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Das Erbe des großen Zaren Peter I. († 1725), der die Entwicklung seines Volkes und Staates mit gewalttätigem Eifer vorwärtstrieb, fand keinen Nachfolger, der das riesige Werk mit gleicher Kraft weitergeführt oder auch nur klug verwaltet hätte. Schon unter der kurzen Regierung seiner Gattin Katharina I., die ihren Günstling, den Fürsten Mentschikoff, willkürlich schalten und walten ließ, und noch mehr während der kaum dreijährigen Herrschaft seines Sohnes Peter II. hoben die Gegner der petrinischen Reformen immer kühner ihr Haupt, und als der vierzehnjährige Zar, durch wilde Ausschweifungen früh verbraucht, am 31. Jänner 1730, von einem hitzigen Fieber rasch dahingerafft, starb, standen sich ganz offen zwei Parteien zum Kampfe um den Zarenthron gegenüber. Die Altrussen wollten die einzige noch lebende Tochter Peters des Großen, die schöne, aber sittlich arg verwilderte Großfürstin Elisabeth Petrowna auf den Thron erheben und das Reich von Moskau aus ganz im alten Geiste der Bojaren regieren.
Die Gegenpartei, die streng an den Neuerungen Peters festhielt und wegen ihrer westlichen Neigungen auch die »deutsche Partei« hieß, war jedoch schneller am Werk: Schon am 4. Februar 1730 traf eine Abordnung aus Moskau in der kurländischen Hauptstadt Mitau ein und trug der dort regierenden Anna Iwanowna des Reiches Krone an.
Diese Herzogin Anna war eine Nichte des großen Peter, der sie in ihrem achtzehnten Lebensjahr kurzerhand an den Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen vermählt hatte. Der Prinz, der zugleich Herzog von Kurland war, starb zwei Tage nach der Hochzeit, wie es heißt, an den unmittelbaren Folgen des gewaltigen Rausches, den ihm der Zar durch unermeßliches Zutrinken förmlich anbefohlen hatte. Ob historisch oder nicht – Peter dem Großen wären solche Gewaltstücke ohne weiters zuzutrauen gewesen.
Die jugendliche Witwe nun richtete sich in ihrer Residenz Mitau nach ihrem Sinne ein. Sie strebte nach westlicher Kultur, d.h. sie lernte einmal ordentlich lesen und schreiben und ließ sich mit Vorliebe von ihren Damen und Kavalieren französische Romane vorlesen.
So war auch einmal der junge Fürst Anatol Galizyn mit dem Ehrenamte des Vorlesens betraut worden, und es geschah, daß sich die Herzogin in den schönen, ungebärdigen Menschen rettungslos verliebte. Sein Herz aber zog ihn nicht zu ihr, sondern in die Welt hinaus, in Taten und Abenteuer und, als die verliebte Herzogin Miene machte, ihn mit Gewalt festzuhalten, brannte er einfach durch. Vergebens war
Ob dies nun der Grund war oder nicht: Sicher ist, daß Anna Iwanowna ihren ehemaligen Stallmeister und späteren Kammerdiener Johann Biron, einen Abkömmling aus niederem, preußischem Adel, zu ihrem Günstling erhob und nach und nach, als sie Zarin geworden war, zum Grafen, Fürsten und schließlich zum Herzog von Kurland machte. Dieser rohe, grausame, aber auch kraftvoll überlegene Mann beherrschte die Zarin unbedingt und durch sie das weite russische Reich, dessen Kerker und Eiswüsten er rücksichtslos! mit seinen Gegnern füllte. Nur die Deutschen, vor allem der Kanzler Graf Ostermann und die Marschälle Münich und Löwenwolde, konnten sich neben ihm behaupten, den Russen aber war er ein Dorn im Auge und die Verschwörungen und Intrigen gegen ihn und die Zarin nahmen in den zehn Jahren ihrer Regierung (1730-1740) kein Ende. Besonders in den letzten Jahren flammte es bald da, bald dort bedrohlich auf, und wenn die Anschläge dennoch stets vereitelt wurden, so war das meist nur der Wachsamkeit von Konkurrenzverschwörungen zuzuschreiben, die Gleiches anstrebten.
Kurz: Der russische Hof tanzte auf einem Vulkan, als im Winter 1739 plötzlich die Kunde eintraf, Fürst Anatol Galizyn sei nach fast zehn Jahren Fremde unvermutet heimgekehrt. Wie die Zarin diese Nachricht aufnahm, ist nicht näher bekannt; daß aber die alte Leidenschaft in rachsüchtiger Flamme wieder aufzuckte, als sie erfuhr, der Ungetreue habe sich im Auslande römisch-katholisch verheiratet, kann man aus dem Folgenden entnehmen:
Sie ließ den Fürsten sofort gefangennehmen, seine Frau auf die Straße werfen, wo sie spurlos umkam, und vermählte den einst geliebten Mann mit einer alten, buckligen Waschfrau. In einem Eispalast, der eigens zu diesem Zwecke auf der festgefrorenen Newa kunstvoll erbaut wurde, fand die Hochzeit statt. Dabei nun soll die Zarin insofern betrogen worden sein, als die alte Wäscherin, die an der Gicht darniederlag, ihre schöne, junge Tochter unter die Brautvermummung steckte und zur Zarin sandte. Erst am andern Morgen merkte Anna den Betrug, ließ die arme Eisbraut sofort töten und machte den Fürsten Galizyn zur Strafe zu ihrem Oberhofnarren. Er mußte ein Federkleid tragen, auf einem Eierkorb sitzen und durfte bei Todesstrafe kein Wort sprechen, sondern nur gackern und krähen.
Wie lange er dies aushielt, ist nicht bekannt. Die Zarin Anna aber starb einige Monate nach dieser Aufregung, nachdem eine weitverzweigte Verschwörung des Grafen Artenau Wolinski knapp vor ihrer Ausführung entdeckt und durch grausamste Strafen vernichtet worden war.
Ich werde es Ihnen nie vergessen, daß Sie mich hieher führten – – Sieht die Rosen; lachend. Hehe! Wo sind wir denn da –? Tappt nach einer Rose.
Sehr gefährlich! Sie ahnen nicht, was ich gewagt habe, Sie überhaupt hier einzulassen. Näher. Noch einmal, Monsieur: Sie haben nichts von Politik im Sinn?
Wa –?! Faßt sich. Ich sagte Ihnen doch schon alles. Aber nun möchte ich des weiteren Ihre Zeit nicht stehlen. Ich glaube, daß ich die Herzogin nun selbst für meine Sache gewinnen kann.
Ich glaube nicht, daß die Fürstin im gegen wärtigen Augenblick für das französische Theater zu begeistern ist.
Zu Versailles –? Ist's möglich –? Kleine Pause. Es kann sein, daß die Musen einmal hier das erste Wort hatten – solange andere Götter nicht mit lauter Stimme sprachen.
Ein feinerer –? Ein zarterer Gott? Biron schweigt. Ein Göttchen – mit Flügeln – he –? Mit Pfeil und Silberbogen –? He –?
Nein, mein Freundchen. Kein Wort! Kein Wort. Gewiß nicht. Sie haben das Geheimnis der Herzogin Anna nicht verraten.
Weil es kein Geheimnis gibt! Weil jedermann sehen muß, wie dieser ganze Hof schon seit Wochen und Monaten in rosenrotem Lichte schimmert! Die ganze Welt wird einfach vor die Tür gesperrt und mitten im Winter muß ein Rosengarten blühen – denn die Herzogin liebt! Setzt den Kriegsgott wie die Musen auf Ruhesold und lebt überhaupt nur noch in französischen Romanen – –
– nicht in Tragödien! In Romanen, sagte ich. Und zwar auch nur dann, wenn sie durch die Stimme des Fürsten Galizyn lebendig werden!
Machen Sie sich keine Hoffnung, Herr! Hier kommen Sie nicht auf, und wären Sie der selige Monsieur Molière selbst mit allen seinen Komödien. – Durchbrechend. Hier gilt nur dieser Schmeichler, dieser Süßholzraspler! Nur er! Nur seine Stimme! Ich glaube, er könnte ebenso gut eine Litanei beten oder von eins bis tausend zählen, die Herzogin würde es gar nicht bemerken und am Ende ganz begeistert »Bravo!« rufen.
Man sieht es ihm an, daß er Palastgemächer so gut wie Gefängnisse kennt, mit dem Zaren an einem Tisch gesessen, aber auch schon unter seiner Knute geblutet hat. Er ist mehr Opfer als Herr seines maßlosen Machttriebes, was er in seltenen Augenblicken schaudernd fühlt. – Er tritt von der Galerie links auf und bemerkt die beiden Anwesenden. Ein Lächeln legt sich über sein glattes Gesicht. Er wendet sich an Biron. Ah – hier ist Er ja –
Ein Mime vom Hof Seiner französischen Majestät. Monsieur – de – daß ich den Namen nicht behalten kann – –
Doch, den Namen hört ich schon. Man spricht von Ihnen, Monsieur, am Hofe von Moskau. Sie haben die Absicht, vor der Herzogin von Kurland aufzutreten? Ist Madame de Mappier mit von Ihrer Truppe –?
Seh' Er doch nach, ob die Luft noch rein ist. Ich möchte Ihrer Hoheit nicht unvorbereitet in den Weg treten – –
Wir sind ihnen zuvorgekommen. Sieht ihn an. Doch lass' dich betrachten! Wahrhaftig! Niemand würde in diesem Komödiantenrock den tapferen Fürsten Kurakin vermuten! Er kleidet dich vortrefflich. – Ich reiste als jüdischer Kaufmann bis vor die Tore von Mitau. – Wie weit bist du?
Der denkt nicht an sie – nicht an uns – an nichts denkt er. – Er hat einen wehen Punkt im Herzen. Drückt man darauf, so geht sein Mund wie eine Plappermühle. Nun kenne ich die Bande, mit denen Anna Iwanowna gefesselt ist.
Diesmal hast du aber falsch geraten, Väterchen. Nicht Sachsen, nicht Preußen, weder König noch Kurfürst, nichts von Politik! – Liebesbande machen sie für alles taub und blind!
Ein Idyll? – Eine Eifersuchtsaffaire! Merkst du, was das für uns bedeutet? Brennende Sinne – blinde Wächter! – Ich glaube, es hätte unserer Vorsicht gar nicht bedurft! Warum treten wir nicht vor die Herzogin hin und sagen ihr: Wir bringen dir den Willen des heiligen Rußland. Es bittet dich, seine Zarin zu sein! – Und dann mag sie uns sagen, was sie denkt.
Ein Land will nie – und eine Herzogin denkt nicht. – Das Denken und das Wollen Gedämpft und scharf. ist an uns – und wer nicht wollen kann, der wird gewollt! Wir haben einen Vorsprung, den müssen wir nützen. Wer weiß, wie schnell uns die Gegner folgen?!
Gerad'aus siegt nur Meister oder Kind. Bei Frauen aber greift auch Gott zur List. Sie haben einen Hohlspiegel im Kopf und sehen Krummes gerade und Gerades schief.
Ich hoffe, Gott hat bessere Dinge zu tun. Diesen Lasterbuben wird er wohl dem Teufel abtreten müssen.
Ein schnapstrinkender Bengel war er, der mit seinen vierzehn Jahren im Laster erstickte: Der richtige Sohn einer Bauerndirne und – –
Ich diene mit jedem Atemzug dem Thron des großen Zaren Peter, der nun der Herzogin Anna gebührt. – Deshalb kam ich her. Um sonst nichts!
Was du gleich kollerst, alter Bär! Du kennst mich doch. Du weißt: Mein jähes Blut reißt mich oft in einen Wirbel von Bildern. Welcher ehrliche Mann in Rußland dächte heute anders als wir beide? Pause, da Kurakin verdüstert schweigt, sieht er ihn von der Seite an und ist im folgenden bemüht, den Eindruck der Szene zu verwischen. Sagtest du Liebesbande? – Eifersucht –? Ich will mir das merken, darauf läßt sich bauen. – Wer ist der zweite?
Das könnte nur einer der Söhne des Marschalls sein. Etwa – Anatol – – Freilich Anatol Galizyn – deine Mission bekommt eine Aufgabe mehr: Wir müssen den jungen Charmeur zunächst auf gutem Wege fortzubringen suchen. Also halte die Augen offen! Sollte er widerstreben, dann ist er der erste, der – – Geste: weg muß. Doch, du wirst ja sehen.
Nun, nun, noch immer grämlich? Daß dich ein schnelles Wort so schrecken konnte! Verzeih' mir! Hält ihm die Hand hin.
Ich danke Ihm. Melde Er mich später, wenn ich Ihm ein Zeichen gebe –. Zu Kurakin. Sie bleiben, Monsieur?
Die Kunst voran – besonders bei den Damen. Die Staatsgeschäfte kommen immer noch zu früh. Neigt sich. Monsieur Caille, ich hätte gerne mich weiter mit einem so vortrefflichen Manne unterhalten – –
Ach Herr, – Allein –? So wie Sie schon seit Monaten »allein« ist. Deutet nach rechts. Da – sehen Sie –!
Er meint hier: Niemals welkt die Rose, welche Liebe pflückte. Nur wer die Blumen achtlos bricht, raubt ihre Seele.
Kein Mann – kein Mann! – Weshalb nicht? Als ob Männer nie dichteten, liebten oder sonst wie närrisch wären –!
Ah –? Unwillig. Was stöhnt da schon wieder? Ich will nicht, daß man hier herumschleicht und Ah! und Oh! seufzt!
Ach, kennen –? Leider nicht! Auf ihn zu. Doch Sie müssen mir erzählen, Monsieur, viel erzählen! Sie haben doch starke Worte und helle Bilder – ja? Ich habe Hunger nach jedem Atemzug der Welt da draußen! Oh, sagen Sie – sagen Sie mir, was ich hier höchstens träumen oder in süßlichen Dichterbüchern lesen kann –!
Schreibt man bei euch diese drolligen Geschichten von den liebenden Damen und Gärtnern – und dem andern Gesindl – –?
Ihr müßt sonderbare Menschen sein da drüben, daß ihr alles in Büchern erzählt, was ihr treibt und denkt. Warum tut ihr so etwas?
Wir tauschen nicht – wir erweitern das eigene bloß durch fremdes. Denn zuletzt ist Spiel und Leben von gleicher Seele.
Doch, Herzogin! Das Spiel der großen Kräfte macht uns selber groß und reißt die Tat aus unseren Gliedern!
Wer? – Die Priester sagen: Gott. Die Philosophen meinen: Die Natur. Man kann auch behaupten, sie blüht von selbst.
Nun also! Gott, Natur, von selbst – das ist alles eins. Einen Komödianten brauchte sie ganz sicher nicht, um aufzublühen. Sie ist erfüllt, sie lebt, sie duftet – und mit allen eueren Dichterbüchern und Tragödien könnt ihr sie nicht schöner und reicher machen, ihr nichts von ihrem Duft nehmen oder dazugeben. – Was erfüllt ist, braucht kein Gleichnis. Nur die Sehnsucht ruft nach Bildern.
Die Sehnsucht – – ja, die Sehnsucht! Die Welt – die wunderbare – die tausendfältig verborgene – immer neu erlebte. –
Schweig – du! Es abenteuert in dir! Der Teufel hält dir einen Zerrspiegel vor und lacht über deine Narrheit!
Leben –? Was willst du? Nur, was du in der Hand hältst, ist dein Leben! Das andere lügt und blendet. Ich will davon nichts hören! Zu Kurakin. Vielleicht, Monsieur, kommt eine Stunde, da man Ihrer Kunst bedarf. Wer kann das wissen – –? Jetzt ist sie noch nicht da. – Doch eines ist sicher: Wenn sie kommt, so ist mein Spiel im Sinken. Und niemand weiß, wann er auf seinen Grund gelangt. Man soll es vielleicht lieber nicht versuchen. – Für jeden Fall aber: Ehrlich Feind! Sie oder ich!
Mir liegt der warme, müde Hauch erdrückend auf der Brust. Mit heftiger Geste. Ach wer ihn löste! – Plötzlich näher kommend. Weshalb nur sandtest du ihn fort?
Alt? Wer ist alt? Wer ist jung? Ich könnte sein Sohn sein – und doch ist er jünger – ach, um so viel jünger als ich! – In diesem alten Manne lebt die Tat – das Abenteuer – fernes Land und kühn erfaßter Augenblick! Wer weiß, wie oft in seinem Leben er Sieger werden durfte?
Du hast nicht gut geschlafen, mein junges Walroß. – Näher. Du! Mach' keine solchen Augen! Was ist das? He? – Nimmt ihn an den Ohren. Wirst du gleich lachen! Nachäffend. Bääääh! So siehst du aus! Genau so! Du gefällst mir gar nicht!
Nein! Niederknien! Zieht ihn an den Ohren nieder. So! Schön niederknien, mein Hündchen! Und jetzt schön bitten –!
Ich habe dir nicht weh tun wollen Nimmt seinen Kopf in beide Hände; mütterlich. Was ist in dich gefahren, mein Antja? Hast du bös geträumt? Von Fernen, die du nicht kennst –? Leicht seufzend. Wer weiß, wie sie sind –
Das eben treibt mich, läßt mir keine Ruh', das Unbekannte – dieses Feindliche – das zum Bekennen reißt und zum Bezwingen! Hier les' ich Bücher – bin in deiner Hand ein Liebesspielzeug –
Ich muß es sagen. Siehst du nicht, daß ich wie ein verleg'ner Knabe dich umschleiche, der nach Gefallen lächelt, glatte Worte im Munde hat, doch allem fremd ist, was er sieht und sagt. Daß eine andere Welt, – ach nur die Ahnung, – nur der Traum von ihr, – mich fester hält als diese ganze, taube, feindselig schöne Wirklichkeit.
So hab auch ich gedacht, als einst die Welt von draußen zu mir sprach durch einen, der mein Gatte wurde.
Ich phantasiere nicht. Wer kann es auch erweisen, ob der schwere Hochzeitsrausch nicht Zufall war? Der Herzog starb daran – und Kurland war des Zaren.
– und ich des Zaren – wenn's dir so gefällt. – Näher. Ich habs gesehen, Antja, wie die Welt, die große, wunderbare, grinsen Pause. Ich war die Gattin dieses Toten – – Da lernt' ich schaudern – und ich lernte weinen – und lernte sehen – und zuletzt auch lächeln, wenn wieder dann und wann der kleine Gott der Herzensnöte, einer Staatskarosse vorausgeschickt, an meinem Hof erschien –. Ich hört' ihn freundlich an – und dankte freundlich und wartete. – Näher. Weißt du, wie warten ist? Auf einen Tag, der kommen muß und doch von Jahr zu Jahr nicht kommt? – Hast du erfahren, wie welke Blätter grausam flüstern können, wie Blüten sprechen, wenn man einsam geht –? Du kennst die Stimmen nicht, die zwischen Traum und Wachen uns beschleichen, wenn wir müde und wehrlos sind, und die uns alles, dran wir unsern Glauben hängen, so verhöhnen, daß uns der Schmerz darum die Kehle preßt und alles, alles hassen läßt, was glaubt und wartet. –
Mir kam der Tag! und kam so groß und licht und überfiel mich, daß in mir nur Staunen und Klingen war. Ich war nur Widerhall und nur Geschehen. Weder Tat noch Wollen, nur stetes Horchen, frohes Innewerden, ein zitterndes, ein glückliches, fragendes: Bist du es denn – bist du es, die der Hauch der übervollen Stunde traf? – Des Nachts – ich weiß es nicht, warum ich's tat – des Nachts ging ich ins Rosenhaus, wenn alles schlief, und stand dort in den Blüten. Weiter nichts. Ich streifte kaum zuweilen drüber hin aus Angst, ich könnte von dem stillen, starken, geheimnisvollen Leben etwas stören. – Doch ich verstand dies Leben – o, wie tief verstand ich es – und alles, was erblühte und offen war. –
Ja –! Weher. Ich war es – – Härter. Und ich will es wieder sein und bleiben. – Aufschreiend. Wer es mir zu zerstören wagt, der seh' sich vor! – Erwachend. War alles denn ein Traum? Sind das nicht Rosen? Unser Garten? Du und ich? – Wer hat von Fernen hier gelogen? Wer hat den Frieden hier gestört? Ich will es nicht –! Ich – –
Vergebung, Hoheit, wenn das Ereignis mich zum ungestümen Zerstörer macht. Doch hoff' ich mein Willkommen noch zu verdienen.
O, ich weiß: Ich lade Haß auf mich, weil ich hier eindrang. Aber mag es sein. Ich hab schon viel Haß auf mich genommen, ich hab's gelernt, mich selber zu vergessen, wenn es das Wohl des Reiches gilt.
Des Reiches –! Ja. So fängt es immer an, wenn irgendeine Mörderei in Aussicht steht – im Kleinen oder Großen. – Ich hasse diese kalten Worte, die edel tun und niedrig sind.
In tiefer Sorge ließ ich den Hof. Des jungen Zaren Leben verglüht im Fieber. Jede Stunde kann die Todesbotschaft bringen.
Gott wird sie hören. Aber wenn sein Rat beschlossen, den Zaren uns zu nehmen, mag Gebet und Messe fruchtlos sein.
An uns ist jedenfalls die Pflicht, der nächsten Stunden bereit und wach zu warten. – Tun wir es nicht, so wachen andere und nehmen uns die Mühe.
Daß der große Rat in Moskau zur Erwägung kam, im Falle des Todes Seiner Majestät des Zaren des Reiches Krone Eurer Hoheit – –
Hahaha! Noch lebt der Zar – und ihr hausiert bereits mit seiner Krone! Das ist ein gefährlicher Faschingsscherz! –
Bring mir die Rosen wieder in Ordnung, die der Schwätzer niedertrat. Er sieht nach. Ist eine abgerissen?
Und jetzt lies die Geschichte weiter, die wir viel zu lang schon unterbrochen – – doch zuvor – Läutet.
Noch tiefer –! So! Bis auf die Nase! Vielleicht legst du dich auf den Bauch und wedelst mit den Beinen, wie ein Tatar! Hundeseele! Aber ein echter Hund ist ein besserer Diener als du!
Ach – und Oh! Und nichts als Gestöhn und Kummerblicke! Was verdrehst du deine Augen? Ich glaube, du hast große Dummheiten im Kopf. Man sollte dich ein wenig peitschen lassen, mein Hündchen! Hart. Ich muß einen Diener haben, der für mein Wort sterben kann – keinen schmachtenden Schwätzer!
Herrin! Ich will für dich sterben! Jede Stunde magst du die Probe haben – jeden Augenblick bin ich bereit! – O, es muß süß sein, für dich zu leiden.
Das brauche ich jetzt noch nicht. Aber es tut gut, wenn man es weiß. – Die beiden fremden Herren sind wohl beraten?
Sie werden sich gut verstehen – denk' ich; ein Minister in Funktion und ein Komödienspieler! Vielleicht wird heute noch ein toller Abend. – Doch bis dahin: Kein Mensch! Sonst büßt du mir dafür!
Ein Mann – vielleicht – – ein Tier – wer weiß –. Plötzlich zu Anatol, der ganz in Gedanken dasteht. Was dünkt er dich?
Wie war es doch: Die Fürstin spazierte
Und der Gärtner gab ihr seine Rosen und sagte: »Nie stirbt eine Blume, welche Liebe brach.« Da fragte sie: »Willst du mein König sein?« Sie legt den Arm um seine Schultern.
Laß doch das dumme Buch! Er sieht sie überrascht an; sie schaut ihm lächelnd ins Gesicht. Du sollst mir sagen, wie meine Augen sind –!
Ich weiß es ja: Ich bin nicht schön! Ihr alle seid weiß und hell – in mir ist dunkles Blut; das gilbt die Haut – und meine Stirn ist boshaft – – das wißt ihr ja ihr sagt es alle! Da er abwehrt. Ja!! Auch du!
Lügner!! Da er zusammenzuckt, plötzlich weich. Nein! – Du nicht – – Der einzige, der nichts vom Lügen weiß. Und deshalb sollst du mir jetzt sagen, wie ich bin.
Wer einer Frau von ihren Reizen spricht, der tut nicht recht. – Vom Schönen sprechen heißt: Es unschön machen.
Ich will es – ja – ich will es so! Sie sollen dich und mich in Ruhe lassen mit den Komödien und Ränkespielen und ihre Kronen mit den kalten Steinen unter sich auswürfeln! Ich will nichts wissen von dem Feilschen und Betrügen – –
Du kannst dich hier nicht länger verbergen! Was sollen Rosen und Bücher, wenn alles nach dir ruft – Stimmen näher. Hörst du? Will gegen die Tür.
Ich will nicht! Nichts will ich sehen – nichts hören – nichts wissen –! Antja! Antja Galizyn – nur du – du – mein König mein König – –!
Ich empfange die Botschaft später. Melde es den Herren. – Doch zuvor was anderes: Die Wachen vor dem Schloß werden verdoppelt! Auch die Gartenpforten – alle – mit Posten versehen. Auf Hörweite an die Mauer sind Garden zu stellen – Kurländer! – Du suchst sie selbst aus und bürgst mir für jeden!
Er sieht beinahe einem Ereignis ähnlich – einem Abenteuer, wie sie draußen in der schönen, großen Welt vorkommen – nicht wahr?
Aber mir. Ich will spielen mit dir – spielen, wie mit einer großen Katze – mit einer großen, gefährlichen Katze – wie mit einem
Nicht wahr, das wundert Sie? Sie sehen, Monsieur, schneller, als wir beide dachten, hat sich die Stunde zu Ihren Gunsten gewendet. Momentan sinnend. Vielleicht sinkt mein Spiel! – Strafft sich. Ich habe eine ganz besondere Aufgabe für Sie. Sie können gleich ein Meisterstück Ihrer Kunst liefern. Hier: Fürst Galizyn nimmt viel Anteil an Ihrer Fähigkeit und Art – Unterhalten Sie ihn – erzählen Sie ihm viel vom Hofe zu Versailles – von der großen Welt – – – Sparen Sie keine Farbe – seien Sie lockend – verführerisch – hinreißend. Er muß glühen – in allen Feuern glühen! – Nickt. Monsieur! Meine Herren! Zu Biron. Er kommt mit mir!
Das werden Sie bald erfahren. Für jetzt nur eines: Die Herzogin – wie soll ich es nur schnell sagen – – Es darf ihr kein Mann mehr sein als ein Lakai – –
Sie muß allein nach Moskau kommen – – ohne Anhang – ohne Band – – Es ist der Beschluß des großen Rates. – Ein dringlich. Und deshalb rette dich! Rette deine Freiheit – dein Leben! Wolinski hat unbegrenzte Vollmacht. Du bist der einzige Grund für das Sträuben der Herzogin. – Du mußt fort!
Sei vernünftig, Freundchen! Was ist ein Weib? Gib den
Was kümmert Sie das? Es soll mich keiner aushorchen und belauschen! Das leide ich nicht! Ich will meinen Weg allein gehen – ohne euch – ohne sie – ohne jeden –!
Für uns gibt es von jetzt an nur eine Sache! Alles muß ihr dienen! Zu Anatol. Ihre Reise, Chevalier, geht westwärts. Hier die Pässe. Gibt ihm Papiere. Fürst Kurakin bringt Sie über die Grenze bis Breslau. Sie finden alles bei ihm. Für die Weiterfahrt nach Frankreich wird vorgesehen. Es wird gut sein, zunächst eine kleine Veränderung Ihres Aussehens vorzunehmen – für alle Fälle. Auch dafür ist gesorgt.
Ich weiß dein Opfer zu schätzen, Freundchen. Nicht ich verlange es – nicht Wolinski – nicht der große Rat. Es handelt sich um das heilige Rußland – um seine Zarin!
Er selbst. Merkst du, was in deiner Hand liegt!? Mit einem Wort kannst du seiner los werden und der Zarin dienen! Nun laß dein Herz reden, Freundchen!
Keine Ausflüchte. Ihnen war's nicht um die Zarin zu tun. Erst, als Sie hörten, wem die Wachen galten – –
Sei glücklich, daß du weder Fürst noch Herzog bist. Die beiden ziehen sich gegen links vorn zurück, da die Herzogin, –
im Trauerschleier – rechts, Galerie auftritt. Garden mit Offizieren fassen Posten. Haushofmeister und Popen im Hintergrund.
Man soll die Edlen des Landes zur Trauerfeier laden. Die Garnison tritt morgen an. Die Priester sollen ihres Amtes walten. Spiel und Tanz sollen schweigen. In den Kirchen soll für das Seelenheil des Zaren gebetet werden. Ich will, daß man in Würde trauert. Alles Geschrei ist zu vermeiden. Ich will keine Klageweiber hören. Der Tod ist kein Kirmeßgeiger. Sorgen Sie, daß alles nach meinem Willen geschehe.
Herrin – der Form zu dienen – – Vorbehalte etwa – Selbstverständlich ganz im Sinne von Euerer Hoheit eigenem Vorteil – Eine Urkunde vorweisend. Kurz, hier dies Schriftstück zählt sie alle auf und harrt der Unterschrift von ihrer Hand.
Vor allem wichtig scheint den Räten eines – das erste: Die Zarin müßte jeder Fessel ledig sein. – Sieht sie an. In unserem Falle wohl nur eine Formel.
Nur eine Formel – ganz gewiß. Sieht lächelnd in die Urkunde. Wie schön geschrieben – wie klug gedacht – – Wirft den Vertrag lässig auf den Boden. Schad um die Mühe.
Vielleicht ist es ein Glück für euch und euren großen Rat, daß mir ein anderes Königreich in meinen Schoß gefallen ist. Sie können es den Herren dort in ihren Pelzen sagen, daß so viel Wunder hier in Kurland leben, daß die Herzogin gar keine Zeit hat, noch anderes zu denken! Daß alle Kronen, Szepter, Diamanten – und was ihr sonst noch habt, gerade gut genug ihr wären, um damit in gut gela unten Mußestunden ein bißchen Weltkomödie zu spielen!
Nicht euer Spiel – gewiß. Doch meines. Was sollt ich Ihnen mehr davon erzählen? Die Sprache kennen Sie doch nicht. Wir sind nicht Feind – nicht Freund – nur fremd. So fremd, daß wir uns nicht einmal erreichen können durch Haß und Liebe. – Ahnen Sie das nicht?
Das sollen Sie! Nur wer vergißt, kann werden. Denken Sie daran, wo Sie einst waren, ehe Sie die Lüge von den großen Dingen kennen lernten. Werden Sie das wieder!
Gott Vater können Sie nicht sein, Prinzessin. Drum wollen wir auch nicht vom Wunderwirken sprechen. Weist auf den Vertrag. Es bleibt auch so genug zu tun.
Ich traf ihn. Den Fürsten – sagt er – hab' er nicht gesehen. Doch sei ein Kavalier mit seinem Diener passiert –
Der Zarin –? Ja. – Nach Rußland, sagst Du? Wohl. Auch ich will hin. Und schneller sein als er. Zu Wolinski. Wo ist der Wisch?
Du –? Nein – Du nicht! Zu Biron. Doch du –! Packt ihn an den Schultern. Komm du! Flackernd. Du schleichst mir lange schon herum, wie ein getroff'nes Wild – und seufzest viel – und siehst so hungrig aus – –! Es hungert dich, mein Täubchen! Ich errate wohl, wonach – – – du! Fang mir ihn! Dann sollst du satt sein –! Hörst du –?!
Um elf Uhr. Der Schlitten des Grafen Puschkin – mit dem schwarzen, türkischen Gespann – und Silberzeug – und weißen Wedeln –
Nimm dich in acht, daß er dir's nicht eines Tages selbst erklären muß! Für das Fest heute abend ist in der Manege alles bereit –?
Alles – wie befohlen. – Fünfzig Schlitten für den Maskenzug zum Eispalast. Wir haben Hunde, Esel und Schweine abgerichtet –
Du kannst es glauben, Väterchen – Exzellenz! – es war kein leichtes Stück, das Viehzeug ins Gespann zu zwingen. Aber jetzt gehen sie alle – wie richtige Schlitten pferde gehen sie – – Es wird sehr lustig aussehen – ganz wie es einem Narrenkönig ziemt –
Wehe dir, wenn Ihre Majestät die Zarin merkt, daß du besoffen bist! Ich lasse dich totprügeln – marsch!
Gut, daß ich kam. Wir haben Glück. Indem er zum Ofen geht. Sieh doch, wie das Gezücht den Weg findet! Wirft die Schrift ins Feuer. Der klagt mir nicht mehr.
Keiner, der uns nicht hören dürfte – Doch, wie siehst du wieder drein? Wie Brutus, bevor er den, Cäsar erdolchte! Wenn du mir immer ein so bitteres Gesicht machst, so sehen sie am Ende noch durch deine Augen meine Pläne! – Glatte Miene, Freundchen! Helle Augen!
Sssst! Denk' mehr daran – und rede weniger davon! Im übrigen tut man es, sooft es not ist, du hast es auch dieses erste Mal noch nicht getan.
Es sind Menschen. Weiter nichts. – Glaubst du, ich weiß nicht, daß auch hinter mir schon einer schleicht und auf die Stunde lauert, wo er mich fassen kann? – Das war nie anders, solange Rußland heilig ist. Es kommt nur darauf an, im rechten Augenblick zu wissen, wer es ist. Und man muß! schneller sein, als er. Das ist alles.
Na – na – mein Brutus! Kein solches Gesicht! Glatte Miene – immer glatte Miene! – Was ist mit Puschkin?
Helfen? – Ich muß einen neben mir haben, der mein Gewissen ist Sieht ihn fast ängstlich von der Seite an. Verstehst du das?
Brav, brav, Peter Jeropkin, verlaß dich darauf: Es kommt auch noch an die Fremden die Reihe. – Doch jetzt geht anderes vor. Diese Puppenzarin muß weg!
Nicht mehr viel. Von Bedeutung gar nichts. Sie schwärmte noch eine Weile von ihrem Fest heute abend – dann spielte sie noch eine Partie Billard – und ging. Gegen elf – wie gewöhnlich, Wie jeden Abend – zehn Jahre lang. Aber jetzt hat sie ja mächtig zu denken. Ich glaube, sie hat seit Tagen nichts anderes im Kopf als den neuen Narrenkönig – –
Ich sag es euch auf den Kopf zu: Ihr seid nicht richtig im Herzen! Wer recht im Herzen ist, der liebt den Branntwein! Wer den Branntwein liebt, der macht kein so unzufriedenes Gesicht, wie du hier Peter Jeropkin! Schlägt ihm auf die Schulter.
Dann denkt eben niemand! Alle lachen laut; er merkt, was er sagte. Verdammte Wortfecherei! Wer recht im Herzen ist, spricht nicht von Zar und Gott! Der trinkt und ist zufrieden! Ich möchte euch lieber die Rippen einschlagen, als da mit euch herummaulen! Geht auf sie los; sie weichen lachend aus.
Noch nicht – das Neueste noch nicht. Das meld' ich erst jetzt. Alle wenden sich ihm zu. Der Hof erhält Besuch.
Das wird die Zarin freuen.
TRUBETZKOJ, LÖWENWOLDE UND KURAKIN lesen eifrig das Schreiben, wobei sie etwas von den andern abrücken.
Es ist wieder einer mehr, der alles Schlechte bringen kann. Er kann viel für uns bedeuten – – – Still jetzt!
Bravo, das nenn' ich eine heitere Überraschung! Die Zarin – und Fürst Galizyn – – Man hat da vor Jahren manches hören können – – ungewöhnlich interessante Geschichten –
Im Herbst erscheint der Frühling am schönsten. Sie werden sehen – – – Er geht mit Löwenwolde und Chruschtschow im Gespräch nach hinten.
Du gleichst dem Zaren Peter doch nicht ganz. Es ist wahr: Du hast einen guten Feldmarschall, einen Admiral und viele tapfere Soldaten, wie er – aber in einem bleibst du zurück, Mütterchen –!
Zum Exempel den da! Zar Peter legte ihm das Seil schon um den Hals – du aber ziehst es noch nicht zu!
Der Branntwein fördert Worte – aber er zerbricht die Tat. Befiehl mir eine Tat, Kaiserin, die soll für mich sprechen. Reden mögen andere.
Ich will mich zur Zeit daran erinnern. Zu Kurakin. Und ich will keine Schmähungen mehr hören, die nach Branntwein riechen.
Mütterchen! Schau in mein Herz, ob du einen Blutstropfen darin findest, der nicht dir gehört und dem Thron des Zaren Peter! Er kniet nieder und küßt ihr Kleid.
Du tätest besser, mich nicht daran zu erinnern. Warum mahnst du mich an das – gerade du – –? Verscheucht die Gedanken, zu allen. Doch nun: Was meldet ihr?
Freilassen – köpfen – – Macht, was ihr wollt mit dem Gesindel! Marschall Münich soll über sie entscheiden. Zu Ostermann, der neben ihr steht. Immer das Gleiche – immer dasselbe Stück! Zu allen. Habt ihr nichts anderes?
Wie? Was willst du? Was siehst du mich so an? Ihr alle. Was habt ihr in den Augen?! Weg mit dir! Weg mit diesen Augen –
Graf Ostermann – Sie tun mir die Weist auf die Akten am Tisch und spricht halblaut mit dem Kanzler, indes ihre Aufmerksamkeit aber ganz bei den Kavalieren ist, vor deren Blicken sie sich so zu verschanzen sucht.
Wie stets – Sie wissen ja – Sieht auf, zuckt zurück. Noch immer diese dummen Augen – – Weg! Alle weg! Den Fürsten sprechen wir allein –!
Eine Kanaille mehr an diesem Hof! Vielleicht juckt auch ihn der Kopf nach der Zarenkrone wie das andere Geschmeiß!
Was bittest du? Ich habe wohl zu wenig Ehrfurcht vor dem Glücksritter – he? Da sie zuckt. Was ist er sonst? Warum bleibt er nicht, wo er war? Ich habe schon viele hier herumschnüffeln sehen – es gelüstet ihm wohl auch – und er sieht ganz klug voraus, daß er mit dir leichtes Spiel haben dürfte! Wie schlau. Hehe –! Ganz nahe. Aber mit mir spielt keiner! Das sollst du nur wissen – und vielleicht sagst du es dem schönen Herrchen, daß es von Vorteil ist, mir zu Zeiten nicht über den Weg zu laufen. Hörst du?
Ich fahre einmal um die Reitbahn – ich werde im Schritt fahren – einmal um die ganze Bahn – Faßt sie wieder an der Hand. Bist du dann nicht zur Stelle, so hole ich dich! Hörst du?
Es wird besser sein, du kommst, ehe ich ganz herum bin – denk daran! Läßt ihre Hand los und geht ohne Wort und Blick durch die Flügeltüre ab.
Die Zarin hört ihn nicht. Er geht einen Schritt vor und blickt betroffen auf die Weinende. Da sie nicht aufsieht, will er ruhig wieder an die Tür zurück. Da hört sie seinen Schritt und fährt empor, wie er eben die Hand nach der Klinke hebt. – Er wendet sich ihr zu und neigt sich tief.
Wer –? Er hat den Blick erhoben. Ach –! Sie sehen einander lange wortlos an. – Dann geht Anatol auf die Zarin zu, beugt ein Knie und will den Saum ihres Kleides küssen.
Auch ihre Stimme ist nicht in ihrer Macht, als sie halblaut ein wenig bebend sagt. Nein – das sollst du nicht – – Steh auf –
Und ohne Furcht – nicht wahr. Laß sehen. Nimmt die Glocke wie spielend in die Hand. Wenn ich jetzt läute, so warten hundert Arme – hundert Augen – hundert Gehirne. Alle Herzen setzen aus, bis ich spreche – Und wenn ich sage: Hier steht ein Verräter – einer, der mir das Schlimmste getan hat – Hebt die Glocke. – – Es könnte sein, daß meine Hand zittert, – ohne daß ich es wollte, – ich weiß nicht, warum – und tritt Er zuckt beim Worte »Mörder« zusammen. Erschrick nicht vor einem Wort, das mir so gewöhnlich ist wie Morgen und Abend. Es sind viele um mich – viele – ich weiß es –. Ich kenne sie. Jeden kenne ich. Lacht bitter. Du wärst mir nicht der Schlechteste, wenn ich wählen dürfte – –. Plötzlich, wie ihn überfallend. Weshalb bist du gekommen?
Jawohl: Auf meiner Höhe! Du wunderst dich – nicht wahr? Hast eine kleine Herzogin verlassen – eine kindische, kleine Herzogin – irgendwo – in einem Rosengärtchen – lang – – Lacht wieder kurz und trocken. Haha – wie dumm von dir! Siehst du jetzt, wie dumm du warst? Aus der kleinen, lachenden, plappernden Rosenprinzessin ist eine Kaiserin geworden – –
Welt? Was ist Welt? – Es gab wohl eine Zeit, da dachte ich mir Länder, Dinge, nahes Vielerlei – und dachte Witz und Werk von Menschenart, wenn ich den großen Gottesnamen »Welt« erfassen wollte. – Und suchte sie auf diesen Wegen – und fand doch stets nur Dinge und Mensch, die ihre kleine Einzelheit hinstellen zwischen mich und etwas, was hinter ihnen lag – und nach mir rief, wie Heimweh ruft – wie Kinderlied und Liebeswort. – Und ahnte erst – und sah und wußte dann, daß all das Kleine – Ding für Ding uns fordert, – stets neu um unser Bestes fragt – und sich nicht gibt, eh' wir das Letzte geben. Bis Schatten fließend werden, – Nebel fliehen – und Leeres nicht mehr ist und Unvereintes, – bis alles, was wir kämpfend ohne Frage und ohne Rast aus uns emporgerissen, heilig und groß in lichter Weiten fruchterfüllten Segen auf uns wartet. – Näher.
Sieger –? Du kommst nicht um Gnade bitten? Weißt du, was deine ganze Welt ist? Das Hin und Her in deinem Hirn – in einem Hirnchen, das in einem Kopf gefangen sitzt – den ich in meiner Hand halte, wie einen Spielball! – Du solltest betteln, daß ich die herrliche Weltkugel nicht fallen lasse – –!
Betteln? Kaiserin! Das freie Weite reicht dir durch mich die gabenvolle Hand. Nimm sie, wie Kinder Gottes Hand ergreifen, einfach und fest und ohne scheues Blinzeln. – Ja, ich dachte dran voll Eifersucht, es könne dir ein anderer dies weisen, was doch so jedem offen liegt: Das Freie!
Mach dich frei vom Schmerz und empfange seine Früchte! Sie sind herrlicher, als er jemals schrecklich war! Tritt aus der Enge des Ich – aus den Klammern des Gewesenen! Sieh um dich, Zarin, wieviel auf dich wartet! Dieses Land ist jung, wie ein Frühlingsacker, dieses Volk streckt seine Hände nach dir! Menschen rufen nach Menschen – Brüder nach Brüdern! Grenzen fallen, Kerker und Paläste stürzen – Brücken gilt es zu bauen, Wege ins Ungemessene, ewig werdende! – Ich bring dir, – diesem Land, diesem Land, diesen Menschen alles, was dieses Hirn ergreifen und sich zu eigen machen, was diese Brust durchbeben und überwinden konnte! Wer hätte mir dies geben können? Ist es nicht tausendmal mehr als alles Ich und Du?! Ist es nicht überreiches Entgelt für den Schmerz einer fliehenden Stunde?
Sie sind verdorrt und abgefallen – Ohne ihn anzusehen; schmerzvoll, fern. Du hättest niemals gehen dürfen – niemals – Page Galizyn – –
Es rief – – und bäumte sich – und wurde übermächtig groß – wuchs über alles Wollen –: Es geschah! – Nicht unser Sorgen und wonach wir weinen zwingt aus der Allbereiten die Erfüllung. – Nur das Ereignis hat Gebot – hebt und verwirft und bildet und vernichtet – ein ewig junger Gott in schaffender Berauschtheit! – O, es ist wunderbar, an seiner Hand zu gehen – und nichts, als was er will, zu sein.
Es rief dich fort – – damals –? Und jetzt – –? O, ja – ich
Nicht Kaiserin! Das ist ein Spottwort! Nicht Kaiserin! Nicht Zarin! Alles weg! Wie einen drückend schweren Mantel voll Pracht und Dornen! Nichts von ihnen mehr – sie alle weg – die Rohen, Feigen, – Herzenterb ten, – Kriecher, Mörder –! Ah! Hilf mir! Es hat auch einst nach mir gerufen – wie nach dir – Hilf mir – hilf mir – –
Nicht du – nicht ich: Nur unser Werk, das sich aus dir und mir befreite – Mehr als ein Rosengarten: Unser Land! Aus Schmerz und Welt ein überwinden, ein Händereichen – und das große eine nur: Die Tat!
Das Werk – mehr als wir selbst – – – Förmlich. Ich will daran denken. Reicht ihm die Hand zum Kusse. Er ist in Gnaden willkommen, Fürst Galizyn.
Ihre Hand zerknüllt das Taschentuch, sie beißt die Lippen zusammen. Dann sagt sie in schwebender Betonung. Nicht ich – nicht du – –?
Ah – Zarin – – Anna – du siehst meine Gedanken nicht – Haha – nichts weißt du –! Näher. Deine Stirn ist niedrig und boshaft – – ja – ich seh' es – und deine Haut ist gelb – und deine Schlitzaugen haben ganz kleine, blinkende Lichter –! Aber bist du nicht Herrin –? Zarin Anna!
Ich bin herum. Wo bleibst du? He? Schlägt mit der Reitpeitsche auf seine Stiefel. Vorwärts! Die türkischen Rappen dürfen nicht in der Kälte warten. Ich hab' sie schon eingefahren. Indem er ihr den kostbaren Pelz umhängt, den er brachte. Der Eispalast sieht prächtig Sie schweigt im Banne seiner Gegenwart und Stimme. He! Antworte! Packt sie um die Hüften und spricht ihr mit begehrender Roheit ins Gesicht. Ich will dich sprechen lehren – du –!
Nein! Daß du's nur gleich weißt: Da können tausend solche süße Affen kommen – – So halt ich dich – – so – und so und so – – Küßt sie gewaltsam und rauschig. Das soll dir heute ein Jagen werden! Daß dir die Sinne vergehen! Puschkin hat seine drei neuen Rappen geschickt – prachtvolle Wildlinge! – Dazu ist er doch noch nütze – der Esel! Ihm gebührt ein Orden dafür! – Vorwärts! Wenn dir erst die Schneeluft um die Ohren saust, dann wirst du den albernen Narren bald vergessen haben.
Ich hab ihn damals selbst über die Grenze gebracht – ja – ich – –! Hol' mich der Teufel mit allen seinen Zeugen – ich hätte lieber was anderes getan – Es war doch eine falsche Ko – Komödie eine Büberei – ein Menschenschmuggel – – ein niederträchtiges Sche – Schelmenstück – Da Ostermann begütigend die Hand hebt, brüllt er. Ja!! Eine Diebskomödie war es – eine Gaunerei –! Aber es ging um den heiligen Thron des großen Zaren Peter – – hol' mich der Teufel –! Da spielte ich eben mit. – Hahaha –! Ka – Kannst du dir das vorstellen, Väterchen Kanzler?! Ich trat als französischer Mime auf – Haha – geradewegs aus Versailles –! Ich glaubte jeden Augenblick, ich müßte mir den vermaledeiten Komödiantenfrack vom Leibe reißen – –! Aber ich spielte gut zu Ende. Selbst Wolinski war überrascht – – es war sein Einfall – – und der Kerl hat doch immer Recht, wenn's eine Lumperei gilt – – Er ist ein ausgemachter Taschenspieler – ein Gaukler – – ein Be – Betrüger – Wieder hebt Ostermann die Hand; wieder brüllt er. Ja!! Verteidige ihn nicht! Ein Schuft ist er, der an den Galgen gehört!
Schl – Schlittenfahrt – – ja – – mit dem Prinzen – mit dem Kurländer – – der hat sie in der Hand, wie sein Gespann – – ja –. Er braucht nur mit der Peitsche zu knallen, – so springt sie – – Haha, – Weiber – –! Aber um uns kümmert sie sich nicht! Um ihre treuesten – läßt uns warten – unterdessen steckt sicher wieder irgend ein Schleicher bei ihr und lügt immer! Er belog sie damals schon –! Aber es galt dem Thron des Zaren Peter – und da ist alles gut – alles recht – Lügen – Komödie – Morden – alles – –. Die Zarin hat's auch später eingesehen, wie treu ich's für sie meinte. Säße ich sonst hier – Wie –? Hahaha! Sinkt in sich zusammen, brummt weiter. Hättest mich sehen sollen – – vor zehn Jahren – – und den Kammerkavalier! – Hol' mich der Teufel – ein prachtvoller Junge – damals – –! Hast du ihn heute früh gesehen –?
Aha! Sprach nichts. Kein Wort. Auch zu mir nicht. Schnippt wieder. Sitzt schon! Und sie läßt uns hier warten – – Vergißt auf alles – spricht nichts – – denkt – denkt – – denkt nach –! Merk auf, Väterchen Kanzler: Es gibt was ab!
Ahnung! Intuition! – Weiber sollen sprechen – Männer denken. Wenns umgekehrt ist, das ist wider die Natur! Da kommt allemal was Dummes heraus. – Zar Peter zum Exempel – –
Sie trägt das historische Kostüm: Schwarzseidenen Rock, scharlachrotes Korsett mit langen Ärmeln und weißen Spitzen an Ausschnitt und Manschetten; schwarzes Seidentuch um den Kopf gewunden. – Sie fährt den Lakaien an. Schweig! – Ich mag das Plärren nicht. Nickt den beiden Herren, die sich verneigen, leicht zu. Ich habe Sie unterbrochen; bitte reden Sie weiter. Geht ans Fenster und sieht gedankenverloren ins graue Dämmerlicht. Die beiden warten; sie wendet sich halb. Nun –?
Psyche – ja – weibliche Psyche – Nur ganz im allgemeinen – hm – so vom Denken und Reden – – Ich meinte, wenn – Frauen denken – – oder nein: Wenn sie reden – ich weiß es nicht mehr. So etwas fällt einem nur eben so ein – – dann ist es wieder weg – – – ja –
Zum Tode –? Sie legt die Feder weg, sieht vor sich hin; langsam, versonnen sagt lie dann. Menschen – Vielleicht hat auch in ihnen eine Stimme gerufen – und sie mußten ihr folgen – – –
Ja – das ist gut. Nun also: Da hätten wir die ganze Bande gleich auf einem Bogen beisammen. Und die Unterschrift?
Warum auf einmal Menschen? Es sind die Dolgerucki, die sich gegen den Thron verschworen. Weiter nichts –. Danke Wolinski, daß er die Bande fing – oder danke Gott, wenn du dem Wolinski nicht danken willst.
Ja, Lumpen fordern Dank, wenn sie gerade nicht stehlen. Er ist schlecht wie alle; aber klug. Die anderen sind noch dumm dazu. Also muß man den Klugen wählen – und klüger sein als er –. Es ist kein geschickterer unter den Russen – und Lügner sind sie alle.
Ekel –? Das ist gut, dann mach es nur schnell. Nimmt ihre Hand und führt die Feder. So – so – siehst du –? Lacht. Die lassen jetzt Gott und Teufel mit dem Schwören in Ruhe –!
Hahaha! Soll ich dich wieder ein wenig ausfahren, damit dein Blut ins Rollen kommt – He? Zu Ostermann. Das war dir eine Jagd, Väterchen Kanzler! Da fuhr uns ein fremder Schlitten vor! Mir fuhr der Schuft von Stallknecht vor –! Eine Troika mit drei Fuchswallachen – und er fuhr nicht übel! Aber ich sollte mich drücken lassen?! He? Schlägt mit der Peitsche auf den Tisch. Erst klatschte ich dem Kerl die Peitsche um die Ohren, dann riß ich meine Rappen hoch, daß ihnen der Schaum aus den Gebissen flog, und legte los! Die Füchse waren hinter uns bald nicht mehr zu sehen, als hätte sie das Eis der Newa gefressen!
Ich kannte die Livree nicht. Und vom Herrn im Schlitten sah man kaum die Nasenspitze aus dem Pelz hervorgucken. Zu Anna. Hast du mehr bemerkt?
Es wäre doch interessant, das Gespann kennen zu lernen. Ich will Wolinski fragen, den Allwissenden. Will fort, bleibt an der Türe stehen und fragt zurück. Wie stehts mit dem Narrenkönig – He? Hast du schon einen?
Willst du ihn zum Narrenkönig machen? Schlägt Kurakin, der eingeschlafen ist, auf die Schulter. Oder vielleicht den da? Mir fiel die Wahl schwer. Zu Kurakin, der schwerfällig aufsteht. Komm mit mir, Väterchen, du hast schon lange nichts getrunken – und dann mußt du frische Luft haben – Das macht nüchtern – und dann wieder durstig. Komm – so – – Obacht! Du stolperst über deinen Degen –
Jugend –? So viele Jahre sehen wir uns jeden Tag. Dieses Wort haben Sie heute zum ersten Male gesprochen.
Vielleicht haben Sie es zum ersten Male beachtet, Majestät. – Auch ist es besser, von dem, was war, zu leben, als davon zu sprechen –.
Immer weichen Sie mir aus. Näher. Graf Ostermann: Einen Augenblick seien Sie nicht mein Kanzler! Können Sie das?
Nur dann – nur dann!? Auch Ihr Echtes wollen Sie befohlen haben! Sehen Sie denn nicht, wie mich alle quälen!? Alle, die um mich sind! – Narren sind sie – alle gefährlich – eitel – niedrig und feig! Vor jedem, der noch schlechter sein könnte als sie, packt sie; das Grauen! Tiere, schmutzige Tiere –. Einer grunzt, der andere wiehert, aber keiner spricht – keiner sagt mir, was es doch gibt und wonach ich durstig bin! – O, sagen Sie mir ein Wort davon!
Ja – Sie wissen! Nicht der Kanzler! Sie! Nahe; sehr rasch und eindringlich. Man sagt mir, Sie haben einen Menschen getötet – Er zuckt. Ich weiß es doch lange – ja – als Sie jung waren – Studenten – im Zweikampf –. Aber damals zuckte in Ihrem Blute etwas – und trieb das Herz zum Haß – und riß Ihren Degen in eine lebendige Brust – –! Was war es – Was war es?
Es war das Leben! Das eine – große – einzige Gebot, das schrie: Ich will! Stirb du – oder töte mich! Aber nicht um Thron und Reich und Zarenkrone – um keinen Stern und keine Gunst –
Nicht – mehr – Plötzlich aufschreiend. Nein –! Nein –! Nein –! Sie faßt sich gleich wieder und sagt ganz beherrscht, sachlich. Als die Zarin Katharina starb – da war sie fünfzig Jahre –?
Wie –? Nein. Ich meinte: Was der Herzog vorhin sagte – worüber sie dann beinahe zu raufen kamen – er und Kurakin –
Keine Angst! Jetzt dürfen Sie ja wieder Kanzler sein. Antworten Sie, Graf: Ist einer, dem Sie voll vertrauen?
Und wenn nur einer wäre – klug – von der Welt erfüllt – von weitem Geiste – der nie vor etwas scheute, was sein Innerstes befahl – – Wenn einer wäre, Graf, der niemals log – ein männlich festes Herz zur Tat besitzt – und nur das Eine kennt und will, was mehr ist als er selbst, was außer ihm und über ihn nach reiner Kraft sich sehnt – – einer, der seiner selbst vergessen könnte, weil Volk – und Land – und Welt – und Gott ihn ruft – –! Wenn nun ein solcher wäre –
Und wenn ich doch einen wüßte – Graf Ostermann? Wenn einer wäre. – Freudig bebend. Er müßte auf der Stelle Zar sein! – – Sie selbst, mein kluger Kanzler, haben es gesagt – –
Nun hab ich dich, Väterchen Kanzler! Nun hab' ich dich! Mach' doch kein so kummervolles Gesicht! Lache! Hörst du? Lachen sollst du und nicht den Kopf schütteln, wenn deine Kaiserin froh ist –!
Warum –? Du weißt nicht warum –? Ach freilich weißt du nichts! Ich habe dir ja noch gar nichts gesagt! Wieder plötzlich ernst, fast streng. Graf Ostermann, Sie können schweigen?
Sie wissen: Fürst Anatol Galizyn ist heimgekehrt. Unvermutet. Nach zehn Jahren Fremde. – Er ist anders geworden. – Hat wohl viel gesehen – viel erfahren. Vieles drängt in seinem Kopf. Viel Unrast. Viel Kraft. Noch weiß ich nicht, wohin sie zielt. Aber sie wird sich befreien. Sie muß sich befreien. Eindringlich. Ich binde es Ihnen auf die Seele, Graf: Forschen Sie nach seiner Gesinnung – seinen Absichten. Anderer Ton. Es könnte sein, daß ich ihn haben muß – daß hier an diesem Hof kein Platz für ihn zu vornehm ist – daß er mir vieles wiederbringen könnte – – – Ertappt sich auf Gedanken, die sie nicht äußern wollte. Sie haben mich gehört?
Ach kennen – kennen –! Das ist ein kaltes Wort – ein Wort, das durch Brillen schaut. Sehen Sie ihn mit Ihren eigenen Augen an – mit den Augen, die Sie damals hatten, als es auf Tod und Leben ging. Näher. Mit solchen Augen sollst du ihn sehen, Väterchen Kanzler, und du wirst sagen, daß deine Zarin richtig schaute. – Geh' jetzt und hilf mir.
Noch etwas – Er bleibt stehen und sieht sie fragend an. In dem Schlitten, der uns heute begegnete – –
Es war – Fürst Galizyn. Zögernd. Und – eine – fremde – Dame – – Schnell. Du mußt erfahren, wer sie war. Geräusch. Geh' schnell – – Lächelt über ihren Schreck. Nun haben wir doch zusammen ein Geheimnis – und dürfen erschrecken, wenn wer kommt.
Es gibt Stimmen, die fein klingen, Worte, die klug sind, Blicke, die Mut und Reinheit strahlen – und dennoch lügen alle drei.
Ist meine Hand so hart? Drückt sie dich, Zarin? Es ist die Hand, die deine Feinde tötet und die dich immer streicheln möchte. Ja, Kaiserin: Indes andere vor dir schöne Worte sprechen, dir von Liebe schwärmen – stehe ich zwischen dir und deinen Todfeinden – zwischen ihrem Haß und deiner Verachtung – ohne Licht und Lohn und Liebe – und niemand war noch, der mich Mensch und Freund geheißen hätte! Sie wendet sich ab. Und darf dich meine Hand nicht kosen, so soll sie dir dienen, wie sie es durch alle Jahre getan hat. Dieser Kopf soll dein Glück ersinnen – dieses Herz deine Freude finden.
Knechtesliebe hat keine Flügel! Dich selber meinst du, wenn du mich nennst. Doch ich bin frei! Frei ist diese Hand – die Hand einer Kaiserin ist es –. Das sollt ihr fühlen –!
Wohl – deine Hand ist frei – – Du hast sie manchem entzogen – – auch manchen damit gestreichelt – Anna – – Sie macht eine unwillige Geste. Doch – seine Hand – –
Du bist verraten, Zarin. Schon damals, vor Jahren, als er dich plötzlich verließ – als er den Mut nicht fand, bei dir zu stehen.
Ein Wort ist wahr – das zweite Lüge! Weißt du, warum er damals ging –? Warum er gehen mußte? He? Nichts weißt du! Wie das war, das erfährst du nie – du nicht und keiner.
Er verkaufte dich – sage ich. Frage Kurakin – oder frag ihn lieber nicht. Denn er wird den schmutzigen Handel nicht gestehen, den er damals mit dir – mit deinem Herzen trieb – und auf den dieser Abenteurer, dieser Galizyn nur zu schnell einging. Zarin! Anna! Mach deine Augen auf! Noch nie ward ein Weib beleidigt wie du! – Und nicht nur damals: Jeden Tag, den er fern war, verriet er dich aufs neue! Dich – sein Land – sein Volk – seinen Glauben!
Das Weib, dem er sich da draußen in die Arme warf, ist eine Fremde, Fürst Galizyn hat das Bekenntnis der heiligen Kirche Rußlands abgeschworen, seinen Sinn römisch gewandt, um sich der Frau, die seine Sinne entflammte, in ihrem Glauben untrennbar zu verbinden.
Glaub ihm das Märchen von der freien Ferne nicht. Ein feiger Handel war es! Er floh aus Angst, als Kurakin, ihm drohte –
Ich wußte von dem Ränkespiel der beiden nichts. Erst viel später – Jahre hernach – verriet sich Kurakin im Rausch einmal und prahlte, wie er mit Weibern und verliebten Kavalieren spielte. Es war ein falsches, giftig falsches Spiel –! Aber nun hast du beide, Zarin, den betrunkenen, alten Narren brauchst du nicht zu halten; der bleibt dir. Aber ihn – den anderen – den Glücksritter – den niedrigen Verräter – den –
Schweig! Er zuckt zurück; sie lacht rauh. Wie du erschrickst! Weshalb erschrickst du so? Keine Angst. Ich brauche dich vielleicht – – Undurchdringlich. Und du liebst mich ja – – haha – nicht wahr? Näher. Wie sieht sie aus?
Frankreich – Italien – wer weiß? Es mag schöne Menschen geben draußen in der Welt – – leichte, – befreite, – die lachen können, wie Kinder lachen –. O, sie ist weiß und schlank – und geht wie eine junge Göttin – Ich liebe diese fremde Frau – weil sie schön ist – haha –
Gesehen –? Wo –? Hahaha – – Ich kenne sie lange – ich kannte sie immer – immer – verstehst du? Die schöne, weiße, glatte Frau mit den stillen Augen – und den ruhigen, schmalen Händen – – Sieht ihre Hände an. Sie sind häßlich – nicht wahr? – Tatarenweiber haben solche Pfoten – mit kurzen, dicken Fingern, wie Krallen – – Ob sie würgen können – – Packt ihn mit beiden Händen am Halse. Laß sehen – –!
Wahrhaftig! Das können sie – – Da sie fester drückt. Aaaah! – Macht sich los und springt einen Schritt zurück.
Hahaha! Nicht fürchten – ich habe noch keinen er würgt – – Wieder sinnend wie früher. Weißt du: Wenn ich in den Spiegel blicke, da seh' ich sie – – da steht sie neben mir – und lächelt – – und zeigt mir ihre Augen – und meine Augen – ihre Hände – und meine Hände – ihre weiße Stirn, ihre glatten Wangen – und mein gelbes Gesicht – – Und ich möchte mit der Faust in den Spiegel schlagen – und sie und mich zugleich zersplittern – – Weh. Und Liebe, Liebe lächelt in ihr Leben – und streichelt jede Form – und Küsse geben Pause, dann planvoll und sicher. Ich will ihnen beiden eine Hochzeit richten, wie keinem je! Eines hab' ich, was sie nicht hat – eines kann ich, was sie nicht kann: Es liegt in meiner Hand, ob ich dieses Götterbild auf einen goldenen Altar stelle oder in den Staub trete –. Ich kann beides – wie ich will –!
Was du auch beschließen magst, Zarin: Vergiß nicht, wie er dich erniedrigt – wie er dich verraten hat.
Hahaha! Du möchtest gerne erfahren, was ich tun werde? Ha! Ich kann alles. Ich kann vielleicht auch vergessen, wenn ich will. Ich habe ja zweierlei Blut – zwei Herzen – ihr sagt es ja immer – ein weißes und ein schwarzes. Aber nun könnte es sein, daß eines von ihnen zu glühen beginnt – aufzuckt und brennt, so das andere verdorrt und stirbt. Näher. Merk auf, mein Knechtlein: Ein Herz muß sterben – sie haben beide nicht mehr Platz in einer Brust! Geh' nicht von meiner Seite – Du! Sag es mir immer wieder vor – immer wieder vor, daß ich es nie vergesse – dein giftiges Liebesmärlein –!
Zarin – Anna – Warum muß ich wieder der Bote des Verhaßten sein? Warum muß diese Hand immer zerbrechen – wo sie Streichern will –?
Nun also! Hab' ich nicht recht! Was sagt' ich? Er buhlt um die Narrenkrone –! Wankt auf die Zarin zu, die angewidert zurückweicht. Hör' nicht auf ihn, Mütterchen! Ein Narr muß vor allem ehrlich sein. Schlägt auf seine Brust. Hier – Zarin – hier schlägt das treueste Herz! Immer – geschlagen –
Nun, was sagst du zu seinen Neuigkeiten? Der Galizyn ein honigsüßer Gatte! Lacht. Du hattest recht: Ich hielt ihn für einen Abenteurer – und was ist er: Ein Ehemann! Haha! – Er kommt doch heute zum Fest?
Was? Wer will mich von Mütterchen Zu Wolinski. Du bist mir wohl auch schon um die Narrenkrone neidig –? He? Träumst ja lange schon von einer Krone – was?
Keinen Streit! Ich kenne jeden. Heftig zu Kurakin. Auch dich! Dich kenne ich jetzt! Du hast es am längsten verstanden, von Treu' und Ehre zu lügen –! Nur weil du alt und betrunken bist, magst du diesmal den heimtückischen, falschen Kopf nicht verlieren! Biron und Trubetzkoj sind hinzugetreten. Ich will ihn sehen! Die Lüge macht ihn noch ekelhafter als der Rausch! Lacht plötzlich auf. Und dann – wartet ja das Fest – Hahaha! – das Narrenfest – das Freudenfest – das Hochzeitsfest! – Kommen Sie!
Wa – Was war das? Lügner ich? Heimtückisch – dieser Kopf –? Sieht plötzlich Wolinski, der lächelt und stürzt sich in aufheulender Wut auf ihn. Du Hund! Du erbärmlicher schieläugiger Kriecher!! Das hast du auf deinem schwarzen Gewissen!
Faß dich! Wärst du nicht betrunken, so könnte ich dir sagen, woher dir der Zorn der Kaiserin kam. Aber so – – Schlaf dich erst ordentlich aus!
Sagen – Sagen – Väterchen – Ich will ihn zertreten – den Lügner, der mich vor ihr schlecht gemacht hat – – Sagen – –!
– war bei der Zarin. Und jetzt denke weiter nach, was er ihr zu sagen hatte – He? Denk an die Rosen von Mitau – damals – vor zehn Jahren – und wie sie schrie, als er plötzlich fort war. Ich hab's gehört – ich hör's heute noch und da glaubst du, sie hätte das vergessen – und den, der ihn ihr entführte? Bis jetzt konnten wir alles verdecken und drehen – nun ist er
Du –? Haha! Du hättest ruhig gewartet, bis er dir die Schlinge um den Hals legte. Alle die Jahre hast du nur von der Laune der Zarin gelebt – fest standest du nie. Für dieses Mal habe ich den Streich noch aufgefangen, der dich zerschmettern sollte. Du weißt: Wir sind Kameraden.
Das sollst du auch jetzt nicht anders halten. Nimmt seine Hand. Kurakin! Sie ist daran, den Thron des großen Zaren Peter zu schänden! Dieser Abenteurer, dieser Galizyn hat alles Vergangene wieder aufzuschüren verstanden. Begreifst du, um was es geht? Er oder wir!
Das würde dir schlecht bekommen und uns nichts nützen. Wir müssen einen anderen Weg gehen – einen sicheren Weg, Schüttelt seine Hand. Du gehörst zu uns! – Peter Jeropkin hat's gehört: Du willst den Galizyn erwürgen.
Die Zarin plant etwas Seltenes. Wer weiß, was dieses Fest uns bringen soll. Deshalb: Wir müssen schneller sein als sie. Gut – daß Semenoff anfing. Die Straße ist uns sicher. –
Sie haben meinem alten Kopf viel zugemutet in dieser kurzen Stunde – aber Sie haben ihn auch förmlich wieder jung gemacht, Sie möchten einem am liebsten die ganze Welt in einem einzigen ungeheuren Satz in die Seele schütten.
Was soll alles? Alle Pläne, Gerüste, Vorschläge? Sie sind Papier und Tinte, wenn sie den Weg nicht finden zu den lebendigen Millionen, die darauf warten. Und dieser Weg geht über Sie, Exzellenz, über die Zarin – über so viele, die alle auf sich selbst vergessen müssen um der Sache willen.
Die Zarin darf an diesen reichen Möglichkeiten nicht vorübergehen! Dafür will ich Sorge tragen – so schwer es auch zur Stunde sein mag. Deutet auf die Dekoration. Denn sehen Sie selbst: Dieses Fest! Diese Maskenlaune! – Ach ja – wenn es das Große gilt, hält uns ein Narrenspiel davon ab. – Heute jedenfalls wäre die Zarin geneigt, die besten Gedanken für einen Scherz zu halten und Ihnen am Ende dafür die Narrenkrone anzubieten. – Es wäre wohl auch nicht das erste Mal, daß eine Frau den Mann, in dessen Hirn sich ringend eine Welt gebiert, zu ihrem Narren machte. – Ich will aber trotzdem einen günstigen Augenblick erlauern – –
Nichts – Nur von fern her die ersten Laute des Festes. Draußen fahren die Schlitten vor, überall regt sich die Freude – das Leben – – Sie zuckt. Wen fürchtest du –?
Ich will keine Frage hören – – kein Wort – Du sollst nicht davon sprechen, – Sieht ihn an. – auch mit den Augen nicht, – – Geht nach der Galerie und sieht hinunter; er kommt ihr nach. Warum schleichst du mir nach, du hast Augen wie ein Wolf – – so feig und lüstern – –!
Was redest du da? Du läßt mich lange warten – viel zu lange! Als es um Worte ging, da warst du schneller – Worte sind leicht, wie ein Hauch – und Worte hast du viele, an die ich glauben soll. Auch das Wörtchen »Liebe« ist darunter – und noch eines – – Auf das warte ich jetzt. Er schweigt, sie ändert den Ton. Oder sollte Kurakin in seinem Rausch heller sehen als der ganze Hof!? Er zuckt zusammen. Wie –? Nun liegt die Tat in deiner Hand, mit der du den Verdacht zerbrechen kannst. Du zögerst? Seh' ich dich jetzt? Sollte es wahr sein –? Greift ihn am Arm.
Du kennst sie. Auf den Wagen deutend. Hier ist das Totenbett, wo ich sie sehen will. Nimmt den Glaspokal. Diesen Pokal, mit blutrotem Wein bis an den Rand gefüllt, sollst du mir reichen, wenn du der Pflicht genügt hast. Merke das Zeichen wohl. Reicht ihm den Pokal.
Deine Kaiserin steht vor dir! Gehorche und schweig', schwarzer Knecht. Und wenn Du einen Schritt seitwärts gehst von dem Weg, den ich dir gewiesen habe, so siehst du die Lichter dieses Festes nicht mehr erlöschen!
Hörst du –?! Stimmen näher. Noch soll mich keiner hier sehen! Da er mit will. Bleib und halte sie hier. Forteilend. Denke des Bechers voll Wein!
Dein schwarzer Knecht will Herr sein! Wenn nicht mit dir, – so gegen dich. Blutroter Wein deute dir Tod! –
Heil –! Graf Artenau –! Meister –! Heil!! Sie haben Wolinski gegen den Thron gedrängt, so daß er die Stufen hinaufsteigt und nun mit der einen Hand nach dem Thronsessel greift.
Wie –? Was –? Den Narrenkönig? Den laß ich mir nicht nehmen! Da bin ich Prätendent! Die Krone gebührt mir – sonst keinem!
Es drängt! Es drängt – Ihr alle werdet's noch erleben. Zu den anderen, die sich nähern. Er soll nicht mehr lange spotten, der Stallknecht mit dem Herzogshut!
Es drängt von selbst zum Ziele. In dieser Stunde noch. Weist den Becher vor. Sie selbst gab mir den Kelch, der sie mir liefern soll.
Es soll sich keiner seine Hand um mich beflecken. Ich war allein – und werde allein sein – – auch hier. Aber wir müssen erst den Weg dahin ebnen, daß wir nicht einen Schritt vor dem Ziel noch straucheln.
Das gerade spielt uns den bösen Streich. Wäre dieser Galizyn nicht gekommen –! Zehn Jahre schlief sie – heute ist sie aufgewacht. Und nun lebt es gefährlich in ihr. – Uns bleibt nur dieser eine Weg – und er muß rasch gegangen werden. – Eines brauchen wir jetzt – diese eine Stunde noch, wenn nicht alles über uns einstürzen soll. Alle nähern sich fragend. Vertrauen –!
Es muß sein. Sonst fallen unsere Köpfe. Wäre einer von euch vor der Zarin gestanden, wie ich gerade früher, ich wette, es wäre aus mit uns. Ich fühlte die Schlinge schon um die Kehle. Sagt' ich nicht ja – sie hätte zugezogen. Und das Seil läg auch um euren Hälsen – Wir müssen's tun. Kleine Pause.
Daß du gerade fragst –? Denk an die Rosen von Mitau! Kann sein, sie will uns heute einen Zaren geben, der Anatol der Erste heißen wird – – Unwillige Geste allseits.
Tun wir es nicht, so findet leicht sich eine andere Hand für sie – und auch für uns! Die Zarin sieht auf jeden unsrer Schritte. Wir können nicht zurück. Nach kurzer Pause. Wer übernimmt es? Alle stehen schweigend.
Brav, Peter Jeropkin! Doch deinem Werke folgt die Vergeltung an ihr, die es verlangt. Legt ihm die Hand auf die Schulter. Zur Tat! Erst du – dann ich!
Zwei Leben – –? Er ist offenbar in größter Bestürzung, völlig ratlos, fährt sich mit der Hand über Stirn, gibt sich schließlich einen Ruck, den andern nachzufolgen. Im selben Augenblick aber kommt eine Schar Masken von der Galerie hereingelaufen. Trubetzkoj, Löwenwolde, die Narren La Costa, Pedrillo, Apraxin und Balakyrew sind unter ihnen; auch mehrere Damen in Kostüm und Maske. Sie halten einander an den Händen und laufen taumelnd und lachend auf Kurakin zu, den sie sofort einkreisen und am Fortgehen hindern.
Halt! Wer einen König fängt, der hält ihn! Zu allen. Kommt, wir wollen unserer Majestät ein Liedchen singen –!
Ein wilder Säufer – ja! 's ist schade. Doch laß sie erst alle nüchtern sein, dann sollst du sehen, was in diesen Menschen steckt!
Laß sie nur. Sie sind maßlos im Rausch, wie sie auch im Verlangen nicht Grenzen haben. Gibst du ihnen Schnaps, so sind sie Tiere. Aber wer dies Volk in seiner gläubigen Unendlichkeit mit reinem Willen fassen kann, der macht ein Reich von Glücklichen aus ihnen. Denn in diesem Land ward viel entbehrt und viel ersehnt. Und nur wer beides kennt: Das Leiden und das Verlangen, ist zum Sieger reif. – Mir ist nicht bang um sie. Ein fester Griff reißt sie zum Höchsten. Und es brennt in mir, mit ihnen viel zu wagen – ach, so viel, daß keiner sagen kann, es gäbe mehr!
Soll ich's nicht? Nimmt sie in die Arme. Es reißt und fordert! Nimmt ihre Hand. Gib deine Hand mir. So – Es ist zu Zeiten in einer Frauenhand die stille Kraft der Gotteshand, die einst uns sicher führte durch's Kinderparadies. – Sie soll mich führen, die liebe, kleine Mutterhand; soll kühl auf meiner Stirne ruhen, wenn es heiß – zu heiß drin hämmert.
Du sollst darum nicht sorgen. Erdenken wirst du's nicht – doch wirst du's finden, weil ich es zwingen will – und weil du rein wie die Madonna bist. Kuß. Denn alles Große entstand aus Wollen und aus reiner Liebe. – Erschaffen heißt das Glück der tiefsten Einheit. Gedanken, Keime, Ströme bleiben Teil. Doch daß es treibt, Gestalt wird, wächst und lebt, daß ein begrenztes Festes steigt aus dem Unendlichen, Vermengten – alles Leben sich in der kleinen Einheit eig'ner Farben vielfältig spiegelt – dieses Wunder hat der ewig kreisende, erhabne Wille nicht einsam dem Geschied'nen vorbehalten. Er schuf von sich zur Erde eine Brücke vom Strömenden zum Hastenden den Weg, von Sinn und Form, von Seele und Erscheinung ein Band – und nannte es mit Namen: Weib. Ja, du bist viel, Maria! Quelle bist du und Blüte, Sinn und Seele meines Lebens und meines Werdens, heilige Muttererde. –
Wie einen Mantel breitest du die Worte um mich – und in mir schaudert es vor Lust. Ich möchte immer so mich an dich halten und gar nichts sein, als was ich in dir bin. Da wird mir alles fern, was heut' und gestern Gestalt und Farbe hatte. Weit zurück quellaufwärts geh' ich da in's Kinderland, wo eine grüne Sonnenwiese und ein großer, blauer Himmel alles war – und bin ein Teil von beiden. – Zweimal schenkt uns Gott die ganze Welt: Im Paradies der ersten Jahre – und zum zweiten Mal im Auge dessen, der uns liebt. –
Du führst uns, Oberschranze! Wird mit Ostermann sichtbar. Wo ist sie? Du kennst sie! Unser König will keine andere!
Frau Königin! Laßt mich Freiwerber sein! Führt sie, die lächelnd annimmt, unter Gelächter der Masken Kurakin zu.
Auf Narrenfesten gibt es keine Ehefrau. Seien Sie nicht traurig darum. Ich habe meine Frau den ganzen Abend nicht gesehen. –
Sie sollen an meiner Seite nicht klagen dürften, Madame! Ich werde Ihrem Gatten einen höheren Orden verleihen für seine Freundlichkeit. Hier – Reißt dem nächsten Narren einen Flitterstern ab und gibt ihn La Costa, der den Flitterstern mit beiden Händen Anatol entgegenträgt und vor ihm niederkniet; alles sieht auf diesen Vorgang.
Und hier wartet der Krönungswagen! Auf zur Zarin! Sie muß Königswahl und Hochzeit zugleich sanktionieren! Die Majestäten voran! Das Volk dahinter! Vorwärts!
Ich hatte ihr in fliegender Hast das Wichtigste mitgeteilt – nur Worte, – einzelne Bilder etwa – sie ließ mich ruhig ausreden – lächelte nur – doch als ich zu Ende war, auf Antwort wartete – da sagte sie nur: »Und was er Ihnen nicht verraten hat –« – und als ich fragend aufschaute – »das weiß ich auch –«
Kein Wort. Nur jenes starre, tatarische Lächeln, das selten Gutes bringt. Kleine Pause; er geht unruhig umher. Wäre die Nacht erst vorüber! Dieses Fest gefällt mir nicht! Es verbirgt hinter seinem Jubeln und Klingen leise, schleichende Tritte. Wohin man sieht – überall drückt sich etwas an die Wand – huscht durch die Gänge – hinter den Masken lauern falsche Blicke –
Exzellenz – Mummenschanz ist alles! Es soll wohl heute hier ein Narrentheater geben. – Auch was die Zarin sagte, klärt sich mir jetzt: Ich sprach ihr heute früh von vielem, worüber wir noch nicht geredet haben. – Das meinte sie wohl – ich dachte nur nicht gleich daran.
Sie waren lange fort. Ich seh' es anders. Die Zarin hat eine Welle Tatarenblut in den Adern. Gemischtes Blut glaubt an das Reine nicht. Sie sucht nach einer Lüge – nach Ihrer Lüge sucht sie –
Sie ist ein Weib! Und Widerhall und Warten ist jede Frau. Laßt sie das Große rein und einfach sehen – so ist sie groß und rein. Schafft ihr Erinnern an ihr Gutes – und sie ist wieder gut. –
Wenn dieses Wunder Wahrheit würde –! Doch es muß! Sonst haben Sie vergeblich eine Welt in Ihrem Kopfe reifen lassen. Und nicht nur das allein: Wenn sich die Zarin nicht zu freier Höhe schwingt und mehr wird, als sie jemals war – dann rächt sie sich an denen, die es könnten – dann fliehen Sie, so schnell Sie können, Freund –!
Das will ich glauben. Wer die Zunge so in Schnaps gebadet hat, dem liegt sie schwer im Mund. Was sagt er denn?
Gleich zwei? Das sieht ihm gleich. Er bleibt auch nie bei einem Glase stehen. – Wer sind die Glücklichen?
Die nennt er nicht. Doch er ist voll Unrast – und in den Augen zuckt es ihm wie ein Gewitter. – Drückt sich an ihn. Ich fürchte mich beinahe – –
Auch sie will Zeichen sehen – noch dazu in den Augen eines Betrunkenen. Streichelt sie. Kleine Narrenkönigin! Was haben sie dir für eine Krone aufgesetzt? Nein, wie schön du bist! Ich werde den Narrenkönig ermorden – und ihm Weib und Herrschaft rauben! Das wird das furchtbare Ereignis dieser Nacht sein, das euch schon jetzt in allen Gliedern zuckt!
Warum nicht? Man soll immer Schreckliches ahnen – dann überrascht es nicht, wenn's da ist. Aber heute ist Narrenregiment! Da ist für trübe Betrachtung kein Platz. Verneigt sich vor Maria.
Doch ich vergesse: Die Zarin kommt! Zu Anatol. Ich lief ihr voraus – denn Ihnen, Durchlaucht, gilt die Ehre vor allen. Ich wollte mir's nicht nehmen lassen, der Freudenbote zu sein.
– will Sie vor allen erhöhen. – Ich schwatze aus der Schule, doch die Freude mag mich schuldlos sprechen.
Kaiserin! Herrin des Festes! Sieh deines Knechtes ärmliches Werk! Möge ein Lächeln deines Vertrauens reichlich ihn lohnen. – Zarin, lebe!
Aber wähle klug, Mütterchen! Der Narr ist der erste Mann am Hofe. Keiner steht dir so nahe wie er. Er allein darf die Wahrheit sagen, denn er ist ja doch ein Narr und hat nichts zu verlieren als seine Schellenkappe –!
Auch eine Königin hat er schon erwählt. Er fand die Schönste von allen – Auf Maria weisend. Hier! Wir haben ihr schon die Krone aufgesetzt. – Fehlt nur noch dein Segen. –
Ja – ja – – Das auch. Doch vorher anderes. Es tritt Stille ein: Die Zarin sieht noch immer auf Anatol und Maria. Ein treuer Paladin ist heimgekehrt, der seine Heimat stets im Herzen trug ... und nie vergaß. Er soll der erste sein, den dieser Abend grüßt. Sein ist das Fest vor allen. Deine Kaiserin vergißt der Treue nicht, Fürst Galizyn!
Doch sie beschämt mich. Kann ich von Verdienst schon sprechen? Und ich muß sogar noch mehr von dir erbitten, Zarin. Laß die Gunst, die ich mir erst erwerben will, auch ihr zuteil sein, die mit mir den harten Weg des Werdens ging. Was du mir Gutes willst, las sie genießen – und laß mich knien, Kaiserin, und eines wünschen: Sei, wie sie dich glaubt, wie sie dich kennt durch meine Augen!
Die Zarin sieht ihr unbeweglich in die Augen, bevor sie die Hand hebt, die Maria an die Lippen führt.
Liegt wohl in keinem Lande. Ich kenn' sie nicht. Sie mag die Wüste sein an einem Herzen, das sich nach einem andern verbrannte. Sie mag der Tod im Leben sein – – Ich kenn' es nicht – das Fremde.
Laß das –! Wie du mich nennen sollst – – das Wort hat keiner noch erfunden – fremde Frau – – du fremde Frau –
Was säumt ihr!? Ich will nicht, daß alles auf mich sieht und wartet? Es ist so still hier – es ist zu still hier! Und alle Säle sind leer und die Lichter flackern einsam, wie bei einer Leichenfeier! Steht jäh auf. Narrenfest ist heute! Rufen soll es und flirren und jubeln! Geht vom Thron mitten in die Gäste. Narrenheil!
Narrenheil! Narrenhoch! Hoch –!! Eine wogende Bewegung entsteht. Einige schütteln Anatol die Hand. Die Verschwörer (Jeropkin) drängen Maria unauffällig gegen rechts ab. Biron, Trubetzkoj u.a. sind in der Nähe der Zarin. Unter Lachen und Schwatzen geht alles hauptsächlich nach links in die Galerie ab.
Ja. – Sieht starr nach der Richtung, in der Wolinski ging; macht eine Bewegung, als wollte sie ihn zurückrufen.
Wie er in die Galerie kommt, treten rechts und links plötzlich zwei riesige Kosaken vor, in langen, dunklen Mänteln, den bloßen Säbel vor sich in Händen, schwarze Masken vor den Gesichtern, und vertreten ihm den Weg. Er tritt zurück. Was ist das?
Ein Maskenscherz. Nichts weiter. Sie winkt; die Kosaken verschwinden. Du erinnerst dich: Ich liebe solche Spiele. Denkst du noch an die Garden von Mitau? Die Burschen da sind fester – hoffe ich.
Sie gehört dem fremden Glauben an – der feindlichen Kirche! Auch du – Er zuckt zusammen. – Ich weiß es! – Du kennst die Gesetze des Zaren Peter – weißt, was sie dem Verräter der heiligen Kirche Rußlands bestimmen! Antja Galizyn! Du stehst in meiner Hand.
Antja Galizyn! Warum
Mein Herz war ein Garten blühender Frühlingsblumen – – Sie gehörten dir – – du zertratest sie! Mein Denken war ein Gebet, meine Seele ein Lied – – Meine Sinne ein zehrender Schrei nach dir! Du hörtest ihn nicht! – Auf diese Stirne, die von der Liebe träumte, legten sie eine Krone, drückend und schwer! In diese weiche Hand einen Tyrannenstab – und das wühlende Herz hießen sie schweigen und sterben. Doch es lebte und lebt – – Faßt seine Hand.
Was ich dir gab – und du nicht nahmst – kann Gift und Feuer werden in meinem Herzen! Hüte dich – hüte dich: Page Galizyn!
Zarin – mein Weg ging durch die große Einsamkeit, die einen Gott aufruft in sterblicher Brust! Ich komme mit tiefem Glauben und vollen Händen – ich litt um das Große – um deine Größe.
Hahaha! Lüge ist alles! Deine ganze Welt ist ein Kartenhaus – eitel und hohl und falsch! Nur eines ist wahr – nur eines ist groß –: Dein Verrat!! – Alles hast du verraten! Alles – alles – –!
Rufst du auch sie heran!? Warum marterst du mich –? Du –!? Wieder ganz nahe. Antja! Antja Galizyn! Du weißt nicht, wie arm deine Zarin ist – wie sie hungernd aus all' ihrer Pracht nach der letzten Dienerin sah, welche Liebe fand, wo sie liebte! – Brennend. O, sprich ein Wort, Antja, nur ein einziges Wort – und alles soll versinken – nur du – nur du und ich –! Die Welt, die du in dir trägst, ich will sie empfangen – – mach' sie aus mir – aus meinem Herzen – es ist bereit – es ist wieder bereit – es will blühen! Kniet nieder. Ein Bettelweib kniet vor dir – und hungert – und dürstet – und friert – und küßt deines Kleides Saum – und küßt deine Hand – und weint nach dir – – –
Aaaah! Kosaken und Garden stürzen herein. Bei ihrem Anblick faßt sie sich gleich und bricht in ein lautes, grelles Lachen aus. Die Garden und einige nachdrängende Höflinge bleiben unschlüssig stehen. Anatol ganz im Vordergrunde – blickt wie gelähmt auf die Zarin.
Hahaha! Du stehst verwundert da! Doch es ist mein Wille! Zu den Höflingen. Ruft die Narren! Sie gehen ab. Du sollst sehen, es war ernst gemeint! Kommt näher. Ich habe dich einmal schon fangen wollen, mein Hühnchen! Aber du bist mir entsprungen – – Heute halt' ich dich fester. Sei lustig! Es ist dein Fest, mein Hühnchen – dein Fest – –!
So lohnt eine Kaiserin deine Treue! Immer will ich dich sehen – immer dich bei mir haben! Lache, mein König! Lache, mein Narr – mein Narr! Sie hat die Narren herangewinkt; sie knien vor ihr nieder und halten ihr die Stücke: Mantel, Krone, Zepter hin. Die Zarin nimmt eins nach dem andern und bekleidet Anatol damit. Der Hof sieht lachend zu.
Selber will ich dich krönen, selbst dich bekleiden!
Nimmt ihm den Degen ab. Hier, der Degen will mir nicht passen zum Narrenkleid. Nimm ein Zepter dafür! Und einen roten Königsmantel, damit du fühlst, wie man in Herrscherkleidern geht. Und eine Krone – Hahaha! – Auch du sollst eine Krone tragen, die dich drückt – mein Narr! Oder willst du lieber mein Hühnchen sein – ein Federkleid haben – und auf einem Eierkorb sitzen – und schnattern – und gackern – hahaha! – oder auf einer Stange klettern wie mein Kakadu? – Ich will jeden Tag was Neues erfinden, was dich lächerlich macht, wie sich's für Affen und Narren gehört – damit ich an dir mein Vergnügen habe – mein Narr – mein König – Nimm und genieße! Lache und trinke! König, lebe und nütze dein Amt! Närrisches Volk – huldige ihm!
Alles sieht plötzlich auf ihn und es tritt volle Stille ein. Er hat den von der Kaiserin erhaltenen Pokal in der Hand, der mit rotem Wein bis an den Rand gefüllt ist, und hält ihn der Zarin entgegen. Anna erbleicht und sieht mit weiten, starren Augen auf den roten Becher. Die Stimme Wolinski's beherrscht die ganze Szene. Lang lebe Rußlands Kaiserin! – Zarin, dein Knecht vollzog dein Gebot –! Hält ihr den Becher hin.
Fürst Anatol, mein Narrenkönig – – das Fest gilt dir – und deinem Weibe! – Dich krönte ich – ihr ließ ich eine Brautfahrt richten – – – Sieh!
Kaiserin! Lebe! Dir galt dieser Trank! Nie sollst du ihn trinken! Wirft ihr den Pokal vor die Füße, wo er zerschellt. Herrsche, Kaiserin! Lebe –!
Dir war's vermeint –! Auf Wolinski deutend. Von dem – und dem – Auf die anderen Verschwörer weisend, die überrascht hereinkommen und sofort festgenommen werden. – und diesen – –!
Hier ist's zu spät – – Es war zuviel für diesen alten Kopf – zuviel zugleich – doch du – Zarin – du lebst! Ich habe gesühnt! – Es ging um den Thron des Zaren Peter – nach der Krone ging es – dein Tod – war – ihr Plan –
Ein Flügel rauscht – – Es schwingt und schwebt – und scheidet – Was wollt ihr
noch töten – an – mir – –?