hat, und wie du in diese Wagenschmiere geraten bist. Die Sachen lassen wir da liegen, es wird sie schon jemand hinweg räumen.«
Mit diesen Worten schob er mich gegen den Hof, und ging in das Haus zurück. Ich schritt leise über den Hof, und eilte bei dem Einfahrtstore hinaus. Auf der Gasse ging ich sehr weit von dem großen Steine und von der Haustür weg, damit ich sicher wäre, und stellte mich auf eine Stelle, von welcher ich von ferne in die Haustür hinein sehen konnte. Ich sah, daß auf dem Platze, auf welchem ich gezüchtigt worden war, zwei Mägde beschäftigt waren, welche auf dem Boden knieten und mit den Händen auf ihm hin und her fuhren. Wahrscheinlich waren
Endlich kam der Großvater heraus. Er hatte seinen breiten Hut auf dem Haupte, hatte seinen langen Rock an, den er gerne an Sonntagen nahm, und trug seinen Stock in der Hand. In der andern hatte er aber auch mein blaugestreiftes Jäckchen, weiße Strümpfe, schwarze Schnürstiefelchen und mein graues Filzhütchen. Das alles half er mir anziehen, und sagte: »So, jetzt gehen wir.«
Wir gingen auf dem schmalen Fußwege durch das Grün unsers Hügels auf die Straße hinab, und gingen auf der Straße fort, erst durch die Häuser der Nachbarn, auf denen die Frühlingssonne lag, und von denen die Leute uns grüßten, und dann in das Freie hinaus. Dort streckte sich ein weites Feld und schöner grüner Rasen vor uns hin, und heller, freundlicher Sonnenschein breitete sich über alle Dinge der Welt. Wir gingen auf einem weißen Wege zwischen dem grünen Rasen dahin. Mein Schmerz und mein Kummer war schon beinahe verschwunden, ich wußte, daß ein guter Ausgang nicht fehlen konnte, da der Großvater sich der Sache annahm und mich beschützte; die freie Luft und die scheinende Sonne übten einen beruhigenden Einfluß, und ich empfand das Jäckchen sehr angenehm auf meinen Schultern und die Stiefelchen an den Füßen, und die Luft floß sanft durch meine Haare.
Ich erzählte ihm nun, wie ich auf dem Steine gesessen sei, wie der Wagenschmiermann gekommen sei, wie er mich gefragt habe, ob ich meine Füße eingeschmiert haben wolle, wie ich sie ihm hingehalten, und wie er auf jeden einen Strich getan habe, wie ich in die Stube gegangen sei, um mich der Mutter zu zeigen, wie sie aufgesprungen sei, wie sie mich genommen, in das Vorhaus getragen, mich mit meinen eigenen Ruten gezüchtiget habe, und wie ich darnach auf dem Steine sitzen geblieben sei.
»Du bist ein kleines Närrlein,« sagte der Großvater, »und der alte Andreas ist ein arger Schalk, er hat immer solche Streiche ausgeführt, und wird jetzt heimlich und wiederholt bei sich lachen, daß er den Einfall gehabt hat. Dieser Hergang bessert deine Sache sehr. Aber siehst du, auch der alte Andreas, so übel wir seine Sache ansehen mögen, ist nicht so schuldig, als wir andern uns denken; denn woher soll denn der alte Andreas wissen, daß die Wagenschmiere für die Leute eine so schreckende Sache ist, und daß sie in einem Flause eine solche Unordnung
»Ja, Großvater,« sagte ich, »ich werde recht stark sein.«
»Nun, das wird gut sein,« antwortete er, »und du darfst mitgehen.«
Bei diesen Worten waren wir zu einer Mauer aus losen Steinen gelangt, jenseits welcher eine grüne Wiese mit dem weißen Fußpfade war. Der Großvater stieg über den Steigstein, indem er seinen Stock und seinen Rock nach
»Das ist das Behringer Brünnlein,« sagte er, »welches das beste Wasser in der Gegend hat, ausgenommen das wundertätige Wasser, welches auf dem Brunnberge in dem überbauten Brünnlein ist, in dessen Nähe die Gnadenkapelle zum guten Wasser steht. Manche Menschen holen sich aus diesem Brünnlein da ihr Trinkwasser, mancher Feldarbeiter geht weit herzu, um da zu trinken, und mancher Kranke hat schon aus entfernten Gegenden mit einem Kruge hieher geschickt, damit man ihm Wasser bringe. Merke dir den Brunnen recht gut.«
»Ja, Großvater«, sagte ich.
Nach diesen Worten gingen wir wieder weiter. Wir gingen auf dem Fußpfade durch die Wiese, wir gingen auf einem Wege zwischen Feldern empor, und kamen zu einem Grunde, der mit dichtem, kurzem, fast grauem Rasen bedeckt war, und auf dem nach allen Richtungen hin in gewissen Entfernungen von einander Föhren standen.
»Das, worauf wir jetzt gehen,« sagte der Großvater, »sind die Dürrschnäbel, es ist ein seltsamer Name, entweder kömmt er von dem trockenen, dürren Boden, oder von dem mageren Kräutlein, das tausendfältig auf dem Boden sitzt, und dessen Blüte ein weißes Schnäblein hat mit einem gelben Zünglein darin. Siehe, die mächtigen Föhren gehören den Bürgern zu Oberplan je nach der Steuerbarkeit, sie haben die Nadeln nicht in zwei Zeilen, sondern in Scheiden wie grüne Borstbüschel, sie haben das geschmeidige, fette Holz, sie haben das gelbe Pech, sie streuen sparsamen Schatten, und wenn ein schwaches Lüftchen geht, so hört man die Nadeln ruhig und langsam sausen.«
Wir gingen immer weiter, und der Weg wurde ziemlich steil.
Auf einer etwas höheren und freieren Stelle blieb der Großvater stehen und sagte: »So, da warten wir ein wenig.«
Er wendete sich um, und nachdem wir uns von der Bewegung des Aufwärtsgehens ein wenig ausgeatmet hatten, hob er seinen Stock empor und zeigte auf einen entfernten mächtigen Waldrücken in der Richtung, aus der wir gekommen waren, und fragte: »Kannst du mir sagen, was das dort ist?«
»Ja, Großvater,« antwortete ich, »das ist die Alpe, auf welcher sich im Sommer eine Viehherde befindet, die im Herbste wieder herabgetrieben wird.«
»Und was ist das, das sich weiter vorwärts von der Alpe befindet?« fragte er wieder.
»Das ist der Hüttenwald«, antwortete ich.
»Und rechts von der Alpe und dem Hüttenwalde?« »Das ist der Philippgeorgsberg.«
»Und rechts von dem Philippgeorgsberge?«
»Das ist der Seewald, in welchem sich das dunkle und tiefe Seewasser befindet.«
»Und wieder rechts von dem Seewalde?«
»Das ist der Blockenstein und der Sesselwald.« »Und wieder rechts?«
»Das ist der Tussetwald.«
»Ja, Großvater, ich sehe sie.«
»Und weiter zurück wieder eine aus dem Walde der Alpe?«
»Ja, Großvater.«
»Und aus den Niederungen des Philippgeorgsberges wieder eine?«
»Ich sehe sie, Großvater.«
»Und weit hinten im Kessel des Seewaldes, den man kaum erblicken kann, noch eine, die so schwach ist, als wäre sie nur ein blaues Wölklein?«
»Ich sehe sie auch, Großvater.«
»Siehst du, diese Rauchsäulen kommen alle von den Menschen, die in dem Walde ihre Geschäfte treiben. Da sind zuerst die Holzknechte, die an Stellen die Bäume des Waldes umsägen, daß nichts übrig ist als Strünke und Strauchwerk. Sie zünden ein Feuer an, um ihre Speisen daran zu kochen, und um auch das unnötige Reisig und die Äste zu verbrennen. Dann sind die Kohlenbrenner, die einen großen Meiler türmen, ihn mit Erde und Reisern bedecken und in ihm aus Scheitern die Kohlen brennen, die du oft In großen Säcken an unserem Hause vorbei in die ferneren Gegenden hinaus führen siehst, die nichts zu brennen haben. Dann sind die Heusucher, die in den kleinen Wiesen und in den von Wald entblößten Stellen das Heu machen, oder es auch mit Sicheln zwischen dem Gesteine schneiden. Sie machen ein Feuer, um
»Ja, Großvater.«
»Das ist das Leben der Wälder. Aber laß uns nun auch das außerhalb betrachten. Kannst du mir sagen, was das für weiße Gebäude sind, die wir da durch die Doppelföhre hin sehen?«
»Ja, Großvater, das sind die Pranghöfe.«
»Und weiter von den Pranghöfen links?«
»Das sind die Häuser von Vorder- und Hinterstift.«
»Und wieder weiter links?«
»Das ist Glöckelberg.«
»Und weiter gegen uns her am Wasser?«
»Das ist die Hammermühle und der Bauer David.«
»Und die vielen Häuser ganz in unserer Nähe, aus denen die Kirche emporragt, und hinter denen ein Berg ist, auf welchem wieder ein Kirchlein steht?«
»Aber, Großvater, das ist ja unser Marktflecken Oberplan,
»Und wenn die Berge nicht wären und die Anhöhen, die uns umgeben, so würdest du noch viel mehr Häuser und Ortschaften sehen: die Karlshöfe, Stuben, Schwarzbach, Langenbruck, Melm, Honnetschlag, und auf der entgegengesetzten Seite Pichlern, Pernek, Salnau und mehrere andere. Das wirst du einsehen, daß in diesen Ortschaften viel Leben ist, daß dort viele Menschen Tag und Nacht um ihren Lebensunterhalt sich abmühen und die Freude genießen, die uns hienieden gegeben ist. Ich habe dir darum die Wälder gezeigt und die Ortschaften, weil sich in ihnen die Geschichte zugetragen hat, welche ich dir im Heraufgehen zu erzählen versprochen habe. Aber laß uns weiter gehen, daß wir bald unser Ziel erreichen, ich werde dir die Geschichte im Gehen erzählen.«
Der Großvater wendete sich um, ich auch, er setzte die Spitze seines Stockes in die magere Rasenerde, wir gingen weiter, und er erzählte: »In allen diesen Wäldern und in allen diesen Ortschaften hat sich einst eine merkwürdige Tatsache ereignet, und es ist ein großes Ungemach über sie gekommen. Mein Großvater, dein Ururgroßvater, der zu damaliger Zeit gelebt hat, hat es uns oft erzählt. Es war einmal in einem Frühlinge, da die Bäume kaum ausgeschlagen hatten, da die Blütenblätter kaum abgefallen waren, daß eine schwere Krankheit über diese Gegend kam und in allen Ortschaften, die du gesehen hast, und auch in jenen, die du wegen vorstehender Berge nicht hast sehen können, ja sogar in den Wäldern, die du mir gezeigt hast, ausgebrochen ist. Sie ist lange vorher in entfernten Ländern gewesen und hat dort unglaublich viele Menschen dahin gerafft. Plötzlich ist sie zu uns herein gekommen. Man weiß nicht, wie sie gekommen ist: haben sie die Menschen gebracht, ist sie in der milden Frühlingsluft gekommen, oder haben sie
Der Bauer entfloh, er lief zu dem Pfarrer nach Oberplan und sagte ihm die Worte, und der Pfarrer sagte sie den Leuten. Diese taten, wie das Vöglein gesungen hatte, und die Krankheit minderte sich immer mehr und mehr, und noch ehe der Haber in die Stoppeln gegangen war, und ehe die braunen Haselnüsse an den Büschen der Zäune reiften, war sie nicht mehr vorhanden. Die Menschen getrauten sich wieder hervor, in den Dörfern ging der Rauch
In dem Augenblicke, gleichsam wie durch die Worte hervor gerufen, tönte hell, klar und rein mit ihren deutlichen tiefen Tönen die große Glocke von dem Turme zu Oberplan, und die Klänge kamen zu uns unter die Föhren herauf.
»Siehe,« sagte der Großvater, »ist es schon vier Uhr, und schon Feierabendläuten; siehst du, Kind, diese Zunge sagt uns beinahe mit vernehmlichen Worten, wie gut und wie glücklich und wie befriedigt wieder alles in dieser Gegend ist.«
Wir hatten uns bei diesen Worten umgekehrt, und schauten nach der Kirche zurück. Sie ragte mit ihrem dunkeln Ziegeldache und mit ihrem dunkeln Turme, von dem die Töne kamen, empor, und die Häuser drängten sich wie eine graue Taubenschar um sie.
»Weil es Feierabend ist,« sagte der Großvater, »müssen wir ein kurzes Gebet tun.«
Er nahm seinen Hut von dem Haupte, machte ein Kreuz und betete. Ich nahm auch mein Hütchen ab, und betete ebenfalls. Als wir geendet, die Kreuze gemacht und unsere Kopfbedeckungen wieder aufgesetzt hatten, sagte der Großvater: »Es ist ein schöner Gebrauch, daß am Samstage nachmittags mit der Glocke dieses Zeichen gegeben wird, daß nun der Vorabend des Festes des Herrn beginne, und daß alles strenge Irdische ruhen müsse, wie ich ja auch an Samstagen nachmittags keine ernste Arbeit vornehme, sondern höchstens einen Gang in benachbarte Dörfer mache. Der Gebrauch stammt von den Heiden her, die früher in den Gegenden waren, denen jeder Tag
»Großvater, sie betet jetzt auch noch immer, wenn Feierabend geläutet wird, in der Kammer neben dem blauen Schreine, der die roten Blumen hat«, sagte ich.
»Ja, das tut sie,« erwiderte er, »aber die andern Leute beachten das Zeichen nicht, sie arbeiten fort auf dem Felde, und arbeiten fort in der Stube, wie ja auch die Schlage unsers Nachbars, des Webers, selbst an Samstagabenden forttönt, bis es Nacht wird und die Sterne am Himmel stehen.«
»Ja, Großvater.«
»Das wirst du aber nicht wissen, daß Oberplan das schönste Geläute in der ganzen Gegend hat. Die Glocken sind gestimmt, wie man die Saiten einer Geige stimmt, daß sie gut zusammen tönen. Darum kann man auch keine mehr dazu machen, wenn eine bräche oder einen Sprung bekäme, und mit der Schönheit des Geläutes wäre es vorüber. Als dein Oheim Simon einmal vor dem Feinde im Felde lag und krank war, sagte er, da ich ihn besuchte: ›Vater, wenn ich nur noch einmal das Oberplaner Glöcklein hören könnte!‹ aber er konnte es nicht mehr hören und mußte sterben.«
In diesem Augenblicke hörte die Glocke zu tönen auf, und es war wieder nichts mehr auf den Feldern als das freundliche Licht der Sonne.
»Komme, lasse uns weiter gehen«, sagte der Großvater.
Wir gingen auf dem grauen Rasen zwischen den Stämmen weiter, immer von einem Stamme zum andern. Es wäre wohl ein ausgetretener Weg gewesen, aber auf dem Rasen war es weicher und schöner zu gehen. Allein die Sohlen meiner Stiefel waren von dem kurzen Grase schon so glatt geworden, daß ich kaum einen Schritt mehr zu tun vermochte und beim Gehen nach allen Richtungen ausglitt. Da der Großvater diesen Zustand bemerkt hatte, sagte er: »Du mußt mit den Füßen nicht so schleifen; auf diesem Grase muß man den Tritt gleich hinstellen, daß er gilt, sonst bohnt man die Sohlen glatt, und es ist kein sicherer Halt möglich. Siehst du, alles muß man lernen, selbst das Gehen. Aber komme, reiche mir die Hand, ich werde dich führen, daß du ohne Mühsal fort kömmst.«
Er reichte mir die Hand, ich faßte sie, und ging nun ge stützt und gesicherter weiter.
Der Großvater zeigte nach einer Weile auf einen Baum und sagte: »Das ist die Drillingsföhre.«
Ein großer Stamm ging in die Höhe und trug drei schlanke Bäume, welche in den Lüften ihre Äste und Zweige vermischten. Zu seinen Füßen lag eine Menge herabgefallener Nadeln.
»Ich weiß es nicht,« sagte der Großvater, »hatte das Vöglein die Worte gesungen, oder hat sie Gott dem Manne in das Herz gegeben; aber die Drillingsföhre darf nicht umgehauen werden, und ihrem Stamme und ihren Ästen darf kein Schaden geschehen.«
Ich sah mir den Baum recht an, dann gingen wir weiter, und kamen nach einiger Zeit allmählich aus den Dürrschnäbeln hinaus. Die Stämme wurden dünner, sie wurden
Von dieser Buche gingen wir noch eine kleine Zeit aufwärts, und kamen dann auf die Schneidelinie der Anhöhe, von der wir auf die jenseitigen Gegenden hinüber sahen und das Dorf Melm in einer Menge von Bäumen zu unsern Füßen erblickten.
Der Großvater blieb hier stehen, zeigte mit seinem Stocke auf einen entfernten Wald und sagte: »Siehst du, dort rechts hinüber der dunkle Wald ist der Rindlesberg, hinter dem das Dorf Rindles liegt, das wir nicht sehen können. Weiter links, wenn der Nadelwald nicht wäre, würdest du den großen Alschhof erblicken. Zur Zeit der Pest ist in dem Alschhofe alles ausgestorben bis auf eine einzige Magd, welche das Vieh, das in dem Alschhofe ist, pflegen mußte, zwei Reihen Kühe, von denen die Milch zu dem Käse kömmt, den man in dem Hofe bereitet,
Nach diesen Worten gingen wir in dem Hohlwege und unter allerlei lieblichen Spielen von Licht und Farben, welche die Sonne in den grünen Blättern der Gesträuche verursachte, in das Dorf Melm hinunter.
Der Großvater hatte in dem ersten Hause desselben, im Machthofe, zu tun. Wir gingen deshalb durch den großen Schwibbogen desselben hinein. Der Machtbauer stand in dem Hofe, hatte bloße Hemdärmel an den Armen und viele hochgipflige Metallknöpfe auf der Weste. Er grüßte den Großvater, als er ihn sah, und führte ihn in die Stube; mich aber ließen sie auf einem kleinen hölzernen Bänklein neben der Tür im Hofe sitzen, und schickten mir ein Butterbrod, das ich verzehrte. Ich rastete, betrachtete die Dinge, die da waren, als: die Wägen, welche abgeladen unter dem Schoppendache ineinander geschoben standen, die Pflüge und Eggen, welche, um Platz zu
Nach einer Zeit kam der Großvater wieder heraus und sagte: »So, jetzt bin ich fertig, und wir treten unsern Rückweg wieder an.«
Ich stand von meinem Bänklein auf, wir gingen dem Schwibbogen zu, der Bauer und die Bäurin begleiteten uns bis dahin, nahmen bei dem Schwibbogen Abschied und wünschten uns glückliche Heimkehr.
Da wir wieder allein waren und auf unserem Rückwege den Hohlweg hinan schritten, fuhr der Großvater fort: »Als es tief in den Herbst ging, wo die Preißelbeeren reifen und die Nebel sich schon auf den Mooswiesen zeigen, wandten sich die Menschen wieder derjenigen Erde zu, in welcher man die Toten ohne Einweihung und Gepränge begraben hatte. Viele Menschen gingen hinaus und betrachteten den frischen Aufwurf, andere wollten die Namen derer wissen, die da begraben lagen, und als die Seelsorge in Oberplan wieder vollkommen hergestellt war, wurde die Stelle wie ein ordentlicher Kirchhof eingeweiht, es wurde feierlicher Gottesdienst unter freiem Himmel gehalten, und alle Gebete und Segnungen nachgetragen, die man früher versäumt hatte. Dann wurde um den Ort eine Planke gemacht, und ungelöschter Kalk auf denselben gestreut. Von da an bewahrte man das Gedächtnis an die Vergangenheit in allerlei Dingen. Du wirst wissen, daß manche Stellen unserer Gegend noch den Beinamen Pest tragen, zum Beispiel Pestwiese, Peststeig, Pesthang; und wenn du nicht so jung wärest, so würdest du auch die Säule noch gesehen haben, die jetzt nicht mehr vorhanden ist, die auf dem Marktplatze von
»Die Großmutter hat uns von der Pestsäule erzählt«, sagte ich.
»Seitdem aber sind andere Geschlechter gekommen,« fuhr er fort, »die von der Sache nichts wissen und die die Vergangenheit verachten, die Einhegungen sind verloren gegangen, die Stellen haben sich mit gewöhnlichem Grase überzogen. Die Menschen vergessen gerne die alte Not, und halten die Gesundheit für ein Gut, das ihnen Gott schuldig sei, und das sie in blühenden Tagen verschleudern. Sie achten nicht der Plätze, wo die Toten ruhen, und sagen den Beinamen Pest mit leichtfertiger Zunge, als ob sie einen andern Namen sagten, wie etwa Hagedorn oder Eiben.«
Wir waren unterdessen wieder durch den Hohlweg auf den Kamm der Anhöhe gekommen, und hatten die Wälder, zu denen wir uns im Heraufgehen umwenden mußten, um sie zu sehen, jetzt in unserem Angesichte, und die Sonne neigte sich in großem Gepränge über ihnen dem Untergange zu.
»Wenn nicht so die Abendsonne gegen uns schiene,« sagte der Großvater, »und alles in einem feurigen Rauche schwebte, würde ich dir die Stelle zeigen können, von der ich jetzt reden werde, und die in unsere Erzählung gehört. Sie ist viele Wegestunden von hier, sie ist uns gerade gegenüber, wo die Sonne untersinkt, und dort sind erst die rechten Wälder. Dort stehen die Tannen und Fichten, es stehen die Erlen und Ahorne, die Buchen und andere Bäume wie die Könige, und das Volk der Gebüsche und das dichte Gedränge der Gräser und Kräuter, der Blumen, der Beeren und Moose steht unter ihnen. Die
»Das ist der See, Großvater, den ich im Heraufgehen genannt habe,« sagte ich, »die Großmutter hat uns von seinem Wasser erzählt, und den seltsamen Fischen, die darin sind, und wenn ein weißes Wölklein über ihm steht, so kömmt ein Gewitter.«
»Und wenn ein weißes Wölklein über ihm steht,« fuhr der Großvater fort, »und sonst heiterer Himmel ist, so gesellen sich immer mehrere dazu, es wird ein Wolkenheer, und das löst sich von dem Walde los, und zieht zu uns mit dem Gewitter heraus, das uns den schweren Regen bringt und auch öfter den Hagel. Am Rande dieses Waldes, wo heut zu Tage schon Felder sind, wo aber dazumal noch dichtes Gehölze war, befand sich zur Zeit der Pest eine Pechbrennerhütte. In derselben wohnte der Mann, von dem ich dir erzählen will. Mein Großvater hat sie noch gekannt, und er hat gesagt, daß man zeitweilig von dem Walde den Rauch habe aufsteigen sehen,
»Ja, Großvater«, sagte ich.
»Dieser Pechbrenner«, fuhr er fort, »wollte sich in der Pest der allgemeinen Heimsuchung entziehen, die Gott über die Menschen verhängt hatte. Er wollte in den höchsten Wald hinauf gehen, wo nie ein Besuch von Menschen hinkömmt, wo nie eine Luft von Menschen hinkömmt, wo alles anders ist als unten, und wo er gesund zu bleiben gedachte. Wenn aber doch einer zu ihm gelangte, so wollte er ihn eher mit einem Schürbaume erschlagen, als daß er ihn näher kommen und die Seuche bringen ließe. Wenn aber die Krankheit lange vorüber wäre, dann wollte er wieder zurückkehren und weiter leben. Als daher die schwarzen Schubkarrenführer, die von ihm die Wagenschmiere holten, die Kunde brachten, daß in den angrenzenden Ländern schon die Pest entstanden sei, machte er sich auf und ging in den hohen Wald hinauf. Er ging aber noch weiter, als wo der See ist, er ging dahin, wo der Wald noch ist, wie er bei der Schöpfung gewesen war, wo noch keine Menschen gearbeitet haben, wo kein Baum umbricht, als wenn er vom Blitze getroffen ist oder von dem Winde umgestürzt wird; dann bleibt er liegen, und aus seinem Leibe wachsen neue Bäumchen und Kräuter empor; die Stämme stehen in die Höhe, und zwischen ihnen sind die unangesehenen und unangetasteten Blumen und Gräser und Kräuter.«
Während der Großvater dieses sagte, war die Sonne untergegangen. Der feurige Rauch war plötzlich verschwunden, der Himmel, an welchem keine einzige Wolke stand, war ein goldener Grund geworden, wie man in alten Gemälden sieht, und der Wald ging nun deutlich und dunkelblau in diesem Grunde dahin.
»Siehe, Kind, jetzt können wir die Stelle sehen, von der ich rede,« sagte der Großvater, »blicke da gerade gegen
»Ich sehe es,« antwortete ich, »ich sehe auch die schwachen grauen Streifen, welche die Seewand bedeuten.«
»Da hast du schärfere Augen als ich«, erwiderte der Großvater; »gehe jetzt mit den Augen von der Seewand rechts und gegen den Rand empor, dann hast du jene höheren großen Waldungen. Es soll ein Fels dort sein, der wie ein Hut überhängende Krempen hat und wie ein kleiner Auswuchs an dem Waldrande zu sehen ist.«
»Großvater, ich sehe den kleinen Auswuchs.«
»Er heißt der Hutfels, und ist noch weit oberhalb des Sees im Hochwalde, wo kaum ein Mensch gewesen ist. An dem See soll aber schon eine hölzerne Wohnung gestanden sein. Der Ritter von Wittinghausen hat sie als Zufluchtsort für seine zwei Töchter im Schwedenkriege erbaut. Seine Burg ist damals verbrannt worden, die Ruinen stehen noch wie ein blauer Würfel aus dem Thomaswalde empor.«
»Ich kenne die Ruine, Großvater.«
»Das Haus war hinter dem See, wo die Wand es beschützte, und ein alter Jäger hat die Mädchen bewacht. Heut zu Tage ist von alle dem keine Spur mehr vorhanden. Von diesem See ging der Pechbrenner bis zum Hutfels hinan und suchte sich einen geeigneten Platz aus. Er war aber nicht allein, sondern es waren sein Weib und seine Kinder mit ihm, es waren seine Brüder, Vettern, Muhmen und Knechte mit, er hatte sein Vieh und seine Geräte mitgenommen. Er hatte auch allerlei Sämereien und Getreide mit geführt, um in der aufgelockerten Erde anbauen zu können, daß er sich Vorrat für die künftigen Zeiten sammle. Nun baute man die Hütten für Menschen und Tiere, man baute die Öfen zum Brennen der Ware, und man säte die Samen in die aufgegrabenen Felder.
Unter den Leuten im Walde war auch ein Bruder des Pechbrenners, der nicht in dem Walde bleiben, sondern wieder zu der Hütte zurückkehren wollte. Da sagte der Pechbrenner, daß er ihnen ein Zeichen geben solle, wenn die Pest ausgebrochen sei. Er solle auf dem Hausberge in der Mittagsstunde eine Rauchsäule aufsteigen lassen, solle dieselbe eine Stunde gleichartig dauern lassen, und solle dann das Feuer dämpfen, daß sie aufhöre. Dies solle er zur Gewißheit drei Tage hinter einander tun, daß die Waldbewohner daran ein Zeichen erkennen, das ihnen gegeben worden sei. Wenn aber die Seuche aufgehört habe, solle er ihnen auch eine Nachricht geben, daß sie hinabgehen könnten und die Krankheit nicht bekämen. Er solle eine Rauchsäule um die Mittagsstunde von dem Hausberge aufsteigen lassen, solle sie eine Stunde gleichartig erhalten, und dann das Feuer löschen. Dies solle er vier Tage hinter einander tun, aber an jedem Tage eine Stunde später; an diesem besonderen Vorgange würden sie erkennen, daß nun alle Gefahr vorüber sei. Wenn er aber erkranke, so solle er den Auftrag einem Freunde oder Bekannten als Testament hinterlassen und dieser ihn wieder einem Freunde oder Bekannten, so daß einmal einer eine Rauchsäule errege, und von dem Pechbrenner eine Belohnung zu erwarten habe. Kennst du den Hausberg?«
»Ja, Großvater,« antwortete ich, »es ist der schwarze spitzige Wald, der hinter Pernek empor steigt und auf dessen Gipfel ein Felsklumpen ist.«
»Ja,« sagte der Großvater, »der ist es. Es sollen einmal drei Brüder gelebt haben, einer auf der Alpe, einer auf dem Hausberge und einer auf dem Thomaswalde. Sie sollen sich Zeichen gegeben haben, wenn einem eine Gefahr drohte, bei Tage einen Rauch, bei Nacht ein Feuer, daß es gesehen würde, und daß die andern zu Hilfe kämen. Ich weiß nicht, ob die Brüder gelebt haben. In dem hohen Walde wohnten nun die Ausgewanderten fort,
Wir waren während der Erzählung des Großvaters in die Dürrschnäbel gekommen, wir waren an der Drillingsföhre vorüber gegangen, und unter den dunklen Stämmen auf dem fast farblosen Grase bis zu den Feldern von Oberplan gekommen. Der Großvater legte seinen Stock auf den Boden, beugte sich zu mir herab, nestelte mir das Halstuch fester, richtete mir das Westchen zurecht und knöpfte mir das Jäckchen zu. Hierauf knöpfte er sich auch seinen Rock zu, nahm seinen Stab, und wir gingen wieder weiter.
»Siehst du, mein liebes Kind,« fuhr er fort, »es hat aber alles nichts geholfen, und es war nur eine Versuchung Gottes. Da die Büsche des Waldes ihre Blüten bekommen hatten, weiße und rote, wie die Natur will, da aus den Blüten Beeren geworden waren, da die Dinge, welche der Pechbrenner in die Walderde gebaut hatte, aufgegangen und gewachsen waren, da die Gerste die goldenen Barthaare bekommen hatte, da das Korn schon weißlich wurde, da die Haberflocken an den kleinen Fädlein hingen, und das Kartoffelkraut seine grünen Kugeln und blaulichen Blüten trug: waren alle Leute des Pechbrenners, er selber und seine Frau bis auf einen einzigen kleinen Knaben, den Sohn des Pechbrenners, gestorben. Der Pechbrenner und sein Weib waren die letzten gewesen, und da die Überlebenden immer die Toten begraben hatten, der Pechbrenner und sein Weib aber niemand hinter
Wir waren, während der Großvater erzählte, durch die Felder von Oberplan herab gegangen, wir waren über die Wiese gegangen, in welcher das Behringer Brünnlein ist, wir waren über die Steinwand gestiegen, wir waren über den weichen Rasen gegangen, und näherten uns bereits den Häusern von Oberplan. Es war indessen völlig Nacht geworden, der halbe Mond stand am Himmel, viele Wolken hatten sich aufgetürmt, die er beglänzte, und seine Strahlen fielen gerade auf die Vogelbeerbäume, die in dem Garten unsers Nachbars standen.
»Nachdem das Mädchen sehr stark geworden war,« fuhr der Großvater fort, »dachten die Kinder daran, aus dem Walde zu gehen. Sie beratschlagten unter sich, wie sie das anstellen sollten. Das Mädchen wußte gar nichts; der Knabe aber sagte, daß alle Wässer abwärts rinnen, daß sie fort und fort rinnen, ohne stille zu stehen, daß der Wald sehr hoch sei, und daß die Wohnungen der Menschen sehr tief liegen, daß bei ihrer Hütte selber ein breites rinnendes Wasser vorbeigegangen wäre, daß sie von dieser Hütte in den Wald gestiegen seien, daß sie immer aufwärts und aufwärts gegangen und mehreren herabfließenden
Als der Großvater bis hieher erzählt hatte, waren wir an unserem Hause angekommen.
Wir setzten uns auf den Stein, und der Großvater fuhr fort: »Als man in Erfahrung gebracht hatte, wer der Knabe sei, und wohin er gehöre, wurde er samt dem Mädchen in die Pechbrennerhütte zu dem Oheim gebracht. Der Oheim ging in den Wald hinauf, und verbrannte vor Entsetzen die Waldhütte, in welcher der tote Pechbrenner mit seinem Weibe lag. Auch das Mädchen wurde von seinen Verwandten ausgekundschaftet und in der Pechbrennerhütte abgeholt. Siehst du, es ist in jenen Zeiten auch in andern Teilen der Wälder die Pest ausgebrochen, und es sind viele Menschen an ihr gestorben; aber es kamen wieder andere Tage, und die Gesundheit war wieder in unsern Gegenden. Der Knabe blieb nun bei dem Oheime in der Hütte, wurde dort größer und größer, und sie betrieben das Geschäft des Brennens von Wagenschmiere, Terpentin und andern Dingen. Als schon viele Jahre vergangen waren, als der Knabe schon beinahe ein Mann geworden war, kam einmal ein Wägelchen vor die Pechbrennerhütte gefahren. In dem Wägelchen saß eine schöne Jungfrau, die ein weißes Kleid und ein schwarzes Mäntelchen an hatte und an der Brust ein Brombeersträußlein trug. Sie hatte die Wangen, die Augen und die feinen Haare des Waldmädchens. Sie war gekommen, den Knaben zu sehen, der sie gerettet und aus dem Walde geführt hatte. Sie und der alte Vetter, der sie begleitete, baten den Jüngling, er möchte mit ihnen in das Schloß des Mädchens gehen und dort leben. Der Jüngling, der das Mädchen auch recht liebte, ging mit. Er lernte dort allerlei Dinge, wurde immer geschickter, und wurde endlich der Gemahl des Mädchens, das er zur Zeit der Pest in dem Walde gefunden hatte. Siehst du, da bekam er ein Schloß, er bekam Felder, Wiesen, Wälder,
Mit diesen Worten hörte der Großvater zu erzählen auf. Wir blieben aber noch immer auf dem Steine sitzen. Der Mond hatte immer heller und heller geschienen, die Wolken hatten sich immer länger und länger gestreckt, und ich schaute stets auf den schwarzen Vogelbeerbaum des Nachbars.
Da streckte sich das Antlitz der Großmutter aus der Tür heraus, und sie fragte, ob wir denn nicht zum Essen ge hen wollten. Wir gingen nun in die Stube der Großeltern, die Großmutter tat ein schönes, aus braun- und weißgestreiftem Pflaumenholze verfertigtes Hängetischchen von der Wand herab, überdeckte es mit weißen Linnen, gab uns Teller und Eßgeräte, und stellte ein Huhn mit Reis auf. Da wir aßen, sagte sie mit böser Miene, daß der Großvater noch törichter und unbesonnener sei als der Enkel, weil er zum Waschen von Wagenschmierfüßen
Der Großvater lächelte und sagte: »So zerbrechen wir die Schüssel, daß sie nicht einmal aus Unachtsamkeit doch genommen wird, und kaufen eine neue; es ist doch besser, als wenn der Schelm länger in der Angst geblieben wäre. Du nimmst dich ja auch um ihn an.«
Bei diesen Worten zeigte er gegen den Ofen, wo in einem kleinen Wännchen meine Pechhöschen eingeweicht waren. Als wir gegessen hatten, sagte der Großvater, daß ich nun schlafen gehen solle, und er geleitete mich selber in meine Schlafkammer. Als wir durch das Vorhaus gingen, wo ich in solche Strafe gekommen war, zwitscherten die jungen Schwalben leise in ihrem Neste wie schlaftrunken, in der großen Stube brannte ein Lämpchen auf dem Tische, das alle Samstagsnächte die ganze Nacht zu Ehren der heiligen Jungfrau brannte, in dem Schlafgemache der Eltern lag der Vater in dem Bette, hatte ein Licht neben sich, und las, wie er gewöhnlich zu tun pflegte; die Mutter war nicht zu Hause, weil sie bei einer kranken Muhme war. Da wir den Vater gegrüßt hatten, und er freundlich geantwortet hatte, gingen wir in das Schlafzimmer der Kinder. Die Schwester und die kleinen Brüderchen schlummerten schon. Der Großvater half mir mich entkleiden, und er blieb bei mir, bis ich gebetet und das Deckchen über mich gezogen hatte. Dann ging er fort. Aber ich konnte nicht schlafen, sondern dachte immer an die Geschichte, die mir der Großvater erzählt hatte, ich dachte an diesen Umstand und an jenen, und es fiel mir mehreres ein, um was ich fragen müsse. Endlich machte doch die Müdigkeit ihr Recht gelten, und der Schlaf senkte sich auf die Augen. Als ich noch im halben Entschlummern war, sah ich bei dem Scheine des Lichtes, das aus dem Schlafzimmer der Eltern herein fiel, daß die Mutter herein ging, ohne daß ich mich zu vollem Bewußtsein
Aber der erste Schlaf ist doch kein ruhiger gewesen. Ich hatte viele Sachen bei mir, Tote, Sterbende, Pestkranke, Drillingsföhren, das Waldmädchen, den Machtbauer, des Nachbars Vogelbeerbaum, und der alte Andreas strich mir schon wieder die Füße an. Aber der Verlauf des Schlafes muß gut gewesen sein; denn als man mich erweckte, schien die Sonne durch die Fenster herein, es war ein lieblicher Sonntag, alles war festlich, wir bekamen nach dem Gebete das Festtagsfrühstück, bekamen die Festtagskleider, und als ich auf die Gasse ging, war alles rein, frisch und klar, die Dinge der Nacht waren dahin, und der Vogelbeerbaum des Nachbars war nicht halb so groß als gestern. Wir erhielten unsere Gebetbücher, und gingen in die Kirche, wo wir den Vater und Großvater auf ihren Plätzen in dem Bürgerstuhle sahen.
Seitdem sind viele Jahre vergangen, der Stein liegt noch vor dem Vaterhause, aber jetzt spielen die Kinder der Schwester darauf, und oft mag das alte Mütterlein auf ihm sitzen und nach den Weltgegenden ausschauen, in welche ihre Söhne zerstreut sind.
Wie es aber auch seltsame Dinge in der Welt gibt, die ganze Geschichte des Großvaters weiß ich, ja durch lange Jahre, wenn man von schönen Mädchen redete, fielen mir immer die feinen Haare des Waldmädchens ein; aber von den Pechspuren, die alles einleiteten, weiß ich nichts mehr, ob sie durch Waschen oder durch Abhobeln weggegangen sind, und oft, wenn ich eine Heimreise beabsichtigte, nahm ich mir vor, die Mutter zu fragen, aber auch das vergaß ich jedes Mal wieder.