von
Karl Heinrich Ludwig Pölitz. ──────
Dritter Band.
Sprache der Dichtkunst.
[Abbildung]
Leipzig, 1825.
J. C. Hinrichssche Buchhandlung.
Berichtigungen.
S. 88 Z. 18 v. o. l. meinen.
─ ─ Z. 6 v. u. l. 3 statt 2.
S. 100 Z. 11 v. o. l. 1805.
S. 176 Z. 1 v. u. l. durch diese.
|#f0013 : E1|Die Begründung und Entwickelung des selbstständigen
Charakters der Sprache der Dichtkunst, nach
der ursprünglichen, im Wesen des menschlichen Geistes
selbst enthaltenen, Verschiedenheit derselben von
der Sprache der Prosa und der Beredsamkeit, ist
nur vermittelst der Philosophie der Sprache möglich,
inwiefern diese von der ursprünglichen Gesetzmäßigkeit
des menschlichen Geistes ausgehet, und in den
Thatsachen des Bewußtseyns die Ankündigung der
drei selbstständigen Vermögen desselben ─ des Vorstellungs=,
des Gefühls- und des Bestrebungsvermögens
─ nachweiset. Denn, wenn gleich im Allgemeinen
jeder Darstellung durch Sprache zunächst
die Vorstellung des dargestellten Gegenstandes, und
also eine Thätigkeit des Vorstellungsvermögens vorausgehen
muß; so stammen doch die verschiedenartigen
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Stoffe der Sprachdarstellung nicht blos aus
dem Vorstellungsvermögen. Es sind vielmehr das
Gefühls- und das Bestrebungsvermögen eben so, wie
das Vorstellungsvermögen, ursprüngliche Quellen
des Stoffes, der durch Sprache dargestellt wird.
Weil aber das Gefühl und die Bestrebung nicht
unmittelbar als Gefühl und Bestrebung in der
Sprache dargestellt werden können, sondern nur
mittelbar durch Vorstellungen, in welche die Gefühle
und Bestrebungen aufgelöset werden müssen,
bevor sie in den Kreis der Sprachdarstellung übergehen
können; so ergiebt sich auch daraus von selbst,
weshalb der Ursprung der Sprache der Dichtkunst
aus dem tiefbewegten menschlichen Gefühlsvermögen
und der Ursprung der Sprache der Beredsamkeit
aus den zu dem Bewußtseyn gelangten einzelnen
Zuständen des menschlichen Bestrebungsvermögens
so häufig verkannt werden konnte, woraus
die unrichtige Auffassung der Eigenthümlichkeit und
des Grundcharakters der Sprache der Dichtkunst
und der Beredsamkeit für Theorie und Praxis von
selbst hervorging.
Nur erst, nachdem in der Philosophie selbst
die drei geistigen Vermögen nach ihrer ursprünglichen
Selbstständigkeit, nach ihrer Eigenthümlichkeit,
nach ihrer Verschiedenheit von einander, und nach
ihrer Gleichordnung (Coordination) in Beziehung auf
die Ankündigung ihrer Thätigkeit im Bewußtseyn
wissenschaftlich durchgeführt worden waren, konnte
auch in der Philosophie der Sprache (Th. 1.
S. 146 ff.) die ursprüngliche Selbstständigkeit und
Eigenthümlichkeit der Sprache der Prosa, Dichtkunst
und Beredsamkeit ─ in Angemessenheit zu der
im Bewußtseyn vorausgehenden Thätigkeit des Vorstellungs=,
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Gefühls- und Bestrebungsvermögens ─
wissenschaftlich entwickelt, und eben so die wesentliche
Verschiedenheit der äußern Ankündigung dieser drei
Sprachen, wie die Gleichordnung derselben in Beziehung
auf den durch sie vermittelten wörtlichen
Ausdruck der innern Zustände des Bewußtseyns durch
Sprache, nachgewiesen werden. Denn so nahe auch
im Kreise der Wirklichkeit die einzelnen Gebiete der
Sprache der Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit
an einander grenzen; so muß doch die Philosophie
der Sprache zwischen diesen Sprachgebieten eben so
scharf unterscheiden, und eben so genau ihren Umfang
ausmessen, ihre Grenzen bezeichnen und ihren
Jnhalt angeben, wie die Philosophie, in ihrem theoretischen
Theile, den eigenthümlichen Charakter jedes
der drei geistigen Vermögen nach seiner Ankündigung
und nach seiner Verschiedenheit von den beiden andern
Vermögen aufstellt, obgleich alle drei Vermögen
Einem und demselben geistigen Subjecte angehören,
und in Einem und demselben Bewußtseyn
wahrgenommen werden. So wie aber die Wirksamkeit
jedes der drei geistigen Vermögen, nach seiner
Ankündigung im Bewußtseyn, in der Wissenschaft
als ein in sich zusammenhängendes und abgeschlossenes
Ganzes dargestellt werden kann und dargestellt werden
muß, so nahe übrigens diese drei geistigen Vermögen
einander verwandt sind und so oft die Zustände
derselben in einander verschmelzen; so muß
auch jedes einzelne Gebiet der Sprache der Prosa,
der Dichtkunst und der Beredsamkeit als ein in
sich abgeschlossenes Ganzes, nach allen seinen
Gattungen, Arten und Formen, wissenschaftlich aufgestellt
und durchgeführt werden, wenn gleich im
Umfange der Sprache selbst diese Gebiete genau an
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einander grenzen und sich nicht selten gegenseitig
berühren.
Wenn der eigenthümliche Charakter der Prosa
auf der Darstellung der unmittelbaren Zustände des
menschlichen Vorstellungsvermögens, und der eigenthümliche
Charakter der Beredsamkeit auf der Darstellung
der einzelnen Zustände des menschlichen Bestrebungsvermögens
vermittelst der Sprache beruht;
so beruht der eigenthümliche Charakter der Sprache
der Dichtkunst auf der Darstellung der
individuellen Gefühle vermittelst der
Sprache, unter der Bedingung der Jdealisirung
dieser Gefühle durch die Selbstthätigkeit
der Einbildungskraft.
Nach dieser Begriffsbestimmung gehört daher
zum Wesen des Dichters zuerst ein lebendiges, tiefes,
sorgfältig und gleichmäßig gebildetes Gefühl,
weil weder der Ausdruck bloßer Vorstellungen, noch
bloßer Bestrebungen das Gepräge der Dichtkunst tragen
kann; sodann eine selbstthätige Einbildungskraft,
welche die individuellen Gefühle zu idealisiren
vermag, weil nur derjenige Dichter ist, der die
ihm einwohnenden individuellen Gefühle im Lichte
des Jdeals darzustellen im Stande ist; und endlich
eine Form der Sprache, unter welcher der idealisirte
Ausdruck der individuelleu Gefühle nicht nur sogleich
erkannt werden kann, sondern die auch wegen ihrer
vollendeten äußern (technischen) Schönheit um ihrer
selbst willen gefällt.
Wenn also der eigenthümliche Charakter der
Dichtkunst theoretisch begründet und wissenschaftlich
durchgeführt werden soll; so müssen drei Hauptgegenstände
in kurzen Umrissen erläutert werden, wovon
die beiden ersten das innere Wesen der Dichtkunst,
nach ihrer Verschiedenheit von dem ursprünglichen
Wesen der Prosa und Beredsamkeit im menschlichen
Geiste bezeichnen, der dritte aber die äußere Ankündigung
der Dichtkunst in dem Kreise der Sprache
betrifft. Denn wenn, nach der hier aufgestellten
Theorie, ein reiches, tiefes und vielseitig gebildetes
Gefühlsvermögen die unnachlaßliche Grundbedingung
des eigenthümlichen Charakters und des
Wesens der Dichtkunst bildet; so kann doch nur der
als Dichter gelten, dessen Einbildungskraft so reich,
so kräftig und so ausgebildet ist, daß er seine individuellen
Gefühle zu idealisiren und unter der
Hülle des Jdeals in der Sprache darzustellen
vermag. Soll aber das Letzte ihm gelingen; so muß
er auch über die Sprache nach ihrem ganzen Umfange
gebieten, damit unter der von ihm geschaffenen
Form der Sprache die Ursprünglichkeit seines
dargestellten Gefühls und die Jdealisirung desselben
vermittelst der Einbildungskraft bestimmt hervortrete.
Denn nicht blos Sylbenmaas oder Reim, sondern
die unverkennbare Ankündigung eines individuellen,
durch die Einbildungskraft idealisirten, Gefühls vermittelst
der Form der Sprache, entscheidet über die
äußere (technische) Vollkommenheit der dichterischen
Darstellung, während ─ im entgegengesetzten Sinne
─ bei erlangter Fertigkeit in prosodischer Bildung
rhythmischer Reihen, das, was nach seinem
ursprünglichen Wesen nur Prosa ist, und durchaus
nicht in das Gebiet der Sprache der Dichtkunst gehört,
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unter der äußern Hülle von Sylbenmaas und
Reim sich ankündigen kann.
Gäbe es im menschlichen Geiste kein selbstständiges,
vom Vorstellungs- und Bestrebungsvermögen
verschiedenes, Gefühlsvermögen; so gäbe es auch im
Gesammtgebiete der menschlichen Sprache keine selbstständige,
von Prosa und Beredsamkeit ursprünglich
verschiedene, Sprache der Dichtkunst. Die Selbstständigkeit
und der eigenthümliche Charakter der
Sprache der Dichtkunst steht und fällt daher mit
der ursprünglichen Selbstständigkeit und mit der ursprünglichen
Eigenthümlichkeit des menschlichen Gefühlsvermögens
nach seiner Ankündigung im Bewußtseyn.
Denn so unentbehrlich die Thätigkeit der Einbildungskraft
zur Vollendung einer dichterischen Form
bleibt; so liegt doch der im Gedichte darzustellende
Stoff nicht im Kreise der Einbildungskraft, sondern
im Kreise des Gefühlsvermögens. Forschen
wir daher nach allen gelungenen dichterischen Gebilden
vom Homer an bis auf Göthe und Schiller; so
mußte der Stoff der Dichtungen aus ihren Gefühlen
stammen, obgleich die Einbildungskraft
dieser Dichter den Stoff zu der Form gestaltete,
unter welcher der im Gefühlsvermögen gebohrne
Stoff, als vollendete Form, in den Kreis
der äußern Sprachdarstellung eintrat.
Bei keinem Vermögen des menschlichen Geistes
ist es aber so schwierig, wie bei dem Gefühlsvermögen,
das Ursprüngliche und Eigenthümliche desselben
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aufzusuchen, dasselbe von dem Ursprünglichen der
beiden andern Vermögen in ihren Ankündigungen
innerhalb des Bewußtseyns scharf zu unterscheiden,
und jenes Ursprüngliche und Eigenthümliche durch
Sprache bestimmt zu bezeichnen. Denn sobald der
an sich ursprüngliche Zustand des Gefühlsvermögens
durch Sprache bezeichnet wird; sobald hat er auch
bereits den Charakter seiner Ursprünglichkeit verloren,
weil er nur dann in der Sprache durch Worte
ausgedrückt werden kann, wenn er vorher Vorstellung
geworden, mithin das Gefühl in Vorstellung
─ in den Znstand eines andern geistigen Vermögens
─ übergegangen ist. So viel aber auch
von der im Bewußtseyn sich ursprünglich ankündigenden
Jnnigkeit, Tiefe und Gluth der Gefühle,
bei ihrem Uebergange in Vorstellungen, verloren gehen
mag; so wohnt doch diesen aus dem Gefühlsvermögen
stammenden Stoffen für die Sprachdarstellung
noch immer so viel Jnnigkeit und Wärme
bei, daß sie, nach ihrem Ursprunge, nicht mit den
unmittelbaren Zuständen des Vorstellungsvermögens
verwechselt werden können, sondern auf ihre Quelle,
auf das dem menschlichen Geiste zukommende selbstständige
Gefühlsvermögen, zurückgeführt werden
müssen.
Soll das Gefühlsvermögen, völlig gleichmäßig
mit dem Vorstellungs- und Bestrebungsvermögen,
in der ursprünglichen Gesetzmäßigkeit des geistigen
Wesens begründet seyn (Th. 1. S. 152 ff.); so
muß ihm, wie diesen, theils eine ursprüngliche eigenthümliche
Ankündigung seiner Thätigkeit, theils
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eine eigenthümliche Form dieser Thätigkeit,
theils eine eigenthümliche Richtung auf den
Gesammtzweck des menschlichen Daseyns zukommen.
Die eigenthümliche Ankündigung der
Thätigkeit des Gefühlsvermögens besteht aber darin,
daß das Gefühl nicht, wie die Vorstellung, die Verbindung
und Vereinigung eines Mannigfaltigen
ist, in welcher man jedesmal Stoff und Form unterscheiden
kann, sondern daß jedes Gefühl eine ursprüngliche
Einheit bildet, die unauflöslich,
unzertrennlich, und in welcher Stoff und Form Eins
(identisch) ist. Durch diese Ankündigung ─ ursprünglich
im Bewußtseyn, und folglich auch in der
Sprachdarstellung ─ unterscheidet sich das Gefühlsvermögen
wesentlich von dem Vorstellungs- und Bestrebungsvermögen,
bei deren Ankündigung in jedem
einzelnen Falle Stoff und Form getrennt wahrgenommen
werden können.
Sind in jedem Gefühle Stoff und Form Eins
(identisch); so muß zweitens auch die eigenthümliche
Form der Thätigkeit des Gefühlsvermögens
von der Form der Vorstellung
und von der Form der Bestrebung wesentlich
verschieden seyn. Denn beruht die eigenthümliche
Ankündigung des Gefühlsvermögens auf der
Jdentität des Stoffes und der Form; so wird
in der Form des Gefühls nicht erst ein Mannigfaltiges
zur Einheit verbunden, wie bei der Thätigkeit
des Vorstellungsvermögens; es ist vielmehr jene Jdentität
des Stoffes und der Form diejenige Form,
unter welcher jedes Gefühl zum Bewußtseyn gelangt.
Alles also, was zum Gefühlsvermögen gehört,
kündigt sich unmittelbar an. Es giebt
daher von allem, was unter der Form des Gefühlsvermögens
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wahrgenommen wird, eine unmittelbare
Gewißheit, während alle Ueberzeugung
durch Begriffe des Verstandes, und selbst durch die
Jdeen der Vernunft, nur mittelbar ist, mithin durch
entgegengesetzte Begriffe und Jdeen bestritten und
weggeläugnet werden kann. Das Gefühlsvermögen
behauptet in dieser Beziehung den eigenthümlichen
Charakter des unmittelbar Wirklichen (Realen)
in dem gesammten (sinnlichen und geistigen)
Daseyn des Menschen. Durchs Gefühl werden wir
unsers Daseyns, unsers jedesmaligen Zustandes,
des Daseyns der Dinge außer uns, und
unserer Beziehung auf sie, so wie unserer individuellen
Beziehung auf eine übersinnliche Welt unmittelbar
gewiß, so daß kein logischer Scharfsinn
und keine dialektische Gewandtheit die Ankündigung
dieser unmittelbaren Gewißheit im Bewußtseyn ganz
zu erschüttern vermag.
Das Gefühlsvermögen behauptet aber auch eine
eigenthümliche, von den beiden andern geistigen
Vermögen verschiedene, Richtung auf den Gesammtzweck
des menschlichen Daseyns.
Wenn das Vorstellungsvermögen diesen Zweck als
die höchste Jdee der Vernunft aufstellt, und das
Bestrebungsvermögen diesen Zweck durch freie Handlungen
verwirklichen will; so faßt ihn das Gefühlsvermögen
nach seiner Unermeßlichkeit und Ueberschwenglichkeit
auf, und trägt auf jedes einzelne Gefühl
nach dem Verhältnisse, in welchem das
einzelne Gefühl zu dem Gesammtgebiete des menschlichen
Daseyns steht, diesen Charakter der Unermeßlichkeit
und Ueberschwenglichkeit über. Denn wenn
die Gefühle, nach der Verschiedenheit ihrer Ankündigung
im Bewußtseyn, in sinnliche, intellec=
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tuelle, ästhetische und sittliche eingetheilt werden;
so wird auch das Wahrnehmen der Unermeßlichkeit
und Ueberschwenglichkeit des sittlichen Gefühls,
als des edelsten und reinsten von allen, am
höchsten und stärksten seyn, und, nach dieser Gradabstufung,
das sinnliche Gefühl tiefer stehen, als das
sittliche, ästhetische und intellectuelle, weil nur das
sinnliche, nie aber ein geistiges Gefühl völlig befriedigt
werden kann. Kann nun kein geistiges Gefühl
völlig befriedigt, oder, was dasselbe heißt, der
letzte Punct, der höchste Grad desselben erreicht, und
eben so wenig der Jnhalt des Gefühls, als solches,
und die Jnnigkeit und Unermeßlichkeit desselben durch
Sprache völlig und erschöpfend ausgedrückt werden;
so ist auch dieses Unermeßliche und Höchste des Gefühls
ein Etwas, das alle Vergleichung mit den
Zuständen des Vorstellungs- und Bestrebungsvermögens
übersteigt, und als das Höchste und Letzte,
in welchem jedes Gefühl sich endigt, nicht beschrieben
und nicht zergliedert werden kann. Dieses Unermeßliche,
das jedem geistigem Gefühle des Menschen
beiwohnt, und selbst dem sinnlichen Gefühle
eine höhere Stärke, als der bloßen Vorstellung verleiht,
muß daher die unverkennbare Unterlage
von allem bilden, was innerhalb des
in sich abgeschlossenen Sprachgebiets der
Dichtkunst sich ankündigt, und wodurch sich
ursprünglich die Dichtkunst von der Prosa und
Beredsamkeit unterscheidet. Denn jedes wirkliche Erzeugniß
der Dichtkunst wird daran erkannt, daß der dargestellte
Stoff weder aus bloßen Vorstellungen, noch
aus Bestrebungen, sondern in Gefühlen besteht, weil ohne
Reichthum, Fülle, Kraft und individuelle Eigenthümlichkeit
der Gefühle kein Dichter gedacht werden kann.
Jst gleich das Gefühlsvermögen die ursprüngliche
Quelle alles dichterischen Stoffes; so bedarf
doch dieser Stoff bereits innerhalb des menschlichen
Bewußtseyns einer eigenthümlichen Form und Gestaltung,
bevor er durch die Sprache nach außen
dargestellt werden kann. Diese Form und Gestaltung
erhält der dichterische Stoff durch die
Einbildungskraft, nach der unerklärbaren Verbindung
und Wechselwirkung, in welcher sie mit
dem Gefühlsvermögen in dem Gemüthe des Dichters
steht. Denn obgleich im Allgemeinen die Wirksamkeit
der Einbildungskraft auf bestimmte Begriffe
zurückgeführt werden kann; so bleibt doch das Verhältniß,
in welchem sie zum Gefühlsvermögen bei
jedem einzelnen Dichter (bei Milton, Pope,
Klopstock, Matthisson, Schiller, Göthe
u. a.) steht, unerklärbar. Aus diesem unerklärbaren
Verhältnisse geht aber die dichterische Jndividualität
hervor, die, bei allen classischen Dichtern,
so unendlich verschieden ist, daß jeder wahre
Dichter sogleich an dieser Jndividualität erkannt und
von jedem andern vollendeten Dichter (Lessing von
Joh. Andr. Cramer, Gellert von Haller,
Thümmel von Hölty, Bürger von Tiedge
u. s. w.) unterschieden wird.
Nach der allgemeinen philosophischen Entwickelung
und Durchführung der drei geistigen Vermögen,
wird die Einbildungskraft als eine besondere
Ankündigung der Thätigkeit (Function) des
Vorstellungsvermögens aufgeführt. Allein sie unterscheidet
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sich dadurch wesentlich von dem Verstande
und der Vernunft, daß sie nicht das in der Anschauung
gegebene Mannigfaltige zur Einheit des
Begriffes verbindet, oder solche Vorstellungen hervorbringt,
die wir, weil ihnen kein sinnlicher und
erkennbarer Gegenstand entspricht, Jdeen nennen; sie
erzeugt vielmehr, nach ihrer ursprünglichen Gesetzmäßigkeit,
Bilder, die sie als vollendete Ganze
dem innern Sinne vorhält. So wie aber die Einbildungskraft,
nach ihrer eigenthümlichen Thätigkeit,
Begriffe des Verstandes und Jdeen der Vernunft
in Bilder zu verwandeln, und diese als Jdeale
darzustellen vermag, welche durch freie Handlungen
verwirklicht werden sollen; so vermag sie auch den
ursprünglichen Gefühlen, welche, bevor sie durch
Sprache dargestellt werden können, als Vorstellungen
zum Bewußtseyn gelangen müssen, die
idealische Versinnlichung zu geben, wodurch
sie in der eigenthümlichen und selbstständigen Sprache
der Dichtkunst sich ankündigen. Denn eben diese
Form und dieser Charakter des Jdealischen in
der Sprache der Dichtkunst stammt zunächst aus
der eigenthümlichen Wirksamkeit der Einbildungskraft,
doch so, daß, nach der Unermeßlichkeit und
Ueberschwenglichkeit jedes wahren Gefühls, den vermittelst
der Einbildungskraft identisirten Gefühlen
ein höherer Grad der Jnnigkeit und Wärme innerhalb
der Sprachdarstellung zukommt, als den durch
die Einbildungskraft versinnlichten Begriffen des
Verstandes und Jdeen der Vernunft, obgleich nicht
zu verkennen ist, daß die idealisirte Darstellung der
ursprünglichen Gefühle der idealisirten Darstellung
der Jdeen der Vernunft näher steht, als der idealisirten
Darstellung der Begriffe des Verstandes.
Die zweite Grundbedingung der dichterischen
Darstellung beruht daher darauf, daß der aus dem
Gefühlsvermögen stammende Stoff für jedes dichterische
Erzeugniß, nach seinem Uebergange ins
Vorstellungsvermögen, vermittelst der Einbildungskraft
eine idealische Bekleidung erhalte, und, mit
dieser Ausstattung, eintrete ins Gebiet der Sprache;
denn nur das Jdealische trägt in der Sprachdarstellung
den Charakter der Dichtkunst. Der bloße
Begriff des Verstandes, und wäre er noch so abgeglättet
in Sylbenmaas und Reim gekleidet, kann
nie als Erzeugniß der Dichtkunst erscheinen; denn
ihm fehlt eben so die Abstammung aus dem Gefühlsvermögen,
wie er der idealischen Haltung durch
die Thätigkeit der Einbildungskraft ermangelt. (So
wird z. B. Kästners Lehrgedicht von den Kometen
nie als Gedicht gelten, ob es gleich im abgemessenen
Sylbenmaase sich bewegt; dagegen sind
viele Erzeugnisse Jean Pauls echt dichterische
Formen, ob sie gleich des Sylbenmaases und Reimes
ermangeln.)
Unter allen Urbildern (Jdealen) der Einbildungskraft
sind aber die Jdeale des Wahren,
des Schönen und des Guten die drei höchsten, die
sie hervorbringt, und welchen sie jede einzelne idealische
Form unterordnet. Wenn das Jdeal des
Wahren der höchste Zielpunct für alle durch das
Vorstellungsvermögen vermittelte Erkenntniß, so wie
das Jdeal des Sittlich-Guten der höchste Zielpunct
für alle durch das Bestrebungsvermögen hervorzubringende
freie Handlungen bleibt; so ist das
Jdeal des Schönen der höchste Zielpunct für
die gesammte Thätigkeit des Gefühlsvermögens.
Denn, was das Gefühlsvermögen rühren und erschüttern
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soll, muß sich unter einer ästhetischen d.
h. unter einer schönen Form ankündigen, die
durch ihre vollendete Einheit ein unmittelbares Gefühl
der Lust anregt, und die Einbildungskraft in
ein freies und lebensvolles Spiel versetzt. Dieses
Jdeal des Schönen ist daher die höchste Aufgabe
für alle Werke der Kunst, so wie für alle
Erzeugnisse im Gebiete der Sprachdarstellung.
Ob nun gleich kein menschliches Jndividuum
des Gefühlsvermögens, und eben so wenig der Einbildungskraft
ganz ermangelt, wiewohl beide, nach
der unendlichen Verschiedenheit der Jndividuen, unter
höchst verschiedenen Abstufungen und Graden
der Stärke und Schwäche sich ankündigen; so wird
doch die dichterische Begeisterung nur bei
denjenigen Jndividuen unsrer Gattung angetroffen,
in welchen die höhere Lebendigkeit und Stärke des
Gefühlsvermögens mit einer ursprünglich schöpferischen
und gleichmäßig entwickelten Einbildungskraft
in der innigsten Verbindung steht, so daß der dem
Gefühlsvermögen ursprünglich angehörende dichterische
Stoff von der selbstthätigen Einbildungskraft
zu einer idealischen Form ausgeprägt und erhoben
wird. Jn diesem letztern Sinne ist die dichterische
Begeisterung und Weihe an sich unerklärbar und
ein Geschenk der Natur (poëtae non fiunt, sed
nascuntur), inwiefern sie nämlich auf einer gleichmäßigen
Stärke und Fülle des tiefbewegten
Gefühlsvermögens und der schöpferischen Einbildungskraft
beruht. Dieses innere dichterische Leben,
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das, unerklärbar nach seinem Ursprunge, nach
seiner Ankündigung aber in einer gleichmäßigen Thätigkeit
des Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft
besteht, ist die Bedingung der äußern dichterischen
Darstellung vermittelst der Sprache.
Wo jenes innere dichterische Leben fehlt; da kann die
Sprachform, ─ sogar bei aller technischen Vollkommenheit,
─ den dichterischen Charakter nicht an
sich tragen; allein eben so wenig darf auch der dichterischen
Darstellung, wenn sie aus jener Fülle des
innern Lebens entsprungen ist, die äußere Vollendung
der Form fehlen, weil sie nur nach dieser
unter das höchste Gesetz für alle stylistische Darstellung,
unter das Gesetz der Form (Th. 1, S.
224), gebracht werden kann. ─ Der Charakter
eines dichterischen Kunstwerkes beruht also darauf,
daß in demselben, als Stoff, reine und unmittelbare
Gefühle versinnlicht, diese aber, vermittelst
der schöpferischen Thätigkeit der Einbildungskraft,
zu einer idealischen Form für die innere
Anschauung, und, in Angemessenheit zu diesem
dem Dichter im Bewußtseyn vorschwebenden Urbilde,
sodann in der Sprachdarstellung zu einer
vollendeten äußern Form erhoben werden. Jndem
auf diese Weise das dichterische Erzeugniß entsteht,
erscheint es, wie jedes andere Kunstwerk, als die
Versinnlichung eines im Bewußtseyn vergegenwärtigten
Jdeals, als unmittelbare Folge
der vorhergegangenen hohen Rührung und Bewegung
des Gefühlsvermögens, und als selbstthätiges Erzeugniß
der Einbildungskraft.
Durch diese Eigenthümlichkeit unterscheidet sich
aber auch der wahre Dichter von dem Prosaiker,
welcher seine unmittelbaren Begriffe und Jdeen darstellt,
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und von dem Redner, welcher durch die rednerischen
Formen unmittelbar auf den Willen wirken
und denselben zu Handlungen bestimmen will.
Beide Zwecke liegen außer dem Kreise des Dichters;
denn der Dichter folgt ausschließend dem unermeßlichen
Drange seiner Gefühle und der, nach
ihrem Zusammenhange mit dem Gefühlsvermögen
unerklärbaren, Wirksamkeit seiner Einbildungskraft.
Jn dem Augenblicke seines Erzeugnisses denkt der
Dichter nicht an die Wirkung, die er hervorbringen
wird, und beabsichtigt keine solche Wirkung; allein
indem sein gebildeter Geist eine dichterische Form
ins Daseyn ruft, erhält dieselbe auch sogleich, durch
den erreichten hohen Grad seiner individuelle Reife,
diejenige Gediegenheit, wodurch sie unwiderstehlich
auf Gefühl und Einbildungskraft zu wirken vermag.
Am Wesentlichsten unterscheidet sich aber der
Dichter dadurch von dem Prosaiker und dem Redner,
daß, ob er gleich nur zunächst seine individuellen Gefühle
unter der dichterischen Form darstellt, er doch
dadurch als Repräsentant seines ganzen Geschlechts
erscheint. Denn die Gefühle, welche in
ihm angeregt waren und die Vollendung des Kunstwerkes
bewirkten, entspringen aus den Jdealen,
welche ein Gemeingut der ganzen gebildeten Menschheit
sind*. Er versinnlicht daher die reine
Derselben Meinung ist Schiller in s. Recension von
Bürgers Gedichten; vgl. s. kl. prof. Schriften,
Th. 4. S. 193 ff. „Alles, was der Dichter
uns geben kann, ist seine Jndividualität. Diese muß
es also werth seyn, vor Welt und Nachwelt ausgestellt
zu werden. Diese seine Jndividualität so sehr
als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten
Menschheit hinauf zu läutern, ist sein erstes und wichtigstes
Menschheit in der Unendlichkeit ihrer Gefühle;
seine Begeisterung erhebt ihn über die Schranken
des Jndividuellen, und stellt ihn in den Mittelpunct
seines ganzen Geschlechts. Zu diesem
spricht er; in dem Charakter und in dem Namen
desselben schildert er; so wie er fühlt, können
und sollen alle Jndividuen seiner Gattung fühlen;
denn in ihnen allen ist dieselbe Unermeßlichkeit des
Gefühlsvermögens, und dieselbe Richtung der Einbildungskraft
auf das Jdealische begründet. Mag
daher immer das Jdealische unerreichbar bleiben für
die Verwirklichung desselben in freien guten Handlungen;
so wird es doch nach seiner Unermeßlichkeit
im Gefühle wahrgenommen, und unter der möglichst
höchsten Versinnlichung in der vollendeten schönen
Sprachform dargestellt.
Beruht, nach dieser Ansicht, das Wesen der
Dichtkunst auf den aufgestellten Grundbedingungen;
so ergiebt sich daraus die scharfe Grenzbestimmung
derselben gegen Prosa und Beredsamkeit von
selbst, und wie fehlerhaft es ist, wenn der ursprüngliche
Charakter der Dichtkunst mit den beiden letzten
vermischt wird. Dies kann aber auf zweifache Weise
geschehen. Sind nämlich die individuellen Gefühle
nicht innig und stark, oder ist die Einbildungskraft
nicht thätig genug, um jene Gefühle nach ihrer Unermeßlichkeit
Geschäft, ehe er es unternehmen darf, die
Vortrefflichen zu rühren. Vom Aesthetischen gilt eben
das, was vom Moralischen. Wie es hier der moralisch
vortreffliche Charakter eines Menschen allein ist,
der einer seiner einzelnen Handlungen den Stempel
moralischer Güte aufdrücken kann; so ist es dort nur
der reife, der vollkommene Geist, von dem das Reife,
das Vollkommene ausfließt.“
und im Glanze des Jdeals darzustellen;
so mischt sich der zergliedernde Verstand in die
Darstellung, und die Form trägt das Gepräge einer
Zwittergattung und Mißgeburt: es entsteht die sogenannte
poetische Prosa. Eben so entspringt eine
andere Mißgeburt, die rhetorisirende Dichtkunst,
aus der Vermischung und Verwechselung
von Gefühlen und Bestrebungen innerhalb der
dichterischen Darstellung. Es behauptet daher nur
dann die dichterische Form ihren eigenthümlichen,
von der Sprache der Prosa und Beredsamkeit wesentlich
verschiedenen Charakter, und erhebt sich zum
vollendeten (ästhetischen) Gepräge der Schönheit,
wenn sie das Jdealische in den Zuständen des Gefühlsvermögens
nach seiner ganzen Reinheit, Kraft
und Unermeßlichkeit darstellt, und durch die Sprache
so vergegenwärtigt, daß, vermittelst der Anschauung
der vollendeten dichterischen Form, eine, der dichterischen
Begeisterung verwandte, Stimmung und
Rührung des Gefühlsvermögens und ein ähnliches
freies Spiel der Einbildungskraft bei Andern bewirkt
wird, in welches sich weder eine Thätigkeit
des Vorstellungsvermögens, das dargestellte Jdealische
als Gegenstand des Erkenntnißvermögens zu
behandeln und zu zergliedern, noch ein Trieb des
Bestrebungsvermögens, dasselbe durch Handlungen
zu verwirklichen, einmischt.
Soll aber die dichterische Form das Gepräge
der Vollendung an sich tragen; so muß zu den beiden
ersten wesentlichen Erfordernissen derselben, zu
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der Abstammung des dichterischen Stoffes aus dem
Reichthume und der Fülle des Gefühlsvermögens und
zu der idealischen Gestaltung dieses Stoffes für den
innern Sinn durch die schöpferische Thätigkeit der
Einbildungskraft, noch ein drittes hinzukommen:
die gediegene äußere dichterische Form in
der Sprachdarstellung. Bereits oben ward erinnert,
daß über das Erkennen und Wahrnehmen des
Dichterischen in der äußern Sprachform durchaus
nicht allein und zunächst Sylbenmaas und Reim,
daß vielmehr die wahrgenommene Darstellung individueller
Gefühle unter einer idealischen Haltung und
Umgebung über den dichterischen Charakter eines
stylistischen Erzeugnisses entscheidet. Allein diese
innere Vollendung des dichterischen Geistes und
Wesens muß auch auf die äußere Gediegenheit
der Form in der Sprachdarstellung übergehen, damit
das Gedicht, nach seiner innern und äußern
Classicität, ein unauflösliches vollendetes Ganzes
bilde. Denn wenn gleich die technische Vollkommenheit
eines dichterischen Erzeugnisses den Mangel
des Gefühls und des Jdealischen in demselben nicht
ersetzen kann; so kann doch auch nur dasjenige Gedicht
als vollendet gelten, in welchem mit dem innern
wahrhaft dichterischen Leben des Gefühls und
der Einbildungskraft die äußere Vollkommenheit
der Form zusammentrifft.
Die Grundbedingung der technischen Vollendung
der Form ist der Wohlklang, welcher Melodie
und Harmonie in sich einschließt. Auf ihm beruht
der musikalische Charakter eines Gedichts. Denn
wie in der Tonkunst der Wohlklang auf der Melodie
und Harmonie der unarticulirten Töne beruht;
so in der Sprache auf der Melodie und Harmonie
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der articulirten Töne. Wenn daher das Wesen der
Tonkunst in der versinnlichten und veredelten Darstellung
des jedem Gefühle eigenthümlichen Tones
oder lautwerdenden Ausdruckes besteht; so hängt
auch die technische Vollendung des Dichters davon
ab, für die in seinem Bewußtseyn unter einer idealischen
Haltung vergegenwärtigten Gefühle in der
Sprache den rechten Ton zu finden, und die
äußere Vollkommenheit seines Gedichts nach den
Gesetzen der Melodie und Harmonie zu
gestalten.
Die Melodie besteht aber in der Tonkunst
in dem, von dem Tonkünstler frei dargestellten, Verhältnisse
der Aufeinanderfolge der Töne
des in ihm angeregten Hauptgefühls; so wie die
Harmonie die gleichzeitige Vereinigung verschiedener
Töne, und die mit dem Flusse der Melodie
fortschreitende Folge dieser Vereinigung, nach
den unveränderlichen, in der Natur und in den
Verhältnissen der Töne selbst begründeten, Regeln
ihrer Verbindung zum Gleichgewichte unter
sich selbst und zur Vollendung des musikalischen
Ganzen als einer ästhetischen Einheit, bezeichnet.
Wird dies von der Tonkunst auf die Darstellung
articulirter Töne durch die Sprache übergetragen;
so beruht in derselben die Melodie auf dem von
dem Dichter gewählten Verhältnisse der Aufeinanderfolge
der einzelnen Wörter nach rhythmischen Gesetzen,
und die Harmonie auf dem, theils in den
einzelnen größern Abschnitten, theils in der ganzen
abgeschlossenen äußern Form des Gedichts erkennbaren,
Gleichgewichte der einzelnen rhythmischen Theile
und Wortreihen zur technischen Vollendung der Einheit
des Ganzen. Der Wohlklang in der Sprachdarstellung
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wird daher eben so von den gewählten
einzelnen Wörtern, wie von der Stellung, Aufeinanderfolge
und Verbindung derselben zu Perioden
abhängen. Dieser Wohlklang heißt in der Sprache
der Prosa und Beredsamkeit Numerus, hingegen
in der Sprache der Dichtkunst Rhythmus, der
in einer noch höhern Beziehung, als der Numerus,
den musikalischen Charakter an sich trägt, so wie
auch der Gebrauch des Rhythmus ausschließend den
Erzeugnissen der Dichtkunst vorbehalten, und in dem
Sprachgebbiete der Prosa und Beredsamkeit fehlerhaft
ist. Denn wenn der Numerus sich als denjenigen
Wohlklang in der Sprachdarstellung ankündigt,
der von der Ausdehnung der Melodie der einzelnen
Laute und Töne auf die Folge und Verbindung
ganzer Sätze und Perioden, und von der Berechnung
des musikalischen Verhältnisses der Vorder= und
Nachsätze gegen einander abhängt; so steht dagegen
der Rhythmus unter den Gesetzen des Metrums.
Wenn gleich das Gesetz der Form auch für
die äußere Sprachdarstellung der höchste Maasstab
bleibt; so ist doch der mehr oder minder musikalische
Charakter der einzelnen Sprachen ein Ergebniß der
Erfahrung, und die Sprachen des Erdbodens sind,
in musikalischer Hinsicht, sehr wesentlich von einander
verschieden. Jm Allgemeinen gilt aber als
Grundsatz, daß, je musikalischer ein Volk überhaupt
ist, und je früher bei demselben der Sinn für Tonkunst
geweckt und genährt wird, auch die Sprache
desselben um so musikalischer sich ausbildet. Allein
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zu dieser musikalischen Fortbildung der Sprache trägt
ebenfalls unverkennbar viel bei, ob das Volk, das
dieselbe spricht, an sich lebhaft und für Tonkunst
empfänglich ist; ob es in der mündlichen geselligen
Unterhaltung (Conversation) und in dem Jugendunterrichte
Werth auf richtige Betonung legt; ob
seine Classiker Sinn für die musikalische Vollendung
der Sprache und gründliche Kenntniß der Lehre von
der Harmonie (vom Generalbasse) besitzen; ob bei
dem Volke, neben der geistlichen Beredsamkeit, eine
politische Beredsamkeit (z. B. in stellvertretenden
Versammlungen, beim mündlichen gerichtlichen Verfahren)
sich entwickelt, und namentlich ob seinen
Rednern (auf Katheder und Kanzel) musikalische
Kenntniß und Bildung zukommt. Für den Kenner
der Regeln der Tonkunst ist es nicht schwer, bei
Prosaikern, Dichtern und Rednern, aus der Art
und Weise der Wahl, der Bildung, der Stellung
und der Verbindung der Wörter zu Perioden und
zu größern stylistischen Ganzen auf die Bekanntschaft
derselben mit den Gesetzen der Tonkunst, und auf
die Anwendung der letzten zurück zu schließen.
Der Rhythmus, nach seiner Verschiedenheit
von dem Numerus in der Sprache der Prosa und
Beredsamkeit, und nach seiner Bestimmung, den
Wohlklang der Sprache in einem Erzeugnisse der
Dichtkunst zu vermitteln, beruht auf der Abtheilung
eines dichterischen Ganzen in seine Glieder, und auf
dem zwischen diesen Gliedern bestehenden Verhältnisse
der Hebung und Senkung. So wird der
Rhythmus die Grundbedingung des Metrums,
unter welchem eine aus abwechselnden Zeitfüßen
in bestimmt abgemessenen Schritten geordnete Folge
und Bewegung der einzelnen Wörter und Wortreihen
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innerhalb eines dichterischen Ganzen verstanden
wird.
Alle gebildete Sprachen des Alterthums und
der neuern Zeit können, in Hinsicht des Rhythmus,
in quantitirende oder accentuirte eingetheilt
werden. Der Grundcharakter dieser Verschiedenheit
beruht darauf, daß in quantitirenden Sprachen,
die gewöhnlich unter dem Einflusse der Tonkunst sich
weiter ausbilden, der Accent zu Gunsten des Rhythmus
von seinem Sitze auf der Sylbe verdrängt
werden kann, so daß in diesen Sprachen der
Rhythmus die Grundbedingung des Accents
ist. Dagegen wird in den accentuirten
Sprachen der Sitz des Accents durch den Sinn
und die Bedeutung der Sylben und der Wörter unwiderruflich
bestimmt; folglich ist in ihnen der Accent
die Grundbedingung für den Rhythmus.
Zu den quantitirenden Sprachen gehören die
Sprachen des Alterthums, und namentlich die gebildetste
unter allen, die griechische; zu den accentuirten
Sprachen aber die Sprachen der jüngern
abendländischen Völker, und namentlich die teutsche.
Die Sylbenmessung der Griechen erhielt unter
dem Einflusse der Tonkunst ihre bestimmten Formen
und ihren bezaubernden Wohlklang; sie bildete sich
unter dem Einflusse des allgemein herrschenden Hexameters.
Gewiß würde die ganze Prosodie der Griechen
sich anders gestaltet haben, wenn nicht der
Hexameter, sondern z. B. der Jambus das älteste
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künstliche Maas ihrer Sprache gewesen wäre, welches
die begeisterten Laute der Dichter dargestellt hätte.
Die Länge und die Kürze der Sylben darzustellen,
ward daher der Zweck, und zugleich der Charakter
der ältern Prosodie. Mit dem Geiste jener
Völker verschwand aber, seit dem Zeitalter der
Völkerwanderung, die höhere Blüthe ihrer Sprachen,
die Harmonie ihrer Dichtkunst, und der darauf gegründete
rhythmische Mechanismus ihrer Prosodie.
Die Sprachen der in den Stürmen des Mittelalters
siegreichen germanischen Völker waren entfernt
von aller innern und äußern Ausbildung,
und blos das Mittel der gegenseitigen Verständigung,
welche von dem Accente, ohne Rücksicht
auf den Wohllaut, geleitet ward. Diese Herrschaft
des Accents blieb aber selbst in den spätern Zeiten,
wo die Sprachen der germanischen Völker zur höhern
Reife fortgebildet wurden. Der wesentliche
Unterschied der neuern abendländischen Sprachen
beruht also darauf, daß ihre Prosodie nicht
von der Quantität der Sylben, sondern zunächst
von dem Accente ausging, wodurch zugleich die
Dichtkunst der jüngern abendländischen Völker ihren
eigenthümlichen äußern Charakter erhielt.
Allein für den, der teutschen Sprache versagten,
Wohlklang der quantitirenden Sprachen fanden
ihre Dichter einen Ersatz in dem Gleichklange
der Sylben, mit welchem die einzelnen Zeilen sich
schlossen. Dies ist der Reim in seiner ursprünglichen
Gestalt, der nicht erst, wie Mehrere behaupteten,
von den Arabern zu den Teutschen kam, sondern
viel früher bereits von den Teutschen gebraucht
ward, bevor der Einfluß der Araber auf Europa
begann, wenn gleich das erste auf unsre Zeit gekommene
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gereimte teutsche Gedicht, ─ die evangelische
Geschichte des Weißenburger Mönchs Otfried,
─ ins neunte Jahrhundert gehört. Der Reim ist
in der Natur der teutschen Sprache selbst gegründet,
und bereits die Kirchenväter des vierten Jahrhunderts
* reimten, nach Art der neuern Völker,
lateinische Lieder. Allein die altsächsische Dichtkunst,
welche von Holstein nach England gebracht
ward, kannte so wenig den Reim, als die Dichtersprache
des skandinavischen Nordens, in welcher nur
die Alliteration (der Gleichklang in den Anfangsbuchstaben
der Wörter) getroffen wird.
Wenn also auch der Reim einzelnen teutschen
Völkerschaften bereits bekannt war; so verbreitete
sich doch sein allgemeiner Gebrauch erst später mit
der sogenannten Ritterpoesie über Teutschland,
welche von den Arabern zu den Franzosen ins südliche
Frankreich, wo sie die Troubadours ausbildeten,
und von diesen zu den Teutschen kam, die seit
der Mitte des zwölften Jahrhunderts mit glücklichem
Erfolge in derselben sich versuchten. Jn geschichtlicher
Hinsicht darf dabei nicht übersehen werden,
daß die Provence zum burgundischen Reiche
gehörte, das bereits im Jahre 1032, als Nebenreich,
mit Teutschland unter Einem Regenten vereinigt
ward.
Allein der Reim im Mittelalter, so viel auch
durch die lyrischen und epischen Dichter im Zeitalter
der Minnesänger für ihn geschah, konnte im
Ganzen nicht vollkommener seyn, als die Sprache
selbst damals war. Seine freiere und mannigfaltigere
Vgl. Grotefends Anfangsgründe der teutschen
Prosodie (Gießen, 1815. 8.) S. 163 ff.
Gestaltung mußte nothwendig von der höhern
Reife der Sprache selbst abhängen, und nur
nach seiner Ankündigung in diesem spätern und gereiftern
Zeitalter kann über ihn entschieden werden,
wenn man nicht ungerecht über diese eigenthümliche
äußere Form der teutschen Dichtkunst absprechen
will. Denn allerdings war die Accentuation
der teutschen Sprache, als prosodischer Charakter
derselben, bereits bestimmt, bevor die ersten Gesänge
teutscher Dichter ertönten. Diese Dichter
waren daher, sogleich bei ihrem ersten Auftreten in
der Mitte des Volkes, in Hinsicht der Länge und
Kürze der Sylben an die vorgefundene Herrschaft
des Accents gebunden, wodurch zugleich die Prosodie
der teutschen Sprache, in ihrer damaligen Gestalt,
von der Prosodie der quantitirenden Sprachen wesentlich
sich unterscheiden mußte.
Nach dem geschichtlichen Charakter der teutschen
Sprache, als einer accentuirten, sind aber, in
der Prosodie derselben, accentuirte Sylben lange,
und accentlose Sylben kurze Sylben. Der Zeit
nach füllen die ersten zwei Theile aus, während
den letzten nur ein Theil zukommt, so daß für eine
jede lange Sylbe zwei kurze, und für zwei kurze
eine lange stehen können. Zugleich erscheint, nach
dem prosodischen Verhältnisse, die rhythmisch accentuirte
Sylbe als Grund, die rhythmisch accentlose
als Folge, und durch die Verbindung beider in
der Rede entsteht eine rhythmische Sylbenreihe. Weil
aber, ihrem Grundcharakter nach, in der teutschen
Sprache der Accent nur auf Sylben gelegt wird,
welchen die Bezeichnung des Sinnes in der Rede
zukommt; so hängt auch in der teutschen Sprache
das Verhältniß der accentuirten und accentlosen
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Sylben, oder der Rhythmus, ganz von dem Wortverstande
ab, so daß in derselben der Wortaccent
nie dem rhythmischen aufgeopfert werden darf. Es
stehen aber zwischen den langen und kurzen Sylben
in der Sprache gewisse Sylben gleichsam in der
Mitte, die, unter gewissen Umständen, entweder
gedehnt, oder beschleunigt werden, und deshalb mittelzeitige
heißen. Zweizeitige (ancipites)
werden sie nur im Allgemeinen genannt, weil sie,
bei ihrem Gebrauche, jedesmal sogleich entweder lang
oder kurz sind.
Jst aber in der teutschen Sprache der Rhythmus
abhängig von dem Accente; so ist auch das
Metrum (das Versmaas) davon abhängig; denn
das Metrum besteht (§. 8) in einem rhythmischen
Ganzen aus abwechselnden Zeitfüßen, die zu einem
bestimmten Schritte verbunden werden, und dessen
Umfang, wenn er nicht zu klein ist, in Absätze
und Einschnitte (Cäsur) getheilt, und durch einen
sinnlich hervortretenden Schlußfall geendigt wird.
Vermittelst des Rhythmus wird also ein dichterisches
Ganzes, nach der Ankündigung seiner äußern
Glieder, abgetheilt, und in dieser Abtheilung das
Verhältniß der Hebung und Senkung der einzelnen
Glieder festgehalten; denn Hebung oder
Senkung, Steigen oder Fallen in abwechselnden
Verhältnissen, ist der allgemeinste Charakter
des Sylbenmaases. So einfach dieser Grundsatz
an sich ist; so viele Mannigfaltigkeit und Abwechselung
erhält er doch in der Anwendung auf die
Darstellung der Versfüße. Jede Zusammensetzung
mehrerer Sylben muß sich nämlich entweder mehr
zum Falle, oder mehr zum Sprunge neigen. Zum
Falle neigt sie sich, wenn das Lange vorangeht
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und das Kurze nachtönt (Trochäus); zum Sprunge,
wenn das Kurze vorangeht und das Lange nachtönt
(Jambus). Selbst zwei lange Sylben neigen
sich, wegen ihrer Langsamkeit, mehr zum Falle,
als zum Sprunge (Spondeus); zwei kurze Sylben
hingegen neigen sich, ihrer Schnelligkeit wegen,
mehr zum Sprunge, als zum Falle (Pyrrhichius),
ob sie gleich in Hinsicht ihrer Dauer völlig
gleich sind.
Der Reim, als geschichtliche Erscheinung, ist
ein ausschließendes Eigenthum der jüngern abendländischen
Sprachen, die sämmtlich accentuirte Sprachen
sind. Diese Sprachen bedurften eines Ersatzes
für den ihnen ursprünglich fehlenden quantitativen
Rhythmus, und dieser Ersatz liegt in dem
Reime. Da aber der Accent die Bedeutung der
Begriffe und Jdeen bezeichnet; so würde man bei
der Begriffsbestimmung des Reimes nicht ausreichen,
wenn man ihn blos in dem Gleichklange
zweier Sylben am Ende zweier Verse suchen wollte.
Mit diesem Formellen des Reims muß vielmehr
etwas Materielles, das von den dichterisch dargestellten
Vorstellungen abhängt, die in dem Gleichklange
des Reims verbunden werden, vereiniget seyn;
neben seiner äußern Natur muß ihm auch noch
eine innere zukommen. Das Wesen des Reimes
besteht daher darin: eine Reihe von Vorstellungen
so zu ordnen, daß, mit Festhaltung gewisser
Ruhepuncte, bestimmte Sylbenreihen mit solchen
Vorstellungen schließen, die im wörtlichen Ausdrucke
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eine sinnlich=gleiche Gestalt annehmen (d. h. im
Gleichklange stehen) können. Der Reim ist also
nichts anders, als das Versinnlichen zweier verschiedenen
Vorstellungen in zwei gleichklingenden Wörtern,
und reimen heißt demnach: zu zwei verschiedenen
Vorstellungen zwei gleichklingende Wörter auffinden,
oder das in der Vorstellung Verschiedene
unter gleichen Klang in sinnliche Einheit bringen.
Soll der Reim ästhetisch wirken; so muß auf
diesem Gleichklange der Wörter, welche verschiedene
Vorstellungen zu einer sinnlichen Einheit verbinden,
die äußere und zufällige (erfahrungsmäßige) Schönheit
der Form beruhen, welche eben so, durch den
Wohlklang der zusammengestellten articulirten Töne,
ein reines Wohlgefallen bewirkt, wie die unter der
Hülle der äußern Laute versinnlichten und idealisirten
Gefühle. Denn nur auf diese Weise kann der
innere und äußere Charakter eines dichterischen
Erzeugnisses als Einheit zusammentreffen, und das
Wohlgefallen an der dichterischen Form durch die
Wahrnehmung gleichmäßiger Haltung und Durchführung
beider Theile bewirkt werden.
Die teutsche Sprache kannte zwar, nach ihrem
ursprünglichen Charakter als accentuirte Sprache,
blos den Reim als äußere Form ihrer dichterischen
Erzeugnisse; allein bei der hohen Bildsamkeit derselben
war es möglich, auch die griechischen Sylbenmaase
in die Mitte derselben zu verpflanzen.
Die ersten Versuche deshalb geschahen bereits im
siebenzehnten Jahrhunderte; doch war es zunächst
Klopstock, welcher, mit tiefer Erforschung der
Technik der griechischen und der teutschen Sprache,
die gelungene Anwendung derselben im Großen durchführte.
Er fand viele Nachahmer, von welchen
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manche, aus Reiz der Neuheit und aus Vorliebe
für die fremdher entlehnten Sylbenmaase, den Reim
völlig aus der teutschen Dichtkunst verdrängen wollten,
den doch Klopstock selbst im religiösen Liede
beibehalten hatte. So wenig diese Absicht gelang;
so führte doch der freiere Anbau der neuen Sylbenmaase
zu einer bis dahin nicht geahneten Erweiterung
der teutschen Prosodie. Unverkennbar hat die
teutsche Dichtkunst selbst, so wie die Prosodie, dadurch
an Maunigfaltigkeit, Abwechselung und Reichthum
bedeutend gewonnen; auch ist aus dem fortgesetzten
höhern Anbaue beider, des der teutschen
Sprache ursprünglich einheimischen Reims und der
entlehnten und eingebürgerten fremden Sylbenmaase,
so wie aus dem frühern Kampfe beider mit einander,
das allgemeine Ergebniß hervorgegangen: daß beide
neben einander bestehen können und bestehen werden;
daß durch die Anwendung beider der Reichthum der
äußern Sprachformen vermehrt und eine größere
Mannigfaltigkeit dieser Formen bewirkt worden ist;
daß aber für gewisse Formen der dichterischen Darstellung
mehr der Reim, und für andere wieder mehr
die entlehnten Sylbenmaase sich eignen. Denn so
gewiß das religiöse Lied, das Volkslied, die Cantate,
die Romanze, und mehrere andere dichterische
Erzeugnisse, des Reims nicht entbehren können; so
gewiß hat doch z. B. die Elegie, so wie die epische
und die dramatische Dichtkunst durch die Anwendung
der fremden Sylbenmaase gewonnen. Bei einer
unpartheiischen Würdigung des Charakters und der
Fortschritte der teutschen Dichtkunst seit den letzten
siebenzig Jahren wird man daher gewiß die Ueberzeugung
erlangen, daß weder dem Reime ein Vorzug
vor den fremden Sylbenmaasen, noch den letzten ein
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Vorzug vor dem Reime beigelegt werden darf, weil
überhaupt beide nur die äußere und zufällige Schönheit
der Form, nicht aber das wahre Wesen der Dichtkunst
selbst bezeichnen, und der ästhetische Gehalt der
äußern und zufälligen Schönheit der Form zunächst
von dem innern Geiste des Gedichts, und von dem
Verhältnisse des innern dichterischen Lebens zu der
äußern technischen Form abhängt, unter welcher
dasselbe erscheint.
Wenn der Stoff jeder dichterischen Darstellung
aus den individuellen Gefühlen des Dichters stammt;
so müssen gleichartige und verwandte Gefühle, die in
dem Gemüthe des Dichters auf das genaueste verbunden
sind, auch in der dichterischen Darstellung
einander ähnlich und verwandt seyn. Darauf beruht
der Grundsatz für die Eintheilung der verschiedenen
Dichtungsarten.
Unter einer Dichtungsart verstehen wir nämlich
eine Klasse von Werken der Dichtkunst, deren
gemeinsamer Charakter aus einer verwandten individuellen
Stimmung im Gefühlsvermögen des Dichters
hervorgehet. Alle in den besondern Gattungen
zusammengestellte einzelne dichterische Formen (z. B.
in der lyrischen Gattung das Lied, die Elegie, die
Ode u. s. w.) müssen daher auf eine ähnliche Bewegung
und Rührung des Gefühlsvermögens, und auf
die Fähigkeit des Dichters sich zurückführen lassen,
sein individuelles Gefühl durch die schöpferische Thätigkeit
der Einbildungskraft zur Einheit der Form
zu erheben. Nach dieser Ansicht muß es so viele
verschiedene Klassen von Dichtungsarten geben, als
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es verschiedene Grundtöne des Gefühls für die ästhetische
Darstellung giebt.
1) Diejenigen dichterischen Formen, in welchen
das im Gemüthe des Dichters aufgeregte Gefühl
der Freude und des Entzückens, oder der
Wehmuth und Traurigkeit, als solches, in der
idealisirten Darstellung zur Einheit der Form
erhoben wird, so daß die Darstellung den unmittelbaren
Ton und Ausdruck des
Gefühls wiedergiebt, bilden den Umfang der
lyrischen Dichtkunst.
2) Der Charakter der didactischen Dichtkunst
hingegen beruht darauf, daß die ästhetische Form
gewisse allgemeine Begriffe und Jdeen
der Vernunft versinnlicht, die, durch ihre
Verbindung und Vergesellschaftung mit bestimmten
Gefühlen, eine höhere Bewegung des Gefühlsvermögens
und ein freies Spiel der Einbildungskraft
hervorbringen, so wie sie vermittelst
der dichterischen Form als ästhetische Einheit
erscheinen.
3) Die dichterische Darstellung kann ferner einzelne
Handlungen, Thatsachen und Jndividuen,
so wie den Zusammenhang der
menschlichen Handlungen innerhalb des
bestimmt abgeschlossenen Kreises der menschlichen
Freiheit versinnlichen, diese freie Wirksamkeit
der handelnden Wesen idealisiren, und
die hohe Bewegung des Gefühls, hervorgebracht
durch die Vergegenwärtigung der Wirkungen
der menschlichen Freiheit, vermittelst
einer vollendeten ästhetischen Form bezeichnen.
Dies ist der Charakter der epischen Dichtkunst.
4) Der Charakter der dramatischen Dichtkunst
besteht darin, daß der Zusammenhang der freien
menschlichen Thätigkeit, vermittelst der ästhetischen
Form, durch die dargestellten handelnden
Personen selbst (ohne Wahrnehmung
der Jndividualität des Dichters) vor
unsrer Anschauung erscheint. Doch ist es
Grundbedingung bei allen Formen der dramatischen
Dichtkunst, daß das Wesen jedes einzelnen
dramatischen Kunstwerkes nur durch
die künstlerische Darstellung desselben
auf der Bühne erschöpft und vollendet werde.
5) Endlich giebt es gewisse dichterische Kunstwerke,
deren Charakter zwar bald der einen,
bald der andern der vier aufgestellten Hauptklassen
dichterischer Formen sich nähert, bald
aber auch aus dem Verschmelzen der Eigenthümlichkeit
mehrerer Klassen hervorgehet. Wenn
denn nun auch in dem ersten Falle das einzelne
Gedicht bisweilen unter eine der vier
aufgestellten Klassen gebracht werden könnte;
so wäre dies in dem zweiten Falle ohne Zwang
nicht möglich, und bald würde die einzelne
poetische Epistel, die einzelne Jdylle u. s. w.
zur lyrischen, bald zur epischen Dichtungsart
gehören. Es ist daher zweckmäßiger, weil die
schöpferische Thätigkeit der Einbildungskraft
nicht nach den in der Theorie aufgestellten Klassen
von Dichtungsarten sich richtet, diese Dichtungsarten
vielmehr nach der Wirksamkeit der
Einbildungskraft aufgestellt und geordnet werden
müssen, jene gemischten Formen der Dichtkunst
in einer besondern Ergänzungsklasse
aufzuführen.
So wie in der Sprache der Prosa und Beredsamkeit
jedes einzelne stylistische Erzeugniß, das
auf den Charakter der Classicität Anspruch macht,
einer der drei Schreibarten ─ entweder der niedern,
oder der mittlern, oder der höhern ─
(Th. 1. S. 474 ff.) bestimmt angehören muß; so
auch in der Sprache der Dichtkunst. Jedes einzelne
Gedicht, es sey Lied oder Elegie, es sey Ode
oder Hymne, es sey Fabel oder Epos, es sey
Jdylle oder Epigramm, muß entweder in der niedern,
oder in der mittlern, oder in der höhern
Schreibart gehalten seyn, über welche Wahl der
Schreibart zunächst, als innere Ursache, die Jndividualität
des Schriftstellers, nicht selten aber
auch, als äußere Ursache, bald der Charakter des
darzustellenden Stoffes, bald der Zweck entscheidet,
für welchen die stylistische Darstellung berechnet
ist. Denn so wie Gellerts Jndividualität, in
allen seinen dichterischen Erzeugnissen, ihn zunächst
zur Anwendung der niedern und bisweilen der mittlern
Schreibart führte, die höhere aber ganz ausschloß;
so eignete sich wieder die Jndividualität von
Joh. Andr. Cramer, von Klopstock, von Leopold
Graf zu Stolberg, von Kosegarten, mehr
zur mittlern und selbst zur höhern Schreibart, als
zur niedern. Dazu kommt, daß selbst die äußern
Ursachen bei der Wahl einer der drei Schreibarten
in den meisten Fällen durch die innere Ursache, d.
h. durch die Jndividualität des Dichters bedingt
sind, weil die dichterische Jndividualität, ─ nach
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den in dieser Einleitung aufgestellten Grundsätzen,
─ auf der unerklärbaren innern Wechselwirkung
des Gefühlsvermögens und der selbstthätigen Einbildungskraft
beruht, so daß, wenn dem Dichter, durch
diese innern Ursachen, der Stoff zu einer Messiade
zugeführt wird, er von selbst für diese die
mittlere Schreibart wählt. Dagegen wird er,
wenn er ein religiöses, oder ein weltliches Volkslied
beabsichtigt, in den meisten Fällen die niedere,
und nur bisweilen die mittlere Schreibart
für seine Darstellung, in der Hymne aber nie die
niedere, sondern die mittlere, ja selbst die höhere
Schreibart wählen.
Es ist übrigens von Wichtigkeit sowohl für die
Theorie und Praxis der Dichtkunst, als auch für
die Kritik der vorhandenen dichterischen Erzeugnisse,
den in jedem vorhandenen dichterischen Erzeugnisse
vorherrschenden Charakter der einen oder der andern
Schreibart auszumitteln, weil nicht blos das Urtheil
über die zweckmäßige Auswahl der Schreibart
für den dargestellten Stoff, sondern auch das Urtheil
über die Festhaltung und Durchführung der
gewählten Schreibart zur Einheit und Classicität
der stylistischen Form, davon abhängt.
Was endlich die sogenannte Manier des Dichters
betrifft; so wird darunter, im guten Sinne,
die erkennbare Jndividualität desselben an allen seinen
stylistischen Erzeugnissen (selbst den anonymen)
verstanden, inwiefern sie in gewissen, eben nur diesem
Schriftsteller eigenthümlichen, Gefühlen, Jdeen,
Bildern, Wendungen, Zusammenstellungen und einzelnen
Ausdrücken, in der ganzen Anlage, dem Baue
und der Vollendung der stylistischen Form besteht.
Jn dieser Beziehung lassen sich die einzelnen Erzeugnisse
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von Luther, Klopstock, Göthe, Schiller,
Kosegarten, Matthisson u. a. sogleich
erkennen und von jedem andern Schriftsteller unterscheiden.
Allein fehlerhaft wird die Manier,
wenn sie nicht aus der Jndividualität des Schriftstellers
selbst hervorgeht, sondern auf der bloßen
Nachahmung eines originellen Dichters beruht. Deshalb
sind denn auch die Nachäffungen der eigenthümlichen
Manier von Göthe, Schiller, Matthisson
und andern so widerlich, während wir dem
selbstständigen Dichter gern die Wiederkehr von Formen
verzeihen, die er einmal aus seiner Eigenthümlichkeit
ausgeprägt und den meisten seiner Werke
ertheilt hat.
Der Charakter der lyrischen Dichtkunst besteht
nicht, wie einige Theoretiker wollen, in der
Erregung, sondern in der idealisirten Darstellung
(Objectivisirung) bestimmter individueller Gefühle
unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form.
Bei allen einzelnen Erzeugnissen der lyrischen Dichtkunst
beruht daher der dargestellte Stoff auf den
subjectiven Gefühlen des Dichters, welche durch
seine selbstthätige Einbildungskraft unter einer idealischen
Umgebung aufgefaßt, und nach dieser idealischen
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Haltung vermittelst einer stylistischen Form
dargestellt werden, die dem Gesetze der Form
vollkommen entspricht, und, als vollendete Einheit,
Richtigkeit und Schönheit der Form unausflöslich
verbindet.
Ob nun gleich die von dem lyrischen Dichter
als Stoff dargestellten Gefühle ihm ganz individuell
angehören, so daß sie, nach dieser Gestaltung
und Ankündigung, in keinem andern menschlichen
Gemüthe entstehen konnten; so erscheinen sie
doch, unter der Einheit der dichterischen Form, nach
ihrem Zusammenhange mit den höchsten Jdealen der
Menschheit, als so geläuterte und rein menschliche
Gefühle, daß jedes gebildete Wesen unsrer Gattung
in denselben, als in seinen eigenen, sich wieder erkennt.
Je verschiedener aber die menschlichen Gefühle
theils an sich nach ihrer Quelle als sinnliche, intellectuelle,
ästhetische und sittliche Gefühle, theils
nach dem Grade ihrer individuellen Stärke seyn
können; desto verschiedener ist auch der Charakter
der einzelnen lyrischen Gedichte, so wie die Stärke
des Tones und der ästhetischen Farbengebung in
denselben. Denn anders äußert sich das sinnliche
Gefühl bei dem Genusse der Liebe und des Weins,
als das intellectuelle Gefühl bei der Wahrnehmung
der Unermeßlichkeit des Weltalls, und das sittliche
Gefühl bei der Vergegenwärtigung unsrer individuellen
Fehler und Verirrungen, oder bei der dichterischen
Darstellung des Glaubens an Gott und
Unsterblichkeit. Wenn daher auch der gemeinsame
Charakter aller lyrischen Gedichte darauf beruht,
daß sie unmittelbare Gefühle unter einer idealischen
Darstellung in einer vollendeten stylistischen Form
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schildern; so muß doch, bei der nähern Beurtheilung
der einzelnen Erzeugnisse der lyrischen Dichtkunst,
zunächst dasjenige Gefühl aufgesucht werden,
welches als Stoff dem Gedichte zum Grunde liegt,
und sodann der im Gedichte enthaltene Ton dieses
Gefühls, der, innerhalb der Form, bald als Ton
der Freude, gesteigert bis zur höchsten Stufe derselben,
bis zum Ausdrucke des Entzückens, ─ bald als
Ton der Trauer, bis zur höchsten Steigerung derselben
in der tiefsten Wehmuth, nach sehr verschiedenen
Graden der Stärke und der Fülle des Gefühls
schattirt, erscheinen kann. Jene Verschiedenheit
in dem ursprünglichen Charakter der zum Bewußtseyn
des Dichters gelangten individuellen Gefühle,
und diese Schattirungen in dem Tone der
dargestellten Gefühle, entscheiden über die Verschiedenheit
des Charakters und des Tones in den einzelnen
Untergattungen der lyrischen Form der
Dichtkunst.
Diese Untergattungen sind:
Der Charakter des Liedes beruht auf der Darstellung
nur Eines, aber eines bestimmten Gefühls,
welches zum deutlichen Bewußtseyn gelangt, unter
der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form. Jm
Tone des Liedes steht das zum Bewußtseyn gelangte
und durch Sprache dargestellte Gefühl mit sich selbst
im Ebenmaase. Dadurch unterscheidet sich das Lied
von den übrigen einzelnen Formen der lyrischen
Dichtkunst, namentlich von der Ode, der Hymne
und der Dichyrambe, welche, im höhern Schwunge
der dichterischen Begeisterung, das im Gefühle sich
ankündigende Unendliche, bei gleichstarker Vergegenwärtigung
der Schranken der Endlichkeit, darstellen.
An sich ist der Ton des Liedes ein Ton reiner
Freude, Beruhigung und Hoffnung. Dieser Ton
wird angeregt durch die Richtung des Gefühls auf
ein Gut, nach welchem das Gemüth sich sehnt, oder
dessen Besitz und Genuß das Gefühl ergreift und
erhebt, oder das im Allgemeinen dem Gefühle und
der Einbildungskraft lebhaft vorschwebt. Denn dadurch
unterscheidet sich das Lied von der Elegie und
der Heroide, daß der in demselben herrschende Ton
der Freude durch keine Beimischung eines Gefühls
der Wehmuth verdunkelt wird.
Das Lied wird eingetheilt in das religiöse
(geistliche) und weltliche Lied.
Das religiöse Lied enthält den Ausdruck und
die Darstellung der erhabenen Rührung, die den
Menschen bei der im Gefühle wahrgenommenen Allvollkommenheit
Gottes, seiner Allheiligkeit und Allseligkeit,
und bei der Vergegenwärtigung seiner Verhältnisse
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zu uns und unserer Verhältnisse zu ihm ergreift,
die für uns die wohlthuendsten und beseligendsten
sind, und die unser ganzes gegenwärtiges und künftiges
Daseyn umschließen. Das religiöse Lied erscheint,
je nachdem ein bestimmtes Gefühl sich in uns ausgebildet
hat, bald als Ausdruck des Dankes gegen
Gott, bald als Ton der Bewunderung desselben, der
Demuth und der Pflichten gegen ihn, der Hoffnung
auf ihn, und der Vergegenwärtigung unsers Abstandes
zu ihm. Zugleich liegt der ganze Kreis der
Lehren der positiven Religion im Umfange des
religiösen Liedes. ─ Doch muß genau zwischen dem
religiösen Liede und der religiösen (geistlichen)
Dichtkunst überhaupt unterschieden werden. Denn
die letzte beschränkt sich nicht blos auf das geistliche
Lied, wenn gleich von jeher innerhalb des Gebiets
der geistlichen Dichtungen der Anbau des religiösen
Liedes am reichsten, vielseitigsten und mannigfaltigsten
gewesen ist. Zur sogenannten geistlichen Dichtkunst
gehören aber, außer dem Liede, auch die religiöse
Ode und Hymne, und die religiöse Elegie.
Denn viele religiöse Gedichte von J. Andr.
Cramer, Klopstock, Balth. Münter und andern
unterscheiden sich von dem Tone und der Farbengebung
des Liedes so, daß sie, der Form nach,
als religiöse Hymnen aufgestellt werden müssen;
auf gleiche Weise gehören alle, zur ästhetischen Einheit
erhobene, Bußlieder in den Kreis der religiösen
Elegie. Besonders sind viele Gedichte, bestimmt
für die Feier der christlichen Feste, nicht blos religiöse
Lieder, sondern Hymnen im eigentlichen Sinne,
worin die Erscheinung des Erlösers in der Welt,
sein irdisches Werk, seine Auferstehung und seine
Himmelfahrt verherrlicht wird; so wie viele sogenannte
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Passionslieder, sobald ihre ästhetische Form
classisch ausgeprägt ist, zu den gelungensten Elegieen
gehören.
Jm Gegensatze des religiösen Liedes, enthält
das weltliche Lied die Darstellung eines bestimmten
individuellen Gefühls, das durch die Zustände
und Vorgänge des wirklichen Lebens angeregt wird,
unter der vollendeten Einheit einer ästhetischen Form.
Das weltliche Lied schildert als Lied der Liebe
die Jnnigkeit, Stärke und Glut des Gefühls, das
durch ein geliebtes weibliches Wesen bewirkt wird.
Als Trinklied stellt es die Freuden sinnlich vollkommen
dar, die der Wein gewährt. Als Gelegenheitsgedicht
bezieht es sich auf eine denkwürdige
Begebenheit des häuslichen oder öffentlichen
Lebens, welche das Gefühlsvermögen anspricht und
bewegt. Zu diesen Gelegenheitsgedichten gehören die
Geburts=, Hochzeits=, Neujahrs- und Trauergedichte
u. a., die nur deshalb so selten gelingen, und unter
einer vollendeten Form erscheinen, weil nur selten
das Ereigniß, das sie feiern sollen, ein wahres
und inniges Gefühl in dem Gemüthe des Dichters
aufregt. Denn wo diese Bewegung des Gefühlsvermögens
fehlt; da wird auch das Gelegenheitsgedicht
gerade des Dichterischen ermangeln, das
nur aus dem Gefühlsvermögen stammen und dann
unter der, von der Einbildungskraft geschaffenen,
idealisirten Form erscheinen kann. ─ Es können
aber auch Naturgegenstände und andere Vorgänge
des Lebens, sobald sie den Zustand eines bestimmten
Gefühls in dem Dichter zum Bewußtseyn erheben,
den Stoff zum weltlichen Liede enthalten. ─
Volkslied nennt man das weltliche Lied dann,
wenn die Darstellung desselben, durch das allgemeine
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Jnteresse seines Stoffes, so wie durch die höchste
Einfachheit des Ausdruckes, unbeschadet der classischen
Vollendung der Form, für alle Stände und
Klassen des Volkes verständlich, genießbar und anziehend
wird.
1) von Luther († 1546).
[Nach der Originalausgabe.]
2) von Martin Opitz († 1639).
Morgenlied.
3) von dem Jesuiten Friedrich Spee († 1635).
Lob Gottes
aus Beschreibung der fröhlichen Sommerzeit.
(aus seiner Trutznachtigall ─ abgekürzt.)
4) von Simon Dach
(† 1659 als Prof. in Königsberg).
Begräbnißlied.
5) von v. Cronegk († 1758).
Der auferstandene Heiland.
6) von der Professorin Gottsched (geb. Kulmus),
(† 1762) ─ abgekürzt ─
Die Ewigkeit.
7) von Joh. Andr. Cramer († 1788).
Der erste Psalm.
8) von Sturm († 1786).
Bruchstück aus einem Weihnachtsliede.
9) vom Grafen Friedr. Leop. zu Stolberg
(† 1819).
Danklied (abgekürzt).
10) von v. Matthisson.
Heiliges Lied.
11) von Mahlmann.
Lied des Trostes.
12) von Tiedge.
Vertrauen auf Gott. (abgekürzt)
1) Minnelied vom Kaiser Heinrich 6
(† 1197),
aus der Manessischen Sammlung, mit Nassers
Verteutschung *
Verteutschung.
2) Bruchstück eines Minneliedes,
vom Markgrafen von Brandenburg Otto mit
dem Pfeile († 1308); aus der Manessischen
Sammlung.
3) von Joh. Valentin Andreä († 1654).
Die verborgene Liebe.
4) von Andreas Tscherning († 1659).
Auf einen Ausbund eines lustigen und
possirlichen Hündleins. (abgekürzt)
5) von v. Canitz († 1699).
Lob des Tabaks. (abgekürzt)
6) von Joh. Chstn. Günther († 1723).
Die Rosen. (abgekürzt)
7) von Gotthold Ephraim Lessing († 1781).
Für wen ich singe.
8) von Gleim († 1803).
Straflied.
9) von Weiße († 1804).
Schuhflickerlied.
10) von v. Halem († 1819).
Trinklied.
11) von v. Salis.
Das Grab.
12) von Voß.
Gesang der Teutschen.
Chor.
13) von Ludw. Tieck.
An einen Liebenden im Frühlinge.
14) von Fr. Adolph Kuhn.
Rundgesang.
15) von v. Houwald.
Trinklied bei dem akademischen Erinnerungsfeste
der Niederlausitzer.
16) vom Grafen v. Löben (Jsidorus
Orientalis) († 1825).
Gelegenheitsgedicht*; zur Feier des Tages (6 März
1806), an welchem Professor Schröckh seine
akademische Laufbahn vor 50 Jahren antrat.
So wie beim Liede, so ist auch bei der Ode
ein aufgeregtes und zum deutlichen Bewußtseyn erhobenes
individuelles Gefühl der Stoff des Gedichts.
Allein die Bewegung und Erschütterung des Gefühlsvermögens
durch dieses zum Bewußtseyn gebrachte
Gefühl ist schon an sich, wegen der Stärke und
Erhabenheit des der Ode zum Grunde liegenden
Gefühls, mächtiger, als beim Liede, weshalb auch
die idealische Form, unter welcher die Einbildungskraft
diesen Stoff als vollendete Einheit darstellt,
einen höhern dichterischen Charakter ankündigt, als
das Lied. Dazu kommt, daß, zugleich mit dem
Bewußtwerden dieses idealischen, im Gefühle
sich ankündigenden Gegenstandes, der unermeßliche
Abstand des Endlichen von demselben im
Gefühlsvermögen wahrgenommen wird und mit derselben
Stärke zum Bewußtseyn gelangt, so daß
zwei einander entgegengesetzte Gegenstände, das Unendliche
und das Endliche, unter irgend einem bestimmten
Stoffe gedacht, im Gefühlsvermögen die
zwei einander entgegengesetzten Gefühle der Lust
im Namen der Universität, wobei der Kaiser sich erinnerte,
daß er in seiner Jugend nach Schröckhs geschichtlichen
Lehrbüchern unterrichtet worden wäre.
und der Unlust bewirken, die beide die Einbildungskraft
des Dichters so mächtig ergreifen, daß
sie beide, nach ihrem im Gefühle wahrgenommenen
Gegensatze, in den Ton und die Farbengebung des
Gedichts übergehen. Denn je stärker der Dichter
von dem im Gefühle geahneten Unendlichen ergriffen
und zur höchsten Versinnlichung dieses in der Wirklichkeit
Unerreichbaren innerhalb der idealischen Form
des Gedichts fortgerissen wird; desto mächtiger kündigt
sich, in derselben Form der Darstellung, zugleich
auch der im Bewußtseyn wahrgenommene
Abstand des Endlichen vom Unendlichen und die gefühlte
Unmöglichkeit an, den idealisch gedachten Gegenstand
in der äußern freien Thätigkeit zu verwirklichen.
Das im Jdeale wahrgenommene Unendliche
kann aber nur mit einem Gefühle der Lust
vergesellschaftet seyn, so wie die im Bewußtseyn sich
ankündigenden Schranken der Endlichkeit von einem
Gefühle der Unlust begleitet sind. Die hohe Begeisterung
nun, wo der Dichter seine endliche
Kraft an die Unendlichkeit des ihm im Jdeale vorschwebenden
Gegenstandes hält, und, von dessen Erhabenheit
durchdrungen, das Unvermögen der endlichen
Kraft fühlt, jenen idealisirten Gegenstand zu
erreichen oder zu verwirklichen, denselben aber im
höchsten Schwunge der Begeisterung durch Sprache
darzustellen und zu versinnlichen sucht, bewirkt die
Entstehung der Ode. Sie ist daher der Ausdruck
der höchsten dichterischen Bewegung eines endlichen
Geistes, und Hymne, Dithyrambe, so wie in einzelnen
Schilderungen die epische und didactische
Dichtkunst, können nur insofern der Ode sich nähern,
inwiefern sie gleichfalls den Abstand des Endlichen
vom Unendlichen versinnlichen.
Die Ode unterscheidet sich also, nach dieser
Ansicht, dadurch wesentlich von dem Stoffe und
dem Tone des Liedes, daß ihr ein gemischtes Gefühl
der Lust und der Unlust zum Grunde liegt;
das Gefühl der Lust, aufgeregt durch die Unendlichkeit
des Gegenstandes und durch das Wohlgefallen
an dem Schwunge der Einbildungskraft und des
Gefühls, das Jdeal in der dichterischen Darstellung
zu verwirklichen; das Gefühl der Unlust,
veranlaßt durch die Unmöglichkeit, das Jdeal in
der Wirklichkeit zu erstreben; doch so, daß bei
dem Uebergewichte des Unendlichen über das Endliche
im Gefühle, und bei der Wahrnehmung der
vollendeten Versinnlichung des Jdealischen vermittelst
der Darstellung, das Gefühl der Lust zuletzt das
Gefühl der Unlust überwiegt, weil, durch den aufgeregten
Schwung des Gefühlsvermögens und der
Einbildungskraft der Gegensatz des Endlichen zu
dem Unendlichen geschwächt und gleichsam verdunkelt,
und das Bewußtseyn ausgefüllt wird von dem
Entzücken über die Verwirklichung des Jdeals in
der dichterischen Darstellung. Ueber der ästhetischen
Haltung und Durchführung der Ode vergißt der
menschliche Geist die Endlichkeit und Beschränktheit
seines Willens in der Erstrebung eines unendlichen
Ziels, weil das Gefühlsvermögen und die Einbildungskraft
von der Unendlichkeit des idealischen Gegenstandes
ergriffen werden. Dieses Gefühl des
Unendlichen, und dieser Wiederschein des Jdealischen
ist es daher, was als Sieg des Gefühls der Lust
über das Gefühl der Unlust in jeder vollendeten
Ode, die dieses Namens würdig ist, sich ankündigt.
Weil aber in dem großen Augenblicke der wahren
dichterischen Begeisterung der idealische Gegenstand,
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der dem Dichter vorschwebt, weder logisch zergliedert,
noch metaphysisch durchgeführt, sondern nur unter
starken, ergreifenden Zügen geschildert, und das
dem innern Sinne vorschwebende Bild in eine äußere
Darstellung ─ in das dichterische Ganze einer Ode
─ verwandelt werden kann; so geht, schon aus
dieser ästhetischen Bestimmung der Ode, ihre wesentliche
Verschiedenheit von der philosophischen Behandlung
desselben Gegenstandes hervor, der in der Metaphysik
der Vernunft, in der Dichtkunst aber dem
Gefühlsvermögen und der Einbildungskraft dargeboten
wird.
Da der Charakter der Ode aus der innern
hohen Bewegung des Gefühlsvermögens und aus
der Versinnlichung des Gegensatzes des Endlichen
mit dem im Jdeale dargestellten Unendlichen entspringt;
so ist es vergeblich, eine nähere Classification
der vorhandenen Oden zu versuchen, und namentlich
sie, mit einigen Theoretikern, in philosophische
und heroische Oden einzutheilen, wenn
gleich damit keineswegs abgeläugnet wird, daß eben
so die höchsten Jdeen der übersinnlichen Welt ─
Freiheit, Tugend, Unsterblichkeit, Gottheit, ─ wie
die idealisirte Tapferkeit und die dem edlern Menschen
möglichen Opfer der Entsagung und Aufopferung,
als angemessene Gegenstände von dem Odendichter
behandelt und unter einer vollendeten ästhetischen
Einheit dargestellt werden können.
Viele der in der Philosophie der Sprache aufgestellten
untergeordneten Eigenschaften der Schönheit
der Form (Th. 1. S. 280): die freieste Versinnlichung
des Stoffes, die Mannigfaltigkeit, die
ästhetische Einheit, die Schattirung, die Vertheilung
von Licht und Schatten, das Neue, die Kraft, das
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Kühne, das Edle, Würdevolle und Große, besonders
aber das Erhabene und Feierliche, gehören unmittelbar
in den Umkreis der Ode, wenn sie eine
hohe Wirkung auf Gefühlsvermögen und Einbildungskraft
hervorbringen soll; doch wird das Unerwartete,
das Pathetische, das Feierliche, selbst das
Wunderbare nicht ganz von ihr ausgeschlossen.
Wenn übrigens die Ode, in Hinsicht der übrigen
Formen der lyrischen Dichtkunst, von dem Liede
durch Stoff und Stärke des Tones, und besonders
durch das in ihr ausgedrückte gemischte Gefühl
der Lust und Unlust sich unterscheidet; so hat sie
zwar mit der Elegie diese Darstellung der gemischten
Gefühle gemein, erhebt sich aber durch die höhere
Stärke und Kraft des Ausdruckes über dieselbe.
Von der Hymne, mit der sie am nächsten verwandt
und die, streng genommen, nur eine Untergattung
der Ode ist, unterscheidet sie sich dadurch, daß die
Ode jeden als unendlich gedachten Gegenstand versinnlichen
kann, der Gegenstand der Hymne aber
ein als göttlich dargestelltes Wesen ist. Denn wenn
einige Theoretiker der Hymne, im Gegensatze der Ode,
einen stärkern lyrischen Ausdruck beilegen wollen;
so widerstreitet die Praxis dieser Lehre, weil es
Oden giebt, welche viele Hymnen an Kraft des
dichterischen Tones übertreffen, während allerdings
auch Hymnen vorhanden sind, die im höhern lyrischen
Ergusse dahin rauschen, als mehrere Oden.
Nur selten wird, bei Ode, Hymne und Dithyrambe,
die Stärke und Fülle des dichterischen Tones
von dem gewählten Stoffe, in den meisten Fällen
von der Judividualität und dem innern Feuer des
Gefühlsvermögens und der Einbildungskraft des
Dichters abhängen.
Tragen wir dies über auf die teutsche Sprache;
so giebt es, den Ueberschriften nach, bereits Oden
unter den dichterischen Erzeugnissen mehrerer Dichter
des siebenzehnten Jahrhunderts; denn Opitz, Flemming,
Tscherning, Günther u. a. haben einzelne
Gedichte mit diesem Namen belegt. Allein
halten wir den innern ästhetischen Charakter dieser
ältern sogenannten Oden an den aufgestellten Maasstab;
so hat die teutsche Literatur vor Albrecht v.
Haller keinen eigentlichen Odendichter. Desto reicher
ist aber ihre Zahl seit J. Andr. Cramer,
Klopstock, v. Cronegk, v. Gerstenberg u. a.
diese dichterische Form anbauten. ─ Der wesentliche
Grund, daß bei den ältern teutschen Dichtern
keine Oden in dem Sinne der Classiker späterer Zeit
getroffen werden, liegt darin, daß keine Sprache
gediegene Oden- und Hymnen-Dichter aufstellen kann,
bevor nicht die Philosophie, und namentlich die
Metaphysik, bei dem Volke, das diese Sprache
spricht, bedeutende Fortschritte gemacht hat. Denn
erst wenn der philosophische Geist in das Gebiet der
übersinnlichen Welt einzudringen, und über die höchsten
Jdeen der Vernunft ─ über Daseyn überhaupt,
über Seele, Welt und Gott, und über alles,
was mit diesen Jdeen zusammenhängt ─ sich zu
verständigen gesucht hat, wie es bei den Teutschen
in der Zeit der weitern Verbreitung der Leibnitz-
Wolfischen Philosophie der Fall war; erst dann
kann auch von dieser höhern und lebendigern philosophischen
Forschung eine freiere Beziehung auf die
Behandlung idealischer Stoffe von den Dichtern
und auf die kräftigere Farbengebung derselben in
der Ode und Hymne übergehen. Daß dem so sey,
erhellt sogar geschichtlich daraus, daß nur diejenigen
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Völker, welche Philosophen im höhern Sinne des
Wortes hatten, wie Griechen, Teutsche und Britten,
reich im Anbaue des Gebietes der Ode sind,
während andere Völker, ohne eigentliche Metaphysiker
unter ihren Philosophen, mehr den Anbau der
leichtern und gefälligern dichterischen Formen, als
der Ode und der Hymne, in dem Umfange ihrer dichterischen
Literatur besitzen.
1) von Paul Flemming*
(† 1640).
2) von Klopstock († 1803).
Dem Erlöser.
2) von v. Gerstenberg († 1823).
Unsterblichkeit.
4) von v. Gerstenberg.
Schlachtgesang.
5) von Eulogius Schneider († 1793).
Ode auf Friedrichs (2) Tod.
6) vom Kanzler Niemeyer.
Der Sternenhimmel.
7) von Heydenreich († 1801)
Der erste Mai.
8) von v. Herder († 1803).
Die Tonkunst. (abgekürzt)
9) von v. Sonnenberg († 1806).
Die Phantasie. (abgekürzt)
10) von Starke (Hofpred. zu Ballenstedt).
Gefühl und Hoffnung der Menschheit.
(abgekürzt)
11) von Joh. Heinr. Voß.
Die erneuerte Menschheit.
12) von einem Ungenannten.
(aus dem Merkur, von Philippi redigirt, Jahrg.
1824. St. 131.)
Dem 31. October.
Keine andere Form der lyrischen Dichtkunst ist
der Ode so nahe verwandt, als die Hymne; denn
auch in ihr wird der Gegensatz des Unendlichen und
Endlichen durch die erhöhte Stärke der Einbildungskraft
lebhaft versinnlicht; auch in ihr wogen die
durch diesen Gegensatz aufgeregten Gefühle der Lust
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und Unlust mächtig gegen einander an; auch in ihr
erscheint der dargestellte Hauptgegenstand im hohen
Glanze des von dem Dichter gezeichneten Jdeals;
auch in ihr steht die Wirklichkeit tief unter der von
dem Dichter zur ästhetischen Einheit erhobenen idealischen
Welt; auch in ihr siegt zuletzt das Jdeal
über die Wirklichkeit, so wie das Gefühl der Lust
über das Gefühl der Unlust. Dies alles hat die
Hymne mit der Ode gemeinschaftlich; selbst nach der
Fülle und Stärke des Tones, und nach dem Reichthume
und der Mannigfaltigkeit der dichterischen Farbengebung,
kann, wie schon bei der Ode bemerkt
ward, zwischen Ode und Hymne kein wesentlicher
Unterschied aufgestellt werden, weil die Kraft der
dichterischen Darstellung und die Hochglut ihrer Farben
weniger von dem Hauptgegenstande des Gedichts,
als von der Jndividualität des Dichters,
und von seinem ganz subjectiven Ergriffenseyn von
dem darzustellenden Stoffe abhängt.
Behalten wir aber die gelungensten dichterischen
Erzeugnisse, welche zunächst als Hymnen bezeichnet
werden, im Auge; so wird die dichterische Eigenthümlichkeit
der Hymne, im Gegensatze der Ode,
zunächst dadurch bestimmt, daß theils zum Gegenstande
der Hymne nicht, wie bei der Ode,
jede metaphysische Jdee überhaupt sich eignet, sondern
entweder Gott selbst, oder ein allegorisches,
als Gottheit personificirtes Wesen (z. B.
die Sonne, die Tugend), wenigstens ein durch die
Darstellung aus der Reihe des Endlichen herausgehobenenes,
und nach seiner höhern, übersinnlichen Kraft
gefeiertes Wesen; ─ theils daß, nach dem in der
Hymne vorherrschenden dichterischen Grundtone,
weniger der Gegensatz des Unendlichen und Endlichen
|#f0122 : 110|
und der das Gefühl bestürmende und erschütternde
Abstand des letzten von dem ersten versinnlicht,
als vielmehr ein Gleichgewicht in der Schilderung
und Durchführung des vorherrschenden Gefühls
der Lust festgehalten, und das ─ durch die
Schranken der Endlichkeit zum Bewußtseyn gebrachte
─ Gefühl der Unlust minder stark gezeichnet wird,
als das Gefühl der Lust. Wenn daher auch, der
höhern dichterischen Schattirung wegen, das Gefühl
der Unlust, veranlaßt durch den Abstand der Wirklichkeit
von der Unermeßlichkeit des Jdeals, in der
Hymne nicht ganz fehlen darf; so wird es doch
nicht mit solcher Kraft emporgehoben und dem Gefühle
der Lust gegen über gestellt, wie das Gefühl
der Lust, so daß nicht nur in der ganzen dichterischen
Haltung der Ton der Lust vorherrscht, sondern auch
im Voraus der ästhetische Sieg des Gefühls der
Lust über das Gefühl der Unlust entschieden ist.
Was den Anbau der Hymne von den frühern
teutschen Dichtern betrifft, wohin namentlich
Opitz und Tscherning gehören; so gilt dasselbe
davon, was bei der Ode erinnert ward, daß die
von den ältern Dichtern gewählte Aufschrift
nicht über den innern Charakter ihres Gedichts entscheiden
konnte, und daß, erst nach den Fortschritten
der Philosophie im achtzehnten Jahrhunderte, der
dichterische Aufschwung in der Hymne, wie in der
Ode, möglich war.
1) von Tscherning († 1659).
|#f0123 : 111|Lob des Weingottes (Bruchstück). *
2) von Uz († 1796).
Gott der Weltenschöpfer. (abgekürzt)
3) von Gleim († 1803).
Die Sonne.
4) von Moritz Aug. v. Thümmel († 1817).
An die Sonne. (abgekürzt)
5) von Lavater († 1801).
Anbetung des Unendlichen. (abgekürzt)
6) von Fr. Leop. Graf zu Stolberg († 1819).
An die Erde. (abgekürzt)
7) von Kosegarten († 1818).
An die Natur.
8) von Seume († 1810).
Gebet. (abgekürzt)
Die Dithyrambe gehört zu der dichterischen
Form der Hymne, unterscheidet sich aber von derselben
durch zwei wesentliche Merkmale, theils in
Hinsicht des Gegenstandes, theils in Hinsicht des
lyrischen Tones und der ganzen Haltung und Durchführung
desselben. Denn wenn die Hymne die Gottheit
selbst, oder jeden als göttlich gedachten Gegenstand
feiert; so ist der Gegenstand der Dithyrambe
ausschließend der Wein und der Gott des Weines;
kein anderes, unter göttlichen Eigenschaften
dargestelltes, Wesen kann der Stoff der Dithyrambe
werden. Allein noch schärfer unterscheidet sich
die Dithyrambe von der Hymne durch den in ihr
|#f0143 : 131|
vorherrschenden eigenthümlichen Ton des Gefühls,
und oft selbst durch die regellose Form der Darstellung.
Denn es ist der Ton einer trunkenen,
oder nahe an die Trunkenheit hinstreifenden Begeisterung,
welcher in der Dithyrambe vorherrscht,
und als Folge einer vorhergegangenen sinnlichen Berauschung
durch den Genuß des Weines sich ankündigt,
woraus von selbst die kecke Auswahl üppiger
Bilder, der Gebrauch gewagter Gleichnisse, ungewöhnlicher
Ausdrücke, und das Vorhandenseyn kühner
Sprünge in Hinsicht der Folge und Verbindung
der aufgestellten Jdeen, Bilder und Gefühle sich
erklären läßt. ─ Obgleich Ursprung und Benennung
der Dithyrambe griechisch ist; so haben sich
doch keine Gesänge dieser Art aus dem Alterthume
erhalten, und nur die Nachrichten davon sagen aus,
daß die Dithyramben bestimmt waren zur Verherrlichung
des Bacchus an den ihm geheiligten Festen,
so wie sie an diesen Tagen während eines wilden
und regellosen Tanzes abgesungen wurden. ─ Bei
der Wiedererweckung der Dithyramben von den neuern
Dichtern mußte nothwendig der Anstrich der griechischen
Oertlichkeit und Eigenthümlichkeit wegfallen.
Willamov, Blum, Mahler Müller, Joh.
Heinr. Voß, Schiller, Kuhn u. a. haben unter
den Teutschen gelungene Dithyramben aufgestellt.
Sie haben gefühlt, daß die Betrunkenheit an sich
nie ästhetisch seyn, mithin auch nicht in einer schönen
Form dargestellt werden kann, daß aber wohl
der Uebergang von dem völlig nüchternen Bewußtseyn
zu dem Zustande des begeisternden Rausches
eine ästhetische Darstellung verstattet, wodurch Gefühl
und Einbildungskraft mächtig bewegt werden,
ohne doch dadurch im Leben selbst die Mittellinie
|#f0144 : 132|
des Schicklichen und in der dichterischen Schilderung
die ästhetische Einheit der Form zu verletzen.
Soll daher die Dithyrambe dem Gesetze der
Form entsprechen; so darf sie zwar die schulgerechte
Form eines bestimmten Sylbenmaases überschreiten,
und mit Willkühr, selbst ohne die innere nothwendige
Folge des dargestellten Gefühls, sich bewegen,
weil dieses Gefühl durch den Genuß des
Weins über die Ankündigung der Gefühle im nüchternen
Zustande hinaus gesteigert wird; nie darf sie
aber gegen die Richtigkeit und gegen die Schönheit
der Form überhaupt verstoßen, weil sie sonst auf
Gefühl und Einbildungskraft des wohlthuenden Eindrucks
nothwendig ermangelt.
1) von Willamov († 1777).
Bacchus und Ariadne. (abgekürzt)
2) von Blum († 1790).
3) von Fr. Adolph Kuhn.
Vor dem Rausche.
Die Rhapsodie, die als besondere Form der
Dichtkunst wenig angebaut worden ist, unterscheidet
sich von der Ode und der Hymne weder durch die
Verschiedenheit des dargestellten Gegenstandes, noch
durch die Verschiedenheit des in der Rhapsodie vorherrschenden
Tones des Gefühls; denn alle Gegenstände,
welche in der Ode und Hymne dargestellt
werden können, eignen sich auch als Stoffe für die
Rhapsodie, und dieselbe Stärke, Jnnigkeit und
Glut des Gefühls kann eben so in der Rhapsodie
geschildert werden, wie in der Ode und Hymne.
Allein dadurch unterscheidet sich die Rhapsodie wesentlich
von der Ode und Hymne, daß in derselben
entweder der dargestellte Gegenstand, wegen seiner
Unermeßichkeit und wegen der durch ihn hervorgebrachten
allzustarken Erschütterung des Gefühlsvermögens
und der Einbildungskraft, nicht gleichmäßig
und erschöpfend durchgeführt, sondern blos in
allgemeinen, unter sich nicht streng zusammenhängenden
Umrissen verzeichnet, oder, eben wegen der
aufgeregten Fülle des Gefühls und der Einbildungskraft,
kein bestimmtes Metrum in der dichterischen
|#f0152 : 140|
Form festgehalten wird. Jn dieser letzten Hinsicht
nähert sich die Rhapsodie der Dithyrambe, die ebenfalls
nicht selten in einem willkührlichen Sylbenmaase
sich bewegt; doch hat die teutsche Literatur
auch Rhapsodieen mit bestimmt festgehaltenen Sylbenmaasen.
1) von Ramler († 1798).
Allgemeines Gedicht
(von Ramler selbst in der Ueberschrift: Rhapsodie
genannt).
2) von Kosegarten († 1818).
An die untergehende Sonne.
Wenn die Elegie dadurch der Ode sich nähert,
daß in ihr, wie in der Ode, das gemischte Gefühl
der Lust und der Unlust, der Wonne und der Wehmuth,
sich ankündigt, bis zuletzt, im Augenblicke
der ästhetischen Vollendung des dichterischen Erzeugnisses,
das Gefühl der Lust über das Gefühl der
Unlust triumphirt; so unterscheidet sie sich doch wesentlich
von der Ode theils durch die Art und
Weise, wie sie den Gegenstand auffaßt und darstellt,
der das gemischte Gefühl der Wonne und Wehmuth
in dem Gemüthe des Dichters anregte, theils
durch die Milde des in der Elegie vorherrschenden
Tones der dargestellten Gefühle, so wie durch die
sanftere Farbengebung in Hinsicht der von dem Dichter
gezeichneten Bilder. Der ästhetische Charakter
der elegischen Begeisterung ist nämlich die süße Wehmuth,
welche aus der Verschmelzung der gleichmäßig
aufgeregten Gefühle von Lust und Unlust entsteht.
Jn diese wehmüthige Stimmung wird aber das Gemüth
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versetzt, wenn es mit ungetheiltem Jnteresse
ein Gut sich vergegenwärtigt, das es entweder nie
zu erreichen befürchtet, oder dessen Besitz und Genuß
es vergeblich erstrebte, oder bereits wieder verlor,
und wo dennoch, durch die von der Einbildungskraft
bewirkte idealische Versinnlichung dieses
Gegenstandes, das Entzücken bei der Betrachtung
desselben, oder die Sehnsucht nach demselben, oder
die Erinnerung an die ehemals im Besitze desselben
genossene Seligkeit, das Gefühl der Lust, freilich
bald stärker, bald schwächer, ein Uebergewicht über
das Gefühl der Unlust behauptet, wodurch die dichterische
Begeisterung vermittelt wird, in welcher die
Elegie entsteht. Die hohe dichterische Wirkung der
Elegie beruht daher auf dem Verschmelzen der Gefühle
der Wonne und der Wehmuth bis zum endlichen
Uebergewichte des Gefühls der Lust über die
Unlust, ein Uebergewicht, das entweder aus der
erhöhten Vergegenwärtigung und idealischen Versinnlichung
des Gutes selbst, oder aus der von der
Einbildungskraft bewirkten Erneuerung der ehemals
im Genusse desselben gefühlten Seligkeit, oder aus
der Thätigkeit der Einbildungskraft, den Genuß und
Besitz desselben in die Zukunft zu versetzen, oder
aus dem mächtig aufgeregten Bewußtseyn, dieses
Gut verdient, und ohne eigene Schuld verloren zu
haben, oder aus dem zur ästhetischen Einheit erhobenen
Bilde von der Größe des mit dem idealisch
gezeichneten Gute verbundenen Genusses entspringt.
Nur in dieser Stimmung des Gemüths entsteht
die bezaubernde Form der Elegie, an deren Hervorbringung
die Jdeale der Einbildungskraft eben so
vielen Antheil haben, als die erhöhte Sinnlichkeit
und die im Gefühlsvermögen gegen einander ankämpfenden
|#f0157 : 145|
und allmählig mild in einander verschmelzenden
Gefühle der Wonne und der Wehmuth. Deshalb
herrscht auch im Tone der Elegie die Wehmuth
des Unvermögens, den ersehnten Gegenstand entweder
in der Gegenwart überhaupt nicht zu besitzen,
oder ihn bereits verloren zu haben, oder ihn nie
besitzen zu können. Diese Wehmuth des Unvermögens
ist Ton der Trauer, allein nicht von der Art
und Stärke, wie in der Ode, wo das Gefühl der
Unlust aufgeregt wird von dem wahrgenommenen
Gegensatze der Beschränkungen des Endlichen gegen
das Unendliche. Zugleich vergesellschaftet sich mit
diesem Tone der Trauer der Ton der Freude an dem
Gegenstande selbst, der nicht, wie in der Ode, als
unendlich, wohl aber unter dem milden Glanze des
Jdeals erscheint, welches jedesmal das gebildete
Wesen mit hoher Sehnsucht und mit dem Verlangen
nach dessen Erreichung und Verwirklichung erfüllt.
So kündigt sich im Tone der Elegie eine
milde Schattirung der Gefühle an, wodurch für
das Bewußtseyn zwar keine bleibende (weil ein gemischtes
Gefühl kein bleibender Zustand seyn kann),
aber eine unendlich süße Stimmung vermittelt wird.
Der in der Elegie in den Mittelpunct gestellte
Gegenstand kann entweder sittlich und religiös
seyn, oder er kann, in den Schilderungen der
Liebe, der Freundschaft und der irdischen
Güter überhaupt, die Farbe der geläutertsten und
vollendetsten Sinnlichkeit an sich tragen. Von
selbst versteht es sich, daß die grobe Sinnlichkeit
von der Elegie ausgeschlossen wird, weil sie keiner
idealischen Darstellung fähig ist; allein alle, mit den
Gesetzen der Vernunft und mit den geläutertsten
Gefühlen der Sittlichkeit vereinbaren Gegenstände
|#f0158 : 146|
des wirklichen Lebens eignen sich für die Darstellung
in der Elegie. (So z. B. Schillers Jdeale;
Matthissons Elegie in den Ruinen eines Bergschlosses
geschrieben; seine Kinderjahre; sein Genfersee
&c.) Gleichmäßig gebietet die Elegie über
die Kreise der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft;
oft findet sie die Gegenwart zu arm, wenn
sie dieselbe mit Vergangenheit und Zukunft zusammenstellt;
oft hält sie die Zukunft an den Spiegel
der Vergangenheit, und erhebt die letztere über die
erste; oft vergleicht sie auch die Armuth der Vergangenheit
mit den in der Zukunft bevorstehenden
Genüssen, die sie im Zauber ihrer Bilder im Voraus
zum Daseyn ruft. Nur die Gegenwart verliert jedesmal
in der Elegie bei der Zusammenstellung mit
Vergangenheit und Zukunft; in der Gegenwart hat
nichts Reiz, als die eben aufgeregte individuelle
Stimmung des Dichters selbst, dessen Wehmuth
entweder an den Farben der Vergangenheit, oder an
den Bildern der Zukunft hängt.
Daß die Elegie zur lyrischen Dichtkunst gehört,
ist dadurch entschieden, daß die Gegenstände, die sie
schildert, unmittelbare Gefühle, und weder Gefühle,
durch Jdeen der Vernunft veranlaßt, noch
Gefühle sind, die durch Thatsachen und Vorgänge
in der Wirklichkeit angeregt werden. Vom Liede
unterscheidet sich die Elegie, daß jenes den Ton einer
reinen Freude, diese den Ton einer mit Wehmuth
gemischten Freude enthält, weshalb denn auch, aus der
religiösen Dichtkunst, alle sogenannten Bußlieder,
Sterbelieder u. a. (§. 14.), nach ihrem dichterischen
Charakter zur Elegie, und nicht zum Liede
gehören. Wie die Elegie, dem Stoffe und dem
Tone nach, verschieden von der Ode sich ankündige,
|#f0159 : 147|
ist bereits erinnert worden; desto mehr nähert sie
sich aber der Heroide, theils nach der Darstellung
des gemischten Gefühls der Lust und Unlust,
theils nach der beiden gemeinschaftlich milden Farbengebung
und nach der Durchführung des in ihnen
vorherrschenden Grundtones des Gefühls. ─ Zur
Einseitigkeit würde es führen, wenn man die äußere
Form der Elegie entweder an abwechselnde
Hexameter und Pentameter, oder, wie bei den ältern
teutschen Dichtern, an das schwerfällige und
ermüdende alexandrinische Versmaas binden wollte;
vielmehr eignet sich jedes, dem Charakter der lyrischen
Form überhaupt angemessene, Metrum auch
zur Darstellung der Elegie. ─ Wenn gleich bereits
griechische und römische Dichter die Elegie anbauten;
so stehen doch, unter den gebildeten Völkern
der neuern Zeit, die Teutschen, in Hinsicht
der Elegie, über den Britten, Franzosen und Jtalienern,
theils nach der Mannigfaltigkeit und dem
Reichthume der elegischen Form, theils nach der
Jnnigkeit, Wärme und Zartheit des idealisirten
Gefühls. (v. Haller, v. Kleist, v. Göthe,
v. Schiller, Klopstock, Hölty, v. Herder,
Heydenreich, Jacobi, v. Stolberg, Kosegarten,
Voß, v. Matthisson, v. Salis,
Manso, Tiedge u. a.)
1) von Drollinger († 1742).
Herbstgedanken.
2) von Albr. v. Haller († 1777).
Beim Absterben seiner geliebten Mariane.
(gedichtet 1736; ─ abgekürzt)
3) von Hölty († 1776).
Die Mainacht.
4) von v. Herder († 1803).
Das Grab des Heilandes *.
5) von Joh. Georg Jacobi († 1814).
Die Linde auf dem Kirchhofe.
6) von Manso.
Was sie mir nahm und gab.
7) von v. Matthisson.
Wunsch. An Salis.
8) von Mahlmann.
Das Grab.
9) von Fr. Adolph Kuhn.
Elegie an einen Wahnsinnigen.
10) von Kosegarten († 1818).
Der Maalstein.
Die Heroide ist eine Elegie, doch mit der
Eigenthümlichkeit, daß in derselben der Dichter nicht
in seiner Person, sondern im Charakter einer abwesenden
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Person, gewöhnlich eines Verstorbenen,
spricht, und auf diesen den Ausdruck seiner Gefühle
überträgt. Die Benennung gehört dem Ovid,
welcher in 21 Heroiden ausgezeichnete und bereits
vollendete Jndividuen aus dem heroischen Zeitalter
unter der lyrisch=epistolischen Form vergegenwärtigte.
Denn dadurch eben gehört die Heroide, obgleich ihr
äußeres Gewand epistolisch ist, zunächst zur lyrischen
Form der Dichtkunst, daß in ihr weder
Thatsachen, noch Grundsätze und Lehren versinnlicht,
sondern individuelle Gefühle unter einer idealischen
Haltung dargestellt werden. Enthielte die Heroide
gleichmäßig oder abwechselnd die Schilderung von
individuellen Gefühlen, Thatsachen und Lehren; so
müßte sie, in der Theorie, als Untergattung der
poetischen Epistel unter der Ergänzungsklasse dichterischer
Formen aufgeführt werden.
Sie wird aber, durch den in ihr vorherrschenden
Grundton eines aus Wonne und Wehmuth gemischten
Gefühls, eine Untergattung der Elegie. Die
bald stärkere, bald schwächere Farbengebung in der
Darstellung dieses gemischten Gefühls beruht theils
auf dem in der Heroide versinnlichten Stoffe, theils
auf der Lebendigkeit und Stärke der in dem Dichter
aufgeregten Gefühle. So wie die einzelnen
Elegieen an Fülle der Bilder und Kraft des Tones
sehr von einander verschieden sind; so auch die Heroiden.
Die dichterische Literatur der Britten, Franzosen
und Jtaliener erscheint verhältnißmäßig reicher
im Anbau der Heroide, als die teutsche, in welcher
unter den Dichtern des siebenzehnten Jahrhunderts
Hoffmannswaldau und Lohenstein, und unter
den Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts
Dusch, von Trautzschen, Schiebeler und
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Eschenburg sehr mittelmäßige Heroiden schrieben,
und nur Wielands acht Briefe der Verstorbenen
an hinterlassene Freunde (im zweiten Supplementbande
seiner sämmtlichen Werke, S. 201 ff.)
sich auszeichnen. Eine nicht unbrauchbare Sammlung:
Heroiden der Teutschen, erschien von
Fr. Raßmann, Halberst. 1824, wo, außer einer
aufgenommenen Heroide von Wieland, auch eine
von Bürger (frei nach Pope), eine von Tiedge,
Kosegarten, Aug. Wilh. Schlegel, und von einigen
minder wichtigen Dichtern, mitgetheilt worden sind.
Weil übrigens jedesmal der Theorie, in Hinsicht
der einzelnen Formen der Sprachdarstellung, der vielseitige
Anbau dieser Formen durch die Classiker vorausgehen
muß, bevor die Theorie derselben umschließend
und erschöpfend entwickelt werden kann;
so darf es nicht befremden, daß die Theorie der
Heroide hinter der theoretischen Darstellung der übrigen
lyrischen Formen zurücksteht, weil eben diese
Form von ausgezeichneten Dichtern verhältnißmäßig
am wenigsten angebaut worden ist. Unverkennbar
ist der dichterische Stoff der Heroide weit beschränkter,
als der Stoff der Elegie überhaupt; denn es
sind Verstorbene, es sind vollendete Wesen, die in
derselben redend, und nach dem ihnen von dem Dichter
beigelegten Tone des Gefühls, eingeführt werden.
Doch würde das Gebiet des Stoffes der Heroide
noch mehr beschränkt werden, wenn die von einigen
Theoretikern aufgestellte Bedingung gelten sollte, daß
die aufgeführten Jndividuen und ihre Verhältnisse
allgemein bekannt seyn, und von dem Dichter nach
ihrem geschichtlichen Charakter geschildert werden
sollten. Dies ist allerdings in einzelnen Heroiden
der Fall, nicht aber eine unerläßliche Forderung an
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die Heroide überhaupt. Denn warum soll die schöpferische
Einbildungskraft des Heroidendichters in
Erfindung des Stoffes beengter seyn, als des Dichters
der Elegie, der Ode, der Epopöe und andrer
dichterischer Formen? Nicht der geschichtlich vorhandene,
nicht der von dem Dichter idealisch geschaffene
Stoff, sondern die vollendete Form der Darstellung
entscheidet über den ästhetischen Gehalt der
Heroide. Wohl aber muß der Heroidendichter,
der einen geschichtlichen Stoff wählt (z. B. Brutus,
Cäsar u. a.), dem in Thatsachen ausgeprägten
Charakter seines Helden treu bleiben.
Nach den besseren, in der teutschen und ausländischen
Literatur vorhandenen, Heroiden unterscheiden
sich dieselben von den Elegieen weniger
durch den in beiden vorherrschenden Grundton des
gemischten Gefühls der Wonne und Wehmuth,
als durch eine größere Ausführlichkeit der
Darstellung, welche eine vollständigere Schilderung
der individuellen Gefühle, und der diese Gefühle
veranlassenden Verhältnisse, verstattet. Doch eben
in dieser lyrischen Mahlerei muß der Dichter nach
der ganzen Lebendigkeit und nach dem Reichthume
seiner Einbildungskraft sich ankündigen, damit nicht
Einförmigkeit und Eintönigkeit die Form der Heroide
drücke, und den ästhetischen Eindruck derselben
vermindere und verdunkle. Wird aber diese
Klippe von dem Dichter vermieden; so beruht unverkennbar
das hohe Jnteresse, das die Heroide als
lyrische Form gewährt, auf der stillschweigenden
Annahme einer fortdauernden Verbindung zwischen
den Vollendeten und ihren auf Erden zurückgebliebenen
Geliebten, einer Verbindung, die von allen
Mängeln der Sinnlichkeit, von allen auf Erden bestehenden
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Ungleichheiten der persönlichen und bürgerlichen
Verhältnisse befreit, und von der Ruhe und
Seligkeit des Zustandes vollendeter Geister umflossen
ist.
Die Cantate gehört zur lyrischen Form der
Dichtkunst, weil sie Gefühle darstellt; allein ihre
Eigenthümlichkeit und ihre Verschiedenheit von allen
übrigen Formen der lyrischen Dichtkunst beruht auf
ihrer Bestimmung zur Darstellung vermittelst
der Tonkunst. Es ist daher die Cantate ein Erzeugniß
der lyrischen Dichtkunst, dessen Stoff der
Darstellung durch die Tonkunst fähig, und dessen
Form auf diese Darstellung und Durchführung durchgehends
berechnet ist. Aus diesem Gesichtspuncte
betrachtet, ist der eigenthümliche Charakter der Cantate
mehr ein äußerer, als ein innerer; doch muß,
eben weil die Cantate erst durch die Verbindung der
Dichtkunst und der Tonkunst Ein ästhetisches Ganzes
bilden soll, die ganze dichterische Form derselben
mit Beziehung auf das ihr zu ertheilende tonkünstlerische
Gewand behandelt werden.
Jm Kreise der lyrischen Dichtkunst bildet aber
die Cantate nicht blos nach dieser ihrer äußern Eigenthümlichkeit,
sondern auch nach dem in ihr vorherrschenden
Tone der dargestellten Gefühle eine
selbstständige, von den übrigen Formen der lyrischen
Dichtkunst verschiedene, Form. Denn, nach
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den im Gebiete der teutschen Sprache vorhandenen
Mustern in der Cantate ist sie durchaus nicht blos
eine Untergattung des Liedes, wie die Dithyrambe
von der Hymne, und die Heroide von der Elegie;
sie kann sich vielmehr, nach dem Ausdrucke, der
Fülle und Stärke des Tones der Gefühle, eben so
der Ode, der Hymne und der Elegie, wie dem Liede
nähern; es können in ihr reine Gefühle der Freude
und Wonne, wie reine Gefühle der Wehmuth und
Trauer, und gleichmäßig auch gemischte Gefühle der
Lust und Unlust, bald in der Milde der elegischen
Stimmung, bald in dem kühnen Schwunge der
Ode und Hymne aufgestellt werden; bald können
die Gefühle des Unendlichen und Endlichen in der
Cantate in einem stark versinnlichten Gegensatze sich
ankündigen, bald aber auch mit sich im Gleichgewichte
stehen. Dazu kommt, daß in längern Cantaten,
oder sogenannten Oratorien, eine große Abwechselung,
Mannigfaltigkeit und Schattirung des
lyrischen Tones in den Arien und Chören statt finden
kann, besonders wenn durch die Recitative die
Uebergänge aus dem einen Gefühle in das andere
gehörig geleitet werden. Doch müssen, ungeachtet
dieser Abwechselung und Schattirung der dargestellten
Gefühle, die sämmtlichen einzelnen Theile der Cantate,
deren Aufeinanderfolge gleichmäßig von
dichterischen und tonkünstlerischen Rücksichten abhängt,
überhaupt Ein ästhetisches Ganzes bilden, dessen
Vollendung auf der innern Einheit und auf
dem psychologischen Zusammenhange aller in der Cantate
im Einzelnen verzeichneten und dargestellten Gefühle
beruht. Weil aber die Cantate zunächst und
durchgehends auf die tonkünstlerische Darstellung berechnet
ist, und nur diese erst als Kunstwerk vollen=
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det wird (nach demselben Verhältnisse, in welchem
die Oper, in der dramatischen Form der Dichtkunst,
zu den übrigen Gattungen und Arten des Drama
sich ankündigt); so muß auch der Dichter dem
Tonkünstler vorarbeiten. Er darf daher die
tonkünstlerische Behandlung weder bei der Wahl des
Stoffes und des Metrums, noch bei dem Wechsel
und der Aufeinanderfolge der einzelnen Recitative,
Arien und Chöre, ja selbst nicht bei der Anwendung
und Stellung der einzelnen Vocale aus dem
Auge verlieren. Daraus folgt für die technische
und ästhetische Gestaltung der Cantate, daß der Dichter
und Tonkünstler auf halbem Wege sich begegnen
müssen; daß aber auch der Dichter der Cantate die
Grundsätze der Tonkunst verstehen und sich aneignen,
so wie der Tonkünstler der dichterischen Begeisterung
zu folgen im Stande seyn soll.
Dem Stoffe nach, den die Cantaten behandeln,
sind sie entweder religiöse oder weltliche. Die
religiösen Cantaten versinnlichen, unter der vollendeten
Einheit einer ästhetischen Form, bald die Eigenschaften
und die Größe Gottes, die Verhältnisse,
in welchen er zu uns stehet, und in welchen wir zu
ihm stehen; bald die Tugenden, zu denen wir berufen
sind, so wie die Verirrungen, durch welche
wir uns von dem Ziele unsers Daseyns entfernen;
bald den dunkeln und wundervollen Gang der menschlichen
Schicksale auf Erden; bald die Unsterblichkeit
und Vergeltung, die uns jenseits des Grabes erwartet;
bald aber auch die Thatsachen und Lehren der
jüdischen und christlichen Religion nach ihrem ganzen
Umfange. (Dahin gehören viele treffliche Oratoria in
teutscher Sprache: z. B. Ramlers Tod Jesu; die
Auferstehung und Himmelfahrt; die Hirten bei der
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Krippe zu Bethlehem; ─ Niemeyers Lazarus;
Abraham auf Moria; Thirza und ihre Söhne; ─
Patzke's Tod Abels [nach Geßner]; Saul, oder
die Gewalt der Musik; Davids Sieg im Eichthale;
─ Schiebeler's Jsraeliten in der Wüste;
und mehrere Cantaten von v. Gerstenberg, Zachariä,
Lavater, Karl Gtfr. Küttner, Mahlmann,
Rochlitz, Krummacher, Dolz u. a.) ─
Jm Gegensatze der religiösen, feiern die weltlichen
Cantaten entweder wichtige Vorgänge und Gegenstände
des wirklichen Lebens (z. B. bei Geburtstagen,
bei Vermählungen, bei Einweihungen gewisser
Anstalten, nach gewonnenen Schlachten), oder
Gegenstände der Wissenschaft und Kunst (z. B.
Meißners Lob der Musik), oder Stoffe der Mythologie
(z. B. Ramlers Pygmalion) u. s. w. ─
Beide, sowohl die religiösen, als die weltlichen Cantaten,
können von dem Dichter dramatisch behandelt
werden, so daß er die handelnden Personen,
zur größern Versinnlichung des Gegenstandes, selbst
aufführt (so z. B. Niemeyer im Lazarus, im
Abraham auf Moria; Patzke im Tode Abels &c.);
doch ist diese Dramatisirung des Stoffes keine wesentliche,
sondern nur eine zufällige äußere Form
der Darstellung, wodurch selbst nicht einmal die höhere
Jdealisirung und gesteigerte Versinnlichung des
Stoffes, im Verhältnisse zu den nicht dramatisirten
Cantaten und Oratorien, bewirkt wird. Denn
kein Urtheil der ästhetischen Kritik wird Ramlers
allgemein bekannten Tod Jesu in ästhetischer Hinsicht
irgend einer andern ältern oder neuern Cantate
nachstellen, ob er gleich nicht dramatisch behandelt
ist. Der ästhetische Gehalt der Cantate hängt
nicht ab von solchen außerwesentlichen Merkmalen,
sondern von der wahren Begeisterung des Dichters
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von seinem Stoffe, von der gleichmäßigen idealisirten
Durchführung desselben, von der vollendeten ästhetischen
Einheit der Form, und von der durchgängig
festgehaltenen Rücksicht auf die tonkünstlerische Darstellung
aller einzelnen Theile, aus welchen die Cantate
besteht.
Diese einzelnen Theile der Cantate, auf deren
Abwechselung und gegenseitiger Verbindung der
äußere Charakter derselben beruht, sind ursprünglich:
das Recitativ, die Arie und der Chor. Alle
übrige Formen und Benennungen der einzelnen Theile
der Cantate (z. B. Arioso, Cavatine, Duett,
Terzett u. s. w.) sind blos nähere Schattirungen
einer dieser drei wesentlichen Bestandtheile
jeder Cantate. ─ Das Recitativ hat nämlich
die Bestimmung, die in den Arien und Chören darzustellenden
Gefühle, und die Wirkungen, welche diese
Gefühle hervorbringen sollen, zu veranlassen und
vorzubereiten; überhaupt soll das Recitativ in die
Stimmung versetzen, welche die Cantate als vollendete
ästhetische Form zu bewirken beabsichtigt. Dagegen
muß die Arie Ein bestimmtes Gefühl der
Wonne oder Wehmuth, oder die Schattirung eines
gemischten Gefühls, als ein in sich abgeschlossenes
Ganzes im menschlichen Bewußtseyn, versinnlichen,
so daß auch in der tonkünstlerischen Behandlung die
Einheit des Gefühls sorgfältig festgehalten wird.
Die ältern Dichter der Cantate befolgten bei der
Arie gewöhnlich mit Strenge und Sorgfalt die Abtheilung
derselben in zwei Abschnitte, wovon der
zweite gewöhnlich ein, dem in der ersten Abtheilung
dargestellten Gefühle entgegengesetztes, Gefühl vergegenwärtigte,
wofür auch der Tonkünstler eine andere
Tonart (z. B. die Dominante, oder die Molltonart),
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bisweilen selbst ein anderes Zeitmaas (Mensur)
wählte *, doch so, daß nach der kurz ausgeführten
zweiten Abtheilung die erste wiederhohlt
ward. Die neuern Dichter aber haben weniger
streng diese frühere äußere Gestaltung der Arie befolgt.
─ Das Duett, Terzett, Quartett
u. s. w. sind an sich blos erweiterte Gestaltungen
der Arie, und stehen nur dann an ihrem Platze
in der Cantate, wenn mehrere Gefühle nach und
neben einander individualisirt werden, die aber in
Einem Gesammtgefühle ihren gemeinschaftlichen Mittelpunct
haben, weil ohne diese Bedingung sowohl
die dichterische, als die tonkünstlerische Behandlung
der Einheit der Form unmöglich wäre. Allein wenn
wirklich im Duett, Terzett u. s. w. ein Wechsel
und ein Gegeneinanderhalten mehrerer Gefühle versinnlicht
wird; so ist auch, bei gleicher dichterischen
Behandlung, das ästhetische Jnteresse am Duette
So z. B. Ramler in dem Tode Jesu, in der
Arie, die der Schilderung folgt, daß Petrus den
Erlöser dreimal verläugnete, und darauf, von Jesu
angeblickt, in sich ging und bitterlich weinte.
Erster Abschnitt.
Jhr könnt nicht lange fehlen;
Bald höret euer Ohr
Das strafende Gewissen,
Bald weint aus euch der Schmerz.
Zweite Abtheilung.
Einst, mitten unter Rosen, hebet
Die Reu den Schlangenkopf hervor,
Und fällt mit unheilbaren Bissen
Dem Frevler an das Herz.
Sehr treffend hat Graun für die erste Abtheilung
Es dur, für die zweite C moll gewählt.
noch höher, als an der Arie, weil der Wechsel der
dargestellten Gefühle eine mannigfaltigere Schattirung
und eine höhere Farbengebung für den Dichter
und Tonkünstler möglich macht. ─ Die sogenannte
Cavatine ist eine Arie im verjüngten Maasstabe,
die theils, in Hinsicht auf die dichterische Darstellung
Eines Gefühls, gewöhnlich von kürzerm Umfange,
theils in Hinsicht auf die Erfindung der Melodie
und auf die ganze tonkünstlerische Durchführung,
der Arie größtentheils ähnlich, nur aber ihrem
Umfange nach beschränkter und kleiner ist, weil die
Cavatine die in der Arie (wenigstens ehemals) übliche
Abtheilung in zwei oder mehrere Haupttheile,
und die derselben eigenthümliche Wiederkehr und weitere
Ausmahlung des dichterischen und tonkünstlerischen
Hauptgedankens von sich ausschließt. ─ Das
Arioso, das entweder in der Mitte, oder am
Schlusse eines Recitativs eintritt, kann nicht einmal
als eine Arie im verjüngten Maasstabe gelten,
weil der Dichter nur dann diese Benennung wählt,
wenn ein angeregtes Gefühl stark genug wird, die
ruhige Betrachtung, die im Recitative vorherrscht,
zu unterbrechen, und sich unter dem Ausdrucke einer
höhern innern Bewegung anzukündigen (z. B. bei
der Darstellung eines Wunsches, einer Bitte, oder
des raschen Ueberganges von einem Gefühle zu einem
andern), wo denn auch der Tonkünstler die declamatorische
Behandlung des Recitativs mit der Aufnahme
und Vergegenwärtigung einer Melodie und
dem Eintritte eines bestimmt festzuhaltenden Zeitmaases
vertauscht, wodurch unmittelbar angeregte Gefühle,
aber nicht in der Fülle und in dem Umfange
der für eine Arie gewählten Melodie, bezeichnet
werden. ─ Der Chor endlich hat die Bestimmung,
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das Gesammtgefühl zu vereinigen und
auszudrücken, das durch die einzelnen Theile der
Cantate, und namentlich durch die in den Arien,
Duetten u. s. w. einzeln dargestellten und durchgeführten
individuellen Gefühle vorbereitet worden ist. Namentlich
müssen die Schlußchöre der einzelnen Theile
einer längern Cantate die in den einzelnen Abtheilungen
vergegenwärtigten Gefühle zu Einem kräftigen
Ganzen bringen, besonders aber muß der Schlußchor
(Finale) der ganzen Cantate das durch sie vermittelte
Gesammtgefühl in der ganzen Fülle und Kraft
desselben aussprechen, und sowohl die dichterische,
als die tonkünstlerische Einheit der Form vollenden;
denn der Chor vertritt die ganze als anwesend gedachte
Gemeine, es sey in der religiösen oder in
der weltlichen Cantate, und soll ihr Wortführer
seyn, indem er den in Allen mächtig aufgeregten
Gefühlen Sprache, Wohlklang, Ebenmaas und Einheit
giebt *
Classische Dichter haben den Chor nach diesem Maasstabe
behandelt. So z. B. Ramler im Schlußchore
des Todes Jesu:
1) von Gottsched († 1766).
Bruchstück aus der Cantate auf das (1723) eingefallene
Jubelfest der roßgärtischen Kirche zu Königsberg.
Arie.
(Tochter Zion)
Recitativ.
Chor.
(Gemeine)
Dies ist der Tag, den der Herr machet. Lasset uns
freuen und fröhlich darin seyn.
Recitativ.
(Gottes Stimme)
Arie.
(Tochter Zion)
Recitativ.
(Gottes Stimme)
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der
Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der
Herr, dein Erbarmer.
Arie.
(Tochter Zion)
2) von Karl Gtfr. Küttner (Sup. in
Pirna, † 1789).
Cantate bei der Einweihung einer neuen
Orgel.
Chor.
Kommet herzu, lasset uns dem Herrn frohlocken, und
jauchzen dem Hort unsers Heils. Lasset uns mit Danken
vor sein Angesicht kommen, und mit Psalmen ihm
jauchzen.
Recitativ.
Arioso.
Recitativ.
Arie.
Chor.
Recitativ.
Chor.
Recitativ.
Chor.
Recitativ.
Chor.
3) vom Grafen Fr. Leopold zu Stolberg
(† 1819).
Wechselgesang.
Einer.
Chor.
Einer.
Chor.
Einer.
Chor.
Einer.
Chor.
Einer.
Chor.
4) von Ramler († 1798).
Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu.
(abgekürzt)
Chor.
Gott, du wirst seine Seele nicht in der Hölle lassen,
und nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung
sehe.
Recitativ.
Arie.
Choral.
Recitativ.
Arie.
Chor.
Recitativ.
Arie.
Chor.
Das Sonett gehört, wie das Madrigal, Rondeau
und Triolet, nach seinem Umfange, zu den
kleinern, und, seinem äußern Mechanismus nach,
zu den bestimmt berechneten metrischen Formen.
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Sein dichterischer Charakter ist lyrisch; denn es
stellt Gefühle, und zwar, in den meisten vorhandenen
Erzeugnissen, die Gefühle der Liebe, nach ihrer ganzen
Jnnigkeit und Zartheit, dar, welche, in Hinsicht
auf den vorherrschenden Grundton, mehr mit
milden und sanften, als mit starken Farben gezeichnet
werden. Doch verschmilzt in mehrern Sonetten
das Gefühl der Liebe in die verwandten Gefühle
der Freundschaft, der Sympathie, der Religion, und
der stillen Feier tiefer Gemüthsbewegungen überhaupt.
Da übrigens der genau berechnete, kleine
Umfang des Sonetts die weitere Entwickelung des
angeregten dargestellten Gefühls von sich ausschließt;
so muß das im Grundtone des Sonetts vorherrschende
Gefühl unter der Form einer vollendeten
ästhetischen Einheit sich ankündigen.
Die äußere Eigenthümlichkeit des Sonetts
beruht auf dem ursprünglichen und festbestimmten
Mechanismus seiner Form. Dieser besteht in vierzehn
gleich langen Versen (zwei Quadrainen und
zwei Terzetten), wovon die ersten acht in zwei vierzeilige
Strophen, die letzten sechs in zwei dreizeilige
Strophen eingetheilt sind. Nach der frühern Gestaltung
dieser äußern Form wechselten in den ersten
zwei Strophen nur zwei Reime, und vier männliche
mit vier weiblichen Endsylben ab, worauf in den
sechs folgenden Zeilen wieder drei Zeilen männliche
Reime, und drei Zeilen weibliche Reime enthielten,
mit der Rücksicht, daß am Schlusse jedes Quadrains
und jedes Terzetts ein dichterischer Gedanke
geschlossen ward. Allein neuere Dichter haben, nicht
ohne Erfolg, diese ängstliche Berechnung der äußern
Form des Sonetts im Einzelnen verlassen, und nur
den allgemeinen Mechanismus des Sonetts in
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Hinsicht auf die vierzehn gleich langen Zeilen, so
wie in Hinsicht der zwei Quadraine und zwei Terzetts
beibehalten.
Das Sonett ist nicht teutschen, sondern italischen
Ursprungs, und erhielt zunächst durch Petrarca's
118 Sonette eine weitere Verbreitung; denn
diese wurden in die meisten gebildeten Sprachen
übersetzt, und von italienischen und ausländischen
Dichtern nachgeahmt. Von den teutschen Dichtern
des siebenzehnten Jahrhunderts bauten Opitz, Flemming,
Gryphius, Lohenstein, v. Hoffmannswaldau
und andre das Sonett an; doch,
im Ganzen, ohne auf ihre Sonette das höhere dichterische
Leben überzutragen. Weit gelungener war
der Anbau desselben seit dem dritten Viertheile des
achtzehnten Jahrhunderts von Schiebeler, Bürger,
Aug. Wilh. Schlegel, Manso u. a.; nur
daß theils die Unzahl mißlungener Sonette, theils,
selbst bei den gelungenen Formen in dieser Dichtungsart,
die Einförmigkeit des Mechanismus und
die Eintönigkeit des Ganzen demselben Abbruch gethan
haben.
1) von Flemming († 1640).
Klage über die Furchtsamkeit der Teutschen.
(während des 30jährigen Krieges.)
2) von Flemming.
Grabschrift, von ihm selbst kurz vor seinem Tode
niedergeschrieben.
3) von Katharina v. Greiffenberg, geb.
v. Seyßenegg.
(Jhre Gedichte erschienen 1662.)
Die Gott lobende Frühlingslust.
4) von Andr. Gryphius († 1664).
Es ist alles eitel.
5) von Christian Hoffmann v. Hoffmannswaldau
(† 1679).
Beschreibung vollkommner Schönheit.
6) von Schiebeler († 1771).
7) von Bürger († 1794).
Die Unvergleichliche.
8) von Bürger.
Auf die Morgenröthe.
9) von Aug. Wilh. v. Schlegel.
An Bürger.
10) von Aug. Wilh. v. Schlegel.
Laura's Thränen.
11) von Baggesen *.
An Kanne.
12) von Baggesen.
Jndische Ost-West=Erlösung.
Madrigal, Rondeau und Triolet sind dem Sonett
dadurch verwandt, theils daß sie, weil in ihnen
Ein vorherrschendes Gefühl in einer vollendeten
ästhetischen Form dargestellt wird, wie das Sonett,
zur lyrischen Dichtkunst gehören; theils daß der
kleine Umfang ihrer äußern Form auf einen bestimmten
technischen Mechanismus berechnet ist, der
aber in frühern Zeiten sorgfältiger, als gegenwärtig
festgehalten ward. Ob nun gleich jedes zur ästhetischen
Einheit erhobenes Madrigal, Rondeau und
Triolet, nach seinem Grundcharakter, ein innerhalb
der Form oft mehr nur angedeutetes, als durchgeführtes
Gefühl aussprechen muß; so hat doch, in
den meisten Fällen, der Witz einen eben so großen
Antheil an der Hervorbringung und Festhaltung der
kleinen dichterischen Form, als das Gefühl und die
Einbildungskraft. Denn, nächst dem Ausdrucke
eines milden und wohlthuenden Gefühls, verlangt
auch die Vollendung der ästhetischen Form dieser
kleinen Gedichte ein leichtes Spiel des Witzes, um
ein augenblickliches Jnteresse zu erregen, weil sie
weder nach Stoff noch nach Form geeignet sind,
einen ähnlichen bleibenden Eindruck hervorzubringen,
wie die größern Formen der lyrischen Dichtkunst:
das Lied, die Ode, die Hymne, die Elegie u. a.
Der vormals genau festgehaltene äußere Mechanismus
dieser kleinen dichterischen Formen (beim
Madrigal nie unter sechs, und nie über eilf Zeilen
─ beim Triolet acht Zeilen) ist von neuern
Dichtern wenig berücksichtigt worden, so daß man
alle kleinere lyrische Ergüsse, die weder Sonett,
|#f0216 : 204|
Rondeau, noch Triolet sind, in denen aber Zartheit des
Gefühls, Feinheit der Wendungen und leicht tändelnder
Witz ausgedrückt wird, Madrigale nennt. Dagegen
ist das Rondeau eine dichterische Tändelei,
wo in jeder Strophe nur zwei Reime abwechselnd
vorkommen, die erste Zeile nach der dritten wiederhohlt
wird, und der Refrain die ersten zwei Zeilen
wiederhohlt, auf welche, vor dem Refrain, fünf
Zwischenzeilen folgen. Das Triolet, das in neuerer
Zeit bei den Teutschen mehr, als das Rondeau
angebaut ward, ist, der Form nach, ein abgekürztes
Rondeau, wo gewöhnlich nach der dritten Zeile
die erste, und nach der sechsten die erste und die
zweite Zeile wiederhohlet werden.
a) Beispiele des Madrigals.
1) von Fr. v. Hagedorn († 1754).
Der Wettstreit.
2) von Lessing († 1781).
Der alte und der neue Wein.
3) von Tiedge.
Die Welle.
4) von einem Ungenannten.
Der Singsang des Lebens.
b) Beispiel des Rondeau.
von Fr. v. Hagedorn.
Die Empfindung des Frühlings.
c) Beispiele des Triolets.
1) von Gleim († 1803).
2) von Klamer Schmidt († 1824).
3) von Ernst Schulze († 1817).
4) von Tiedge.
An das Leben.
5) von Haug.
An Luisen.
6) von Karl v. Reinhard.
Man liebt nur Einmal.
7) von K. A. Schneider.
Die flüchtige Freude.
8) von einem Ungenannten.
Nolo, nolo Florus esse.
2) Die didactische Form der Dichtkunst.
Wenn der eigenthümliche Charakter der lyrischen
Form der Dichtkunst auf der idealisirten Darstellung
unmittelbarer Gefühle unter der Einheit
einer ästhetisch=vollendeten Form beruht; so unterscheidet
sich die didactische Form der Dichtkunst,
oder das sogenannte Lehrgedicht, dadurch
wesentlich von derselben, daß der unmittelbare
Stoff des Lehrgedichts in Begriffen des Verstandes
und Jdeen der Vernunft besteht.
So wenig aber diese eigenthümliche Quelle des Stoffes
im Lehrgedichte verkannt werden kann; so wenig
folgt doch auch daraus, daß die Darstellung von
Begriffen des Verstandes und Jdeen der Vernunft,
blos vermittelst eines dichterischen Sylbenmaases
oder vermittelst des Reims, solche metrische Formen
zu Gedichten erheben könne, sobald sie des eigentlichen
|#f0222 : 210|
Wesens der Dichtkunst ─ der idealischen Darstellung
individueller Gefühle ─ ermangeln. Denn
so gewiß der Stoff zu allen Gebilden und Erzeugnissen
der didactischen Form der Dichtkunst ursprünglich
aus Begriffen und Jdeen des menschlichen
Geistes besteht; so gewiß müssen doch diese
Begriffe und Jdeen aus dem Kreise des Vorstellungsvermögens
heraus- und in den Kreis des
Gefühlsvermögens eintreten, und in demselben
bestimmte, mit jenen Begriffen und Jdeen
unmittelbar vergesellschaftete, Gefühle veranlassen,
bevor von einer didactischen Form der Dichtkunst
die Rede seyn kann. Nicht Metrum und Reim
entscheiden über den eigenthümlichen Charakter der
Dichtkunst; dies ward bereits in der Einleitung erwiesen.
Denn könnten diese äußern und zufälligen
(übrigens nichts weniger, als zu vernachlässigenden)
Kennzeichen der Form über den aus dem innern
Wesen des Menschen stammenden dichterischen
Charakter eines ästhetischen Erzeugnisses entscheiden;
so würden mehrere der ältern Dichter
des siebenzehnten Jahrhunderts, die den Anbau
der didactischen Dichtkunst bei den Teutschen erneuerten,
in der That Gedichte aufgestellt haben,
während ihre Formen nur metrisch behandelte
Prosa enthalten. Wenn nämlich die Begriffe des
Verstandes und die Jdeen der Vernunft blos als
solche, ohne Vergesellschaftung mit reinen und starken,
durch sie aufgeregten, Gefühlen, im Metrum
oder Reim dargestellt werden; so gehören sie nicht
ins Gebiet der Dichtkunst, sondern der Prosa, weil
nur das den dichterischen Charakter ankündigt, was
zunächst, bevor es in die Form der Sprachdarstellung
übergeht, aus rein menschlichen Gefühlen
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stammt, wenn gleich diese Gefühle zu ihrem Bewußtwerden
der Anregung durch Begriffe und Jdeen
bedurften.
Jst diese Ansicht im Wesen des menschlichen
Geistes, in den Ankündigungen des Bewußtseyns,
und in der unverkennbaren Verschiedenheit zwischen
der Sprache der Prosa und der Sprache der Dichtkunst
begründet; so folgt von selbst, daß diejenigen
Dichter ─ gelind zu urtheilen ─ einen Pleonasmus
sich zu Schulden kommen lassen, welche ihre
unter die Form der didactischen Dichtkunst gehörenden
Erzeugnisse lyrisch=didactische nennen, sobald
nämlich durch das erste Prädicat die Vergesellschaftung
individueller Gefühle mit Jdeen der Vernunft
bezeichnet werden soll. Denn jedes didactische Gedicht
muß, sobald es überhaupt Gedicht seyn, und
also unter die Form der didactischen Dichtkunst gebracht
werden soll, den Ton und die Farbe des Lyrischen,
d. h. den Ton und die Farbe zum Bewußtseyn
gebrachter und zur Einheit der ästhetischen Form
erhobener Gefühle an sich tragen.
Nach dieser, im Wesen des menschlichen Geistes
und in dem gegenseitigen Verhältnisse des Vorstellungs-
und Gefühlsvermögens begründeten, Ansicht
beruht der Charakter der didactischen Form
der Dichtkunst auf der idealisirten Darstellung
von Begriffen des Verstandes und Jdeen der Vernunft,
mit welchen bestimmte Gefühle vergesellschaftet
sind, in der Einheit einer ästhetisch=vollendeten
Form. Die Aufgabe und der Zweck der didactischen
Form der Dichtkunst ist daher nicht Belehrung, wie
dies die Bestimmung des prosaischen didactischen
Styls ist; sondern ästhetische, d. h. aus dem Gefühlsvermögen
stammende Darstellung und lebensvolle
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Versinnlichung gewisser Wahrheiten und Lehren
aus den Kreisen der Wissenschaften und der Künste,
welche, durch ihre Bedeutsamkeit, Größe, Tiefe
und Fülle, eine kräftige Bewegung des Gefühlsvermögens,
und, vermittelst dieser Bewegung, die dichterische
Darstellung ihrer Gegenstände bewirkten.
Nur solche Erzeugnisse der didactischen Form der
Dichtkunst werden dem Gesetze der Form entsprechen,
sobald der Dichter ─ was sich von selbst in Hinficht
einer vollendeten dichterischen Form versteht ─
die übrigen Bedingungen dieses Gesetzes an jede
ästhetisch vollendete stylistische Form erfüllt.
Wenn daher in dem Lehrgedichte Gefühle vorherrschen
und zur Einheit der Form erhoben werden,
welche durch vorausgegangene Jdeen der Vernunft
zum deutlichen Bewußtseyn gelangen; so folgt
von selbst, daß das Lehrgedicht diese Jdeen der
Vernunft nicht nach ihrem Verhältnisse zum Gebiete
der menschlichen Erkenntniß (wie z. B. in der Metaphysik,
in der Sittenlehre &c.), sondern nach ihrer
Wirkung auf das Gefühlsvermögen darstellt. Deshalb
darf auch weder die Darstellung des Lehrgedichts
im Ganzen, noch im Einzelnen die Aufeinanderfolge
der ästhetisch behandelten Jdeen der Vernunft
den Anstrich einer systematischen Abhandlung oder
einer logisch streng berechneten Entwickelung enthalten,
weil beides dem naturgemäßen Ergusse mächtig
aufgeregter Gefühle widerstreitet. Eben so wenig
wird von dem didactischen Dichter eine die dargestellten
Jdeen planmäßig erschöpfende ─ oder gegen jeden
Einwurf polemisch durchführende ─ Behandlung verlangt;
dagegen versinnlicht der Dichter die zu seinem
Bewußtseyn gelangten Jdeen der Vernunft unter
der idealisirten Einheit eines Bildes, das um seiner
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ästhetischen Vollendung willen in der Anschauung
gefällt, und durch welches jene Jdeen aus dem
Gebiete des Vorstellungsvermögens herausgehoben,
und in den Kreis des Gefühlsvermögens und der
Einbildungskraft versetzt werden.
Als unnachlaßliche Bedingung wird aber die
ästhetische Darstellbarkeit jener Begriffe des
Verstandes und jener Jdeen der Vernunft dazu erfordert,
weil nicht alle und jede Begriffe und Jdeen,
als Theile der menschlichen Erkenntniß, zur Vergesellschaftung
mit menschlichen Gefühlen sich eignen.
Denn schwerlich dürften die Lehren der Logik über
Begriffe, Urtheile und Schlüsse, und über die Kategorieen,
oder die Grundsätze der Größenlehre, der
Sprachlehre u. s. w. als Stoffe des Lehrgedichts
behandelt werden können, weil sie, ihrem Wesen
und ihrer Ankündigung nach, mit dem Gefühlsvermögen
in keiner Berührung stehen, und eben so wenig
die Einbildungskraft zu einer idealischen Form begeistern
können. Dagegen aber werden die Jdeen
der practischen Vernunft ─ die Jdeen der Freiheit,
der Sittlichkeit, der Tugend, der Unsterblichkeit,
der Vergeltung, der Gottheit, des Weltalls und der
ewigen Weltregierung ─ die an sich schon im Bewußtseyn
mit einer höhern Stärke, als andere Begriffe
und Jdeen des Vorstellungsvermögens, sich
ankündigen, wegen ihres Zusammenhanges mit den
geläutertsten und erhabensten Gefühlen des menschlichen
Geistes, der dichterischen Darstellung am meisten
fähig seyn. Nur auf diesem Wege wird die
eigentliche dichterische Ansicht der Welt, des menschlichen
Lebens und der menschlichen Erkenntniß nach
ihrer abgeschlossenen Gesammtheit gewonnen, welche
der Prosa, nach ihrem eigenthümlichen, von der
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Dichtkunst wesentlich verschiedenen Charakter, abgeht.
Dies ist daher auch der Standpunct, aus welchem
theils das Verhältniß der didactischen Form der
Dichtkunst zur didactischen Prosa richtig aufgefaßt,
theils die Stellung der didactischen Form der
Dichtkunst gegen die lyrische, epische und dramatische
Form derselben ausgemittelt wird.
Unter diesen einzelnen Formen der Dichtkunst
nähert sich aber die didactische am meisten und häufigsten
der lyrischen Form, weil die Jdeen, welche
den Stoff der didactisch=ästhetischen Darstellung
enthalten, noch inniger mit dem durch sie angeregten
Gefühle verschmolzen erscheinen, als in der epischen
und dramatischen Dichtkunst die, der Außenwelt
angehörenden, Thatsachen mit den durch sie erweckten
Gefühlen. ─
Wenn einige Theoretiker das Lehrgedicht in
das philosophische und scientifische einzutheilen
versuchten; so ist dazu kein Grund vorhanden,
weil keine ursprüngliche, in einem Vermögen
des menschlichen Geistes enthaltene, Verschiedenheit
zwischen beiden statt findet; denn die Stoffe von
beiden sind gemeinschaftlich in den Begriffen
und Jdeen des menschlichen Vorstellungsvermögens
enthalten, so daß zwischen den einzelnen Lehrgedichten,
nach der Verschiedenheit ihres Stoffes innerhalb
der Jdeen der Vernunft, nur eine Steigerung von
dem Höhern zum Höchsten statt finden kann, inwiefern
die Jdeen der Vernunft selbst einander, dem Grade
nach, untergeordnet sind, und Seele, Welt und Gott
eben so die höchsten metaphysischen Jdeen bilden, wie
Wahrheit, Schönheit und sittliche Güte die höchsten
Jdeale der schöpferischen Einbildungskraft. ─
Was die einzelnen Untertheile der didactischen
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Dichtkunst betrifft; so giebt es keine
solchen in dem Sinne, wie in der lyrischen Dichtkunst
das Lied, die Ode, die Hymne, die Elegie
u. a. als Untertheile von einander verschieden sind,
welche durch den Grundton eines dargestellten einfachen
oder eines gemischten Gefühls, so wie durch
die mildere Farbengebung, oder durch die höhere
Stärke des lyrischen Ausdruckes, von einander sich
unterscheiden. Denn nur nach dem zufälligen äußern
Umfange der Form kann das ausführliche
Lehrgedicht (z. B. Tiedge's Urania, Schillers
Künstler) von dem kürzern (z. B. der Theodicee
von Uz u. a.) unterschieden werden, weil die Abwechselung
und Mischung der in dem Lehrgedichte
vorherrschenden und dargestellten Gefühle von den
Jdeen der Vernunft abhängt, welche die mit ihnen
vergesellschafteten Gefühle in dem Gemüthe des
Dichters zum Daseyn rufen, und von der Einbildungskraft
unter dem Glanze des Jdeals aufgestellt
werden. Selbst die im dichterischen Gewande dargestellten
Gnomen sind nicht besondere Untertheile,
sondern nur kürzere Formen des Lehrgedichts, das
eigentliche Lehrgedicht im verjüngten Maasstabe,
und müssen, in ästhetischer Hinsicht, eben so
nach dem Gesetze der Form beurtheilt werden, wie
die größere didactische Form, welche einen Gesammtkreis
von Vernunftideen durchführt und umschließt.
Was endlich die Satyre, die sogenannte poetische
Epistel und das Epigramm betrifft, welche
von einigen Theoretikern der didactischen Dichtkunst
zugetheilt werden; so werden sie in diesem
Gesammtgebiete der Sprache der Dichtkunst unter
der Ergänzungsklasse, oder unter den gemischten Formen
der Dichtkunst aufgeführt, weil (wie ihre Theorie,
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weiter hinten, im Einzelnen zeigt,) durchaus nicht alle
Satyren, nicht alle poetische Episteln, und nicht alle
Epigramme nach Einem Maasstabe beurtheilt, und in
Eine und dieselbe Klasse von Dichtungen gebracht werden
können. Denn zugestanden, daß einzelne in
der Sprache vorhandene Satyren, einzelne poetische
Episteln und einzelne Epigramme der Theorie des
Lehrgedichts untergeordnet werden könnten; so würde
dies, im Verhältnisse zur Gesammtheit aller ästhetisch
vollendeten Satyren, poetischen Episteln und
Epigrammen, nur ein kleiner Theil seyn, weshalb
es gerathener scheint, die Theorie dieser Formen nach
der Mehrheit der in ihnen vorhandenen classischen Erzeugnisse
zu bestimmen, und ihnen den Platz in der
Ergänzungsklasse dichterischer Formen anzuweisen.
Denn unverkennbar ist das Satyrische keine wesentliche
und ursprüngliche Eigenschaft des Lehrgedichts,
sondern, wo es in denselben angetroffen
wird, nur ein zufälliges Merkmal des Didactischen,
weil unzählige Stoffe der didactischen Dichtkunst
ohne den Beisatz des Satyrischen bestehen, und
dieser Beisatz ─ oder die Darstellung der Jdeen der
Vernunft mit der Rüge der Verirrungen der menschlichen
Freiheit von denselben ─ blos in der Jndividualität
des Dichters ihren Grund hat, der durch
die ästhetische Versinnlichung dieser Verirrungen das
Jdeal von seiner indirecten Seite vergegenwärtigt.
So sind die Sermonen des Horaz an
sich Lehrgedichte mit satyrischer Haltung und Einkleidung,
und versinnlichen allgemeine Wahrheiten durch
den Kontrast des Ungereimten und Unsittlichen mit
denselben. Eben so zufällig ist es, wenn, vermittest
der epistolischen Einkleidung, allgemeine
Wahrheiten auf die Verhältnisse eines bestimmten
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Jndividuums bezogen werden; denn die poetische
Epistel ist, nach den vorhandenen classischen Formen
in derselben, weder ausschließend eine Untergattung
der didactischen, noch ausschließend eine Untergattung
der lyrischen oder der epischen Form der
Dichtkunst. Sobald sie unmittelbare Gefühle in
Beziehung auf eine bestimmte Jndividualität schildert;
so gehört sie der lyrischen Form der Dichtkunst
an. Versinnlicht sie Gefühle, veranlaßt durch Thatsachen
und Vorgänge des wirklichen Lebens; so
müßte sie der epischen Form untergeordnet werden.
Vergegenwärtigt sie aber Gefühle, erregt durch
Jdeen und Wahrheiten der Vernunft; so würde sie,
nur in diesem letztern Falle, zur didactischen
Dichtkunst, mit dem zufälligen Merkmale der unmittelbaren
Beziehung der dargestellten Jdeen auf
eine bestimmt gedachte Jndividualität, gehören. ─
Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem Epigramm,
das gleichmäßig unmittelbare Gefühle und
Thatsachen des Lebens, wie Jdeen und Aussprüche
der Vernunft als Stoff behandeln kann, mit dessen
Vergegenwärtigung im Bewußtseyn rein menschliche
Gefühle sich vergesellschaften, deren idealische Darstellung
die dichterische Form des Epigramms vermittelt.
─
So reichhaltig von den frühern teutschen
Dichtern die Form des Lehrgedichts angebaut ward;
so gilt doch für den ästhetischen Charakter dieser
Form dasselbe, was bereits in der Theorie der Ode
ausgesprochen ward, daß nur erst mit den Fortschritten
der Philosophie auf teutschem Boden, und namentlich
mit dem tiefern Erforschen und Verbreiten
der höchsten metaphysischen Jdeen, und den mit denselben
in unmittelbarer Verbindung stehenden sittlichen
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Gesetzen, das Lehrgedicht, nach seinem Stoffe,
einen höhern dichterischen Gehalt behaupten, und
unter gediegenern Formen sich ankündigen konnte,
als dies im siebenzehnten und in der ersten Hälfte
des achtzehnten Jahrhunderts möglich war.
1) von Opitz († 1639).
Lob des Feldlebens. (Bruchstück)
2) von Christ. Fr. Zernitz († 1745).
Von den Endzwecken der Welt. (Bruchstück)
3) von Joh. Jac. Dusch († 1787).
Die Wissenschaften. (Bruchstück)
4) von Joh. Phil. Lorenz Withof († 1789).
Sokrates, oder von der Schönheit.
(bereits 1755 erschienen.)
5) von Heydenreich († 1801).
Das Selbstbewußtseyn.
6) von v. Schiller († 1805).
Die Künstler. (abgekürzt)
7) von v. Nostitz und Jänckendorf (Arthur
vom Nordstern);
aus s. Anregungen für das Herz und das
Leben (Leipz. 1825).
Gott.
Bahn zu Gott.
Werth der Beobachtungen.
Verschiedenheit im Wachsthum.
8) von Manso.
Zukunft.
9) von Conz.
Das Orakel der Weisheit. (abgekürzt)
10) von Christian Schreiber.
Die Sprüche des Lebens.
11) von Tiedge.
Unsterblichkeit und Gottheit.
(Bruchstück aus der Urania.)
12) von Pölitz.
Die zehn Gebote vom Hirschensteine*.
3) Die epische Form der Dichtkunst.
Wenn der Character der didactischen Form der
Dichtkunst auf der zur ästhetischen Einheit erhobenen
Darstellung von Gefühlen beruht, die durch
Begriffe des Verstandes, oder durch Jdeen der Vernunft
aufgeregt und hervorgebracht werden; so beruht
der Charakter der epischen Form der Dichtkunst
auf der zur ästhetischen Einheit erhobenen Darstellung
von Gefühlen, die durch Gegenstände
in der Naturwelt, oder durch Vorgänge
im Reiche der menschlichen Freiheit angeregt
und erzeugt werden.
Denn ob es gleich der allgemeine Charakter
der Dichtkunst, und die Grundbedingung jedes einzelnen
dichterischen Erzeugnisses ist, daß Gefühle
dargestellt, und diese, vermittelst der idealischen Gestaltung
des Stoffes, zur Einheit der Form verbunden
werden; so unterscheiden sich doch die einzelnen
Hauptklassen der Dichtkunst dadurch von einander,
daß der darzustellende Stoff in der lyrischen
|#f0261 : 249|
Form in unmittelbaren Gefühlen des Dichters,
in der didactischen Form in Gefühlen, hervorgebracht
durch Begriffe des Verstandes oder durch Vernunftideen,
und in der epischen Form in Gefühlen,
vermittelt durch die Wahrnehmung von Naturgegenständen
oder durch die Thatsachen und Wirkungen
der menschlichen Freiheit, besteht. So wie also beim
Lehrgedichte ein Begriff des Verstandes oder eine
Jdee der Vernunft die Gefühle im Gemüthe des
Dichters aufreget, welche, unter der Thätigkeit der
idealisirenden Einbildungskraft, zur vollendeten Einheit
der Form verbunden werden; so sind es im
epischen Gedichte entweder Gegenstände und Erscheinungen
in der Naturwelt, oder Jndividuen, Thatsachen
und Vorgänge in der Welt der Freiheit,
welche Gefühle anregen, denen die Einbildungskraft,
vermittelst des freien Spieles ihrer Thätigkeit, die
idealische Hülle ertheilt.
Die Stoffe der epischen Dichtkunst unterscheiden
sich daher von den Stoffen der geschichtlichen
Prosa, bei aller übrigen Verwandtschaft mit denselben,
theils dadurch, daß sie Gefühle, welche
durch Thatsachen und Ereignisse veranlaßt werden,
und nicht zunächst und ausschließend Thatsachen und
Vorgänge schildern, wie die geschichtliche Prosa;
theils dadurch, daß kein reingeschichtlicher Stoff
als episch betrachtet und behandelt werden kann, der
nicht an sich geeignet ist, Gefühle zu erregen, und
der nicht in dem Gemüthe des epischen Dichters die
aufgeregten Gefühle zur ästhetischen Einheit erhebt.
Es werden also nicht alle geschichtliche Stoffe, ohne
Ausnahme, der epischen Darstellung fähig seyn.
Denn so wie es Begriffe, Jdeen und Gegenstände
der menschlichen Erkenntniß giebt, welche keine Gefühle
|#f0262 : 250|
für die ästhetische Darstellung in der didactischen
Dichtkunst zu vermitteln vermögen; so giebt es auch
Naturgegenstände und Vorgänge in der Wirklichkeit
(z. B. ein stinkender Sumpf, ein verwesender thierischer
Leichnam, eine Lazareth-Amputation, eine Section
u. s. w.), die sich nicht für die dichterischen Darstellungen
eignen, weil sie das Gefühl zurückstoßen, statt
daß es für die dichterische Behandlung mächtig aufgeregt,
so wie, durch diese Aufregung, die Einbildungskraft
in eine freie Thätigkeit zur Hervorbringung
einer idealischen Form versetzt werden soll.
Allein für diese Beschränkung der epischen Dichtkunst
von der einen Seite in Hinsicht des Stoffes,
wird sie von der andern wieder hinreichend entschädigt,
daß sie, was dem Geschichtschreiber in der
Prosa nie verstattet ist, theils die wirklichen Naturgegenstände
und Thatsachen der Geschichte, nicht
nach ihrer geschichtlichen Wahrheit, sondern nach
ihrer ästhetischen Darstellbarkeit, d. h. nach den Gesetzen
des Jdeals behandeln, theils daß sie sogar,
nach der Aehnlichkeit wirklicher Erscheinungen und
Vorgänge, Naturerscheinungen, Jndividuen und
Thatsachen, die nie im Kreise der wirklichen Welt
bestanden, durch die schöpferische Einbildungskraft
ins Daseyn rufen darf, unter der einzigen Bedingung,
daß der darzustellende Stoff einen ästhetischen
Charakter trägt, und daß er von dem Dichter
zur vollendeten Einheit der Form erhoben wird.
Durch dieses freie Schaffen einer idealischen
geschichtlichen Welt unterscheidet sich daher der epische
Dichter wesentlich von dem Geschichtsschreiber
in der Prosa. Es heißt den Charakter der epischen
Dichtkunst, nach der Unermeßlichkeit ihrer Stoffe
und Gebilde, ganz verkennen, wenn man z. B. dem
|#f0263 : 251|
Dichter eines Romans vorwirft, er habe einen
Marc Aurel, einen Karl den Großen, einen Attila,
einen Tamerlan, eine Jungfrau von Orleans, eine
Maria Stuart, u. a. nicht mit geschichtlicher Treue
gezeichnet. Dies war weder sein Beruf, noch seine
Aufgabe. Allein wenn er diesen, im Allgemeinen
aus der wirklichen Welt entlehnten, Stoff durch
seine Behandlung nicht zu idealisiren, wenn er ihm
nicht die ästhetische Einheit der Form zu ertheilen,
wenn er nicht innerhalb dieser Form tiefe, innige
und warme Gefühle auszuathmen vermochte; dann
hat er freilich den Stab über sich selbst gebrochen,
weil er weder Historiker, noch Dichter war, indem
er das erste nicht seyn wollte und zu seyn nöthig
hatte, das zweite aber, aus Mangel an Tiefe
des Gefühls und aus Mangel an schöpferischer, die
Einheit der ästhetischen Form erzeugenden, Einbildungskraft
nicht zu seyn vermochte. Sobald aber
der epische Dichter mit schöpferischer Kraft über den,
der wirklichen Geschichte entlehnten, Stoff waltet,
und denselben für ästhetische Zwecke in idealischen
Formen ausprägt; sobald darf ihn das Urtheil der
strengen Historiker nicht kümmern, wenn sie über
den Eingriff in ihr Gebiet Klage führen. Denn
kommt ihnen die Kraft des Geistes zu, den rein
geschichtlichen Stoff zu einer vollendeten Form des
prosaischen Styls, nach allen Bedingungen des
Gesetzes der Form, zu gestalten; so werden sie innerhalb
ihres Gebietes eben so classisch erscheinen, als
der epische Dichter in dem seinigen, und Niemand
wird Bedenken tragen, Schlözer, Spittler,
Johannes Müller, Wachler, Luden u. a. auf
gleiche Linie, innerhalb der gediegenen Form der geschichtlichen
Prosa, mit den classischen Dichtern in
|#f0264 : 252|
den Formen der epischen Dichtkunst zu stellen, so
verschiedenartig auch die Art und Weise ist, wie der
Prosaiker, und wie der epische Dichter dem Gesetze
der Form Genüge leistet.
Unverkümmert bleibt daher dem epischen Dichter
das Recht, gleich dem Geschichtsschreiber in der
Prosa, über alle Stoffe der beiden geschichtlichen
Kreise: der Vergangenheit und der Gegenwart,
unter der einzigen Bedingung zu gebieten, daß diese
Stoffe ästhetisch darstellbar sind. Allein vorzugsweise
vor dem Geschichtsschreiber in der Prosa
behauptet der epische Dichter auch das Recht, eine
idealische Vergangenheit und Gegenwart,
als reines Erzeugniß seiner schöpferischen Einbildungskraft
zu gestalten, sobald er den frei ins
Daseyn gerufenen Stoff theils nach dem Gesetze
der logischen und ästhetischen Möglichkeit, theils
nach dem Gesetze der Form, als eine in sich gediegene
und vollendete Kunstform, behandelt. Unter
diesen Bedingungen gehört die ganze Zauber= und
Geisterwelt in den Kreis der Stoffe des epischen
Dichters, die er in den meisten einzelnen Formen
der epischen Dichtkunst, in dem ernsthaften und komischen
Epos, in der Romanze, Ballade, in der
Legende u. s. w., mit dichterischer Freiheit anwenden
kann; nur daß alle, der wirklichen Welt nicht
einheimische, Wesen (z. B. Engel, Teufel, Feen,
Sylphen, Nixen u. a.) nach dem Gesetze der logischen
Möglichkeit und der ästhetischen Darstellbarkeit
sich ankündigen müssen. Gegen die logische Möglichkeit
|#f0265 : 253|
verstößt aber blos der Unsinn, d. h. was nach
dem Gesetze der formellen Wahrheit, ohne innern
Widerspruch, nicht gedacht werden kann; so wie gegen
die ästhetische Darstellbarkeit das verstößt, was
keine Schönheit der Form verstattet, was mithin
nie unter das Gesetz der Form ─ das höchste für
alles durch Sprache Darstellbare und Dargestellte ─
gebracht werden kann.
Weil aber unzählige einzelne vollendete Formen
der epischen Dichtkunst ohne diese Beimischung einer
Zauber- und Geisterwelt bestehen; so darf diese
sogenannte Maschinerie nicht als zum Wesen
der epischen Dichtkunst selbst erforderlich
betrachtet werden, wie einige Theoretiker gethan
haben. Denn so gewiß diese Maschinerie,
nach den vorhandenen classischen Dichtern in der
epischen Form, zu den Eigenthümlichkeiten der epischen
Dichtkunst gehört; so gewiß darf sie doch nur
zum Luxus, und nicht zum ursprünglichen Wesen
dieser dichterischen Form gerechnet werden, weil
sonst die Maschinerie bei keinem einzelnen classischen
Erzeugnisse der epischen Dichtkunst fehlen dürfte. ─
Noch aber gehört es zu der Erweiterung des
reichen Gebietes der epischen Stoffe, daß der epische
Dichter ─ nächst den Thatsachen und Erscheinungen
in der Wirklichkeit, sie heiße Vergangenheit
oder Gegenwart, und nächst den durch die Einbildungskraft
ästhetisch umgeschaffenen wirklichen
Vorgängen, oder vermittelst der Einbildungskraft,
nach dem Gesetze der logischen Möglichkeit und ästhetischen
Darstellbarkeit, völlig neugestalteten Jndividuen,
Begebenheiten und Naturerscheinungen,
─ eben so gut auch abwärts von dem Menschen
(z. B. in der Fabel) seine Stoffe aus dem Kreise
|#f0266 : 254|
der unbelebten und der thierischen Organisationen,
wie aufwärts aus den Kreisen der übersinnlichen
Welt entlehnen, und beide Kreise mit dem
unmittelbaren Kreise der menschlichen Freiheit in
Verbindung und Wechselwirkung bringen kann,
doch jedesmal nach einem festbestimmten
Verhältnisse beider Kreise zum Kreise der
menschlichen Freiheit. Denn das in der Fabel
dargestellte Thier erscheint so wenig um seiner
selbst willen, als das höhere Wesen in dem Epos
und in der Ballade; beide sind des Menschen
wegen da, um entweder den thierischen Jnstinkt
in einer ästhetischen Verhüllung an den Wirkungskreis
der menschlichen Freiheit zu halten, oder ein
übersinnliches Wesen, nach seiner geistigen und überirdischen
Kraft, in Gegensatz und Widerstreit, oder
auch in Verbindung und Unterstützung mit den geistigen
und physischen Kräften der handelnden Jndividuen
zu bringen.
Die dramatische Form der Dichtkunst, die
der epischen nahe verwandt ist, unterscheidet sich dadurch
wesentlich von derselben, daß in der epischen
Form der Dichter in seinem eignen Namen spricht
und wirkt, während der dramatische Dichter seine
Jndividualität ganz aufopfert, und die Personen,
die er schildert, selbst in die Mitte der Darstellung
versetzt, um durch dieselben die Handlung durchführen
und die ästhetische Einheit der Form vollenden
zu lassen.
Die einzelnen Formen der epischen Dichtkunst
sind:
a) das ernste Heldengedicht;
b) das komische Heldengedicht;
c) die Romanze und Ballade;
|#f0267 : 255|d) die Legende;
e) die poetische Erzählung;
f) die Fabel.
Der Charakter des ernsten Heldengedichts beruht
auf der zur ästhetischen Einheit vollendeten
Darstellung des Kampfes der menschlichen
Kraft überhaupt, besonders aber der Kraft des
freien Willens mit der Macht des Schicksals.
Das Heldengedicht versinnlicht daher zwei
einander gegen über stehende Größen: Freiheit
und Naturnothwendigkeit; die erste vergegenwärtigt
in der Thätigkeit eines menschlichen Wesens,
die zweite in einer auf den Menschen eindringenden
äußern Macht und Gewalt, so daß die
ästhetische Aufgabe des Epos und die Wirkung desselben
in der Darstellung dieses Anwogens zweier
feindlicher Kräfte gegen einander sich ankündigt, wodurch,
bei der Anschauung dieses Kampfes, das gemischte
Gefühl der Lust und der Unlust angeregt
wird, bis zuletzt im Augenblicke der ästhetischen
Vollendung der Form ─ es siege nun
der Held über das feindliche Schicksal, oder er unterliege
demselben ─ das Gefühl der Lust das Uebergewicht
über das Gefühl der Unlust behauptet.
Das Heldengedicht verlangt also Handlung, und
zwar Handlung eines menschlichen d. i. eines, neben
der physischen Kraft, mit geistiger Kraft und mit
Freiheit des Willens ausgestatteten, aber unter den
Schranken der Endlichkeit stehenden, und gegen die
|#f0268 : 256|
Macht der Naturnothwendigkeit, oder gegen die
Vernichtung drohende Freiheit Andrer, anstrebenden
Wesens. Denn im Epos wird unter dem Schicksale,
das der Kraft des Helden feindlich sich entgegenthürmt,
bald die in ihren Ankündigungen unaufhaltbar
wirkende äußere Natur, bald die mit
allem Nachdrucke berechneter Klugheit und abgemessener
Bosheit anstrebende feindliche Freiheit andrer
Wesen seiner Gattung, bald beides zusammen in
abwechselndem Kampfe, bald aber auch der Antheil
überirdischer Wesen an diesem mächtigen Kampfe
verstanden. Von selbst folgt daraus, daß ─ sobald
der Dichter seines Stoffes völlig mächtig ist ─ die
ästhetischen Eigenschaften der Kraft, des Kühnen,
des Edlen und Würdevollen, des Unerwarteten und
Wundervollen, des Großen, des Erhabenen und
Feierlichen, des Pathetischen und Rührenden (vgl.
Th. 1. §. 51. 53─59), für die Aufnahme in das
ernste Heldengedicht besonders sich eignen, so wie,
durch die Vergegenwärtigung dieser Eigenschaften
innerhalb der vollendeten epischen Form, in dem
Gemüthe des Anschauenden der Kampf des Gefühls
der Lust mit dem Gefühle der Unlust veranlaßt wird,
der, nur in dem Augenblicke der Entscheidung der
epischen Handlung, in den Sieg des Gefühls der
Lust über das Gefühl der Lust übergeht.
Ob nun gleich der im Epos dargestellte Held
eben so nach seiner physischen Kraft, und nach
seinen geistigen Vermögen, namentlich nach der
Größe seiner Vernunft und nach der Jnnigkeit seines
Gefühls, wie nach seiner sittlichen Freiheit
im Kampfe mit dem auf ihn eindringenden feindlichen
Verhängnisse erscheinen kann; so erfüllt doch
der Kampf der sittlichen Kraft gegen die Macht
|#f0269 : 257|
des widrigen Schicksals mit einem erhöhtern gemischten
Gefühle der Lust und der Unlust, als die bloße
Wahrnehmung der Aeußerung der physischen oder
intellectuellen Kräfte, obgleich die ästhetische Wirkung
des Heldengedichts zunächst auf dem idealisirten
Anstreben gegen große, während des Kampfes
fortdauernd gesteigerte, Schwierigkeiten beruht, in
deren Besiegung die dem Helden einwohnende Kraft
sich bewährt.
Unter dieser Bedingung darf es auch nur Ein
Jndividuum seyn, das im Mittelpuncte der
dichterischen Darstellung steht. Auf diesen Helden
muß sich alles im Epos beziehen; alles muß um
seinetwillen da seyn; nichts darf in die Darstellung
aufgenommen werden, das nicht in näherer oder
entfernterer Verbindung mit ihm, und zwar nach
dem Verhältnisse stände, in welchem er seine
Kraft thätig beweiset. Das Erste daher, worauf
es im Epos ankommt, bleibt die versinnlichte Darstellung,
Haltung und Durchführung des Helden
und der Aeußerung seiner durch das Schicksal aufgebotenen
Kraft. Das Zweite ist die dichterische
Schilderung der Macht des Schicksals, gegen
welche er kämpft. Zwischen seiner Kraft und der
Macht des Schicksals muß aber in der epischen
Kunstform das sorgfältigst berechnete Verhältniß
herrschen. Denn wäre die Macht des Schicksals
ursprünglich stärker, als die Kraft, die gegen sie
ankämpft; so wäre der Sieg des Schicksals im
Voraus entschieden. Wäre hingegen die Kraft des
Helden, als solche, sogleich in ihrer ersten Ankündigung
überwiegend über die Gewalt des Schicksals,
das sie zum Kampfe anregt; so könnte der Held
nicht der Gegenstand unsrer Theilnahme und Bewunderung
|#f0270 : 258|
werden, weil nur die Gleichmäßigkeit
der Kraft des Andranges und des Widerstandes die
hohe Bewegung und den innern Kampf der Lust
und Unlust im Gefühlsvermögen hervorbringt. Nur
dadurch also, daß, bis zum Schlusse des Epos,
gleichmäßig mit der sich verstärkenden Macht des
Schicksals auch die Kraft des Helden in einer unverkennbaren
Steigerung sich ankündigt, wird das
Jnteresse an der Darstellung erhalten und erhöht.
Mag übrigens der Held zuletzt siegen oder unterliegen;
so streitet beides nicht mit dem Charakter
des Epos; nur muß der Held, wann er unterliegt,
als ein Wesen fallen, das bis zum letzten Augenblicke
den Anspruch auf Achtung, Theilnahme und
Bewunderung behauptet. Selbst der überirdische,
der göttliche Held muß, sobald er im Epos erscheint,
als sittlich vollendeter Mensch, im Vollgefühle
und in der Vollkraft aller höhern geistigen
Vermögen, nach der höchsten Reife der Vernunft,
nach der größten Jnnigkeit, Reinheit und Stärke
des Gefühls, und nach der unwiderstehlichen Kraft
der geläutertsten sittlichen Freiheit sich ankündigen,
um, ausgestattet mit dieser Gesammtheit vollendeter
Eigenschaften, den großen Kampf mit der andringenden
Macht des feindlichen Schicksals zu bestehen;
denn der Knoten, dessen Schürzung auf der
Steigerung dieses Kampfes beruht, soll nicht durch
überirdische Kräfte zerhauen, sondern durch die Kraft
des freien Willens gelöset werden.
Der Dichter des Epos ist, wie die Theorie der
epischen Dichtkunst überhaupt (§. 37 und 38.) zeigte,
wenn er auch geschichtliche Thatsachen zur Unterlage
seiner Darstellung wählt, nicht an das Gesetz der geschichtlichen
Wahrheit gebunden; wohl aber muß
|#f0271 : 259|
er die dichterische Wahrheit, die innere Nothwendigkeit
in den Handlungen des Helden, und
den innern Zusammenhang zwischen der Freiheit
des Helden und der Macht des Schicksals festhalten,
weil ohne diese innere Nothwendigkeit keine
Einheit der ästhetischen Form möglich ist. Aus
dem Festhalten dieser innern Nothwendigkeit ergiebt
sich die Eintheilung des Epos in die einzelnen
Acte oder Gesänge, so daß jeder einzelne Gesang
ein in sich abgeschlossenes Ganzes des dargestellten
Kampfes zwischen der Freiheit des Helden und der
Macht des Schicksals bildet, obgleich jeder einzelne
Gesang mit den vorhergehenden und nachfolgenden
Gesängen im nothwendigen Zusammenhange stehen
muß. Selbst die Aufnahme des Wunderbaren
und Uebersinnlichen in das Heldengedicht (§.
38.) steht unter diesem Gesetze der innern ästhetischen
Nothwendigkeit, so daß es keinen zufälligen
und außerwesentlichen, sondern einen nothwendigen
Bestandtheil der ganzen Handlung bildet.
Die künstlerische Anlegung, Haltung und Durchführung
des Epos, der darin vorherrschende Ton
des Gefühls, und die wechselnde Farbengebung in den
einzelnen dargestellten Gruppen und Schilderungen,
ist eine Wirkung der Begeisterung und der schöpferischen
Einbildungskraft des Dichters, und wird deshalb
─ im ganzen Umfange der ästhetischen Form ─
das Gepräge der Jndividualität des Dichters an sich
tragen. Je größer seine dichterische Kraft ist, den
Helden nach allen seinen Handlungen und Ankündigungen
im Glanze des Jdeals, und, ihm gegen
über, die Macht des Schicksals in ihrem ganzen
Umfange darzustellen; je bestimmter das Gesetz des
innern Zusammenhanges und der Nothwendigkeit
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zwischen allen einzelnen Theilen herrscht, und je mehr
es ihm gelingt, das Jnteresse an der Darstellung
bis zu dem Schlusse hin zu steigern; desto umschließender
und sicherer wird die Wirkung des Epos
seyn.
Wenn man in neuerer Zeit den ästhetischen
Charakter des Epos beinahe zu überschätzen und
die epischen Dichtungen über die lyrischen zu
stellen suchte; so darf man, um beide gehörig zu
würdigen, den wesentlichen Unterschied zwischen beiden
nie übersehen. Die lyrische Form der Dichtkunst
versinnlicht nämlich die höchste Kraft des intensiven
Lebens der Gefühle, die epische Form
die möglichst höchste extensive Ankündigung dieser
Gefühle in Handlungen, welche rückwärts in dem
menschlichen Gefühlsvermögen begründet und mit
den Aeußerungen dieser Gefühle vergesellschaftet sind.
Die Aufgabe und der Zweck der lyrischen Dichtkunst
ist daher die sinnlich vollendetste Subjectivität,
so wie die Aufgabe und der Zweck der epischen Dichtkunst
die sinnlich vollendetste Objectivität. ─
Ungeachtet dieser ursprünglichen Verschiedenheit ihres
ästhetischen Charakters, stehen aber doch die lyrische
und epische Form der Dichtkunst einander gleich
in Hinsicht des ästhetischen Gehalts; denn dieser
beruht nicht auf der Wahl des dichterischen Stoffes,
sondern auf der Gediegenheit und ästhetischen
Vollendung der Form, so wie das größere Wohlgefallen
entweder an der lyrischen, oder an der epischen
Form ─ bei gleicher Classicität derselben ─
von der individuellen Stimmung dessen abhängt, der
bei der Betrachtung dieser Kunstformen verweilt.
Man darf übrigens den modernen Epos nicht
mit dem griechischen verwechseln; denn mehr, als
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die lyrische und didactische Form der Dichtkunst,
trägt die epische die Farbe und das Gepräge
der einzelnen Völker und Zeiten, weil ihr
Jndividuen, Ereignisse und Thatsachen
zum Grunde liegen, die nur im Lichte ihrer Zeit
ganz richtig aufgefaßt werden können. So viel daher
auch der epische Dichter von der geschichtlichen
Wahrheit in seiner Darstellung abgewichen seyn mag;
so wird er doch das Zeitalter, mit seinen Vorstellungen
und Ansichten von Religion und Staatsleben,
so wie das Volk nicht verläugnen können, aus dessen
Geschichte mehr oder weniger in die einzelnen
Schilderungen ─ vielleicht selbst nur in die Episoden
─ des Epos übergeht. Dies gilt von der
Jlias und Odyssee, wie von dem Heldenbuche und
dem Niebelungenliede. Kein Dichter der griechischen
und römischen Vorzeit hätte des heiligen Grals, oder
des Ezels und Siegfrieds gedenken können, und
Dante in seiner göttlichen Komödie, Tasso in
seinem befreiten Jerusalem kündigen nicht nur sogleich
sich als christliche Dichter, sondern auch ─
im Gegensatze der Ritterdichtkunst des eigentlichen
Mittelalters ─ als epische Dichter im ausgehenden
Mittelalter an. Eben so tragen Miltons
verlornes und wiedergefundenes Paradies theils den
Charakter eines brittischen Dichters, theils die Farbe
der religiösen und kirchlichen Ansichten seiner Zeit.
Dies gilt selbst von dem vollendetsten Epos in teutscher
Sprache, von Klopstocks Messiade. ─
v. Schönaichs Hermann, oder das befreite
Teutschland, Bodmers Noachide, und Joh. Elias
Schlegels Heinrich der Löwe stehen, in Hinsicht
der ästhetischen Haltung, weit hinter dem Messias.
Kräftig war der Ton in Zachariä's Schöpfung
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der Hölle; sein Cortes aber, und Wielands
Cyrus blieben Bruckstück. Geßners Tod Abels
und Voß Luise müssen als idyllisches Epos aufgeführt
werden. Allein v. Sonnenberg schwang
sich im religiösen Epos ─ im (unvollendeten) Weltende,
und in Donatoa ─ dem Sänger des Messias
am nächsten; so wie v. Alxinger im Doolin
von Mainz und im Bliomberis, und Fr. Aug.
Müller im Richard Löwenherz, Alfonso, Adelbert
dem Wilden ─ mit wenigen andern ─ im ernsten
weltlichen Epos nicht ohne Achtung genannt zu werden
verdienen, wenn auch der ästhetische Gehalt ihrer
Epopöen nicht überfeiert werden darf.
1) vom Freiherrn v. Schönaich († 1807;
81 Jahre alt).
(aus s. Hermann, oder das befreite Teutschland;
neue Aufl. Leipz. 1753. ─ Bruchstück
aus dem zwölften Buche, wo Hermann die
Teutschen den unter Varus sich nähernden Römern
entgegen führt.)
2) von Klopstock († 1803).
Jesus in Gethsemane.
(aus dem fünften Gesange des Messias.)
3) von Bodmer (1783).
Bruchstück aus dem achten Gesange der Noachide.
(nach der umgearbeiteten Auflage vom J. 1781).
4) von v. Sonnenberg († 1805).
Bruchstück aus Donatoa, oder das Weltende.
Anfang des vierten Gesanges.
5) von Fr. Aug. Müller († 1807).
Bruchstück aus seinem: Richard Löwenherz in
7 Büchern. (Berl. 1790. 8.)
Das komische Heldengedicht ist dem ernsten
Epos dadurch verwandt, daß es, wie dieses, ein
im Mittelpuncte der Darstellung erscheinendes Jndividuum
im Kampfe mit einem widrigen Geschicke
versinnlicht, und durch die ästhetische Anlage, Haltung
und Durchführung dieses Kampfes das gemischte
Gefühl der Lust und der Unlust anregt, bis
endlich, im Augenblick der Entwickelung und Entscheidung
des Kampfes, der Held des komischen Epos
als Sieger aus dem Kampfe hervortritt, und gleichfalls
das Gefühl der Lust den vollständigen Sieg
über das Gefühl der Unlust behauptet. Denn das
ist eine nothwendige Bedingung des komischen Epos,
daß das in den Mittelpunct des Ganzen gestellte
Jndividuum zuletzt glücklich wird, und nicht dem
widrigen Schicksale erliegt, wie dies im ernsten Heldengedichte
eben so oft, als der Sieg des Helden
über die Macht des auf ihn einstürmenden Schicksals,
eintreten kann.
Ob nun gleich das komische Heldengedicht, wie
das ernste, eine sehr vielseitig durchgeführte und vielfach
verwickelte Handlung, nicht selten auch eine
Mischung von ernsten und komischen Scenen, darstellen
kann; so ist doch weder das in die Mitte des
Ganzen gestellte Jndividuum ein Held in dem
höhern Sinne des Wortes, wie er in dem ernsten
Heldengedichte (z. B. der Messias, Noah, Hermann
der Cherusker, Richard Löwenherz u. a.) erscheint;
noch ist das feindliche Geschick, das seine
Kräfte in Thätigkeit setzt, von der Art und Weise,
daß man eine völlige Vernichtung des Helden von
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ihm befürchten dürfte. Wenn denn also auch das
Gefühl der Unlust durch die ästhetische Schilderung
dieses widrigen Geschicks oft angeregt wird, und mit
dem Gefühle der Lust in dem Gemüthe des Anschauenden
abwechselt; so ist doch durchgehends im
komischen Epos das Gefühl der Lust vorherrschend,
weil der Dichter des komischen Epos die Widerwärtigkeiten
seines Helden nur als Schatten zum Lichte
gebraucht, nicht aber um, bis zur Auflösung des
Ganzen, einen mächtigen und immer höher steigenden
Gegensatz des Schattens und des Lichtes aufzustellen.
Jm komischen Heldengedichte schimmert, bei
allen neueintretenden Schwierigkeiten, doch im Voraus
der Sieg und das Glücklichwerden des vielfach
versuchten und geprüften Helden hindurch, so daß
die Hauptaufgabe des Dichters bleibt, seinen Helden
gegen alle Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten so
ankämpfen zu lassen, daß er nicht nur unsre Theilnahme,
sondern auch unsere Achtung behält, und
daß wir ihn, am Schlusse des Ganzen, deshalb
mit einem hohen Gefühle der Lust, als Sieger und
belohnt erblicken, weil er den Kampf mit dem widrigen
Geschicke ehrenvoll und durch seine eigne geistige
Kraft bestand. Dieses Gefühl der Lust kann
aber nur dann rein und vollständig seyn, wenn die
Form des komischen Heldengedichts, als solche, eine
in sich vollendete ästhetische Einheit bildet, die auch
als bloße Form, noch abgesehen von dem dargestellten
und glücklich gewordenen Helden, um ihrer selbst
willen gefällt.
Die teutschen Dichter des Mittelalters bauten
das komische Heldengedicht vielfach an; allein allen
fehlt die ästhetische Einheit und Vollendung der
Form, und vielen der rein epische Charakter, weil
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das Didactische und Satyrische zu oft eingemischt
ward. Doch gehört die vielfach in beiden teutschen
Hauptdialecten gestaltete Fabel vom Reinecke dem
Fuchs zu den gelungensten Formen des komischen
Heldengedichts, neben welcher Rollenhagens sinnreicher
Froschmäuseler seinen Platz verdient. ─ Unter
den teutschen Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts
versuchte sich besonders Zachariä in dem
Renommisten (wovon der erste Theil dieses
Werkes S. 409 ein Bruchstück enthält), in dem
Schnupftuche, im Phaeton, im Murner in
der Hölle nicht ohne Erfolg im komischen Epos.
Jhm folgten Uz, Löwe und Dusch mit geringerm
Werthe. Allein v. Thümmels Wilhelmine, obgleich
nicht in die äußere Form des Metrums gekleidet,
von dem Dichter selbst „ein romantisches
Heldengedicht“ genannt, dürfte, nächst Wielands
Oberon, unter allen diesen jüngern komischen Heldengedichten
den Vorzug behaupten, wenn gleich
Prätzels Feldherrnränke nicht ohne einzelne gelungene
Schilderungen sind.
1) von Rollenhagen († 1609).
Bruchstücke aus dem sinnreichen Froschmäuseler,
vorstellend der Frösche und Mäuse
wunderbare Hofhaltung.
α) Anfang des ersten Capitels.
β) aus dem 7ten Capitel, wo Ulysses seine Diener
wieder zu Menschen machen läßt.
2) von Moritz Aug. v. Thümmel († 1817).
Bruchstück aus s. Wilhelmine.
─ Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen
Fürsten, nicht fern von der schiffbaren Elbe, verbreiteten
sich in dem anmuthigsten Thale zwanzig kleine Wohnungen
fröhlicher Landleute. Junge Haselstauden und wohlriechende
Birken verbauten dieses Landgut in Schatten,
und versüßten dem fleißigen Bauer die entkräftende Arbeit,
wenn der Hundsstern wütete, und, entblättert
vom Boreas, flammte dieß nutzbare Gebüsch in wohlthätigen
Oefen, wenn der Winter das Thal mit Schnee
füllte, und nun ein Nachbar zum andern schlich, um die
langen müßigen Stunden durch schlaue Gespräche zu verkürzen.
So lebten diese Hüttenbewohner ruhig und mit
jeder Jahreszeit zufrieden.
Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus,
hatte seit vier unglücklichen Jahren die ländliche
Munterkeit verloren, die auch sonst auf seiner offenen
Stirne gezeichnet war. Ein geheimer Kummer peinigte
sein Herz. Wenn er die ganze Woche hindurch in der
Einsamkeit seiner verrußten Klause getrauert hatte; dann
winselte er am Sonntage der schlafenden Gemeinde unleidliche
Reden vor, und selbst bei dem theuer bezahlten
Leichensermone verließ ihn seine sonst männliche Stimme.
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Die Klügsten der Gemeine marterten sich umsonst, die
Ursachen seines Leidens zu entwickeln. Was fehlt unserm
Magister? fragte einer den andern. Wir lieben
ihn ja; er ist der Vornehmste im Dorfe, und wird auch
nicht etwa, wie dieser und jener, von einem hochmüthigen
Junker geplagt, denn der unsere lebt, Gott sey es
gedankt, fern von uns, und verbrauset seine Renten in
Frankreich. So klagten die Bauern den Kummer ihres
Magisters! Aber umsonst blieb ihr mitleidiges Nachforschen;
der tiefsinnige Pastor verbarg seine Sorgen der
Neugier, und außer Sonntags, wo sein Amt ihm gebot,
schien seine Sprache verloren. Vier Jahrgänge
finsterer Predigten hatte er also geendiget. Mit zitternden
Händen geschrieben und auf einem Haufen gesammlet,
lagen sie in einem verriegelten Schranke, oft von
andächtigen Würmern besucht, die alle Buchstaben zerfraßen.
Aber die komische Muse hüpft ängstlich über den
heiligen Staub und über die traurigen Scheduln des
Pastors. Sie beschäftige sich nur mit seinem Glücke,
und erzähle den wunderbaren Traum, der ihn bewillkommend
an der letzten Stufe des Jahres, mit dem
Ende seines schwindsüchtigen Kummers schmeichelte. Jn
der zwölften Stunde der Nacht erschien Amor dem eingeschlummerten
Pastor, der über das Zudrängen dieses
kleinen Unbekannten heftig erschrack; denn bisher hatte
er ihn nur aus dem großen Rufe seiner Verwüstungen
gekannt. Doch der freundliche Amor ließ ihn nicht lange
in seinem ungewissen Erstaunen, schüttelte seinen Köcher,
und sprach also zu ihm: Entschuldige den Amor, theurer
Sebaldus, wenn er bisher wider seinen Willen dein
Feind gewesen ist, und erschrick nicht über seine Erscheinung,
die dir dein Glück verkündiget. Wilhelmine ─
bei diesem Namen durchströmte ein leuchtendes Roth die
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verfallenen Wangen des Pastors, und Amor fuhr lächelnd
fort: Jch sehe, du erinnerst dich noch dieser lebhaften
Schönen, die einst, in diesen Fluren geboren, nur von
der unschuldigen Natur erzogen ward, die dir oft in der
feurigsten Predigt, durch einen einzigen Blick ihrer hellblauen
Augen, ein langes verhaßtes Stottern, ─ und,
wenn du allein warest, manchen lauten Seufzer erregte.
Ach, sie hätte dich gewiß zum Glücklichsten deines Standes
erhoben, wenn nicht die Jntrigue eines neidischen
Hofes sie deinem Kirchspiele entführt, und unter die
fürstlichen Zofen versetzt hätte. O wie traurig hast du
diese Zeit ihres Hofdienstes hinschleichen lassen! Doch
das Ende deiner Leiden ist da! Wie leicht wird dir es
werden in Wilhelminens tröstenden Armen, oder an ihrem
wallenden Busen, der vergangnen traurigen Tage
zu vergessen. Ermuntere dich also und höre meinen liebreichen
Rath. Morgen wird die reizende Wilhelmine
den graubärtigen Verwalter, ihren Vater, besuchen; ─
von keinem Höflinge begleitet, wird sie des Mittags zu
ihm fahren. Welch ein bedeutender Wink, den das
Schicksal dir giebt! Folge ihm; suche Wilhelminens Gesellschaft,
und eröffne ihr, so rührend als du vermagst,
deine brennende Neigung!
Die neue Sonne rollte den jungen Tag des Jahres
herauf. Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten jauchzte
ihr entgegen; andere, unglücklicher, zerrissen das Neujahrsgedicht,
seit dem September geschmiedet; denn ihr
alter Mäcen ist den heiligen Abend vorher gestorben, und
hinterläßt geizige Erben. Verjährte Rechte, drohende
Wechselbriefe, erfüllte Hoffnungen und erseufzte Majorennitäten
drängten sich auf den Stralen des neuen
Lichts in das beunruhigte Herz der erwachten Sterblichen.
Und der voll Hoffnung erwachte Pfarrherr ging
in der Frühe zu Niclas, dem Verwalter; wünschte ihm
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ein fröhliches neues Jahr, und ließ sich wieder eins
wünschen; dann erzählte er ihm seinen nächtlichen Traum
bündig und kurz; denn die gebietenden Glocken hatten
schon zum drittenmale geläutet, und die geputzte Gemeinde
sah sehnlich ihrem Herrn Pastor mit seinem Neujahrswunsche
entgegen. Ach wie fröhlich klopfte Niclas
dem Herrn Magister die Achsel, und zweifelte gar nicht
an der Erfüllung des Traumes. Hurtig bestellt' er die Küche;
auch bat er den werthesten Träumer zur Tafel, und
ging an seiner rechten Seite mit ihm vertraulich in die
Kirche. Der künftige Herr Schwiegersohn hielt eine erbauliche
Predigt, bis unter Singen und Beten die Mittagssonne
hervortrat. Schon eilte die buntschäckige Gemeinde
mit gesättigter Seele und hungrigem Magen
nach Hause, als der erwartete Wagen zur Höhe des
Dorfes hereinschimmerte. Mit weiten Schritten und
fliegendem Mantel eilte der hagere Magister den sechs
Schimmeln vorzukommen, um seine Schöne aus dem
Wagen zu heben. Keuchend schmälte er auf sich, daß
er so lange gepredigt; aber dennoch überhohlte er die
rollende Kutsche, und empfing die holde Wilhelmine
an der Thüre ihrer vormaligen Wohnung. Von dem
Zurufe ihrer herzugelaufenen Bekannten begrüßt, reichte
sie, nicht mehr als eine Nymphe des Dorfes, ihrem unerkannten
Liebhaber die Hand mit kostbaren Ringen gezieret,
und sagte höflich zu ihm: Wie geht es, werther
Herr Pastor? Darauf umarmte sie ihren alten weinenden
Vater, der vor der Hofstimme der Tochter erschrack,
und nicht wußte, ob er mit seiner bäuerischen Sprache
ihre Ohren beleidigen dürfte. Noch scheuer und in einem
unaufhörlichen Bücklinge stand ihr Liebhaber vor
ihr, und hustete immer, und sprach ─ nichts, ─ lange
getrauete er sich auch nicht, sie anzublicken; denn ihr
hüpfender Busen, von keinem ländlichen Halstuche bedeckt
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, war ein zu ungewöhnlicher Anblick für ihn, und setzte
seine Nerven in ein fieberhaftes Erzittern. Mit zufriedenem
Mitleiden beobachtete Wilhelmine den Einfluß ihrer Person,
und riß endlich Vater und Liebhaber aus ihrer Betäubung.
Jhre harmonische Stimme belebte manche vertraute
Erzählung, bald von den Freuden des Hofes, von
englischen Tänzen und überirdischen Opern, und von den
unnützen Verfolgungen ihrer lächerlichen Amanten; bald
aber auch bejammerte sie mit nachdenkender Stimme den
steten Wechsel des Hofes und den Ekel, der hinterlistig
dem taumelnden Höflinge nachschleicht, und da wünschte
sie sich ─ welch ein Vergnügen für den horchenden Priester
─ einst wieder mit Ehren zur glücklichen Stille des
Landes zurück.
Unter diesen anmuthigen Gesprächen, wovon meine
Muse nicht die Hälfte verräth, setzte sich die liebe Gesellschaft
vertraulich und ohne Gebet zu Tische. Erschrocken
dachte zwar der Magister daran; doch durfte er es jetzt
nicht wagen, sich wider die Gewohnheiten des Hofes
zu empören. Um das Mittagsmahl zu verherrlichen,
hatte die schöne Tochter des Hauses vier Flaschen köstlichen
Weins mitgebracht. Sie öffnete eine davon, und
schenkte mit wohlthätigen Händen ihrem Liebhaber und
Vater schäumende Gläser ein. Lange besah der Magister
das unbekannte Getränk, kostete es mit der Miene des
Kenners, und ließ doch sein Feuer verrauchen. Endlich
fragt' er pedantisch: Liebe Mansell, für was kann ich
das eigentlich trinken? Lächelnd antwortete sie: es ist
von unserm Burgunder. Nach ihm setzte man auch eine
langhälsichte Flasche des stillscheinenden bleichen Champagners
auf die Tafel. Schon ganz freundlich durch
den Burgunder, reichte sie der Magister den befehlenden
Händen der Schönen. Aber er wäre bald vor Schrecken
versunken, als der betrügerische Wein den Stöpsel an
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die Wand warf, und wie der vogelfreie Spion, der
sich einsam und sicher in dem Walde geglaubt hat, durch
den Mörser eines feindlichen Hinterhalts aus seiner Ruhe
geschreckt wird ─ so betäubte der schreckliche Knall die
Ohren des zitternden Pastors. Erst auf langes Zureden
und hundert Betheuerungen der Schönen trank er den
tückischen Wein, und empfand bald dessen feurige Wirkung;
denn nun öffnete der laute Scherz und der wiederkehrende
Witz seine geistlichen Lippen. Antithesen und
Wortspiele jagten einander; und da gewann er auf einmal
den ganzen Beifall der artigen Wilhelmine, wie
ihm sein Traum vorher verkündigt hatte. Jetzt erschrack
er nicht mehr vor dem erhabenen Busen, den er selbst
belebender fand, als den brausenden Champagner. Dreimal
hatt' er mit lüsternen Augen hingeschielt; da ward
er so dreist und wagte es, von dem alten Verwalter unterstützt,
das Herz der englischen Kammerjungfer zu bestürmen.
So viele Waffen der Liebe, als nur seine unerfahrne
Hand regieren konnte; so viele zärtliche Blicke,
so ein gefälliges Lächeln, als ihm nur zu Gebote stehen
wollte, verwendete er auf die Hoffnung einer geschwinden
Eroberung. Welch eine Verschwendung von süßen
rührenden Worten! Erstaunt sah Wilhelmine ihren dringenden
Freund an, und dreimal wankte sie, ─ aber, ein
geheimer Stolz und die Rücksicht auf den prächtigen
Hof erhielt sie noch ─ bis ihr endlich Vater und Liebhaber,
immer einander unterbrechend, das Wunder des
Traumes entdeckten. Denn da erkannte sie selbst in allem
die sichtbaren Wege des Himmels und ihren Beruf, und
durch die Beredsamkeit des Pastors bekehrt, entfernte
sie allen Zwang des Hofes von ihren offenherzigen Lippen.
Wohlan! sagte sie, nachdem sie in einer kleinen freundlichen
Pause die Beschwerden und die Vortheile des Hymen
gegen einander gehalten, und noch die reife Ueberlegung
|#f0309 : 297|
auf ihrer Stirne saß. ─ „Wohlan! ich unterwerfe
mich den Befehlen meines Schicksals; ja, ich will
selbst mit Vergnügen das unruhige Leben des Hofes mit
den stillen Freuden meines Geburtsortes vertauschen;
und da Sie mich einmal lieben, Herr Pastor, so würde
es unzeitig seyn, spröde zu thun. Jch sehe die Ungeduld
Jhrer Neigung auf Jhrem Gesicht! Kommen Sie her,
mein Geliebter, und ─ welch ein Triumph für einen
Unerfahrnen, der nie den Ovid gelesen ─ küssen Sie
mich, und nehmen Sie zum Zeichen unsrer Versprechung
diesen Ring an!“ Und mit unaussprechlichem Vergnügen
kam der schwerfällige Liebhaber gestolpert, küßte sie
dreimal, und machte es zur Probe, recht artig. Sie
steckte ihm einen Demant, in Form eines flammenden
Herzens, an das kleinste Glied seines Fingers, und Er
─ welcher Tausch! ─ überreichte ihr einen ziegelfarbnen
Karniol, worein ein Anker gegraben war. Nun brachte
jede Minute neuen Zuwachs von Liebe und Vertrauen in
ihre verbundene Gesellschaft, und frohe Gespräche von
ihrer baldigen Hochzeit beschäftigten ihre unermüdeten
Lippen.
Wie in der lyrischen Form der Dichtkunst die
Elegie zur Ode und Hymne sich verhält; so ungefähr
verhält sich in der epischen Form der Dichtkunst
die Romanze und Ballade zum eigentlichen Epos.
Denn wie im Epos die Freiheit des im Mittelpuncte
der Darstellung stehenden Helden zu dem ihn bestürmenden
widrigen Schicksale sich ankündigt; so in
der Romanze und Ballade die Thätigkeit und Kraftäußerung
des aufgestellten Jndividuums in Beziehung
auf die widrigen Schicksale, die auf dasselbe eindringen.
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Wie im Epos der Held entweder siegt,
oder der Macht des Schicksals unterliegt; so wird
er auch in der Romanze und Ballade entweder sein
Ziel erreichen, oder dasselbe verfehlen. Wie endlich
im Epos die gemischten Gefühle der Lust und Unlust
gegen einander anwogen und um das Uebergewicht
im Bewußtseyn des Anschauenden streiten, bis,
am Schlusse der Form, bei der Wahrnehmung der
ästhetischen Entwickelung, Auflösung und Entscheidung
des Ganzen, und bei dem vor die Seele tretenden
vollendeten Bilde von der Einheit der dichterischen
Form, das Gefühl der Lust den Sieg über
das Gefühl der Unlust feiert; so muß auch, am
Schlusse der Romanze und Ballade, das Wohlgefallen
an der Entwickelung der dargestellten Handlung
und an der vollendeten dichterischen Form, den
Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl der
Unlust vermitteln.
Die Romanze und Ballade gehört, dem Stoffe
nach, zur epischen Dichtkunst; denn er schildert
zunächst Jndividuen, nach ihren Handlungen und
Schicksalen. Oft ist es nur Ein Jndividuum, dessen
Begebenheiten und Handlungsweise der Dichter
vergegenwärtigt; oft aber wird eine Mehrzahl von
Jndividuen in der Darstellung der Romanze geschildert,
unter welchen jedesmal Ein Jndividuum als
Hauptperson sich ankündigt. Doch nach der Form
und dem Tone, der in der Romanze und Ballade
vorherrscht, ist sie unter allen einzelnen Formen
der epischen Dichtkunst der lyrischen am
nächsten verwandt, weil nicht nur, wie in den
übrigen epischen Formen, tiefe Gefühle durch die
Darstellung menschlicher Handlungen und menschlicher
Schicksale aufgeregt werden, sondern in den meisten
|#f0311 : 299|
Fällen die innigsten Gefühle des menschlichen Herzens,
die Gefühle der Liebe, der Zärtlichkeit, der
Freundschaft und der Theilnahme, den in der Romanze
und Ballade versinnlichten Handlungen und
Begebenheiten zum Grunde lagen. Der Stoff der
Romanze und Ballade, er sey nun entweder aus
der wirklichen Geschichte entlehnt und nur von dem
Dichter für seinen ästhetischen Zweck gestaltet, oder
er sey ein reines Erzeugniß seiner schöpferischen
Einbildungskraft, kann bald der Mythologie, bald
dem heroischen Zeitalter der Völker, bald den religiösen
Vorstellungen und Ansichten, bald dem Klosterleben,
bald auch den Vorgängen des gewöhnlichen
Lebens angehören; nur muß ein höheres Gefühl
als Grundton des Ganzen sich ankündigen, und
die ästhetische Vollendung der Form auf der Haltung,
Durchführung und Steigerung dieses Gefühls
beruhen. Denn selbst bis zur Stärke der Leidenschaft
kann dieses Gefühl von dem Dichter erhoben werden,
je mächtiger entweder dieses Gefühl ursprünglich
erscheint, oder je größer der Kampf ist, den die
einwohnende Kraft des handelnden Jndividuums mit
den Schwierigkeiten und Hindernissen eines widrigen
Geschicks bestehen muß. Die Maschinerieen,
die, wie in der Epopöe, in mehrern Romanzen und
Balladen vorkommen, gehören nicht zu ihrem eigentlichen
Wesen; denn es sind viele, der Form nach
vollendete, Romanzen vorhanden, die der Maschinerie
ermangeln (z. B. Schillers Bürgschaft;
Seume's Opfer u. a.). Wo sie aber aufgenommen
wird (z. B. in Bürgers Leonore u. a.), muß
sie als ästhetisch = nothwendig erscheinen, und zur
Schürzung und Entwickelung des Knotens der Hauptbegebenheit
gehören. Die Kürze oder Länge der
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Form der Romanze und Ballade wird durch die
gleichmäßige ─ weder abgebrochene, noch gedehnte ─
Haltung aller einzelnen Theile des ästhetischen Ganzen
bedingt; so wie die Schlußentwickelung der Handlung
oder der Schicksale des Jndividuums erfreulich
(z. B. in Schillers Bürgschaft) oder traurig
(z. B. in des Pfarrers Tochter von Taubenhain
von Bürger) seyn kann, ohne daß dadurch die
Forderungen des Gesetzes der Form an die ästhetische
Vollendung der Romanze und Ballade verändert
werden.
Ohne hinreichenden Grund bestimmten einige
Theoretiker die Bezeichnung Romanze für die frohe
und heitere Einkleidung und Durchführung, das
Wort Ballade aber für die traurige und erschütternde
Darstellung dieser epischen Kunstformen.
Denn die Benennung Romanze stammt aus der
verderbten lateinischen (romanischen) Sprache, in welcher
man seit dem zehnten Jahrhunderte dichterische
Schilderungen von kriegerischen und verliebten Abenteuern
niederschrieb; und Ballade bezeichnete ursprünglich
ein Lied, das man zur musikalischen Begleitung,
ja selbst zum Tanze, sang. Jn theoretischer
Hinsicht kann zwischen beiden Benennungen
kein wesentlicher Unterschied ausgemittelt und
durchgeführt werden; auch haben die classischen Dichter
nie ausschließend an die eine oder die andere
Bezeichnung sich gebunden. ─ Auf gleiche Weise
verhält es sich mit der von einigen Theoretikern aufgestellte
Forderung, daß der Ton der Romanze dem
Volksliede sich nähern müsse. Zugestanden, daß
dies bei einzelnen gediegenen Romanzen und Balladen
─ namentlich bei den Bürgerschen, Stolbergischen
und Langbeinischen ─ wirklich der
|#f0313 : 301|
Fall ist; so liegen doch auch andere treffliche Gedichte
aus dieser Gattung (besonders die von Schiller,
Göthe, Seume, Schlegel, Tiedge, Kosegarten
u. a.) nicht geradezu in dem Gesichtskreise
der Kenntnisse, Meinungen und Ansichten des Volkes,
sondern verlangen, um verstanden und ganz gefühlt
zu werden, einen höhern Grad von geistiger
und ästhetischer Bildung, als man gewöhnlich in der
Mitte des Volkes antrifft.
1) von Seume († 1810).
Das Opfer.
2) von Aug. Wilh. v. Schlegel.
Pygmalion.
3) von Luise Brachmann († 1822).
Columbus.
4) vom Freih. v. Steigentesch.
Der Troubadour.
Die Legende steht in demselben Verhältnisse
einer Untergattung zur Romanze und Ballade, wie
die Dithyrambe zur Hymne. Denn sie enthält die
Darstellung von Gefühlen, welche durch die Vergegenwärtigung
von Jndividuen, Handlungen und Begebenheiten
erregt werden, unter der Einheit einer
vollendeten ästhetischen Form. Allein der eigenthümliche
Charakter der Legende, wodurch sie von der
Romanze und Ballade sich unterscheidet, beruht
darauf, daß ihr Stoff aus der religiösen Mythologie,
und, wenn der Stoff der christlichen
Religion angehört, aus der kirchlichen Ueberlieferung
entlehnt ist. Mag nun der Stoff aus
der indischen, oder der ägyptischen, aus der griechischen,
oder der christlichen, oder der mahomedanischen
Sagenwelt entnommen seyn; so hängt doch sein
dichterischer Gehalt ab von seiner ästhetischen Darstellbarkeit
in einer vollendeten Form. Enthält daher
die kirchliche Sage, als Stoff, Handlungen und
Thatsachen, welche entweder große Aufopferungen
im Dienste der Tugend und den Heldensinn der
Märtyrer bezeugen, oder welche angebliche Wunderthaten
der sogenannten Heiligen und selbst manche
lächerliche Ueberlieferung versinnlichen; so berücksichtigt
der Dichter der Legende nicht die geschichtliche
Beglaubigung dieser Stoffe; denn seine Aufgabe
ist keine geschichtliche, sondern eine ästhetische,
und diese wird erreicht, sobald er den ihm dargebotenen
Stoff, inwiefern er einen wohlthuenden
Eindruck auf sein Gefühlsvermögen vermittelte, zur
Einheit der ästhetischen Form erhob.
Nach den verschiedenartigen, bald ernsthaften,
bald belustigenden, Stoffen, welche der Dichter der
Legende zur Einheit der Form gestaltet, erscheint die
Legende, wie auch die Romanze und Ballade, bald
unter einer ernsthaften, bald unter einer komischen
Einkleidung. Jn der ersten liegt das Außerordentliche,
Uebernatürliche und Wunderbare in den
Aeußerungen eines gesteigerten sittlich=religiösen Gefühls,
dessen Bestrebung mit einem alle Erwartung
übertreffenden Erfolge gekrönt wird. Jn der zweiten
wird das Wunderbare in der Begebenheit, unter
der Voraussetzung, daß die Begebenheit selbst
der Erfolg eines sich verirrenden Gefühls war, als
ein Gegenstand dargestellt, der vermittelst der vollendeten
ästhetischen Hülle unser Lachen erregt. Die
ernsthafte Legende ward mit Erfolg von v. Göthe,
Aug. Wilh. v. Schlegel, v. Herder, Kosegarten,
Justi, Krummacher, Uhland u. a.,
die komische besonders von Pfeffel und Langbein
angebaut.
1) von v. Herder († 1803).
Der Tapfere.
2) von v. Göthe.
Der Gott und die Bajadere.
Eine indische Legende.
3) von Langbein.
Der Substitut des heiligen Georgs.
Je allgemeiner der Begriff des Erzählens ─
der mündlichen oder schriftlichen zusammenhängenden
Mittheilung des Geschehenen ─ überhaupt ist; desto
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weiter ist auch, in der Reihe der epischen Formen,
der Begriff der poetischen Erzählung. Denn alles,
was aus dem Kreise des Wirklichen und Möglichen
ästhetisch dargestellt, d. h. als aus den Gefühlen
des Dichters stammend und als Gefühle anregend
geschildert, und zur Einheit der Form verbunden
werden kann, eignet sich zum Stoffe der poetischen
Erzählung. Dadurch aber unterscheidet sich die
poetische Erzählung vom Epos, daß in der erstern
die dargestellte Handlung oder Begebenheit, in
dem letztern hingegen das handelnde Jndividuum
den Mittelpunct der ästhetischen Darstellung
bildet. Jn der poetischen Erzählung erscheint nämlich
das handelnde Jndividuum nicht als ein eigentlicher
Held, der in noch unentschiedenem Kampfe
mit dem auf ihn eindringenden widrigen Schicksale
wahrgenommen wird; auch können die verwickelten
Verhältnisse und Ereignisse, welche die poetische Erzählung
schildert, nicht in der höhern Beziehung, wie
im Epos, Schicksal genannt werden, weil es zunächst
eine mehr oder weniger in sich fassende Thatsache
ist, die der Dichter der poetischen Erzählung
in den Mittelpunct des Ganzen stellt.
Bei dieser Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit
des Stoffes für die poetische Erzählung bleibt es
die Hauptaufgabe für dieselbe, vermittelst der Vollendung
der ästhetischen Form dieselben Gefühle anzuregen,
welche in dem Gemüthe des Dichters das
Entstehen der ästhetischen Form bewirkten, und zugleich
die Einbildungskraft in ein freies Spiel
zu setzen, um durch beides gemeinschaftlich ein reines
Wohlgefallen an der Form hervorzubringen. ─
Je häufiger aber der erzählende Dichter mit der Darstellung
freier Handlungen sich beschäftigen muß;
|#f0341 : 329|
desto mehr bedarf er des psychologischen Urtheils
und Tactes. Zwar darf er die psychologischen Erscheinungen
und Ergebnisse nicht philosophisch verarbeiten;
allein er behandelt sie dichterisch, d. h.
sein psychologischer Sinn und Tact unterstützt seine
schöpferische Einbildungskraft, wenn diese, für die
im Mittelpuncte der Erzählung darzustellende Handlung,
einen ästhetischen Zusammenhang von Ursachen
und Wirkungen vermittelt, der mit derselben Nothwendigkeit
sich ankündigt, wie der Zusammenhang
von Ursach und Wirkung im wirklichen Leben der
Menschen. Selbst das, was aus dem Kreise der
physischen Welt in die poetische Erzählung aufgenommen
wird, erscheint nach seiner Verbindung und
nach seinem Zusammenhange mit der geistigen und
sittlichen Kraft der handelnden Jndividuen, weil es
nicht um seiner selbst willen, sondern zur Versinnlichung
gewisser Thatsachen und Handlungen freier
Wesen, in die poetische Erzählung gehört.
Die poetische Erzählung kann entweder im
ernsthaften, oder im komischen Gewande erscheinen.
Die ernsthafte poetische Erzählung stammt
aus Gefühlen, welche theils durch ernsthafte und
wichtige Ereignisse des Lebens, theils durch ergreifende
Handlungen des freien Willens angeregt, und
vermittelst der Einbildungskraft zu einem lebensvollen
dichterischen Ganzen gestaltet werden. Dagegen
entspringt die komische poetische Erzählung aus
dem, durch die Vergegenwärtigung menschlicher
Schwachheiten, Thorheiten und Fehler, im Bewußtseyn
des Dichters aufgeregten, Gefühle der Lust, das
seine schöpferische Einbildungskraft in der ästhetischen
Form der poetischen Erzählung in einem so hohen
Grade versinnlicht, daß dadurch bei Allen dasselbe
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Gefühl der Lust veranlaßt wird. Doch muß der
Dichter der komischen poetischen Erzählung, bei aller
Lebendigkeit seiner Darstellung, sich innerhalb der
Grenzlinie der Erzählung halten, und nicht ins Gebiet
der eigentlichen Satyre hinüber streifen, welche
die Unvollkommenheiten der intellectuellen Welt und
die Gebrechen in der sittlichen Ordnung der Dinge
mit aller Schärfe geiselt, die, durch den stark versinnlichten
Abstand der wirklichen Welt zu der Höhe
des dem Menschen gebotenen Jdeals der Wahrheit
und sittlichen Güte, in dem Gemüthe des Satyrikers
erzeugt wird. Von der Fabel, die häufig mit der
poetischen Erzählung verwechselt wird, unterscheidet
sie sich bestimmt dadurch, daß der Fabel ausschließend
die Versinnlichung der Eigenschaften der Thierwelt
zusteht.
Die wesentlichsten Bedingungen der poetischen
Erzählung sind Leichtigkeit und Natürlichkeit in der
Darstellung. Eine gewisse Ausführlichkeit wird in
dieser epischen Form eher, als in den übrigen, dem
Dichter verziehen, sobald nur nichts eingemischt
wird, was als entschieden überflüssig und außerwesentlich
sich ankündigt; die unverkennbare Breite der
Darstellung aber ist unvereinbar mit der Festhaltung
des ästhetischen Charakters der Form. Reim
und Metrum sind, wie bei allen dichterischen Erzeugnissen,
auch in der poetischen Erzählung keine
wesentlichen, sondern nur zufällige Eigenschaften
der äußern Schönheit der Form.
1) von Burcard Waldis († nach 1554).
|#f0343 : 331|Vom Bischoff und einem Lotterbuben.
2) von Hans Sachs († 1576).
Warum die Bauern nicht gern Lanzknecht
herbergen.
3) von Tscherning († 1659).
2) von Zernitz († 1745).
Der Satz des nicht zu Unterscheidenden.
5) von Gotter († 1797).
Der reisende Virtuose.
6) von v. Thümmel († 1817).
Die Frau Gemahlin und ihr Gemahl.
7) von Pfeffel († 1809).
Der Bußprediger.
8) von Pfeffel.
Die zwei Griechen.
9) von Pfeffel.
Die Jnjurienklage.
10) von v. Gökingk.
Predigt am Magdalenentage.
11) von v. Aloys Schreiber.
Der Bramin.
Je häufiger der eigenthümliche Charakter der
Fabel verkannt, und die poetische Erzählung mit
der Fabel verwechselt wird; desto nöthiger ist es,
die unterscheidenden Merkmale der Fabel von jeder
andern Form der epischen Dichtkunst aufzufassen,
und die Eigenthümlichkeit derselben, im Sinne der
eigentlichen äsopischen Fabel, herzustellen. Denn
nur die äsopische (die Thier=) Fabel verdient ausschließend
diesen Namen, weil durch sie eine selbstständige,
von jeder andern verschiedene, dichterische
Form in den Kreis der epischen Dichtungsarten eintritt,
in wiefern nämlich das Eigenthümliche der
Fabel darauf beruht, menschliche Jndividuen,
Zustände und Handlungen in dem, der
menschlichen Freiheit verwandten, Kreise
des Jnstinkts in der Thierwelt, unter der
Einheit einer vollendeten ästhetischen Form darzustellen.
Jn der Fabel erscheint daher der Mensch
nicht selbst, nach seiner Jndividualität und nach den
Wirkungen seiner Freiheit; er wird aber unter der
symbolischen Hülle des Jnstinkts versinnlicht. So
gewiß also, nach dieser Ansicht, nie ein menschliches
Jndividuum, sondern nur ein, nach seinen Eigenschaften
und nach seiner Ankündigung bekanntes,
Thier in den Mittelpunct einer Fabel gestellt werden
darf; so gewiß wird doch auch die Fabel nicht
der Darstellung des Thieres selbst wegen
gedichtet. Es soll vielmehr der Mensch im Spiegel
des Jnstinkts, eben so wohl nach den Ankündigungen
seiner Freiheit überhaupt, wie nach den Verirrungen
derselben, sich wieder erkennen, weil ─
|#f0357 : 345|
ungeachtet aller ursprünglichen Verschiedenheit des
Kreises der menschlichen Freiheit und des thierischen
Jnstinkts ─ doch zwischen beiden theils eine Aehnlichkeit
in Hinsicht auf die Hervorbringung einer
äußern Wirkung in Angemessenheit zu einem vorausgegangenen
innern Antriebe, theils sogar eine
Verwandtschaft statt findet, da der Mensch,
neben der seiner übersinnlichen Natur zustehenden
Freiheit, in seiner sinnlichen Natur ebenfalls einen
thierischen Jnstinkt wahrnimmt, und dieser nicht
selten, in den äußern Handlungen des Menschen,
ein Uebergewicht über die Ankündigung der sittlichen
Freiheit behauptet. Der Mensch soll nämlich, im
ästhetisch vollendeten Gegenbilde, sein eignes Bild,
nach seinen guten Seiten, so wie nach seinen Fehlern
und Mängeln, unter der Hülle der Dichtung
erkennen. Sobald daher in der Darstellung der
Fabel an die Stelle der Thiere entweder Menschen
oder Gegenstände der leblosen Natur treten,
verdient die ästhetische Form nicht mehr den
Namen der Fabel, obgleich, in einzelnen Fällen,
gleichsam als Ausnahme von der Regel, Gegenstände
der leblosen Natur, gleich den
Thieren, in den Mittelpunct der Fabel gestellt werden
können, sobald, in einer allerdings sehr starken
Personification, diesen leblosen Gegenständen Wirkungen
beigelegt werden, die sich nach einer gewissen
Verwandtschaft und Aehnlichkeit mit den Wirkungen
der menschlichen Freiheit ankündigen. Denn die eigenthümliche
Versinnlichung des Kreises der menschlichen
Freiheit innerhalb des in sich abgeschlossenen
Kreises des thierischen Jnstinkts beruht eben darauf:
daß der Charakter der als handelnd aufgestellten
Thiere allgemein bekannt ist, und daß man bei der
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Anschauung der ästhetisch vollendeten Form der Fabel
stillschweigend voraussetzt, der Dichter schildere
die Thiere nicht um ihrer selbst willen, sondern gebe
eine menschliche Jndividualität unter der glücklich
ergriffenen Aehnlichkeit derselben mit einem thierischen
Wesen.
Ob nun gleich im Kreise der Thierwelt keine
Freiheit und Sittlichkeit angetroffen wird; so folgt
daraus doch keinesweges, wie einige Theoretiker
wollen, daß die Fabel blos Klugheitsregeln, nicht
aber sittliche Ankündigungen ─ Tugenden und Verirrungen
der Freiheit ─ versinnlichen könne. Denn
nicht nur, daß der für die Fabel geeignete Kreis
darstellbarer Stoffe durch diese Forderung sehr beengt
werden müßte; es haben auch die ausgezeichnetsten
Fabeldichter nicht blos Klugheitsregeln, sondern
auf gleiche Weise sittliche Erscheinungen und
sittliche Vorschriften vergegenwärtigt. Dies folgt
von selbst aus der Bestimmung der Fabel, die Ankündigungen
und Wirkungen der menschlichen Freiheit
unter der Hülle des Jnstinkts zu versinnlichen,
so, daß wenn auch den Thieren nicht Freiheit des
Willens zukommt, doch in Angemessenheit zu den
Antrieben des Jnstinkts nicht selten Wirkungen geschildert
werden, welche die sittlich entarteten Wesen
unsrer Gattung zu beschämen vermögen; z. B. in
der Kindesliebe; in der Treue; in der Anhänglichkeit,
in der Aufopferung für seinen Herrn u. s. w.
Denn wenn das Thier, geleitet vom Jnstinkte, in
seinen Aeußerungen naturgemäßer, unverdorbener
und edler sich ankündigt, als der in sittlicher Hinsicht
ausgeartete, von seinem Eigennutze und von
seinen Leidenschaften fortgerissene Mensch; so muß
durch die Versinnlichung dieses Kontrastes zwischen
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dem sicher führenden Jnstinkte und der sich von ihrem
Ziele entfernenden Freiheit eine große Wirkung
hervorgebracht werden.
Doch gehört als unnachläßliche Bedingung dazu,
daß die Fabel in ästhetischer Hinsicht nach der Einheit
ihrer Form vollendet sey, so daß diese Form
um ihrer selbst willen, auch abgesehen von dem im
Stoffe enthaltenen Jndividuum, gefällt. Die Fabel
soll nämlich die höchste Anschaulichkeit und Lebendigkeit
der in ihr verhüllten Wahrheit bewirken, und
deshalb soll die Hülle, welche das Gegenbild des
wirklich gemeinten Gegenstandes enthält, das Gepräge
der möglichst höchsten ästhetischen Vollendung
an sich tragen. Daraus folgt von selbst, daß nur
diejenige Fabel den Charakter eines dichterischen
Kunstwerkes behauptet, welche in ästhetischer
Einheit vollendet ist, so wie viele sehr gut gemeinte
Fabeln (z. B. für Kinder berechnet) in pädagogischer
Hinsicht brauchbar seyn können, ohne doch die Forderungen
des gereiften Geschmacks an die ästhetische
Gediegenheit der Form zu befriedigen.
1) von Bonerius (der in der zweiten Hälfte
des 14ten Jahrhunderts lebte).
2) von Burcard Waldis († nach 1554).
Von den schwangern Bergen.
3) von v. Hagedorn († 1754).
Der Bauer und die Schlange.
4) von Löwen († 1771).
5) von Joh. Benj. Michaelis († 1772).
Die Buße der Wölfe.
6) von Michaelis.
Die Hähne und der Marder.
7) von Lessing († 1781).
Der Rabe.
Der Rabe bemerkte, daß der Adler volle dreißig Tage
über seinen Eiern brütete. Daher kommt es ohne Zweifel,
sprach er, daß die Jungen des Adlers so scharfsehend
und stark werden. Gut, das will ich auch thun!
Und seitdem brütet der Rabe wirklich ganze dreißig Tage
über seinen Eiern; aber noch hat er nichts, als elende
Raben, ausgebrütet.
8) von Lessing.
Der Dornstrauch.
Aber sage mir doch, fragte die Weide den Dornstrauch,
warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden
Menschen so begierig bist? Was willst du damit?
was können sie dir helfen?
Nichts, sagte der Dornstrauch. Jch will sie ihm
auch nicht nehmen; ich will sie ihm nur zerreißen.
9) von Pfeffel († 1809).
Der Bandwurm.
10) von Pfeffel.
Die Beförderung.
11) von Pfeffel.
Der Pelikan.
12) von Gleim († 1803).
13) von Ewald Christian v. Kleist († 1759).
Der gelähmte Kranich.
14) von Burmann († 1805).
Der Esel und der Fuchs.
15) von Joh. Nic. Götz († 1781).
Die gegenseitige Räucherung.
16) von Tiedge.
Das Privilegium.
17) von Zink.
Der Affe.
18) von Pfeffel.
Der Phönix.
19) von Krummacher.
Die Raupe und der Schmetterling.
20) von Pfeffel.
Die Kirchenvereinigung.
Wenn gleich die dramatische Form der Dichtkunst
der epischen näher verwandt ist, als der lyrischen
und didactischen, weil sie, wie die epische, Gefühle
darstellt, welche in dem Gemüthe des dramatischen
Dichters mit der Vergegenwärtigung gewisser
Jndividuen, Handlungen und Thatsachen sich vergesellschaften;
so unterscheidet sie sich doch durch zwei
wesentliche Puncte von der epischen Dichtkunst, und
behauptet, nach denselben, einen eigenthümlichen Charakter.
Denn erstens darf in keinem Erzeugnisse
der dramatischen Dichtkunst die Jndividualität des
Dichters selbst wahrgenommen werden, wie dies in
der epischen Dichtkunst geschieht; vielmehr muß der
dramatische Dichter die ganze Handlung durch die
von ihm aufgestellten Personen beginnen, fortführen
und beendigen lassen, so daß das in sich zusammenhängende
und abgeschlossene Ganze des dramatischen
Gedichts als ein nothwendiges Ergebniß der menschlichen
Weil jedes echte Drama ein in sich abgeschlossenes
Ganzes bildet, das, nach seinem ästhetischen Charakter,
nur als ein Ganzes richtig aufgefaßt werden
kann; so war es nicht rathsam, einzelne Bruchstücke
und Scenen aus den verschiedenen Formen der
dramatischen Dichtkunst, als Belege für die aufgestellte
Theorie, aufzunehmen, da der Umfang und die
Bestimmung dieses Werkes die Mittheilung eines vollständigen
dramatischen Erzeugnisses von selbst ausschloß.
Freiheit erscheint, hervorgebracht durch die
äußere Wirksamkeit der von dem Dichter in den Mittelpunct
der Handlung gestellten Jndividuen. Daran
schließt sich die zweite, jedem dramatischen Gedichte
eigenthümliche, Bedingung, daß es durchgehends
für die Bühne berechnet sey, und daß es durch
die theatralische Darstellung als schöne Form vollendet
werde. Durch diese zweite Bedingung erhält
das dramatische Gedicht eine äußere Aehnlichkeit
mit der Cantate in der lyrischen Form der
Dichtkunst, die zwar, als Gedicht, ein in sich zusammenhängendes
ästhetisches Ganzes bilden muß,
die aber, nach ihrer durchgängigen Berechnung für
die tonkünstlerische Darstellung, erst durch die Verbindung
mit einer gleichmäßig gediegenen musikalischen
Kunstform das Gepräge der ästhetischen Vollendung
erhält. ─ Ob nun gleich jede dramatische
Form, inwiefern sie blos als Gedicht, ohne theatralische
Darstellung, betrachtet wird, unmittelbar
nach ihrem dichterischen Gehalte ein reines
Wohlgefallen an der Einheit der ästhetischen Form
bewirken kann und soll; so würde doch die Unmöglichkeit
der theatralischen Darstellbarkeit derselben sie
von der Reihe aller derjenigen classischen dramatischen
Erzeugnisse ausschließen, deren Vollendung auf der
gleichmäßigen dichterischen Einheit und theatralischen
Darstellbarkeit beruht.
Fassen wir, nach diesen Vordersätzen, den Charakter
der dramatischen Dichtkunst auf; so beruht er
auf der vollendeten ästhetischen Form, welche, berechnet
für die theatralische Darstellung, eine in sich
nothwendig abgeschlossene Handlung versinnlicht, die,
nach ihrem Ursprunge, aus der tiefen Bewegung und
Erschütterung des menschlichen Gefühlsvermögens
|#f0377 : 365|
stammt. Denn obgleich die dramatische Dichtkunst
von der lyrischen dadurch wesentlich sich unterscheidet,
daß sie nicht unmittelbare Gefühle, sondern Handlungen
darstellt, welche aus der mächtigen Anregung
menschlicher Gefühle stammen, und deren Vergegenwärtigung
innerhalb der vollendeten Form unmittelbar
auf das Gefühlsvermögen wirkt; so muß doch
jedes dramatische Gedicht, wie das lyrische und epische,
eine in sich abgeschlossene Einheit, sowohl nach
dem Stoffe als nach der Form, bilden, und durchgehends,
nach ihrer eigenthümlichen Wirkung, für
die Darstellung auf der Bühne berechnet seyn.
Nach diesen Grundsätzen müssen die sogenannten
drei Einheiten des Aristoteles, die er
von jedem dramatischen Gedichte verlangt, beurtheilt
werden: die Einheit der Handlung, der Zeit
und des Ortes, welche namentlich von den ältern
französischen dramatischen Dichtern nicht selten mit
Aengstlichkeit festgehalten wurden.
Unerläßlich für die Vollendung eines dramatischen
Gedichts ist allerdings die Einheit der
Handlung. Sie verlangt, daß der Stoff des
Drama ein in sich nothwendiges und bestimmt abgeschlossenes
Ganzes bilde. Es dürfen daher weder
Personen, noch Handlungen und Ereignisse in den
Stoff aufgenommen werden, die nicht in den Zusammenhang
der darzustellenden Handlung in irgend
einer Beziehung wesentlich gehören. Denn selbst
das, was in einem dramatischen Gedichte, bei dem
ersten Anblicke, zufällig zu seyn scheint, muß, am
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Schlusse des Ganzen, als nothwendige Bedingung
in dem Zusammenhange des ganzen Stoffes sich ankündigen.
Es darf daher kein Act, keine Scene,
selbst keine Stelle in den einzelnen Scenen, überflüssig
und müßig dastehen; es muß vielmehr ihr
Verhältniß zu dem sich allmählig bildenden und ründenden
Ganzen mit Sicherheit nachgewiesen werden
können. Dasselbe gilt auf gleiche Weise von der
Form des Drama. Sie muß, in Beziehung auf
die Forderungen des Gesetzes der Form, ein in sich
abgeschlossenes und vollendetes Ganzes bilden, so
daß die Sprachdarstellung im Drama gleichmäßig
den einzelnen Eigenschaften der Sprachrichtigkeit, wie
den untergeordneten Eigenschaften der Sprachschönheit
Genüge leistet.
So gewiß daher ohne Einheit der Handlung
kein dramatisches Gedicht auf Gediegenheit und ästhetische
Vollendung Anspruch machen kann; so gewiß
dürfen doch die beiden andern vom Aristoteles
geforderten, Einheiten ─ die Einheit der Zeit
und des Ortes ─ nicht als gleichgeltende Grundbedingungen
mit der Einheit der Handlung aufgestellt
werden. Denn, wenn gleich zugestanden wird,
daß die Einheit der Zeit, und selbst die Einheit des
Ortes in vielen dramatischen Erzeugnissen festgehalten
worden sind, und, nach dem Wesen des darzustellenden
Stoffes, auch in vielen derselben festgehalten
werden müssen; so stehen sie doch mit der
Einheit der Handlung nicht auf gleicher Linie der
Bedeutsamkeit, und treffliche dramatische Dichter haben
sie nicht festhalten wollen und festhalten können.
Soll aber das dramatische Gedicht als Einheit
in der Form sich ankündigen; so muß in dem
Mittelpuncte desselben eine Hauptperson, nach
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ihrem Thun und Leiden, erscheinen, von deren Verhältnissen
die ganze dargestellte Handlung ausgeht
und abhängt, und auf deren Schicksale, in den einzelnen
Theilen und Gruppirungen des Drama, alles
sich bezieht. Diese Hauptperson im Drama muß
daher der Einbildungskraft immer gegenwärtig seyn,
selbst wenn sie von der Bühne, in den einzelnen
Scenen, abgetreten ist; auch muß die Verwickelung
und Entwickelung des dramatischen Knotens
entweder von diesem Jndividuum selbst ausgehen,
oder doch ─ in Angemessenheit zu seiner freien
Thätigkeit ─ auf sein Schicksal den entschiedensten
Einfluß behaupten. Nach dem Verhältnisse, in welchem
der Dichter diese Hauptperson in den Mittelpunct
des Drama stellt, muß er, mit künstlerischer
Gewandtheit und ästhetischem Tacte, alle übrige im
Drama auftretende Personen, so wie die gesammte
Umgebung der Hauptperson, in Hinsicht auf den
Gang ihrer Wirksamkeit und ihres Schicksals, behandeln.
Die äußere Form des Drama, nach der Eintheilung
in Acte (Aufzüge) und Scenen (Auftritte),
hängt ab von der ästhetisch berechneten Folge
in der Handlung selbst, um vermittelst derselben die
innere Einheit des Ganzen fortzuführen und zu
vollenden, zu welcher die gleichmäßige Behandlung
der einzelnen Theile, und das innere und äußere
nothwendige Verhältniß derselben gegen einander,
wesentlich gehört. Die Anordnung, Verbindung
und Folge dieser Aufzüge und Auftritte ─
als der einzelnen nothwendigen Glieder und Theile
eines größern Ganzen ─ darf daher nicht der Willkühr
und dem Zufalle überlassen bleiben; sie muß
vielmehr aus dem Gesetze der innern Nothwen=
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digkeit hervorgehen, die theils in den Charakteren
der handelnden Personen, theils in dem Verhältnisse
der aus der Verwickelung des Knotens hervorgehenden
Entwickelung desselben, zur Ausmittelung der
ästhetischen Einheit des Ganzen, begründet ist. Denn
nach diesem Gesetze der innern Nothwendigkeit muß
jede Scene in Beziehung auf den Act, zu welchem
sie gehört, und jeder Act nach seinem Verhältnisse
zu der gesammten dramatischen Form ─ mithin nach
dem Verhältnisse der einzelnen Theile zu dem vollendeten
Organismus des Ganzen ─ erkannt werden
können, so daß durch die Menge der handelnden
Personen so wenig, wie durch die Mannigfaltigkeit
der einzelnen Handlungen und Scenen, welche in
dem dramatischen Gedichte angetroffen werden, die
Einheit der Handlung und die ästhetische Vollendung
der ganzen Darstellung gestört, sondern vielmehr
auf die sicherste Unterlage zurückgeführt wird. Aus
diesem Gesichtspuncte gefaßt, darf keine Person,
die im Drama erscheint, keine Scene, am wenigsten
ein ganzer Act, müßig dastehen und als überflüssig
erscheinen; vielmehr muß Ein Geist das
Ganze durchdringen, und dieser Geist muß, nach
seiner Kraft, gesteigert sich ankündigen, je mehr der
verflochtene Knoten der Handlung seiner Auflösung
und Entwickelung, ─ und zugleich das dramatische
Gedicht dem letzten Puncte seiner ästhetischen
Vollendung sich nähert. ─
Die Form der Sprache in dem dramatischen
Gedichte muß, im Allgemeinen, der dargestellten
ästhetischen Handlung angemessen seyn; sie wird
deshalb, nach Ton, Haltung und Farbengebung im
Einzelnen, im Trauerspiele anders, als im Schauspiele
und im Lustspiele sich ankündigen, obgleich in
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jeder Gattung und Art der dramatischen Dichtkunst
das einzelne dramatische Gedicht dem Gesetze der
Form, nach seinen beiden Grundbedingungen, der
Wahrheit und Schönheit der Form, entsprechen
muß. Je verschiedener daher die einzelnen Stoffe
für das Trauerspiel, Schauspiel und Lustspiel sind;
desto verschiedener wird auch der stylistische Ausdruck
seyn; denn anders muß die Sprache im Wallenstein,
als im Egmont, anders in Müllners
Schuld, als in Klingers Medea auf dem
Kaukasus, anders in Werners Weihe der
Kraft, als in Klingemanns Luther sich ankündigen,
obgleich die beiden letzten Dichter im Ganzen
denselben Stoff behandelten. Dazu kommt,
daß, obgleich der dramatische Dichter nicht selbst,
wie der epische, in der Darstellung seines Gedichts
erscheint, doch die Sprache im Drama, nach ihrer
Kraft und Fülle, nach ihrer Klarheit und Gediegenheit,
so wie nach der ganzen Farbengebung und
Haltung im Einzelnen, von seiner Jndividualität
ausgeht, die er nicht verläugnen kann. Nach
dieser psychologischen Nothwendigkeit erkennen wir
im Dichter der Jungfrau von Orleans, den Dichter
des Dom Karlos, des Fiesko, des Wallenstein und
der Maria Stuart, ─ im Dichter des Clavigo
und der Jphigenia den Dichter des Tasso und des
Egmont, ─ im Dichter der Albaneserin den
Dichter der Schuld, ─ im Dichter des Moses
den Dichter des Luther, ─ im Dichter der Freunde
den Dichter der Erdennacht (Raupach) wieder.
Denn so schöpferisch auch die Einbildungskraft des
dramatischen Dichters walten, und so vielseitig sein
Gefühl sich ankündigen mag; so liegt doch diejenige
nothwendige Beschränkung in jedem endlichen ─
|#f0382 : 370|
selbst hochgebildeten ─ Geiste, daß er nicht aus
seiner Jndividualität ganz heraustreten, und seiner
eignen, bereits früher angekündigten, Classicität nach
allen ihren individuellen Eigenthümlichkeiten untreu
werden kann. Diese Einheit und Gleichmäßigkeit
in der Wahrnehmung der Jndividualität des classischen
Dichters ist aber, unter dem Reichthume und
der Mannigfaltigkeit der einzelnen dramatischen Formen
eines und desselben Dichters, eine sehr willkommene
Erscheinung. Denn nicht das Wiedererkennen
derselben Eigenthümlichkeit eines classischen
Dichters in der Behandlung eines neuen dramatischen
Stoffes, sondern nur die Nachahmung einer
entlehnten Manier stößt uns zurück, weil diese Nachahmung
als Armseligkeit des Geistes sich ankündigt,
bei welcher der Aufschwung zu einer eigenthümlichen
Gestaltung der dramatischen Form, und zur
Festhaltung und Durchführung dieser Eigenthümlichkeit
in allen einzelnen dramatischen Erzeugnissen
Eines und desselben Dichters unmöglich ist.
Die Hauptklippen, welche der dramatische Dichter
in Hinsicht der stylistischen Form vermeiden muß,
sind: daß er weder ins Gebiet der Sprache der
Prosa, noch ins Gebiet der Sprache der Beredsamkeit
hinüberstreife, außer in den äußerst seltenen
Fällen, daß der Stoff einen kurzen Uebergang
in diese beiden Sprachgebiete verlangt. Denn
selbst wenn der dramatische Dichter die Vorgänge
und Erscheinungen des gewöhnlichen Lebens schildert,
muß doch die stylistische Form die Ergreifung dieser
Vorgänge von dem Gefühlsvermögen und die Wirkung
jener Erscheinungen auf das Gefühlsvermögen
überall hindurch schimmern lassen, weil jede Sprachdarstellung
des dichterischen Charakters ermangelt,
|#f0383 : 371|
die ohne irgend eine Verbindung mit dem
Gefühlsvermögen sich ankündigt. ─ Jn Hinsicht
auf die äußere Gestaltung der stylistischen Form
ist es aber der Dialog, in Abwechselung mit dem
Monologe, an welchen die Folge und Fortführung
der dramatischen Handlung geknüpft ist. Je
schärfer daher die Zeichnung der einzelnen, in dem
Drama auftretenden Charaktere, und je bestimmter
die Haltung und Durchführung dieser Charaktere
von Seiten des Dichters seyn wird; desto vielseitiger,
mannigfaltiger und abwechselnder wird das innere
Leben und die ästhetische Farbengebung im
Dialog seyn, weil ─ selbst bei der übrigen Gediegenheit
der dramatischen Sprachform ─ es Mangel
an Reichthum des Geistes und der Einbildungskraft
ankündigt, wenn entweder alle, oder doch die
meisten Personen in Einem und demselben Drama
ganz einerlei Sprache reden, und so die Mannigfaltigkeit
im Gepräge des Jndividuellen nothwendig
verloren geht.
Einer der ersten dramatischen Dichter des teutschen
Volkes, und was noch mehr sagen will, einer
der edelsten Männer dieses Volkes, hat die Schaubühne
als eine moralische Anstalt * betrachtet
So v. Schiller in der, von ihm zu Mannheim
1784 gehaltenen, und mit dieser Aufschrift versehenen,
Vorlesung, die zuerst in der rheinischen Thalia,
und dann berichtigt in s. kleinen pros.
Schriften Th. 4. S. 3 erschien. ─ Vgl. J. H.
v. Wessenberg, über den sittlichen Einfluß der
Schaubühne. Konstanz, 1825. 8.
und dargestellt. Dies macht eine kurze Erklärung
nothwendig.
Nach unsrer Ansicht und Ueberzeugung ist
weder der Zweck und die Bestimmung der dramatischen
Dichtkunst im Besondern, noch der Dichtkunst
überhaupt, der Zweck der Sittlichkeit. Der
Zweck der Schönheit ist vielmehr der höchste
Zweck aller Kunstwerke, mithin auch der gesammten
einzelnen Formen der lyrischen, epischen, didactischen
und dramatischen Dichtkunst. Die Bestimmung der
Dichtkunst beruht daher auf ihrer völligen Angemessenheit
zum Gesetze der Form, nicht aber zum Sittengesetze.
Daraus folgt aber weder, daß sie sittliche
Handlungen von sich ausschließen, noch daß sie vielleicht
gar das Unsittliche als Gegenstand des Wohlgefallens
auf die Bühne bringen soll. Nur so viel
ergiebt sich aus dem höchsten Gesetze der Schönheit
der Form, daß selbst das Sittliche,
das die Bühne zeichnet, unter der Form der
Schönheit sich ankündigen muß, wenn es
unter die Stoffe der dramatischen Dichtkunst aufgenommen
werden soll; denn, unter Festhaltung
dieser Bedingung, wird allerdings der aus dem
Kreise der sittlichen Welt entlehnte Stoff das Gemüth
weit stärker ansprechen, als ein Stoff, der
blos dem Kreise der intellectuellen Welt ─ z. B.
der Vergegenwärtigung von Schwächen und Mängeln
des menschlichen Verstandes, oder von Wirkungen
des menschlichen Eigennutzes und der individuellen
Eitelkeit, ─ angehört. Mag immer in
Kotzebue's Lustspielen und Possen ein Langsalm,
ein Herr von Püffelberg, oder der Page in den
Pagenstreichen ein Gefühl der Lust in uns anregen,
und unsre Einbildungskraft in ein freies und
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lebendiges Spiel versetzen; so wird doch die sittliche
Kraft und Haltung des Marquis von Posa,
des Max Piccolomini, und des Klingemannischen
Luthers unser Gefühl stärker und mächtiger ergreifen,
als die bloße Versinnlichung menschlicher Schwächen,
Lächerlichkeiten und Verirrungen. Deshalb ist auch
das Sittliche dem Schönen nahe verwandt, und
wirkt unaufhaltbar, sobald es unter einer vollendeten
schönen Form erscheint. Nur darf weder das
dramatische Gedicht, noch die Bühne, an die Stelle
der Sittenlehre und der Religion auf dem Katheder
und der Kanzel treten und diese beiden geistigen
Bildungsanstalten ersetzen sollen, weil sie dies, nach
ihrer ursprünglichen Bestimmung, das Schöne
in vollendeten Formen darzustellen, weder
zu leisten vermögen noch dürfen. Nur also unter dieser
Voraussetzung, und mit Festhaltung dieser Einschränkung
unterschreiben wir folgende Sätze Schillers
*: „Welche Verstärkung für Religion und
Gesetze, wenn sie mit der Schaubühne in Bund
treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart
ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und
Elend, Thorheit und Weisheit in tausend Gemälden
faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen,
wo die Vorsehung ihre Räthsel auflöset, ihren Knoten
vor seinen Augen entwickelt, wo das menschliche
Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten
Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke
verfliegt, und die Wahrheit, unbestechlich wie Rhadamanthus,
Gericht hält. Die Gerichtsbarkeit der
Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gesetze
sich endigt. Wenn die Gerechtigkeit für Gold
Ebendas. S. 7. ff.
verblindet, und im Solde der Laster schwelgt; wenn
die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten,
und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet;
dann übernimmt die Schaubühne Schwert und
Wage, und reißt die Laster vor einen schrecklichen
Richterstuhl. Das ganze Reich der Phantasie und
Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem
Winke zu Gebote. Kühne Verbrecher, die längst
schon im Staube vermodern, werden durch den allmächtigen
Ruf der Dichtkunst jetzt vorgeladen, und
wiederhohlen zum schauervollen Unterrichte der Nachwelt
ein schändliches Leben. Ohnmächtig, gleich den
Schatten in einem Hohlspiegel, wandeln die Schrecken
ihres Jahrhunderts vor unsern Augen vorbei,
und mit wollüstigem Entsetzen verfluchen wir ihr
Gedächtniß. Wenn keine Moral mehr gelehrt wird;
keine Religion mehr Glauben findet; wenn kein Gesetz
mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch
anschauern, wenn sie die Treppen des Pallastes herunter
wankt, und der Kindermord geschehen ist.
Heilsame Schauer werden die Menschheit ergreifen,
und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen
preisen, wenn Lady Macbeth, eine schreckliche
Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht, und alle Wohlgerüche
Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch
zu vertilgen. So gewiß sichtbare Darstellung
mächtiger wirkt, als todter Buchstabe und kalte Erzählung;
so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und
dauernder, als Moral und Gesetze. ─ Aber der
Wirkungskreis der Bühne dehnt sich noch weiter
aus. Auch da, wo Religion und Gesetze es unter
ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten,
ist sie für unsre Bildung noch geschäftig.
Sie ist es, die der großen Klasse von Thoren den
|#f0387 : 375|
Spiegel vorhält, und die tausendfachen Formen derselben
mit heilsamem Spotte beschämt. Was sie
oben durch Rührung und Schrecken wirkte, leistet
sie hier durch Scherz und Satyre. Die Schaubühne
allein kann unsre Schwächen belachen, weil
sie unsre Empfindlichkeit schont, und den schuldigen
Thoren nicht wissen will. Ohne roth zu werden,
sehen wir unsre Larve aus ihrem Spiegel fallen,
und danken im Geheimen für die sanfte Ermahnung.
─ Aber ihr großer Wirkungskreis ist noch lange
nicht geendigt. Die Schaubühne ist mehr, als jede
andere öffentliche Anstalt des Staates, eine Schule
der practischen Weisheit, ein Wegweiser durch das
bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den
geheimsten Zugängen der menschlichen Seele. Jch
gebe zu, daß Eigenliebe und Abhärtung des Gewissens
nicht selten ihre beste Wirkung vernichten, daß
sich noch tausend Laster mit frecher Stirne vor ihrem
Spiegel behaupten; aber wenn wir auch diese
große Wirkung der Schaubühne einschränken, ─
wie unendlich viel bleibt noch von ihrem Einflusse
zurück? Wenn sie die Summe der Laster weder
tilgt noch vermindert; hat sie uns nicht mit denselben
bekannt gemacht? Mit diesen Lasterhaften, diesen
Thoren müssen wir leben. Wir müssen ihnen
ausweichen, oder begegnen; wir müssen sie untergraben,
oder ihnen unterliegen. Jetzt aber überraschen
sie uns nicht mehr. Die Schaubühne hat uns das
Geheimniß verrathen, sie ausfindig und unschädlich
zu machen. ─ Zugleich ist die Schaubühne der
gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden
bessern Theile des Volkes das Licht der Weisheit
herunterströmt, und von da aus in mildern
Stralen durch den ganzen Staat sich verbreitet.
|#f0388 : 376|
Richtigere Begriffe, erläuterte Grundsätze, reinere
Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volkes;
der Nebel der Barbarei, des finstern Aberglaubens
verschwindet; die Nacht weicht dem siegenden
Lichte ─ Unmöglich darf auch der große Einfluß
übergangen werden, den die Bühne auf den Geist
einer Nation haben kann. Nationalgeist eines Volkes
nenne ich die Aehnlichkeit und Uebereinstimmung
seiner Meinungen und Neigungen bei Gegenständen,
worüber eine andere Nation anders meint und empfindet.
Was kettete Griechenland so fest an einander?
Was zog das Volk so unwiderstehlich nach
seiner Bühne? Nichts anders, als der vaterländische
Jnhalt der Stücke, der griechische Geist, das
große überwältigende Jnteresse des Staates und
der bessern Menschheit, das in derselben athmete.“
Zugestanden, daß alle diese Stoffe, insofern
sie ästhetisch darstellbar sind, im Bereiche der
dramatischen Dichtkunst liegen, und daß durch die
dichterische Gestaltung derselben viel auf das Gemüth
der Jndividuen und der Völker gewirkt werden
kann; so hängt doch diese Wirkung selbst zunächst
ab von der Vollendung der dramatischen
Form, unter welcher diese Stoffe versinnlicht
werden, und deshalb bleibt, ─ ohne die sittliche
Wirksamkeit der Bühne zu verkennen oder abzuläugnen,
─ das Gesetz der Form, und nicht das
Sittengesetz, der höchste Maasstab für die Würdigung
der ästhetischen Vollendung dramatischer Dichtungen.
Die einzelnen Formen der dramatischen Dichtkunst
sind:
a) das Trauerspiel;
b) das Lustspiel;
|#f0389 : 377|c) das Schauspiel;
d) das Singspiel.
Das Trauerspiel ist, in vielfacher Hinsicht,
eben so dem ernsthaften Epos, wie das Lustspiel
dem komischen Epos verwandt; nur daß bei dem
Trauer- und Lustspiele als allgemeiner Grundzug
des Dramatischen vorwaltet: die Haltung und Durchführung
der Handlung durch die handelnden Personen
selbst, ohne Wahrnehmung des dramatischen
Dichters, und die Berechnung der dramatischen Form
für die Darstellung auf der Bühne.
Das Trauerspiel ist eine ästhetisch vollendete
Form, welche durch die Versinnlichung der
Art, wie die Freiheit des im Mittelpuncte der Handlung
erscheinenden Helden gegen die Macht des auf
ihn eindringenden Schicksals anstrebt, und durch die
Versinnlichung des endlichen Unterliegens
des Helden unter der Macht des Schicksals,
das gemischte Gefühl der Lust und Unlust
anregt und lebendig erhält, bis, in dem Augenblicke
der Vollendung der Handlung, das Uebergewicht
der Lust über das Gefühl der Unlust bewirkt wird
durch das reine Wohlgefallen an der selbst in ihrem
Unterliegen hohen geistigen oder sittlichen Kraft des
Helden. ─ Denn, wie im ernsten Epos, steht
im Mittelpuncte des Trauerspiels ein Jndividuum,
das durch die ihm einwohnende geistige und sittliche
Kraft gegen das auf ihn eindringende widrige
Schicksal ankämpft, so daß, unter dem fortgesetzten
Kampfe der Freiheit und des Schicksals, die Kräfte
|#f0390 : 378|
beider gesteigert und verstärkt erscheinen, und das
handelnde Jndividuum, nach der von ihm entwickelten
Kraft, der Held der Handlung genannt zu
werden verdient. Soll aber das gemischte Gefühl
der Lust und Unlust nicht nur aufgeregt, sondern
auch während der Betrachtung des Kampfes der
Freiheit des Helden mit der Macht des Schicksals
erhöht und gesteigert werden; so müssen, in den
einzelnen Acten und Scenen des Trauerspiels, die
Kraft der Freiheit und die Macht des Schicksals in
einer fortgesetzten gleichmäßigen Haltung erscheinen,
weil das Gefühl der Lust nur durch die
lebhafte Versinnlichung der entwickelten und gesteigerten
hohen Kraft des Helden, das Gefühl der
Unlust hingegen durch die auf ihn eindringende
und ihn überwältigende Macht des Schicksals genährt
wird, bis endlich, wenn der Held unterliegt,
das Wohlgefallen an der erhabenen geistigen oder
sittlichen innern Nothwendigkeit in der Handlungsweise
des Helden, im Gegensatze der äußern
Nothwendigkeit in der Macht des ihn zermalmenden
Schicksals, so wie zugleich das Wohlgefallen
an der Vollendung der ästhetischen Form, in uns
das Uebergewicht des Gefühls der Lust über das
Gefühl der Unlust hervorbringt.
Der Held des Trauerspiels, wie er in der
Kraft seiner Freiheit dargestellt wird, erscheint entweder
als ein Edler, der ohne seine Schuld leidet
und gegen ein widriges Verhängniß ankämpft (so
Wilhelm Tell; die Jungfrau von Orleans;
Ferdinand Walter in Kabale und Liebe; Egmont),
oder als ein Verirrter, dessen sittliche
Kraft zwar eine fehlerhafte Richtung genommen hat,
die aber selbst in der eigenthümlichen Ankündigung
|#f0391 : 379|
ihrer Verirrungen eine hohe Theilnahme zu erregen
vermag (so Karl Moor in den Räubern; so
Fiesko; so Wallenstein; so Maria Stuart;
so Klingers Medea; so Leisewitzens Julius von
Tarent u. a.). Allein je mehr sittlich und rein
menschlich der Held des Trauerspiels erscheint; je
weniger er durch eigene Schuld, je mehr er um seiner
sittlichen Größe und Erhabenheit willen leidet;
oder, wenn er die Schuld eigener Verirrungen trägt,
je öfter die sittliche Kraft in ihm sich ermannt, je
entschiedener das Uebergewicht der Lichtseiten in seinem
Wesen über die Schattenseiten ist, und je gereinigter
er von seinen Verirrungen in dem Augenblicke
seines Unterganges erscheint; je mehr überhaupt
die Kraft, die er entfaltet, aus seinem innersten
Wesen hervorgehet, und mit der Steigerung
der auf ihn eindringenden Leiden und Gefahren ebenfalls
immer höher steigt; je fester und gehaltener
er, bis zum letzten entscheidenden Augenblicke, die
Kraft der Freiheit gegen die Macht des Schicksals
behauptet und geltend macht; desto mehr werden
auch in dem Anschauenden alle edlere Gefühle der
Theilnahme und der Bewunderung aufgeregt, und
von dem dramatischen Dichter die Eigenschaften des
Großen, des Erhabenen, des Rührenden und des
Pathetischen angewendet. Die hohe Kunst des
Trauerspieldichters besteht also zunächst darin, die
Freiheit des Helden und die Macht des Schicksals,
selbst während der ununterbrochenen Steigerung ihres
Kampfes, im gleichmäßigen Gegengewichte bis
zum Augenblicke der Entwickelung im letzten Acte
des Trauerspiels zu erhalten, so daß die Theilnahme
an diesem Kampfe ununterbrochen genährt und befriedigt
wird, bis sie in dem entschiedenen Siege
|#f0392 : 380|
des Gefühls der Lust über das Gefühl der Unlust
endigt.
Die Frage über die Wiedererneuerung
des Chors im Trauerspiele erhielt durch
Schiller ein lebhaftes Jnteresse, als er in der
Braut von Messina diese Wiedererneuerung
practisch versuchte, und in dem Vorworte zu diesem
Trauerspiele sie theoretisch rechtfertigte. Zugestanden,
daß diese Anwendung des Chors in der
Braut von Messina, schon wegen der Neuheit der
Erscheinung und wegen der gelungenen Haltung des
Chors, zu den interessantesten Erscheinungen der
tragischen Dichtkunst gehören; so hat doch derselbe
Dichter in dem später erschienenen Wilhelm Tell
keinen wiederhohlten Gebrauch von dem Chore gemacht,
und selbst Göthe hat in seiner Jphigenie,
einem Trauerspiele völlig griechischen Ursprungs,
desselben sich enthalten. ─ Gehen wir aber auf den
Ursprung des Chors bei den Griechen zurück;
so beruht die Anwendung des Chors auf dem ganzen
örtlichen Charakter ihrer dramatischen Dichtkunst.
Bei ihnen wurden die Feste der Gottheiten mit der
dramatischen Darstellung einer Nationalbegebenheit
beschlossen, an welcher das Volk, nach seiner republikanischen
Souverainetät, Antheil genommen hatte.
Deshalb erhielt es auch, wegen dieses seines Antheils,
in der dramatischen Darstellung (der Kopie
der Wirklichkeit) den Platz, den es im Urbilde eingenommen
hatte. Der Chor ward der Repräsentant
des ganzen Volkes im Trauerspiele, und Dichter,
die ihren Vortheil verstanden, legten dann dem Chore
öfters Gesinnungen und Urtheile bei, durch die sie
die Meinung des Volkes leiten und bestimmen wollten.
|#f0393 : 381|
─ Allein gleich nothwendig war bei den Griechen
der Chor in Hinsicht auf das Locale der
dramatischen Darstellung. An jenen Festen
war nämlich eine Masse von Zuschauern anwesend,
die oft über zwanzigtausend stieg. Kein Schauspielhaus
in unserm Sinne faßte sie, und die Stimme
der einzelnen Schauspieler würde zu oft verschollen
seyn, wenn nicht der Chor, verbunden mit Musik
und Tanz, die Handlung fortgeführt hätte. Nicht
also zunächst eine ästhetische, sondern eine politische
und locale Ursache, die aus dem Charakter eines
Volksschauspieles und zwar bei einem republikanischen
Volke hervorging, war es, was in der Tragödie
der Griechen die Anwendung des Chors, der
Musik und des Kothurns nöthig machte, wozu noch
kam, daß die alte Tragödie keine Pause zwischen
den Acten kannte, sondern der Chor den Faden der
Handlung fortführte.
Einen von der Tragödie der Griechen völlig
verschiedenen Charakter trägt das Trauerspiel der
Neuern. Handlung, sinnlich vollkommen und idealisirt
dargestellt; eine innere Nothwendigkeit in der
Verkettung und Folge der Verwickelung und Entwickelung,
die durch nichts Fremdartiges unterbrochen
werden darf; fortdauernde Thätigkeit aller wesentlich
zum tragischen Kunstwerke nöthigen Personen,
die durch keine Reflexion über sie zerstört wird, um
die allmählig sich bildende ästhetische Einheit der Form
in der Einbildungskraft des Anschauenden zu vollenden,
und dann ihnen selbst die Reflexion darüber
zu überlassen; dies ist der Charakter der neuern
Tragödie. Der Chor wird nun beinahe in den meisteu
Fällen das alles hindern, was man von dem
modernen Trauerspiele, als einem vollendeten Kunstwerke,
|#f0394 : 382|
verlangt. Denn er unterbricht die nothwendige
Folge der Handlung; er trägt weder zur Verwickelung,
noch zur Entwickelung etwas bei; er unterbricht
den Genuß an den idealisirten Charakteren,
weil er selbst nichts Jdealisches darzustellen vermag,
das nicht bereits in dem allgemeinen Grundrisse der
innerhalb der ästhetischen Form durchzuführenden
tragischen Handlung läge; er tritt vielmehr als etwas
Fremdartiges in die Mitte der Handlung, und
wenn er auch das erstemal bei seiner Erscheinung
durch Ueberraschung, so wie durch die Gediegenheit
der Sprachform interessirt, so spricht doch das tragische
Gefühl gegen ihn, das in seiner freiesten Bewegung
durch ihn sich unterbrochen fühlt. Selbst
wenn man ihm (mit Schiller) die Bestimmung
beilegt, die Reflexion von der Handlung zu sondern,
und Ruhe in die Handlung zu bringen; so ist dies
eben dem Charakter des Trauerspiels geradehin zuwider.
Das Trauerspiel soll reine, idealisirte, ästhetisch
vollendete Handlung seyn; denn nur durch diese
Vollendung kann es dem Gesetze der Form entsprechen.
Mischt nun der Chor Reflexion in die Mitte
der Handlung; so stört er das Wohlgefallen an der
Form, und vernichtet den innern Organismus dieser
Form in seiner Einheit für die Einbildungskraft.
Bringt er ferner Ruhe in die Handlung;
so dürfte er dadurch noch nachtheiliger für die Wirkung
der Handlung werden, die, so erschütternd
auch die Darstellung seyn mag, doch nie so tiefgreifend
seyn wird, daß Menschen sie nicht ertragen
könnten, sondern einer darzwischen tretenden Ruhe
bedürften. Denn was von Menschen gedichtet und
auf der Bühne dargestellt wird, und wenn es auch
der genialischste Dichter in dem überflutendsten Strome
|#f0395 : 383|
des Gefühls und mit der höchsten Bewegung der
schöpferischen Einbildungskraft ins Daseyn ruft, kann
doch, nach einem ewigen Gesetze für die Geisterwelt,
von Wesen derselben Art ertragen werden, zu
welchen auch der Dichter gehört. Noch kein vollendetes
Trauerspiel hat seine Wirkung über die Grenzen
eines menschlichen Gefühlsvermögens hinausgetrieben;
denn einzelne nervenschwache Leser oder Zuschauer
können nur die Ausnahme von der Regel
bilden. Jn der Annäherung aber an die möglichst
höchste Erschütterung des Gefühlsvermögens, und
in der Bewirkung des möglichst freiesten Spieles
der Einbildungskraft durch die Versinnlichung der
dargestellten tragischen Handlung, liegt eben die große
Aufgabe der tragischen Kunst.
Wenn es zunächst die ästhetischen Eigenschaften
des Edlen, des Großen, des Erhabenen, des Rührenden
und Pathetischen sind, welche, nach ihrer
freiesten Versinnlichung, den Grundton in der Darstellung
der Tragödie bilden; so sind es die Eigenschaften
des Scherzhaften, des Lächerlichen
und Komischen *, deren ästhetische Farbengebung
in der Komödie vorherrscht. Denn der Scherz
besteht in einer absichtlichen, von dem Andern sogleich
anerkannten, Verstellung, wodurch der Scherzende
das in ihm aufgeregte Gefühl der Lust nach
außen mittheilen, und dem, welchem der Scherz gilt,
ein unmittelbares Gefühl der Lust gewähren will.
Vgl. Th. 1. S. 402 und S. 406.
Der Scherzende tritt daher aus seinem natürlichen
und bekannten Charakter heraus, um durch einen
angenommenen Ton ein augenblickliches Gefühl der
Lust bei Andern zu vermitteln. Jm Gegensatze des
Scherzes beruht das Lächerliche auf der äußern
Ankündigung der Verirrungen des menschlichen Verstandes
und Geschmackes, nach allen dadurch in den
Handlungen sichtbaren Schwachheiten, Einseitigkeiten
und Schiefheiten, sie mögen nun aus unreifen Meinungen
und Urtheilen, oder aus Verbildungen des
Geschmacks (z. B. in der Kleidung, in äußern Sitten),
oder aus Selbsttäuschungen in der gesellschaftlichen
Ankündigung (z. B. durch Eitelkeit, Aufgeblasenheit,
Stolz, Verliebtseyn im Alter &c.) hervorgehen.
Nie können aber unmittelbare sittliche
Verirrungen ein Gegenstand des Lachens werden.
Denn werden sie unter einer ästhetischen Form dargestellt;
so verfallen sie dem Richterstuhle der Satyre.
Sie sind zu wichtig und stehen mit dem
höchsten Zwecke der Menschheit, dem Zwecke der
Sittlichkeit, zu sehr im Gegensatze, als daß sie, wie
das in der äußern Ankündigung wahrnehmbare Widersinnige,
Zweck- und Verhältnißwidrige, ein Gegenstand
des Lachens werden könnten. ─ Das Komische
endlich, das, wie das Lächerliche, auf einem
unmittelbaren Gefühle der Lust beruht, das durch
die zur ästhetischen Form ausgeprägte Versinnlichung
des Widersinnigen, Unvollkommenen und Zweckwidrigen
vermittelt wird, unterscheidet sich dadurch von
dem Lächerlichen, daß mit diesem allgemeinen Gefühle
der Lust das Gefühl unsers Uebergewichts
über das nach seinen Schwachheiten und Verirrungen
dargestellte Jndividuum sich verbindet. Denn
bei dem, was uns als komisch erscheint, fühlen wir
|#f0397 : 385|
nicht blos überhaupt und im Allgemeinen ein Gefühl
der Lust über das vermittelst der dichterischen Versinnlichung
zur Einheit der Form gebrachte Unvollkommene
und Zweckwidrige; wir fühlen zugleich,
daß wir höher stehen, als das vor unsere Anschauung
gebrachte Jndividuum, und daß wir nicht
fähig wären, die ihm beigelegten Schwächen und
Verirrungen uns zu Schulden kommen zu lassen.
Tragen wir diese ästhetischen Grundbegriffe des
Scherzhaften, Lächerlichen und Komischen auf diejenige
dramatische Kunstform über, die wir das Lustspiel
nennen; so beruht der Charakter desselben
entweder auf der ästhetisch vollendeten Versinnlichung
gewisser menschlicher Schwächen, Thorheiten,
Mängel und Unvollkommenheiten, oder auf der
mannigfaltigsten, durchgängig aber auf das Gefühl
der Lust berechneten Verwickelung (Jntrigue) in der
dargestellten Handlung, so daß, in beiden Formen
des Lustspiels, durch die Wahrnehmung des ästhetisch
versinnlichten Causalzusammenhanges in der Handlung,
das Gefühl der Lust angeregt, und, vermittelst
der Durchführung der Verwickelung der Handlung,
lebhaft erhalten und gesteigert wird, bis die Auflösung
des Knotens am Schlusse der vollendeten dramatischen
Form die innigste und völligste Befriedigung
des Gefühls der Lust vermittelt. Wenn daher
bei dem Trauerspiele, durch die Anlegung der
Charaktere und durch die Fortführung der Handlung,
die gemischten Gefühle der Lust und Unlust angeregt
werden, die beide, während der ganzen Darstellung
der Handlung, mit einander wechseln und
gegen einander anstreben, bis endlich das Wohlgefallen
an der Vollendung der tragischen Form, so
wie das Wohlgefallen an dem in seiner Freiheit
|#f0398 : 386|
unterliegenden Helden, den Sieg des Gefühls der
Lust bewirkt, und das Gefühl der Unlust an dem
widrigen Gange seines Schicksals niederschlägt; so
ist dagegen in dem Lustspiele die Erfindung der Handlung,
die Haltung der Hauptperson, die Durchführung
der Verwickelung, die bestimmte Berechnung
des Verhältnisses der Episoden zu dem Ganzen, besonders
aber der Schluß, oder die Auflösung und
Entwickelung des ästhetisch geschürzten Knotens, auf
den völligen und entschiedenen Sieg des Gefühls der
Lust über das Gefühl der Unlust berechnet. Doch
unterscheidet sich im Einzelnen das sogenannte Jntriguenstück
von dem eigentlichen Lustspiele und
der Posse, daß in den letztern die Schilderung
menschlicher Schwächen und Thorheiten, oder auch
die Darstellung ununterbrochen fortgesetzter Neckereien
und einer idealisch gezeichneten Petulanz, das
Gefühl der Lust unaufhörlich nähren und steigern,
während im Jntriguenstücke das Gefühl der Lust,
wegen der mannigfaltigen Verwickelung der Handlung,
bisweilen durch die ─ ein gemischtes Gefühl
der Unlust leise anregende ─ Besorgniß unterbrochen
wird, wie der Knoten sich lösen, und ob die
Person, für welche unser Gefühl sich erklärt, das
Ziel ihrer Wünsche erreichen und glücklich werden
dürfte. (So rechnen wir Jüngers Er mengt sich
in alles, Kotzebue's teutsche Kleinstädter &c. zu
den eigentlichen Lustspielen; Lessings Minna von
Barnhelm, Großmanns Nicht mehr als sechs
Schüsseln, Jfflands Herbsttag und Aussteuer,
Kotzebue's Jndianer in England &c. zu den Jntriguenstücken;
und Kotzebue's Pagenstreiche, Wildfang,
Wirrwarr &c. zu den Possen.)
Wenn gleich der Begriff des Schauspiels an
sich so allgemein ist, daß er alle für die Bühne berechnete
dramatische Kunstformen umschließt; so wird
doch, in der Reihe der einzelnen Gattungen und
Arten der dramatischen Dichtkunst, unter der Benennung:
Schauspiel eine, blos der teutschen Dichtkunst
und Literatur angehörende, Mittelgattung
dramatischer Formen zwischen dem Trauer-
und Lustspiele verstanden, deren Eigenthümlichkeit
darauf beruht, daß das Schauspiel, gleich dem
Trauerspiele, das gemischte Gefühl der Lust und
der Unlust, allein nicht in der Stärke und Fülle,
wie das Trauerspiel, aufregt, und den Wechsel
beider Gefühle, während der ganzen Fortbildung der
Handlung, lebendig erhält und steigert; mit dem
Lustspiele aber die fröhliche Entwickelung und Auflösung
des dichtgeschürzten Knotens theilt, und dadurch
den Sieg des Gefühls der Lust über das Gefühl
der Unlust vermittelt. Ob nun gleich im Schauspiele
die in den Mittelpunct der Handlung gestellte
Hauptperson nicht im Charakter eines tragischen
Helden sich ankündigt, und die Masse widriger
Verhältnisse und Ereignisse, die auf sie eindringt
und ihre Kraft beschäftigt, nicht, im Sinne des
Trauerspiels, Schicksal genannt werden kann; so
erscheint doch die Hauptperson im Schauspiele im
Kampfe mit mannigfaltig verflochtenen und widrigen
Verhältnissen, die ihre geistige und sittliche Kraft
in vielfache Thätigkeit setzen, und die endliche, frohe
oder ungünstige, Entwickelung dieser Verhältnisse,
bis zu der letzten Scene der Handlung, unentschieden
|#f0400 : 388|
lassen. Deshalb ist auch der Ton im Schauspiele
ernst und würdevoll, und die Farbengebung
im Einzelnen nicht aus den Gebieten des Lächerlichen
und Komischen entlehnt. Der Stoff der
Handlung selbst gehört gewöhnlich dem Kreise des
häuslichen und bürgerlichen Lebens an, so
daß nicht nur die Hauptperson zunächst nach ihrer
Stellung im häuslichen und bürgerlichen Leben erscheint,
sondern auch die ihre Thätigkeit aufregenden
und ihre Kraft spannenden Verhältnisse und Ereignisse
unmittelbar aus jenen Kreisen stammen. Alles
ästhetisch=Darstellbare aus den häuslichen Verhältnissen
der Gatten, der Aeltern, der Kinder, der
Verwandten, und der Dienstboten gegen einander,
so wie aus den öffentlichen Verhältnissen des
bürgerlichen Lebens, nach den verschiedenen Ständen,
Aemtern und Berufsarten im Staatsdienste, eignet
sich zum Stoffe des Schauspiels, der, in seinen
unendlich mannigfaltigen Schattirungen, eben so viele
Veranlassungen für die Hauptperson enthält, Adel
der Gesinnung und Charakterfestigkeit zu bethätigen,
wie ihm zugleich die Prüfungen und Leiden angehören,
an welchen die geistige Kraft und der sittliche
Charakter der Hauptperson sich üben und bewähren
soll. Je neuer, vielseitiger und kräftiger die Verhältnisse
sind, unter welchen der dramatische Dichter
die Hauptperson im Schauspiele und die Leiden und
Widerwärtigkeiten erscheinen läßt, die den Frohsinn
seines Lebens und seine berufsmäßige Ankündigung
im häuslichen und öffentlichen Kreise verkümmen;
desto mehr wird es ihm gelingen, die gemischten Gefühle
der Lust und Unlust in gleichmäßiger Lebendigkeit,
während der Dauer und Fortführung der dargestellten
Handlung, zu erhalten, bis endlich die dichterische
|#f0401 : 389|
Gerechtigkeit gehandhabt, und Edelmuth und Rechtschaffenheit
anerkannt, gerechtfertigt und belohnt, so
wie das Laster entlarvt, beschämt und bestraft wird.
Je länger und zweifelhafter der Kampf der Hauptperson
gegen die widrigen Verhältnisse ihres Lebens
fortdauert; je mehr sie, bei diesem fortgesetzten
Kampfe, den Reichthum eines vielseitig gebildeten
Geistes, und die Hoheit, Kraft und Würde eines
völlig reinen Charakters entfaltet; desto mehr muß
die siegende und befriedigende Entwickelung dieser
verflochtenen und traurigen Verhältnisse das Uebergewicht
des Gefühls der Lust über das Gefühl der
Unlust am Schlusse der Handlung herbeiführen.
Wird das Schauspiel in diesem Sinne und
Geiste als eine selbstständige Gattung der dramatischen
Dichtkunst festgehalten und zur ästhetischen Einheit
der Form ausgeprägt; so verdient es nicht den
früher ihm beigelegten Namen der weinerlichen
Komödie. Es behauptet vielmehr einen eigenthümlichen
Charakter in der Mitte zwischen dem
Trauer- und Lustspiele, und bereichert das Gebiet der
dramatischen Formen mit neuen gediegenen Kunsterzeugnissen.
Oder wollten wir wirklich Schauspiele,
wie v. Gemmingens teutschen Hausvater, Lessings
Nathan den Weisen, Jfflands Jäger, Mündel,
Verbrechen aus Ehrsucht, den Spieler, die Advokaten,
und Dienstpflicht, selbst Kotzebue's Menschenhaß
und Reue und seinen Benjowsky, ─ wollten
wir Göthe's Tasso, Götz von Berlichingen
und Stella, Schröders Ring, Kratters Mädchen
von Marienburg, Babo's Strelitzen, Klingemanns
Luther, Columbus und Moses, selbst
Werners Weihe der Kraft und seinen Attila, so
wie so viele andere zur Gattung des eigentlichen
|#f0402 : 390|
Schauspieles gehörende einzelne Erzeugnisse, aus dem
Gebiete der dramatischen Formen für immer streichen,
weil es einigen Theoretikern unwillkommen
war, einer neuen dramatischen Gattung in der Mitte
zwischen dem Trauer- und Lustspiele einen Platz zu
verstatten, und das, worin die Praxis der Dichter
vorausgeeilt war, in der Theorie allmählig nachzuhohlen!
So wie aber das Schauspiel die Mitte zwischen
dem Trauer- und Lustspiele hält; so auch der
Ton und die Stärke der durch das Schauspiel aufgeregten
und genährten Gefühle. Denn an sich
schon gewährt die Mischung und der Wechsel der
Gefühle der Lust und der Unlust eine eigenthümliche
Befriedigung des Gefühlsvermögens, wie
dies die Elegie und die ganze epische Dichtkunst
beweiset. Dazu kommt beim Schauspiele, daß dieses
das Gefühl der Unlust dem Gefühle der Lust mehr
gegenüber stellt, als es beim Lustspiele möglich ist,
wo das Gefühl der Lust fast ausschließend vorwaltet;
daß es aber auch nicht so erschütternd auf
das Gefühlsvermögen einwirkt, wie das Trauerspiel,
weil die Hauptpersonen des Schauspiels nicht als
tragische Helden, und die Hindernisse, die sie zu bekämpfen
haben, nicht unter den Machtschlägen eines
unwiderstehlichen Fatums sich ankündigen.
Das Singspiel verhält sich zu den einzelnen
Formen der dramatischen Dichtkunst, wie die Cantate
zu den übrigen Formen der lyrischen Dichtkunst;
es ist die ästhetisch=vollendete Einheit einer dramatischen
|#f0403 : 391|
Handlung, die, nach ihrer Anlage, Haltung
und Durchführung, entweder auf eine beständige
oder abwechselnde Begleitung der
Tonkunst, und, vermittelst der Verbindung der
dramatischen Dichtkunst mit der Tonkunst, auf eine
hohe Bewegung und Rührung des Gefühlsvermögens,
so wie auf die Hervorbringung eines reinen
Wohlgefallens an der gleichmäßig durch Dichtkunst
und Tonkunst vollendeten ästhetischen Form, berechnet
ist. Es gilt daher von der dichterischen Behandlung
des Singspiels alles, was (§. 29) im
Allgemeinen von dem Verhältnisse der Cantate, als
eines dichterischen Kunstwerkes, zur tonkünstlerischen
Behandlung und Darstellung derselben gesagt worden
ist. Der Dichter muß den Tonkünstler durchgehends
im Auge behalten, und ihm vorarbeiten. Dies gilt
sowohl von den in die dramatische Handlung aufgenommenen
männlichen und weiblichen Personen, als
auch von dem Umfange und Jnhalte, und von der
Länge und Kürze der einzelnen Scenen und Acte,
so wie von dem genau berechneten Verhältnisse der
Arien und Cavatinen, der Duette, Terzette u. s.
w., und der Chöre gegen einander. Da die ästhetische
Vollendung des Singspiels auf dem gleichmäßigen
Zusammenwirken zweier Künste beruht;
so müssen auch beide in der Bildung und Ausprägung
der dramatischen Form des Singspiels als
unauflöslich verbunden sich ankündigen.
So gewiß aber die theatralische Wirkung des
Singspiels von dieser unauflöslichen Verbindung
der Dicht- und Tonkunst abhängt; so kann doch in
einer wissenschaftlichen Darstellung des Gesammtgebietes
der teutschen Sprache nur von den verschiedenen
Formen des Singspiels, nach ihrem dichteri=
|#f0404 : 392|
schen Charakter, und nach ihrer Stelle in der Reihe
der übrigen dramatischen Dichtungsarten, die Rede
seyn. ─ Das Singspiel zerfällt in die drei einzelnen
Formen: das Melodrama, die Oper, und
die Operette.
1) Das Melodrama ─ welches Monodrama,
Duodrama u. s. w. seyn kann ─ ist ein dramatisches
Gedicht, dessen Eigenthümlichkeit darin besteht,
daß die Rede durch abwechselnd eintretende
Musik unterbrochen wird. Es unterscheidet
sich wesentlich von der Oper und Operette dadurch,
daß weder Arien, noch Duette und Chöre darin
vorkommen, sondern die Anwendung der Tonkunst
theils zur Versinnlichung und Erweiterung der in
der Rede bereits ausgedrückten Gefühle, theils
zur Vorbereitung auf die sogleich in der Handlung
darzustellenden Gefühle dient. ─ Unter den Teutschen
ward das Melodrama zuerst von Brandes
in der Ariadne auf Naxos angebaut, welchem
Benda das tonkünstlerische Gewand mit solchem
Erfolge gab, daß Ariadne auf Naxos noch jetzt
nicht ganz von der Bühne verschwunden ist, und
mehrere Dichter und Tonkünstler diesem gelungenen
Vorbilde, doch mit geringerem Erfolge, nachstrebten.
So Ramler im Pygmalion, Gotter in der
Medea, Fr. Rambach in dem Theseus auf
Kreta, Kaffka in der Rosamunde und andere.
─ Ob nun gleich die dramatische Dichtkunst durch
den Eintritt des Melodrama in die Reihe der dramatischen
Dichtungsarten einen Zuwachs erhielt; so
behauptet es doch, in dem Kreise der dramatischen
Kunstformen, die unterste Stelle. Denn seine
Darstellung hat, durch den Mangel mehrerer Personen,
zu wenig Handlung, und folglich auch zu wenig
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Abwechselung und Mannigfaltigkeit; sein Stoff
muß sich auf einen zu kleinen Kreis von Gefühlen
und von Begebenheiten beschränken, durch welche
Gefühle aufgeregt werden.
Es wird daher die ästhetische Vollkommenheit
des Melodrama hinter der durch Dichtkunst und
Tonkunst ungleich reicher ausgestatteten Oper und
Operette zurück bleiben. Dazu kommt, daß die
eintretende Tonkunst, und zwar je mehr sie dem
Charakter der dargestellten Gefühle anpaßt, das
Einförmige des Eindruckes verstärken muß, weil
sie nichts anders durch Töne darstellen kann, als
was bereits durch Worte ausgedrückt worden ist.
Der natürlich fortschreitende Gang des Gefühls wird
aber auch durch die stets wiederkehrende Tonkunst
nicht selten unterbrochen und aufgehalten, und dadurch
der innere nothwendige Zusammenhang zwischen
den zur ästhetischen Einheit verbundenen Gefühlen
gestört. Endlich häufen sich auch für den
beinahe durchgehends allein auf der Bühne auftretenden
Schauspieler die Schwierigkeiten dadurch, daß
er die häufigen Zwischenzeiten der Tonkunst durch
ein passendes mimisches Spiel ausfüllen muß.
2) Der dichterische Charakter der Oper nähert
sich bald dem Trauerspiele, bald dem Lustspiele, bald
dem Schauspiele. Denn in der ernsthaften
Oper (opera seria) handelt ein Held nach der
ähnlichen Ankündigung des Helden im Trauerspiele;
in der komischen Oper (opera buffa) werden
Thorheiten und Fehler versinnlicht dargestellt, oder
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Jntriguen ausgesponnen, an deren Darstellung der
Faden bis zur völligen Entwickelung fortläuft; die
gemischte Oper endlich wird auf gleiche Weise,
wie das Schauspiel, gebildet, und wechselt mit
ernsthaften und heitern Stoffen und Scenen. ─ Für
den Dichter der Oper tritt, in der umschließendsten
Bezeichung des Begriffes, dasselbe Verhältniß ein,
in welchem der Dichter der Cantate zum Tonkünstler
steht. Denn, nach der ursprünglichen Bestimmung
der Oper, schreiten nicht nur in derselben Dichtkunst
und Tonkunst gemeinschaftlich und unauflöslich
verbunden durch Recitative, Arien und Chöre
fort; es muß auch der Ausdruck der Verwickelung
und Entwickelung des Ganzen an beide Künste zugleich
gebunden seyn. Ob nun gleich die Verbindung
der Dicht- und Tonkunst die Grundbedingung
des ästhetischen Charakters der Oper bildet;
so werden doch nicht selten auch die Wirkungen der
übrigen Künste, namentlich der Mahlerei, der Plastik
und der Tonkunst, aufgeboten, um den Gesammteindruck
der Oper zu verstärken. Nothwendig wird,
unter diesen Verhältnissen, die Oper zu den vollendetsten
Kunstwerken gehören, sobald der Dichter
eine wirklich ästhetisch gediegene dramatische Form
ins Daseyn rief, und der Reichthum seiner Einbildungskraft,
frei und rücksichtslos auf absichtlich berechnete
Wirkungen und Theaterschläge, über die
Anwendung der übrigen Künste für den Gesammtzweck
der theatralischen Darstellung der Oper gebot.
Denn sollen diese verbundenen Künste einen gemeinschaftlichen
und unwiderstehlichen Eindruck auf das
Gefühlsvermögen hervorbringen, der von der vollendeten
Einheit der Oper als Kunsterzeugniß abhängt;
so müssen die einzelnen Ankündigungen der
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übrigen in den Kreis der Oper gezogenen schönen
Künste auf dem Gesetze des ästhetischen Causalzusammenhanges
beruhen, und mit der dichterischen
und tonkünstlerischen Vollendung der Form zu Einem
unauflöslichen Ganzen verschmelzen.
3) Die Operette ist jüngern Ursprungs, als
die Oper, und dadurch von derselben verschieden,
daß in der Operette die tonkünstlerische Begleitung
zunächst auf Arien, Duette und Chöre beschränkt
ist, und regelmäßig mit dem Dialoge abwechselt,
während in der Oper, nach ihrer ursprünglichen
Einrichtung, kein Wort und Laut
ohne tonkünstlerische Begleitung sich ankündigen darf.
Die Operette hingegen war ursprünglich ein dramatisches
Kunstwerk, in welchem der Dialog vorherrschte,
der nur, wenn die Gefühle der handelnden Personen
mit einer höhern Lebendigkeit und Stärke aufwogten,
von Arien, Duetten und Chören unterbrochen ward.
Auch hatte die Oper, in ihrer ursprünglichen Gestalt,
blos eine komische, dem Lustspiel ähnliche, Einfassung,
und die Anlegung, Haltung und Durchführung
ihrer Arien und Chöre war gewöhnlich höchst
einfach, natürlich und kunstlos. (So erscheint die
Operette noch in der Jagd von Weiße und Hiller,
in der Liebe auf dem Lande, in Lottchen
am Hofe, im Dorfbarbier, im Erntekranze
u. a.) Als aber die italienischen und französischen
Opern, mit Hinweglassung der Recitative,
an deren Stelle der Dialog trat, auf teutschen Boden
versetzt und mit teutschen Texten begleitet wurden;
da ward auch bald der frühere Unterschied zwischen
der Oper und Operette und der einfache Ton
und Charakter der Operette vergessen; das Publicum
verlangte kunstvollere Arien und Chöre in der
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Operette, an welche es sich bei der Oper gewöhnt
hatte, und eine fast eben so reiche Maschinerie, wie
in der Oper. Entschieden hat dies auf den dichterischen
und tonkünstlerischen Anbau der Operette
nachtheilig eingewirkt, weil Dichter und Tonkünstler
von dem frühern bestimmt ausgeprägten und eigenthümlichen
Charakter der Operette sich entfernten,
um durch ihre Formen dem Publicum desto sicherer
zu gefallen. Daher die oft so häufigen Ueberladungen
und sinnlosen Ausschmückungen der Operette
mit Gegenständen, die dem dichterischen Stoffe derselben
fremd sind; daher überhaupt der wesentliche
Mangel an Operetten, deren dichterischer Gehalt,
auch ohne die tonkünstlerische Gediegenheit der Form,
anerkannt und entschieden wäre. ─ Denn soll die
Operette auf ihre ursprüngliche Eigenthümlichkeit zurückgeführt
werden; so muß der Dichter derselben
die Gesangstücke nur dann eintreten lassen, wenn
der ästhetische Zusammenhang des Ganzen den Ausdruck
lebendiger und hoher Gefühle der handelnden
Personen mit sich bringt, und der prosaische Ton
des Dialogs von selbst in Sylbenmaas und Reim
übergeht.
Die Praxis ist in allen Künsten, und also
auch in der Dichtkunst, der Theorie vorausgeeilt,
so daß die Theorie, im Allgemeinen, das Abstractum
von dem enthält, was in der Praxis einer und
derselben Gattung oder Art von den entschiedenen
Classikern zur vollendeten Form ausgeprägt ward,
und deshalb als Muster für alle Zeiten gilt. Wenn
denn nun auf diese Weise die Theorie der Praxis
folgt, und das, der Form nach Aehnliche, Verwandte
oder Gleiche, unter gewisse Hauptgesichtspuncte
bringt; so entstehen dadurch die verschiedenen Klassen
von Dichtungsarten, inwiefern jede einzelne
Dichtungsart die Gesammtheit von dichterischen Formen
in sich faßt, deren gemeinsamer Charakter aus
einer verwandten individuellen Stimmung im Gefühlsvermögen
des Dichters hervorgehet.
Nun giebt es aber im Kreise der Dichtkunst
jeder Nation, wie bereits bei der Ausmittelung des
Grundsatzes für die Eintheilung der verschiedenen
Dichtungsarten (§. 11.) erinnert ward, gewisse dichterische
Kunstwerke, deren Charakter zwar bald der
einen, bald der andern der vier aufgestellten Hauptklassen
dichterischer Formen (der lyrischen, didactischen,
epischen und dramatischen Dichtkunst) sich
nähert, bald aber auch aus dem Verschmelzen der
Eigenthümlichkeit mehrerer dieser Klassen hervorgehet.
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Solche dichterische Formen würden nicht
ohne Zwang unter eine der vier aufgestellten Hauptklassen
der Dichtkunst gebracht werden können, weil
z. B. wohl die einzelne, nicht aber jede Jdylle
zur epischen Form, und eben so die einzelne
poetische Epistel, nicht aber jede poetische Epistel,
zur lyrischen Form der Dichtkunst gerechnet werden
kann.
Mag daher auch der Ausdruck einer Ergänzungsklasse
der vier Hauptformen der Dichtkunst
etwas Unbequemes haben, und zur Bezeichnung der
hieher gehörenden einzelnen Kunstformen ein noch
schärfer bestimmender Begriff zu wünschen seyn; so
ist es doch besser, den Begriff einer Ergänzungsklasse
beizubehalten und in derselben alle diejenigen
dichterischen Formen aufzuführen, die nicht ausschließend
einer der vier Hauptklassen der Dichtkunst untergeordnet
werden können, als diese Unterordnung
durch künstelnde Deutung und ästhetischen Zwang
zu bewirken.
Zu dieser Ergänzungsklasse rechnen wir als einzelne
dichterische Formen:
a) die Jdylle;
b) die poetische Epistel;
c) die dichterische Schilderung;
d) die Parabel und Paramythie;
e) den Dialog und Monolog;
f) die Satyre;
g) die Parodie und Travestirung;
h) den Roman, das Mährchen und die Novelle;
i) das Sinngedicht und Epigramm;
k) das Räthsel, die Charade, den Logogryph,
und das Anagramm.
Je weiter die Wirklichkeit von dem Jdeale
eines goldenen Weltalters abliegt; desto erquickender
ist die idealisirte Darstellung der Menschheit unter
einem friedlichen und harmonischen Verhältnisse
zu sich selbst, zu dem Schicksale, und zu der äußern
Natur. Diese Darstellung enthält die Jdylle.
Das goldene Weltalter, das die älteste Dichtkunst
in die Vergangenheit, die Philosophie in den fernen
Kreis der Zukunft, nie aber ein Historiker und
Philosoph in die Gegenwart und Wirklichkeit versetzt,
stellt der Jdyllendichter als verwirklicht, unter
dem Zauber einer ästhetischen Form, vor uns hin.
Reinheit und Einfachheit der Sirten, Unschuld des
Herzens und Wandels, Wahrheit, Zartheit und
Jnnigkeit des Gefühls müssen die Ankündigung
des Menschen in der Jdylle bezeichnen. Noch hat
ihn das Gift der bürgerlichen Gesellschaft nicht berührt;
noch kennt er keine andern Bedürfnisse, als
die, zu welchen ihn die einfache Natur selbst leitet;
noch ist seine Liebe reiner Naturklang; noch sind
seine Neigungen unschuldig und unverdorben, und
noch trägt sein Charakter das Gepräge ursprünglicher
Güte und Unverdorbenheit. Die äußere Natur
bringt mit diesem Adel der innern Gesinnung ein
Leben ohne Schmerz und Kummer, eine friedliche,
schöne, paradiesähnliche Umgebung in die innigste
Verbindung, und so stralt in der Jdylle die Ruhe
des innern Lebens zurück in die große, harmonische
Natur. Alle Thorheiten und sittliche Gebrechen der
wirklichen Welt, alle beengende Formen der Convenienz
und der bürgerlichen Verhältnisse, liegen tief
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unter dem Kreise der Jdylle. Jn ihr erscheinen
die Menschen einander gleich, und sogar die Thiere
sind in ihr weder Feinde des Menschen, noch Feinde
gegen sich selbst. Der Mensch der Jdylle darf aber
auch von dem Dichter nicht auf die Höhe der künstlichen
Cultur gestellt werden, welche blos die Folge
der im bürgerlichen Leben eingeführten und bestehenden
Verhältnisse ist. Daraus läßt sich erklären,
warum die Jdyllendichter die Menschen, die sie
schildern, gewöhnlich aus dem Hirten=, Schäfer=,
Fischer= und Jäger=Leben entlehnen, und weshalb
im Ganzen die einfache ländliche Natur in ihren
Gebilden vorherrscht. Denn der Kreis des Jdyllendichters
ist ein Kreis neben oder außerhalb der
Wirklichkeit; ja sogar nur selten mit der geschichtlichen
Hindeutung, daß diese Wirklichkeit in der
fernsten Vergangenheit vorhanden gewesen, aber
nun auf immer verschwunden sey. Deshalb schildert
die Jdylle auch kein bestimmtes und mit einem
geschichtlichen Namen bezeichnetes Volk der Erde
und keine bestimmte Oertlichkeit des Erdbodens.
Dem Stoffe nach gehört die Jdylle zur epischen,
nach dem in ihr vorherrschenden Grundtone
des Gefühls aber zur lyrischen Form der Dichtkunst.
Die teutsche Literatur erfreut sich vorzugsweise,
vor der Literatur andrer europäischer Völker, eines
reichen Anbaues der Jdylle; zugleich ein sicherer Beleg
des reinen unverdorbenen Naturtones der teutschen
Dichter und ihrer Nation, so lange sie Wohlgefallen
an der milden idealischen Welt der Jdylle
findet. Salomo Geßner, Rost, Reckert,
Ewald v. Kleist, Götz, Blum, Mahler Müller,
Hölty, Jacobi, Klamer Schmidt, v.
Göthe, v. Bonstetten, Bronner, Voß,
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Kosegarten, Krummacher, Baggesen u. a.
sind gefeierte Namen im Gebiete der Jdyllendichtung.
1) von Salomo Geßner († 1787).
Bruchstück aus dem Tode Abels.
Die stillen Stunden führten den rosenfarbenen Morgen
herauf, und gossen den Thau auf die schattigte Erde;
indeß schoß die Sonne ihre frühen Stralen hinter den
schwarzen Cedern des Berges herauf, und schmückte mit
glühendem Morgenroth die durch den dämmernden Himmel
schwimmenden Wolken. Da gingen Abel und seine
geliebte Thirza aus ihrer Hütte hervor, in die nahe geruchreiche
Laube von Jasmin uud Rosen. Zärtliche Lieb'
und reine Tugend gossen sanftes Lächeln in die blauen
Augen der Thirza, und reizende Anmuth auf ihre rosenfarbenen
Wangen; und weiße Locken flossen am jugendlichen
Busen und ihre Schultern herunter, und umschwebten
ihre schlanken Hüften. So ging sie dem Abel
zur Seite. Braune Locken kräusten schattigt sich um die
hohe Stirne des Jünglings, und zerflossen auf seinen
Schultern; denkender Ernst mischte sanft sich in das
Lächeln der Augen. Jn schlanker Schönheit ging er
daher, wie ein Engel daher geht, wenn er in einen
dichteren Körper sich hüllet, den Sterblichen sichtbar zu
werden. Er soll irgend einem Frommen, der im Einsamen
betet, mit guter Botschaft von dem Herrn erscheinen.
Zwar umhüllet ihn ein Körper, menschlich gebildet;
aber aus seiner reizenden Schönheit hervor schimmert
der Engel. Thirza sah mit zärtlichem Lächeln ihn an,
und sprach: Geliebter! jetzt da die Vögel zum Morgenlied
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erwachen, sey mir gefällig, und singe mir den
neuen Lobgesang, den du gestern auf der Flur gedichtet
hast. Was ist lieblicher, als mit Gesängen den Herrn
loben? Wenn du singest, o dann wallet mein Herz voll
heiligen Entzückens, wenn du die Empfindungen sagst,
die ich nur empfand und nicht sagen konnte! Jhr antwortet'
Abel und umarmte sie: Was deine süßen Lippen
von mir begehren; das alles sey dir gewähret, meine
Thirza! Les' ich einen Wunsch in deinen Augen, dann
sey er erfüllt; wir wollen hier auf das weiche Moos
uns setzen, dann will ich den Lobgesang singen. Sie
setzten sich neben einander in der düftenden Laube, deren
Eingang die Morgensonne vergoldete, und Abel hob so
seinen Lobgesang an:
Weiche du Schlaf von jedem Aug', entweichet ihr
flatternden Träume! Die Vernunft geht wieder hervor,
und erhellet die Seele, wie die Morgensonne die
Gegend erhellet. Sey uns gegrüßt, du liebliche Sonne
hinter den Cedern herauf! du gießest Farb' und Anmuth
durch die Natur hin, und jede Schönheit lachet verjüngt
uns wieder entgegen. Entweiche du Schlaf von jedem
Aug'; entfliehet, ihr flatternden Träume, zu den Schatten
der Nacht! Wo sind sie, die Schatten der Nacht?
Jns Dunkel der Haine und in die Felsenklüfte sind sie
gewichen, und erwarten uns da, oder in dicht verwachsenen
Lauben mit erquickender Kühlung am heißen Mittage.
Dort, wo der Morgen den Adler früher weckte;
was dampft dort von den schimmernden Häuptern der
Felsen, von den glänzenden Stirnen der Berge in die
helle Morgenluft empor, wie Opferrauch dem Altar entsteigt?
Die Natur feiert den Morgen, und opfert dem
Herrn der Schöpfung Dank. Jhn soll jedes Geschöpf
loben, ihn, der alles schaffet und erhält. Ja ihm zum
Lobe zerstreuen die jungen Blumen ihre frühen Gerüche;
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ihm singet der Vögel mannigfaltiger Chor, hoch in der
Luft, oder von den Wipfeln der Bäume, der Morgensonn'
entgegen; ihm zum Lobe geht der Löw' aus seiner
Höhle hervor, und brüllet sein Entzücken fürchterlich
durch die Wildniß aus. Lob' ihn, du meine Seele, den
Herrn, den Schöpfer und Erhalter; des Menschen Lobgesang
steige vor allen zu dir empor! Er soll dich loben,
wenn jedes Geschöpf noch in seinem Lager schlummert;
wenn kein Gesang noch von den Wipfeln tönt, und aus
den wiegenden Büschen. Ertöne mein einsames Lied
laut durch die stille Dämmerung, daß du weit umher
jedes Geschöpf zum Lobe erweckest. Herrlich, herrlich ist
die Schöpfung, in der er uns Unwürdigen seine Weisheit
und Güte enthüllet. Jeder meiner Sinne fchöpfet
Entzückung aus diesem unendlichen Meere von Schönheit,
und strömt sie der entzückten Seele zu.
So sang Abel an der Seite seiner Geliebten; in heiliger
Andacht saß sie noch wie horchend; jetzt schlang sie
ihren lilienweißen Arm um seinen Hals, sah zärtlich
ihn an, und sprach: Geliebter! wie schwang sich meine
Andacht mit deinem Gesange höher! Ja, Geliebter!
nicht nur meinen schwächern Leib schützet deine zärtliche
Sorgfalt; auch meine Seele schwinget sich unter deiner
Führung empor. Wenn sie auf ihrem Pfad sich verliert,
und Dunkel um sich her sieht, und in heiligem Erstaunen
hinsinket; dann hebest du sie, und erhellest das
Dunkel, und entwickelst das stille Erstaunen zu lauten
erhabnern Gedanken.
So sprach sie, und die zärtlichste reinste Liebe goß
unaussprechliche Anmuth in jeden Ton der Stimme und
in jede Gebärde. Abel antwortete nicht; aber wie er
zärtlich sie anblickte und an seinen Busen sie drückte;
das redete von seinen Empfindungen mehr, als Worte
hätten reden können. Ach! so glücklich war der Mensch,
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da er noch zufrieden nichts von der Erde begehrte, als
Früchte, die sie willig gab, nichts vom Himmel flehte,
als Tugend und Gesundheit; eh' seine Unzufriedenheit
nimmer gesättigte Wünsche aussendete, die unzählige Bedürfnisse
erfanden, und sein Glück unter schimmerndes
Elend vergruben.
2) von Karl Christian Reckert († 1800).
Milet.
O wie entzückt mich der schöne Abend, sprach der
junge Milet. Jch will mein Mädchen hohlen; denn
die Gegend schlummert, und sanfte Ruhe verbreitet sich
über die Gefilde. Dann wollen wir uns dort auf den
herabgerissenen Felsen setzen, und ich will ihr ein frohes
Lied singen.
Jetzt ging er hin und hohlte sein Mädchen, und sie
setzten sich auf den herabgerissenen Stein, und er sang
ihr ein Lied, während daß seine Hand auf ihrem klopfenden
Busen ruhte. Ach, Phillis, hob er an, Phillis,
mein Herz ist froh, wenn du mich liebst; es fühlt sein
Glück, der Busen bebt mir voll Freude! O Phillis, seit
ich dich sah bei den Blumen am Wasser stehen, und
dein rosenfarbener kleiner Mund zum Lächeln sich öffnete;
Phillis, ach, da war ich voll Freude! Wann sie
dich liebte, Milet, so sprach ich oft seufzend; dann wäre
ich glücklicher, wie ein König, der weite Länder beherrschet.
Aber, o Phillis, das Glück belohnte meine Liebe;
du wurdest mir gewogen, und liebtest mich zärtlich.
Ach, dein Herz werde nie untreu; es bleibe friedlich, wie
diese Gegend, die umher lachet, indeß daß der Mond
sie erhellet, und dein Mund öffne sich freundlich zu
sanften Küssen.
O du, hob Phillis an, du, den ich mehr liebe, als
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wie die Hirten die Blüthen, oder die Mädchen die bunten
Kränze. Seit ich dich sah in meiner Hütte; als
du nach einem nicht verlornen Lamme fragtest; da gabst
du mir Feigen, und drücktest mir froh die Hand, und
meine Mutter lachte recht freundlich, als du mich küßtest;
denn, Milet, sie liebt dich. Seit der Zeit war
ich voll Freude; denn dein Kuß, süßer, als wie die Feigen,
machte mein Herz unruhig. ─ Ach, wenn er dich
liebte, hob ich öfters an, Phillis; wie glücklich würdest
du seyn! Dann ging ich unter das schützende Dach
hervor, und sah seufzend zum Himmel, und weinend
bat ich um deine Wiederkunft und Gegenliebe. Oder
ich wartete deiner am Hügel, wenn das Abendroth lachte;
und wenn ich dich dann sah, so hüpfte ich vor Freuden,
und du brachtest mir im Körbchen Feigen mit Blumen,
und dann umarmten wir uns recht lange, und
weinten voll Freude über unsre Liebe. O mein Milet,
ich kann, nein, ich kann es dir nicht sagen, wie ich
mich freue, wenn ich dich erblicke. Drücke mich an
deine klopfende Brust, und reiche mir freundlich die rothen
Lippen zum Küssen.
Jetzt umarmten sie sich, und Phillis erzählte auf den
herabgestürzten Steinen ein Geschichtchen. Höre, hob
sie an, höre Milet, ich mußte jüngst recht lachen, als
mir Daphnis erzählte: Chloe wollte ihn nicht lieben,
unerachtet er ihr so oft ein Liedchen gesungen. Aber
Phillis, ihr Herz ist nicht so zärtlich, wie das deine,
liebe Phillis; du bist gefälliger, als Chloe; o liebe mich!
Und da wollte er mich küssen. Aber Milet, wie stutzte
Daphnis, als ich ihm sagte: er sollte dich fragen. Da
ward er böse, recht böse, und ging von mir ohne
Abschied.
So erzählte die artige Phillis, und Milet belohnte
ihre Liebe mit unzähligen Küssen, und jetzt gingen sie,
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unter lieblichem Scherze, sich froh umarmend, zu ihren
Hütten.
3) von Blum († 1790).
Amyntas.
4) von Franz Xaver Bronner.
Die Fische des Thierkreises.
Kühle Abenddämmerung entlockte frische Wohlgerüche
den blühenden Bäumen, und der thauigen Wiese. Lüstern
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umherriechend streckte der naschhafte Aal den Kopf aus
dem Wasser, und wälzte sich spielend aufs Land, im
jungen Hafer zu schwelgen, oder im weichen Erbsenkeime.
Da saßen Amymone und Elon, beide schön, wie
Latonens lockige Kinder, hinter duftenden Rosensträuchen
am Bache, und beklagten thränend, und Wange an
Wange geschmiegt, ihr widriges Geschick.
Schwerer Kummer preßte schon lang ihre liebenden
Herzen. Denn ein strenger Spruch des delphischen Orakels
hatte ihnen die Hoffnung geraubet, von Hymens
sanften Banden sich jemals umschlungen zu sehen. Jhr
väterliches Thal, einsam und abgesondert vom übrigen
bewohnten Lande, ward in mehrern Jahren nur durch
wenige Blüthen nachwachsender Jugend erfreuet. Denn
die Mütter grüßten meistens nur schwächliche Kinder ins
Leben, die bald hinwelkten, wie kränkelnde Pflanzen;
und Niemand wußte dem Uebel zu steuern; Niemand
dachte, daß die fortgesetzten Zeugungen naher Verwandten,
von keinem fremden Blute erfrischt, endlich ausarten
können, dem Weizen gleich, der immer eben denselben
Acker besämt. Da sandte man Geschenke nach Delphi,
zwei zierlich geformte Becher und eine köstliche
Opferschale, den Willen der Götter zu hören. Und die
begeisterte Priesterin sprach:
Seitdem gaben die folgsamen Väter ihre reifenden Töchter
nur auswärtigen Freiern, und mannbare Jünglinge
hohlten sich fremde Bräute.
„O warum, Geliebte, sprach Elon mit sanfter Wehmuth,
warum trennt uns ein unerbittliches Schicksal?
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Wann ich die blühende Winde sehe mit weißen Glocken,
wie sie umarmend am geliebten Strauche hinanstrebt;
wenn ich sehe, wie jeder summender Käfer, jeder Vogel
buhlend zur wartenden Gattin hinschwebt, und jeder
gesellige Fisch wollüstig sein streichendes Weibchen umhüpft;
und wenn ich denn denke, daß unsre Verbindung
allein ein feindliches Verhängniß verbietet; dann, Geliebte,
dann weinet etwas aus meinem Jnnersten heraus;
mir wird so bange ─ ich kann's nicht aussprechen!
Dann wünsche ich mir das Glück des summenden Käfers
oder des hüpfenden Fisches, und manchmal möchte
ich sie beneiden, weil niemand bei ihnen die heiligste
Neigung in lästige Fesseln zwängt. O warum mußte
ich hier gebohren werden, hier, wo die Götter mir verbieten,
dich, Mädchen voll Unschuld, als meine Gattin
zu lieben? Glücklicher wäre ich, viel glücklicher, wenn
mich einsam mit dir, auf der fernsten Jnsel, das große
Weltmeer umschlösse, wie den fernen Mond das blaue
Leere umschließt.“
Amymone. O du sanft leuchtender Mond, und
ihr funkelnden Lichter da oben! Schon oft hab' ich euch
betrachtet, schon oft hab' ich gesagt: ihr kleinen Sterne,
ihr wißt wohl auch von der Liebe; denn das reinste
Feuer ist die Liebe, und ihr brennet mit dem reinsten,
glänzendsten Feuer. Und wenn ihnen der holde Mond
auf seiner Bahn sich nahte; wenn endlich sein wandelndes
Antlitz sie langsam berührte; dann fiel mir ein heiliges
Lied ein, und ich fragte mich: war das nicht ein
Kuß?
Elon. Starr blickte ich neulich seine volle Scheibe
an; da glaubte ich schöne Auen und leuchtende Hügel
darin zu sehen; er schien mir in blauer Ferne einher
zu fahren, wie eine schwimmende Jnsel auf unermeßlicher
See. O Amymone, dachte ich, wäre ich mit
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dir in diesen lichten Auen droben, in diesen wonnigen
Gefilden, wo gewiß kein herbes Verhängniß treue Liebende
trennt! Wie wohl wär' uns dort! Wie wohl
im seligsten Genusse der Liebe! Wüßtest du mehr zu
wünschen?
„Alles, alles hätt' ich dann, Geliebtester!“ sprach
das zärtliche Mädchen, und schlang ihren sanft bebenden
Arm um ihn. „O wie glücklich wären wir dort,
wie unaussprechlich selig! Die Gestirne, so glaub' ich
im Ernste, sind der Liebe hold; man liebt dort auch.
Jst nicht der Abendstern der Liebe geheiligt? Und sind
die beiden Fische des Thierkreises nicht ein liebendes
Paar? Die Priesterinnen im Tempel lehrten es neulich.
Wann ich traurig bin, dann denk' ich des Liedes, das
sie sangen; dann sing' ich es, und sanfte Heiterkeit erhellet
meine Seele wieder, wie wenn die Sonne nach
trüben Regentagen durch dünnes Gewölke das Land beleuchtet.
──────
Vernehmt es, gefühlvolle Seelen! Mit süßem Entzücken
sehen die guten Götter auf treue Liebende nieder,
und krönen sie, wo nicht hinieden, doch über den Sternen
mit Wonne.
Die poetische Epistel unterscheidet sich von dem
eigentlichen Briefe, dessen Theorie in dem Sprachgebiete
der Prosa aufgestellt ward, dadurch, daß sie
vermittelst des Jndividuums, an das sie gerichtet
ist, zu dem ganzen menschlichen Geschlechte spricht,
und Wahrheiten, Gefühle oder Thatsachen von allgemeinem
Jnteresse versinnlicht, während der prosaische
|#f0423 : 411|
Brief zunächst und ausschließend Einer Person
bestimmt, und, im strengsten Sinne, auch dieser
nur verständlich und interessant ist. Es beruht
daher der Charakter der poetischen Epistel auf der
individualisirten Darstellung gewisser allgemeiner
menschlicher Wahrheiten, Gefühle, Verhältnisse oder
Ereignisse, unter der Einheit einer ästhetisch vollendeten
epistolischen Form. Der Dichter spricht zwar
in der poetischen Epistel nur zu Einer Person; er
idealisirt aber dieselbe so, daß er zu ihr, als zu seinem
ganzen Geschlechte redet, und daß diese Person
in der poetischen Epistel gleichsam selbst zu einem
poetischen (idealisirten) Wesen wird; denn in die
Darstellung der poetischen Epistel gehört nur das,
was von dem Jndividuum, als Theil seiner
Gattung, aber nach individuellen, von dem Dichter
ihm beigelegten, Beziehungen ausgesagt wird.
Daraus folgt, im Gegensatze des prosaischen Briefes,
daß dieser so speciell, die poetische Epistel
aber so generell als möglich seyn muß, und daß,
je specieller der Jnhalt und die Form der Darstellung
in der poetischen Epistel ist, sie um so mehr
von ihrer eigentlichen Bestimmung, und von ihrem
ästhetischen Charakter sich entfernt. Denn der ästhetische
Gehalt der poetischen Epistel steigt um so höher,
je allgemeiner, d. h. je verwandter den rein menschlichen
Jnteressen, ihr Stoff ist, und je freier der
Dichter über die Form gebietet, um, vermittelst
derselben, dem Stoffe die möglichst höchste Versinnlichung
und das frischeste dichterische Leben zu ertheilen.
Die poetische Epistel gehört zu den gemischten
Formen der Dichtkunst, weil sie eben so oft
rein subjective Gefühle, wie Gefühle veranlaßt durch
allgemeine Wahrheiten, oder hervorgebracht durch
|#f0424 : 412|
Verhältnisse und Vorgänge des wirklichen Lebens
versinnlichen, und bald im ernsthaften, bald im komischen,
ja selbst im satyrischen Gewande erscheinen
kann, je nachdem die vorherrschende Stimmung der
Gefühle des Dichters in derselben sich ankündigt.
Jm Besondern kann jede einzelne poetische Epistel
unter eine der drei Hauptgattungen der Dichtkunst
gebracht werden. Denn bilden die reinen individuellen
Gefühle des Dichters den Stoff der poetischen
Epistel; so gehört sie zur lyrischen Form. Versinnlicht
sie bestimmte allgemeine Wahrheiten
und Jdeen der Vernunft unter der ästhetischen
Hülle; so schließt sie sich an die didactische Form
an. Schildert sie endlich Jndividuen, Verhältnisse
des Lebens und Thatsachen der
Geschichte unter einer idealisirten Umgebung; so
ist sie Untergattung der epischen Form. ─ Die
Wahl des Sylbenmaases hängt von dem sichern
Tacte des Dichters ab, und muß dem darzustellenden
Stoffe entsprechen; doch ist das in den ältern
teutschen Episteln gewöhnliche Alexandrinische Sylbenmaas,
wegen seiner Unbehülflichkeit, veraltet.
1) von Heinr. Anshelm v. Ziegler und
Kliphausen († 1690).
Aus Th. 1. seiner: „Heldenliebe der Schrift
alten Testaments“ ─ (abgekürzt).
David an Bathseba.
2) von Demselben.
Bathseba an David. (abgekürzt)
3) von Christian Gryphius († 1706).
Der Tempel der keuschen Liebe,
an Herrn * * Hochzeittage. (abgekürzt)
4) vom Freih. v. Cronegk († 1758).
Er schrieb, wenige Tage vor seinem Tode, auf seinem
Krankenbette, an einen Freund:
5) von Blumauer († 1798).
Brief eines strengen Vaters an seinen
Sohn.
Hans von Eiben.“
6) von Karl Wilh. Justi.
An Engelschall. (abgekürzt)
7) von v. Thümmel († 1817).
Der Liebhaber an seine junge Geliebte, mit der er
schon einige Zeit versprochen war.
8) von Tiedge.
An Rosalia. (Bruchstück)
9) von Müchler.
Liebesbrief eines Sprachmeisters.
10) von Schink.
An das Ding in Kiel.
(Aus dem Liter. Merkur, 1820. St. 99.)
Obgleich die schöpferische Einbildungskraft überhaupt
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daran erkannt wird, daß sie die ihr vorschwebenden
Gegenstände schildert, indem sie jeden einzelnen
Theil der dargestellten Form unter bestimmten
und lebensvollen Umrissen zeichnet und die Gesammtheit
dieser Theile zur Einheit der ästhetischen Form
erhebt; so giebt es doch auch eine selbstständige Gattung
der Dichtkunst, die dichterische Schilderung,
durch welche entweder die Erscheinungen
des äußern, oder die Erscheinungen des innern
Sinnes, nach dem innerhalb des Gefühls wahrgenommenen
nothwendigen Zusammenhange zwischen
diesen Erscheinungen, gleich einer plastischen Form,
zu einer in sich abgeschlossenen (objectiven) Einheit
ausgeprägt werden. ─ Denn dem Dichter erscheint
eben so die Natur- und Menschenwelt, wie die
Geisterwelt und die Kunstwelt, als ein in sich abgeschlossenes
vollendetes Ganzes. Schildert er daher,
im Drange seiner Gefühle, die Erscheinungen der
Natur (z. B. Opitz den Vesuv, Haller die Alpen,
v. Kleist den Frühling, Zachariä die Tageszeiten,
Kosegarten Arkona, v. Matthisson den
Genfersee &c.); oder schildert er menschliche Formen,
oder die Regungen der Liebe; so dürfen sie nicht blos
nach ihren Einzelnheiten, sie müssen vielmehr nach
ihrer innigen und unauflöslichen Verbindung zu
kleinern oder größern sinnlichen Ganzen dargestellt
werden. So entstehen im Gebiete der Dichtkunst
die Naturgemählde, nach der Aehnlichkeit verwandter
Kunstformen in der Mahlerei und Bildnerei.
Auf gleiche Weise gestaltet die schöpferische
Einbildungskraft des Dichters die Ankündigungen
und Erscheinungen der übersinnlichen Welt in
seinem Jnnern zu einer in sich abgeschlossenen Schilderung,
in welcher die einzelnen Theile (Jndividuen,
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Geister, Thatsachen u. s. w.) zwar als besondere
Glieder des Ganzen mit Bestimmtheit erkannt, zugleich
aber auch nach ihrem Verhältnisse zu dem mit
hoher Lebendigkeit und Kraft gehaltenen und durchgeführten
ästhetischen Ganzen versinnlicht werden.
(So v. Schiller die Götter Griechenlands, Manso
die Jnseln der Seligen, v. Matthisson Elysium,
Jean Paul viele Naturgemählde, Träume u. a.)
Wenn nun auch die einzelne dichterische
Schilderung, je nachdem sie entweder die Versinnlichung
unmittelbarer Gefühle, oder die Versinnlichung
von Gefühlen enthält, die bald durch Jdeen
der Vernunft, bald durch Thatsachen der Vergangenheit,
bald durch Stoffe aus der Mythologie und
Geisterwelt veranlaßt werden, entweder der lyrischen,
oder der didactischen, oder der epischen Form der
Dichtkunst angehört; so kann doch, eben wegen der
großen Verschiedenheit des Ursprungs und der Anregung
der individuellen Gefühle, welche der dichterischen
Schilderung zum Grunde liegen, diese höchst
vielseitige dichterische Form nur in der Ergänzungsklasse
dichterischer Formen aufgeführt werden.
1) von Jacob Schwieger († nach 1665).
(Aus s. geharnschten Venus, die er Hamb. 1660
unter dem Namen: Filidor der Dorfferer,
herausgab.)
2) von Georg Schottel († 1676).
(Bruchstück aus „der nunmehr hinsterbenden
Nymphen Germaniae elendesten Todesklage“,
Braunschw. 1640. 4., wo er die Geister
der teutschen Vorfahren redend einführt.)
3) von v. Hoffmannswaldau († 1679).
Lobrede auf das liebwertheste Frauenzimmer.
(Bruchstück)
4) von v. Lohenstein († 1683).
Siegeskranz der auf dem Schauplatze der
Liebe streitenden Röthe. (abgekürzt)
Schwarz.
Weiß.
Roth.
Schwarz.
Weiß.
Roth.
5) von Joh. Nic. Götz († 1781).
Die Welt.
6) von Gotter († 1797).
Die Neuvermählte an ihrem Hochzeitballe.
7) von Schubart († 1791).
Die Messiade.
8) von Jean Paul.
─ Die Pyrenäen ruhten groß, halb in Nächte,
halb in Tage gekleidet, um uns, und bückten sich nicht,
wie der veraltende Mensch, vor der Zeit, sondern erhoben
sich ewig, und ich fühlte, warum die Alten die Gebirge
für Giganten hielten. Die Häupter der Berge
trugen Kränze und Ketten von Rosen aus Wolken gemacht.
Aber so oft sich Sterne aus dem leeren tiefen
Aethermeere herausdrängten, und aus den blauen Wolken
glänzten; so erblichen Rosen an den Bergen und
fielen ab. Nur das Mittagshorn schaute, wie ein höherer
Geist, lange der tiefen einsamen Sonne nach und
glühte entzückt. Ein tieferes Amphitheater aus blühenden
Citronenbäumen zog uns mit Wohlgerüchen auf die
eingehüllte Erde zurück, und machte aus ihr ein dunkles
Paradies. Und die Nachtigallen wachten in den Rosenhecken
am Wasser auf, und zogen mit den Tönen ihres
kleinen Herzens tief in das große menschliche. Und
glimmende Johanniswürmchen schweiften um sie von
Rose zu Rose; und im spiegelnden Wasser schwebten nur
fliegende Goldkörner über gelbe Blumen. ─ Aber da
wir gen Himmel sahen, schimmerten schon alle Sterne,
und die Gebirge trugen, statt der Rosenketten, ausgelöschte
Regenbogen, und der Riese unter den Pyrenäen war
statt der Rosen mit Sternen gekrönt. ─ O müßte dann
nicht jeder entzückten Seele seyn, als falle von der gedrückten
Brust die irdische Lust, als gebe uns die Erde
aus ihrem Mutterarme reif in die Vaterarme des unendlichen
Genius, ─ als sey das leichte Leben verweht?
─ Wir kamen uns wie Unsterbliche, und erhabener vor;
wir wähnten, das Sprechen über die Unsterblichkeit habe
bei uns den Anfang der unsrigen bedeutet.
9) von Oehlenschläger.
Johannes in der Wüste.
10) von Ludw. Tieck.
Bruchstück aus der „Frühlingsreise.“
11) von Schink.
Tyrannentod.
Die Parabel enthält die Darstellung einer
Handlung, die das Sinnbild einer höhern Wahrheit
der Vernunft oder eines sittlichen Grundsatzes
Die Allegorie und Vision, die, als selbstständige
dichterische Ganze betrachtet, auch hier aufgeführt
werden konnten, sind bereits, in der Lehre von
den Tropen, Th. 1. S. 461 und 465 theoretisch
und practisch erläutert worden.
in sich einschließt, unter der Einheit einer vollendeten
ästhetischen Form. So wie das Gleichniß aus
einer fortgesetzten und durchgebildeten Vergleichung
entsteht; so die Parabel aus einem völlig durchgebildeten
Gleichnisse. Sie trägt den Charakter des
Epischen, weil sie eine Handlung in den Mittelpunct
der Darstellung stellt; allein sie ist auch der didactischen
und lyrischen Dichtkunst nahe verwandt, weil
sie die Handlung nicht ihrer selbst wegen, wie der
epische Dichter, sondern als Versinnlichung einer
Vernunftwahrheit oder eines ewig gültigen Grundsatzes
der Sittlichkeit, unter der bildlichen Hülle
darstellt, und weil dieser von der selbstthätigen Einbildungskraft
bewirkten freien Versinnlichung eine
hohe Bewegung des Gefühlsvermögens zum Grunde
liegt, ohne welche die Parabel überhaupt nicht das
Gepräge der Dichtkunst tragen könnte. Dadurch
unterscheidet sich denn auch die Parabel wesentlich
von der Allegorie und der Fabel. Denn die Allegorie
(Th. 1. S. 461) nennt den eigentlichen Gegenstand,
der versinnlicht werden soll, nicht selbst,
sondern läßt ihn unter einem ihm völlig entsprechenden
Bilde erscheinen; auch ist es nur zufällig, wenn
die Allegorie eine Vernunftwahrheit oder einen sittlichen
Grundsatz versinnlicht, weil sie auf gleiche
Weise auch das Gegenbild von etwas Mythischen,
Geschichtlichen u. s. w. ästhetisch vollendet aufstellen
kann. Noch bestimmter unterscheidet sich die Parabel
von der Fabel (§. 49.), deren eigenthümlicher
Charakter auf der Versinnlichung menschlicher Handlungen
und Zustände in dem, der menschlichen Freiheit
verwandten, Kreise des Jnstinkts beruht.
Die Paramythie, von Herder mit diesem
Namen belegt, und (in s. zerstreuten Blättern)
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in vielen gelungenen Formen ausgeprägt, enthält die
ästhetisch vollendete Darstellung eines Jndividuums,
einer Begebenheit, oder einer Handlung, die den
orientalischen oder griechischen Mythen des Alterthums
angehören, mit einer modernen Deutung und
Beziehung. Die Paramythie hat durchgehends eine
epische Unterlage; allein gewöhnlich waltet in ihr
der Ton des Gefühls noch stärker vor, als in der
Parabel.
Beiden, der Parabel und Paramythie, ist es
wesentlich, daß ihr Ausdruck natürlich, einfach und
ungekünstelt sey, damit auch der Verstand und das
Gefühl des Volkes und der Jugend den gemeinten
Gegenstand, oder die versinnlichte Wahrheit, unter
der sinnbildlichen Hülle sogleich wiedererkenne, und
diese, vermittelst der vollendeten ästhetischen Form,
einen desto tiefern Eindruck auf das Gefühlsvermögen
hevorbringe.
a) der Parabel.
1) von Krummacher.
Der Blinde.
Ein Blinder stand mit aufgerichtetem Haupte in den
Stralen der milden Frühlingssonne. Jhre Wärme durchströmte
seine Glieder, und ihr Glanz senkte sich auf die
dunkeln Globen seines Angesichts, das er unverwandt
ihr darbot.
O du unbegreifliches Lichtmeer! rief er aus, du Wunder
der allmächtigen Hand, die dich erschuf, und auf
deiner herrlichen Bahn dich leitet. Aus dir strömet ewige
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Fülle, Leben und Wärme, und nie versieget deine Kraft!
Wie groß muß der seyn, der dich gebildet hat!
So sprach der blinde Mann. Seine Rede vernahm
ein Anderer, der neben ihm stand. Und es befremdeten
ihn die Worte des Blinden. Deshalb begann er und
fragte: Wie kannst du das Gestirn des Tages bewundern,
und siehest es nicht?
Da antwortete der Blinde und sprach: Eben darum,
mein Freund. Seit das Licht meiner Augen verdunkelt
und der Glanz der Sonne mir verschlossen ward, nahm
ich sie in meine Seele auf! Jedes Gefühl ihrer Nähe
lässet sie in mir selbst aufgehen, und ihren Glanz in
meinem Jnnern leuchten. Jhr aber schauet sie nur, wie
alles, was ihr täglich sehet, mit leiblichem Auge!
2) von Hamann.
Frage und Antwort.
b) der Paramythie.
1) von v. Herder.
Der sterbende Schwan.
„Muß ich allein denn stumm und gesanglos seyn?
sprach seufzend der stille Schwan zu sich, und badete
sich im stillen Glanze der schönsten Abendröthe; beinahe
ich allein im ganzen Reiche der gefiederten Schaaren.
Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne
und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen
nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie,
wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer
meine Wellen ziehe, und mich im Abglanze des Himmels
trunken verweile. ─ Wie wollte ich dich singen, goldene
Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit
singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes
niedertauchen und sterben.“
Stillentzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum
hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende
Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich
lockte. Es war der Gott der Abend=und Morgensonne,
der schöne Phöbus. „Keusches, liebliches Wesen, sprach
er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner
verschwiegenen Brust nährtest, und sie konnte dir nicht
eher gewährt werden.“
Kaum hatte er das Wort gesagt; so berührte er den
Schwan mit seiner Leier, und stimmte auf ihr den Ton
der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton
den Vogel Apollo's, und aufgelöset und ergossen sang
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er in die Saiten des Gottes der Schönheit, dankbar
froh besingend die schöne Sonne, den glänzenden See,
und sein unschuldiges seliges Leben. Sanft, wie seine
Gestalt, war das harmonische Lied; lange Wellen zog
er daher in süßen entschlummernden Tönen, bis er
sich ─ im Elysium wieder fand, am Fuße des Apollo
in seiner wahren himmlischen Schönheit. Der Gesang,
der ihm im Leben versagt war, war sein Schwanengesang
geworden, der sanft seine Glieder auflösete; denn
er hatte den Ton der Unsterblichen gehört, und das
Antlitz eines Gottes gesehen. Dankbar schmiegte er sich
an den Fuß Apollo's und horchte seinen göttlichen Tönen,
als eben auch sein treues Weib ankam, die sich in
süßem Gesange ihm nach zu Tode geklaget. Die Göttin
der Unschuld nahm beide zu ihren Lieblingen an;
das schöne Gespann ihres Muschelwagens, wenn sie im
See der Jugend badet.
Gedulde dich, stilles, hoffendes Herz! Was dir im
Leben versagt ist, weil du es nicht ertragen konntest,
giebt dir der Augenblick deines Todes!
2) von v. Herder.
Die Sterne.
Müde und matt war Daniel von seinen Gesichten
der Zukunft, die ihm so oft seine Kraft genommen, und
ihn mit Schauder erfüllet hatten; als endlich Einer aus
dem Rathe der Wächter zu ihm sprach: „Gehe hin,
Daniel, und ruhe, bis das Ende komme, daß du aufstehest
in deinem Theile am Ende der Tage!“
Gelassen hörte Daniel das räthselhafte Wort und
sprach zu dem Manne, der neben ihm stand: „Meinest
du, Herr, daß diese Gebeine werden wieder grünen?“
Und der himmlische Bote nahm ihn bei der Hand, und
zeigte ihm den Himmel voll leuchtender Sterne. „Viele,
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sprach er, so unter der Erde schlafen, werden erwachen;
die Lehrer aber werden leuchten, wie des Himmels Glanz,
und die, so viel zum Guten gewirkt haben, wie die
unvergänglichen Sterne.“ ─ Er sprachs, und berührte
ihn mit seiner Rechte, und Daniel entschlief unter dem
Anblicke des Himmels und seiner hellleuchtenden ewigen
Sterne.
Obgleich der Dialog und Monolog nach ihrer
Abwechselung und Aufeinanderfolge, und beide durchgeführt
nach dem Gesetze der Form, eine Grundbedingung
der äußern Ankündigung der dramatischen
Dichtkunst sind; so beschränken sie sich doch keinesweges
allein auf die dramatische Form. Sie können
eben so in die epische, wie in die didactische und
lyrische Dichtkunst abwechselnd eingelegt werden, um
eine höhere Mannigfaltigkeit der Form und ein verstärkteres
Jnteresse an derselben zu vermitteln; sie
können auch zur ästhetischen Selbstständigkeit
erhoben und als größere, für sich bestehende
Kunstformen, durchgeführt werden. Nach dieser
ästhetischen Durchführung und Gestaltung unterscheiden
sie sich völlig von der blos mündlichen Unterhaltung;
und je nachdem durch sie entweder unmittelbare
Gefühle, oder Jdeen und Wahrheiten der
Vernunft, oder wichtige Vorgänge des menschlichen
Lebens versinnlicht werden, nähern sie sich bald mehr
der lyrischen, bald mehr der didactischen, bald mehr
der epischen Dichtkunst.
Erscheint der Dialog als eine selbstständige
Kunstform; so wird durch ihn entweder eine
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reichere Mannigfaltigkeit, Schattirung und Abwechselung
im Tone und Ausdrucke derselben Gefühle,
oder die Versinnlichung gewisser einander entgegengesetzter
Gefühle, Wahrheiten oder Thatsachen
(die Versinnlichung eines ästhetisch durchgeführten
Antagonismus) beabsichtigt und bewirkt,
weil die Verschiedenheit und der Contrast dieser Gefühle,
Wahrheiten und Thatsachen durch ihre Gegeneinanderstellung
am bestimmtesten vergegenwärtigt
wird.
So wie aber die poetische Epistel gegen den
zum Sprachgebiete der Prosa gehörenden Brief sich
verhält; so verhält sich auch der ästhetische Dialog
zum gewöhnlichen Gespräche bei der mündlichen Unterhaltung.
Je specieller nämlich der prosaische
Brief und die mündliche Unterhaltung sind; desto
mehr entsprechen sie ihrem Zwecke. Dagegen stellen
die poetische Epistel und der ästhetische Dialog idealisirte
Menschen auf, die namentlich im Dialoge
als Repräsentanten der gesammten Menschheit, oder
doch als Repräsentanten einzelner Gattungen, Klassen
und Stände derselben geschildert werden. Daher
kann der Dialog eben so das Gefühl der Liebe, nach
seiner verschiedenartigen Ankündigung in den beiden
Geschlechtern der Menschengattung, wie den Kampf
zweier einander entgegengesetzten (religiösen oder politischen)
Ansichten und Systeme darstellen, so, daß
die schöpferische Einbildungskraft des Dichters besonders
an der glücklichen Erfindung, gelungenen
Haltung und erschöpfenden gegenseitigen Stellung
und Durchführung der Eigenthümlichkeit der einander
entgegengesetzten Jndividuen und Charaktere, nach
der Ankündigung ihrer Gefühle, Grundsätze, Ansichten
und Meinungen, erkannt wird. Ob nun gleich
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durch die ästhetische Versinnlichung dieses Antagonismus
menschlicher Gefühle, Grundsätze und Handlungen
das gemischte Gefühl der Lust und Unlust
in dem Anschauenden angeregt und unterhalten wird;
so soll sich doch dasselbe, in dem Augenblicke der
Vollendung der Form, durch die an die Stelle
dieses Antagonismus getretene Harmonie, in ein
siegendes Gefühl der Lust auflösen.
Der Monolog, als eine selbstständige ästhetische
Form, beruht auf der Versinnlichung und
vollendeten Durchführung eines stark angeregten Gefühls,
oder einer mächtig emporstrebenden Leidenschaft.
Denn nur eine hohe Bewegung des Gefühls-
oder des Bestrebungsvermögens kann den Zustand
bewirken, daß der Mensch, der allein ist, durch lautes
Sprechen sein inneres subjectives Leben gleichsam
objectivisirt, weil er der Sprache bedarf, um
dem Drange und Kampfe in seinem Jnnern Luft
zu machen. ─ Ob nun gleich auch jedes Gebet
als ein in sich vollendeter Monolog betrachtet werden
kann (und Reinhard, Zollikofer, Marezoll
u. a. treffliche Gebete in diesem Sinne aufgestellt
haben, die aber zunächst zur Sprache der
Beredsamkeit gehören); so findet sich doch der Monolog
am häufigsten in der dramatischen Dichtkunst,
wo derselbe, sobald ihn die schöpferische Kraft
des Dichters an den rechten Ort versetzt und zur
ästhetischen Gediegenheit erhebt, von hoher psychologischer
und dramatischer Wirkung ist. (Viele Jdyllen
Geßners gehören in den Kreis der Monologe.
Unter den neuern Tragikern sind die Monologe Schillers
in den Räubern, im Fiesko, im Wallenstein,
in der Jungfrau von Orleans, ─ Göthe's, Müllners
u. a. allgemein bekannt.)
a) des Dialogs.
1) von Kosegarten († 1818).
Das Geständniß.
Theon und Theano.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
Theano.
Theon.
2) von v. Schiller.
Brutus und Cäsar.
Brutus.
Cäsar.
Brutus.
Cäsar.
Brutus.
b) des Monologs.
von Heydenreich († 1801).
Lebewohl an die Jugend. (abgekürzt)
Sie ist verschwunden die blühende Zeit des Lebens,
die Periode des Frohsinns und harmloser Heiterkeit. ─
Welche unvergeßliche, genußvolle Stunden hat sie mir
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gewährt! Stunden, nach denen noch im späten Alter
dieses Herz sich zurücksehnen wird.
Wie war alles um mich her so lachend und heiter!
Welches schöne Bündniß knüpfte der Zauber der Hoffnung
zwischen Gegenwart und Zukunft! Mit Freude
begrüßte der Jüngling den Morgen, und mit lieblichen
Schwärmereien sagte er dem sinkenden Tage das Lebewohl.
Jetzt bin ich Mann, und sehe zurück in das entschwundene
Gefilde der Vergangenheit; die Erinnerung
stellt mir ihre Scenen mit lebhaften Zügen dar. Es war
der wichtigste Zeitraum des Lebens, der Zeitraum, von
welchem das Glück der übrigen Lebensalter am meisten
abhängt; der Zeitraum, in welchem der Mensch eine
Richtung bekommt, die ihn meistens sein ganzes irdisches
Daseyn hindurch begleitet.
Dichter, ihr nennt die Jugend einen Traum; aber
sie ist es nur zum Theil. Träume sind die Freuden
des Jünglings; aber keine Träume seine Thaten. O
diese Thaten haben ein ewiges unveränderliches Daseyn
im sittlichen Reiche; sie verschwinden nicht, bekommen
durch keinen Zauber der Phantasie und Erinnerung eine
andere Gestalt; ihre Verwandlung ist auch für die Allmacht
eines Gottes nicht möglich.
Habe ich dich oft entweiht, edle Blütenzeit des Lebens;
was kann ich mehr, als mit Reue an deine Grenze
knieen, und mit Thränen mir selbst die Tilgung jedes
Fleckens schwören, der die Menschheit herabwürdigt.
Kann ich mehr, als mit Vorsätzen, in der Laufbahn der
Männlichkeit fortschreiten, fest und innig genug, um
mir das Leben unerträglich zu machen, wann ich sie je
verließe? ─
Lebe denn wohl, holder Morgen des Lebens! Schwebe
mir oft vor im Bilde der Erinnerung, und führe die
beseligende Hoffnung mit dir, daß jenseits des Grabes
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dem Erweckten eine Jugend aufdämmert, schöner noch,
als diese. ─
Da das Satyrische, als ästhetische Eigenschaft,
bereits (Th. 1. S. 413) unter den untergeordneten
Eigenschaften der Schönheit der Form
aufgeführt und mit zwei Beispielen belegt worden
ist; so muß hier der Satyre als einer selbstständigen
dichterischen Form gedacht werden,
deren ästhetischer Charakter auf der Verbindung derjenigen
Merkmale, an welchen das Satyrische als
Eigenschaft des Schönen erkannt wird, zur vollendeten
Einheit der Form beruht. Die Satyre enthält
nämlich die Versinnlichung des Contrastes, in
welchem gewisse bestimmte Unvollkommenheiten der
intellectuellen und sittlichen Welt zu den höchsten
Jdealen des Wahren, Schönen und Guten stehen,
unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen Form.
Da jedes Jdeal höher steht, als die Wirklichkeit;
so muß schon an sich die Wirklichkeit, bei dem Zusammenhalten
mit dem Jdeale, jedesmal verlieren,
noch mehr aber, wenn die dichterisch geschilderte
Wirklichkeit einen reichhaltigen Stoff in Hinsicht
der Verirrungen des menschlichen Verstandes oder
der menschlichen Freiheit darbietet. Nothwendig
muß die Versinnlichung des hoch über den Kreisen
des menschlichen Lebens stehenden Jdeals ein Gefühl
der Lust, so wie die Ankündigung der menschlichen
Verirrungen von diesem Jdeale ein Gefühl der Unlust
anregen und lebendig erhalten, bis dieses gemischte
Gefühl der Lust und Unlust zuletzt, im
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Augenblicke der Vollendung der ästhetischen Form,
bei dem entschiedenen Siege des Jdeals über alles
Unvollkommene, Beschränkte und Unsittliche, das im
Contraste mit dem Jdeale in der Wirklichkeit erscheint,
in einem Uebergewichte des Gefühls der
Lust über das Gefühl der Unlust endigt. ─ Soll
die Satyre diese Wirkung hervorbringen; so muß
der Stoff derselben ästhetisch darstellbar seyn, und
die Form als vollendete Einheit erscheinen. Es ist
aber nicht jede Unvollkommenheit der intellectuellen
Welt, und nicht jede Verirrung der sittlichen Freiheit
ästhetisch darstellbar, obgleich die letztern dem
Gebiete der philosophischen Sittenlehre angehören;
vielmehr sind nur diejenigen Unvollkommenheiten und
Verirrungen des Menschen ein ästhetischer Stoff
für die Satyre, welche von dem Dichter zur Einheit
der Form erhoben werden, und das Anwogen des
Gefühls der Lust und der Unlust gegen einander bewirken
können. Da dies bei dem Pasquill nicht
möglich ist; so wird das Pasquill ganz von der
Satyre ausgeschlossen. Eben so wird die persönliche
Satyre nur selten gelingen, nnd Liscov's
Satyren stehen deshalb im Ganzen so tief, weil sie
fast durchgehends persönlich waren. Der dichterische
Gehalt der Satyre beruht vielmehr darauf, daß sie
im Allgemeinen den Abstand der Wirklichkeit
von dem Jdeale versinnlicht, und die entarteten
Jndividuen, Stände nnd Klassen des menschlichen
Geschlechts, meistens unter angenommenen Namen,
nach ihren Fehlern schildert, und dadurch als Vertreter
der beeinträchtigten Rechte der Sittlichkeit erscheint.
─ Dem Tone nach kann die Satyre bald
strafend, bald lachend seyn, je nachdem sie den
Gegensatz des Jdeals und der Wirklichkeit entwe=
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der mit der Geisel des bittern Ernstes, oder mit
der Geisel des schneidenden Spottes hervorhebt;
auch wird die Satyre unter beiden Ankündigungen
das gemischte Gefühl der Lust und der Unlust, und
zuletzt den völligen Sieg des Gefühls der Lust über
das Gefühl der Unlust bewirken, sobald die schöpferische
Kraft des Dichters sie zur Einheit und ästhetischen
Vollendung der Form erhob.
1) von Rachel († 1669).
Probe einer bösen Sieben. (abgekürzt)
2) von Benj. Neukirch († 1729).
Auf einen neuen Doctor. (abgekürzt)
3) von Rabener († 1771).
Ein Traum von den Beschäftigungen der
abgeschiedenen Seelen. (abgekürzt)
─ Mir träumte, ich sey gestorben. Jch sah den
Körper, von dem sich meine Seele getrennt hatte, mit
eben der Gleichgültigkeit liegen, mit welcher man eine
abgelegte Redoutenmaske ansieht. Jch werde nicht gern
sehen, wenn mir jemand hierin widersprechen, und läugnen
wollte, daß eine Seele ihren Körper so gleichgültig
ansehen könnte. Bei mir ist dies gar nicht unwahrscheinlich,
besonders da mein Körper eben nicht so gebaut
gewesen, daß er mich zu einer merklichen Eigenliebe
bewogen hätte. Jch berufe mich hierin auf den
guten Geschmack meiner verstorbenen Frau, welche in
ihrem Leben viele Körper gekannt hat, in deren Umgange
sie weit mehr Annehmliches und Artiges zu finden
|#f0476 : 464|
vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man
wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß
verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper
und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche
solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war,
sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den
Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man
gründliche Beweise fordere.
Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah;
so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht,
wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen;
die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den
Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem
Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man
an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird.
Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten,
als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen.
Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige
Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit
weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre
Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen,
ihre Eifersucht ─ ─
Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter
erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu
einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu
Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der
Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist,
der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen
Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen.
Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene
Seele, als ein Geist, nicht vermögend war,
die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben!
Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu
schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände
|#f0477 : 465|
über dem Kopfe zusammen, und bedauerte wegen dieses
unersetzlichen Verlustes meiner entworfenen Schrift den
Verleger, mein Vaterland, die Nachwelt; ja ich würde
sagen, daß ich mich selbst bedauert hätte, wenn es unter
uns Gelehrten eingeführt wäre, in diesem Puncte offenherzig
zu seyn. Genug, ich sah, daß es mit meiner
Gelehrsamkeit aus war, weil ich nicht mehr schreiben
konnte. Das Einzige, was ich zu meiner Beruhigung
that, war, daß ich zum Bücherschranke eilte, und mit
einer recht väterlichen Zärtlichkeit alle diejenigen Bücher
übersah, welche durch meine unermüdeten Hände ihr
Daseyn erhalten hatten.
Vielleicht würde ich in dieser Stellung noch lange
geblieben seyn, wenn ich nicht das freudige Schrecken
wahrgenommen hätte, welches meine ungeduldigen Erben
überfiel. Sie eilten so hungrig zu meinem Bette, als
wenn ein Raub auszutheilen wäre. Jst er todt? ist er
auch wirklich todt? schrieen sie. Ja, endlich einmal ist
er im Ernste todt. Geschwind schickt nach dem Sarge,
daß wir ihn unter die Erde bringen, ─ antwortete ein
Vetter von mir, und eine Muhme, welche durch mein
Absterben alle diejenigen Tugenden zu erben hoffte, welche
gewisse gründliche Liebhaber bei ihr zeither vergebens
gesucht, und ihr um deswillen die Freiheit zu ihrem
großen Verdrusse nicht geraubt hatten. Diese Muhme
vergoß viele Thränen, und seufzte mit lauter Stimme:
Der ehrliche Vetter! Tröste ihn Gott! Es ist ihm recht
wohl! Wir wollen ihm seine Ruhe gönnen!
Dieses war die Losung zum Plündern. Den ersten
Sturm hatte meine Geldcasse auszustehen. Meinen Kleidern
und meinem Geräthe ging es eben so. Bis hieher
hatte ich meinen Erben ganz gelassen zugesehen. Als ich
aber merkte, daß es über meine Papiere hergehen sollte;
so fing ich an zu zittern. Alles ward aufs sorgfältigste
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durchgesucht. Gegen alle Briefe, in denen die Worte
standen: leiste gute Zahlung, und nehme Gott zu
Hülfe, hatten sie eine andächtige Ehrfurcht. Endlich
traf die Reihe meine gelehrten Concepte, welches mich
recht wüthend machte. Jch eilte voll Verzweiflung hinzu,
sie zu vertheidigen. Vielleicht aber würde ich dennoch
unvermögend gewesen seyn, wenn nicht meiner
Schwester Sohn, ein Meister von sieben freien Künsten,
wider seinen Willen mir beigestanden, und das ganze
Paket unter den Tisch geworfen hätte, mit der Versicherung:
es sey nur Maculatur. Der Jgnorant!
Als meine Erben noch mit dieser Haussuchung beschäftigt
waren, merkte ich einen Haufen von Bedienten,
welche im Namen ihrer Herrschaften ein gewisses Compliment
hersagen mußten, das sie das herzliche Beileid
nannten. Die Bekümmerniß über meinen Tod
mochte in der ganzen Stadt gleich stark und allgemein
seyn; denn ihre Formulare endigten sich alle mit den
Worten: daß der Himmel den betrübten Hinterlassenen
diesen empfindlichen Verlust durch anderweitige Glücksfälle
reichlich ersetzen möchte!
Nunmehr ward alles zu meiner Beerdigung veranstaltet.
Man eilte damit ganz ungewöhnlich, und gab
Geld über Geld, mich aus dem Hause zu bringen.
Dieses geschah unter einer ansehnlichen Begleitung.
Man brachte meinen Körper in die Kirche, mit Beobachtung
aller der kläglichen Gebräuche, so diejenigen
verdienen, welche ein rühmliches Ende nehmen und Mittel
hinterlassen. Zuletzt trat noch ein Redner auf, welchem
meine Erben in einem versiegelten Päckchen vorher
alle meine Tugenden begreiflich gemacht hatten. So
zufrieden ich jederzeit in meinem Leben mit mir selbst
gewesen bin; so zweifelhaft war ich doch bei dieser Lob-
und Trauerrede, ob ich es auch wirklich sey, welchen er
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meine. Jch sah mich in der ganzen Kirche um, in der
Meinung, vielleicht noch eine andere Leiche zu finden,
auf welche alle diese Lobeserhebungen gehen sollten; ich
fand aber dergleichen nirgends, und merkte, daß ich es
selbst im ganzen Ernste seyn müßte. Er nannte mich
einen großen, berühmten, gründlich gelehrten Mann,
eine Stütze der Wissenschaften, seinen Mäcenaten. Und
das mochte noch gehen. Für zwölf Ducaten war es
eben nicht zu viel. Endlich aber machte er es zu arg.
Er schwor, und er schwor mit einer solchen Heftigkeit,
daß er ganz braun im Gesichte ward; er schwor, sage
ich, daß ich zwar ein großer Gelehrter, aber noch ein
größerer Menschenfreund, ein starker Beförderer der schönen
Künste und Wissenschaften, aber noch ein weit stärkerer
Vertheidiger der Wittwen und Waisen gewesen
wäre. Meine vergnügte und beglückte Ehe sey eine sichtbare
Vergeltung dieser seltenen Tugenden gewesen. „Brechet
hervor! rief er, brechet aus eurer Gruft hervor,
ihr vermoderten Gebeine der weiland hochedelgebohrnen
Frauen, Frauen“ ─ Himmel, wie erschrack ich, daß er
meine verstorbene Frau citirte. Jch floh, ohne mich
umzusehen. Jch floh vor Angst zur Kirche hinaus, und
aus Furcht, die hochedelgebohrnen Gebeine möchten mir
nachkommen, schwang ich mich in die Höhe. ─ ─
4) von Joh. Dan. Falk.
Jeremiade des ehrwürdigen Paters Joseph
Hyacinth Jgnatius. (abgekürzt)
Obgleich die Parodie und Travestirung als
selbstständige ästhetische Ganze sich ankündigen, und
auch als solche beurtheilt werden; so unterscheiden
sie sich doch von allen andern dichterischen Formen
dadurch, daß sie ein bereits vorhandenes dichterisches
Kunstwerk mit einem ernsthaften Charakter voraussetzen,
und ihr ästhetischer Treffpunct und Gehalt
von dem Verhältnisse abhängt, in welches sie, als
spätere Kunstwerke, zu dieser bereits vorhandenen
Kunstform treten. Soll aber die Parodie und
Travestirung von ästhetischer Wirkung seyn; so muß
das parodirte oder travestirte Kunstwerk sowohl nach
seiner Grundidee, als nach seiner Haltung und
Durchführung, ja selbst nach vielen einzelnen Stellen
und Ausdrücken so bekannt seyn, daß der Leser
der Parodie und Travestirung sogleich dasselbe sich
vergegenwärtigt. Denn eben diese stillschwei=
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gende Vergleichung beider Kunstformen
durch die Einbildungskraft vermittelt das hohe Jnteresse
an der Parodie und Travestirung, sobald
nämlich beide in ästhetischer Hinsicht als vollendete
Formen sich ankündigen. ─
Bei mancher äußern Verwandtschaft, sind Parodie
und Travestirung doch, ihrem Wesen und Charakter
nach, von einander verschieden. Jn der Parodie
wird der Gegenstand des ernsthaften dichterischen
Kunstwerkes verändert, aber der Mechanismus
und der Ton der dichterischen Form beibehalten, so
daß unter dieser nur wenig veränderten äußern Hülle
und Einkleidung ein andrer Stoff dargestellt und
zur Selbstständigkeit der Form erhoben wird. Ob
nun gleich die Parodie auch für den, der den verglichenen
Gegenstand nicht kennt, als ein für sich
bestehendes dichterisches Kunstwerk ästhetischen Werth
behaupten muß; so beruht doch das eigentliche Wohlgefallen
an dem dichterischen Charakter der Parodie
auf der stillschweigenden Vergleichung beider Kunstwerke,
und auf der Gleichstellung beider in Hinsicht
ihres ästhetischen Gehalts. Der von dem Dichter
der Parodie gewählte Gegenstand kann aber
entweder wieder ein ernsthafter, oder er kann
ein komischer und ironisch gehaltener Stoff
seyn, sobald er nur ein glücklich getroffenes und
durchgeführtes Gegenbild von dem Gegenstande in
dem frühern Kunstwerke enthält. Jm Gegensatze
der Parodie behält die Travestirung den Gegenstand
des ernsthaften Kunstwerks bei, verändert
aber, durch die Verwandlung der ernsthaften Form
in eine komische, dessen Darstellung und Durchführung
so, daß, durch die ästhetische Vollendung dieser
neuen komischen Form, der bis dahin blos ernsthaft
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geschilderte Gegenstand selbst, vermittelst der neuen
Einkleidung und Versinnlichung, als ein komischer
Stoff erscheint, der Lachen erregt, und durch dessen
sinnlich vollendete Darstellung ein reines Gefühl der
Lust bewirkt und erhalten wird.
Die Zahl der Parodieen ist in der teutschen
Literatur weit größer, als die Zahl der Travestirungen,
obgleich nur wenige Parodieen, in dem
aufgestellten Sinne, zu den durchgängig gelungenen
gerechnet werden können. Jn dramatischer Hinsicht
ist Mahlmanns Herodes vor Bethlehem eine
sehr treffende Parodie von Kotzebue's Hussiten
vor Naumburg. Unter den Travestirungen der
Teutschen behauptet, bei vielen einzelnen Derbheiten
und metrischen Härten, Blumauers (nicht vollendete)
travestirte Aeneis doch den Charakter des
Hochkomischen und vieler gelungenen Schilderungen.
Kotzebue travestirte selbst sein Trauerspiel Octavia.
Ungleich tiefer in ästhetischer Hinsicht stehen die travestirte
Jungfrau von Orleans, so wie der travestirte
Hamlet und Nathan der Weise.
Wenn manche Theoretiker im Allgemeinen gegen
alle Parodieen und Travestirungen sich erklärten,
weil durch sie ein gefeiertes Kunstwerk in den Kreis
des Lächerlichen gezogen würde, und dadurch an seinem
ästhetischen Werthe verlöre; so beweiset eine
solche Behauptung zu viel. Denn der psychologische
Grund des Wohlgefallens an der Parodie und
Travestirung ist der Grund des Wohlgefallens am
Komischen und Lächerlichen überhaupt, und also an
sich in der menschlichen Natur gegründet, und keineswegs
verwerflich. Selbst das ernsthafte Kunstwerk,
das parodirt und travestirt wird, kann an
sich dadurch nicht verlieren, weil ihm ein selbstständiger
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ästhetischer Werth und Charakter zukommt,
und weil nur ein vollendetes, und ein in der
Nationalliteratur entweder hoch stehendes, oder doch
allgemein bekanntes, Kunstwerk mit Erfolg parodirt
und travestirt werden kann. Denn blos in dem
einzigen Falle dürfte das parodirte und travestirte
Kunstwerk an ästhetischem Werthe verlieren, wenn
die Parodie und Travestirung als Kunstform höher
stände, und dadurch das ältere Kunstwerk gleichsam
verdrängte, oder doch tief in Schatten stellte.
Wird aber ein an sich unvollendetes und nur
mittelmäßiges Kunstwerk parodirt und travestirt;
so hindert dadurch der Dichter der Parodie und
Travestirung selbst die beabsichtigte ästhetische Wirkung,
wenn auch seine Kunstform ästhetisch höher
stände, als die parodirte und travestirte. Denn
nur dann würde die Vergleichung der Parodie
und Travestirung mit einem solchen früher vorhandenen
parodirten und travestirten Kunstwerke ein
reines Wohlgefallen gewähren, wenn der Dichter
eben die ästhetische Unvollkommenheit der
ältern Kunstform zum Treffpuncte seiner Parodie
oder Travestirung gemacht, und diese Unvollkommenheit
mit siegreichem Erfolge innerhalb seiner
neugeschaffenen dichterischen Form versinnlicht hätte.
─ Abgesehen daher von vielen unreifen und mißlungenen
Parodieen und Travestirungen, gewähren
die, welche in gelungenen Parodieen und Travestirungen
neue dichterische Formen ins Daseyn rufen
und zur ästhetischen Einheit erheben, dem Kreise
der Nationalliteratur eine wahre Bereicherung und
Erweiterung.
a) Parodieen.
1) von Gittermann.
Ein Wort, keins von Schillers drei
Worten.
2) von Bretschneider.
Parodie auf Göthe's: Kennst du das Land &c.
3) von einem Ungenannten.
(Es stand diese Parodie von Voßens: Bekränzt mit
Laub &c. im Hamburg. Corresp. 1819, St. 33.)
4) von Müchler.
Trinklied (aus dem Weinkeller).
Parodie auf: Jn diesen heilgen Hallen &c.
5) von einem Ungenannten.
Freudenlied der Jünger Lavaters in Bremen
1787 *.
Parodie auf das alte Kirchenlied: Wie schön
leucht't uns der Morgenstern &c.
b) Bruchstück aus Blumauers travestirter
Aeneide.
(Der geflüchtete Aeneas wird durch einen, von der
Juno veranlaßten, Sturm nach Afrika verschlagen.)
Wenn der ästhetische Charakter des Romans
nach der Mehrheit von Romanen bestimmt werden
sollte, die seit der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts,
bald nach der Erfindung der Buchdruckerkunst,
in Teutschland verbreitet wurden; so würde allerdings
der dichterische Gehalt desselben nicht hoch anzuschlagen
seyn. Denn unter der Unzahl von Romanen
in der teutschen Literatur sind es im Ganzen
|#f0495 : 483|
nur wenige, die wirklich das dichterische Gepräge
an sich tragen, und unter der vollendeten Einheit
einer ästhetischen Form sich ankündigen. Zu diesem
ästhetischen Charakter des Romans darf übrigens
Metrum und Reim nicht gerechnet werden, weil
sonst alle Romane, die des Sylbenmaases und Reimes
ermangeln, von dem Kreise dichterischer Formen
ausgeschlossen werden müßten. Eben so wenig darf
man den dichterischen Charakter des Romans nach
den ältesten Formen desselben auf teutschem Boden
bestimmen; denn diese waren, in der zweiten Hälfte
und gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts,
theils prosaische Umarbeitungen früherer epischer Gedichte;
theils Darstellungen, die aus den Ereignissen
der Zeit und des teutschen Volkes selbst hervorgingen;
theils Erzählungen, die den unverkennbaren
Stempel ihres ausländischen Ursprungs verrathen.
Selbst die Behandlung der eigentlichen Geschichte
war in jenen Zeiten nicht selten reichhaltig mit Mythen
und Fabeln ausgestattet, so daß, unter diesen
Verbrämungen, der unterscheidende Charakter zwischen
Geschichte und Roman nicht streng festgehalten
ward. Zu den ältesten romantischen Darstellungen
in teutscher Sprache gehören die Melusine, die
Magelone, und der Kaiser Octavianus, welche,
mit Einschluß des Tristan, des Flos und der Blankeflos,
und mehrerer andrer, im sechszehnten Jahrhunderte
unter dem Titel: das Buch der Liebe
(zu Frankfurt am Main, 1587 in Folio) zusammengedruckt
wurden. Eben so gehört zu den volksthümlichen
Romanen des funfzehnten Jahrhunderts
der Till Eulenspiegel, der wahrscheinlich zuerst
niederteutsch geschrieben, dann aber ins Hochteutsche
übersetzt, und vielfach bearbeitet ward. Noch entfernter
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von dem Jdeale einer ästhetisch vollendeten
Dichtung waren in der zweiten Hälfte des siebenzehnten
Jahrhunderts die überspannten Romane des
Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig:
seine durchlauchtigste Syrerin Aramena, und seine
römische Octavia, so wie die asiatische Banise des
Heinrichs Anselm von Ziegler und Kliphausen.
Nur der Anfang des ersten Buches dieser asiatischen
Banise stehe hier als Beleg, wie in jener Zeit
der Charakter des Romans aufgefaßt und gehalten
ward.
„Blitz, Donner und Hagel, als die rächenden Werkzeuge
des Himmels, zerschmettere die Pracht deiner goldbedeckten
Thürme, und die Rache der Götter verzehre alle
Besitzer der Stadt, welche den Untergang des königlichen
Hauses befördert, oder nicht solchen nach äußerstem Vermögen,
auch mit Darsetzung ihres Blutes, gebührend
verhindert haben. Wollten die Götter, es könnten meine
Augen zu donnerschwangern Wolken, und diese meine
Thränen zu grausamen Sündfluten werden. Jch wollte
mit tausend Keulen, als ein Feuerwerk rechtmäßigen
Zorns, nach dem Herzen des vermaledeiten Bluthundes
werfen, und dessen gewiß nicht verfehlen; ja es sollte
alsobald dieser Tyrann, sammt seinem Götter = und
Menschenverhaßten Anhange, überschwemmt und hingerissen
werden, daß nichts als ein verächtliches Andenken
übrig bliebe. Doch ach, wie irre ich? was rede ich?
Sollte wohl solche Rache ohne Unterschied und ohne einiges
Bedenken vollzogen werden? Wo bliebe dann die
überirdische Banise? um derentwillen einig und allein
der Himmel noch die abscheulichste Strafe über Pegu
zurück hält, und welche das gütige Verhängniß noch
sonder Zweifel von dem ganzen kaiserlichen Stamme
wird übrig, ach wer weiß, ob nicht in der Hand eines
|#f0497 : 485|
grausamen Besitzers, gelassen haben, um so viel mehr
die geschlagenen Gemüther der fast entseelten treuen Unterthanen
wieder aufzurichten, und zu erinnern: es sey
noch ein Stern vorhanden, welcher leicht wiederum zu
einer Sonne werden könnte, wenn man ihm aus seiner
jetzigen Finsterniß zu seinem vorigen Glanze verhülfe. Auf
derowegen Prinz von Ava; erinnere dich desjenigen,
womit du Banifen verpflichtet bist, und wisse, daß du
die glückselige Besitzung einer so himmlischen Schönheit
nicht eher würdig genießen kannst, du habest dich denn
durch wirkliche Rache an ihren Feinden sattsam um sie
verdient gemacht. Ach aber, was schwärmst du noch
weiter, unglückseliger Prinz! Erinnerst du dich nicht,
daß du zwar ein König vom Stande, doch nicht vom
Lande bist?“ u. s. w.
Der Roman jener Zeit stand übrigens eben so weit
von dem Jdeale des Romans ab, wie überhaupt
der Charakter der Dichtkunst jenes Zeitalters von
den Forderungen des Gesetzes der Form an jedes
vollendete dichterische Erzeugniß; auch ward diesem
Mangel weder durch den vielgelesenen Simplicissimus
des Samuel Greifenson, der unter dem
Namen Schleifheim von Sulzfort auftrat, noch
durch die vielen, dem brittischen Robinson des Daniels
de Foe nachgebildeten, Robinsonaden, noch
durch Schnabels vielgepriesene Jnsel Felsenburg,
und durch ähnliche Romane des angehenden
achtzehnten Jahrhunderts abgeholfen. Erst als seit
dem Jahre 1740 die teutsche Sprache, und namentlich
die teutsche Dichtkunst einen Riesenschritt vorwärts
that, erhielt die Nationalliteratur unsers Volkes
allmählig Romane, die einen echten dichterischen Charakter
trugen, wenn gleich ─ bei der weit verbreiteten
Lesesucht unter allen Ständen ─ des Mittelgutes
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und der schlechten Waare aus dieser Gattung von
Kunstformen weit mehr zu Tage gefördert ward,
als der gehaltvollen Werke. Deshalb darf aber auch
die Theorie des Romans nicht von den unvollkommenen,
sondern nur von den gelungenen und vollendeten
Formen aus dieser Gattung von Kunstwerken
abgeleitet werden. Nach diesen beruht der Charakter
des Romans auf der idealischen Darstellung
der menschlichen Gattung, so wie
der Schicksale und der gegenseitigen Verhältnisse
und Beziehungen ihrer Jndividuen auf einander,
nach allen möglichen Aeußerungen der menschlichen
Freiheit, und nach allen möglichen Schattirungen
des öffentlichen, häuslichen und individuellen Lebens,
unter der Bedingung, daß der aus den Ankündigungen,
Schicksalen und Handlungen dieser Jndividuen
hervorgehende Stoff unter der Einheit einer
vollendeten ästhetischen Form dargestellt werden
könne. Die Stoffe des Romans können daher
eben so gut aus der wirklichen, wie aus der idealischen
Welt entlehnt werden; der Romanendichter
darf die Jndividuen, Thatsachen und Handlungen
im Kreise der Geschichte nach ästhetischen Gesetzen
gestalten, und einen ästhetischen Causalzusammenhang
vermitteln, der von dem geschichtlichen völlig sich
entfernt; denn ihn bindet nicht, wie den Geschichtsschreiber,
das Gesetz der geschichtlichen Wahrheit,
sondern das Gesetz der Form. Er hat seine Aufgabe
gelöset, und dichterisch über den von ihm behandelten
Stoff geboten, sobald er dem Gesetze der
Form Genüge leistet, d. h. sobald er einen Stoff
auswählt und gestaltet, der an sich ästhetisch darstellbar
ist, und der durch seine schöpferische Einbildungskraft
zur vollendeten Einheit der
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Form erhoben wird. Er ist daher in der Wahl
des Stoffes aus beiden Kreisen des Wirklichen
und Möglichen nur durch die ästhetische Darstellbarkeit
dieses Stoffes beschränkt. Die Zeichnung,
Haltung und Durchführung der aufgestellten Charaktere,
die Gruppirung der Begebenheiten, die
Vertheilung von Licht und Schatten, die Farbengebung
in den einzelnen Theilen, die Berechnung der
Verwickelung und Entwickelung des Knotens gegen
einander, und die Duchführung des Ganzen zur
Bewirkung eines Gesammteindruckes auf das Gefühlsvermögen,
sind die Bedingungen, an deren
Erfüllung die ästhetische Vollendung der Form des
Romans erkannt wird.
Der Roman gehört zur Ergänzungsklasse dichterischer
Formen, weil, nach den gelungenen Erzeugnissen
in dem Kreise romantischer Dichtungen, drei
Hauptgattungen unterschieden werden müssen,
je nachdem entweder die Hauptperson in dem romantischen
Ganzen sich ankündigt, oder ein bestimmter
Grundton des Gefühls in demselben vorherrscht:
der lyrische Roman, der didactische Roman,
und der epische Roman.
Zu den lyrischen Romanen gehören alle diejenigen,
welche ausschließend die Darstellung und
Versinnlichung von Gefühlen nach allen ihren
Schattirungen, besonders aber des Gefühls der Liebe
─ sey es nun die höhere platonische, oder die veredelte
sinnliche Liebe, überhaupt die Ankündigungen
der Geschlechts=, der Aeltern=, Kindes=, Gatten=,
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Geschwister- und Freundesliebe ─ enthalten, so
daß die dargestellten Jndividuen und Handlungen
an diesem gemeinsamen Ausdrucke der Gefühle erkannt
werden. Romane dieser Art verdienen, sobald
ihre ästhetische Form vollendet ist, wegen ihrer
Verwandtschaft mit dem Ausdrucke der höchsten
und reinsten individuellen Gefühle in den einzelnen
Erzeugnissen der lyrischen Form der Dichtkunst, die
Benennung: lyrische Romane. Zu ihnen gehören
die idealisirten Schilderungen hoher Leidenschaft, die
vollendeten Familiengemälde, und alle sogenannte
sentimentale Romane (z. B. Werthers Leiden; Siegwart;
Sophiens Reise von Hermes; Ewalds
Rosenmonde; Heinse's Ardinghello; viele Romane
von Jean Paul, Lafontaine u. a.).
Jm Gegensatze des lyrischen Romans, hat der
didactische Roman die Aufgabe, den Menschen,
wie er seyn soll, und das menschliche Leben
überhaupt nach seiner idealischen Haltung und Ankündigung
darzustellen. Er will so wenig, wie das
Lehrgedicht, im eigentlichen Sinne belehren, und
den Verstand durch Mittheilung von Begriffen aufklären;
allein die im Dichter aufgeregten Gefühle veranlaßten
seine Einbildungskraft, ein Jdeal des Menschen
und des Lebens zu zeichnen, wie sie in der
Wirklichkeit nicht getroffen werden, um, nach diesem
Vorbilde, die Wirklichkeit zu gestalten, das menschliche
Leben von seinen Unvollkommenheiten, Beschwerden
und von den Folgen der Verirrungen der menschlichen
Freiheit zu befreien, und die ganze Denkart
und Handlungsweise der Menschen zu einer Höhe
hinaufzuläutern, die ihrer sittlichen Würde entspricht.
So wie nun die Schöpfung, Haltung und Durchführung
solcher idealisirter menschlicher Charaktere
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der Einbildungskraft blos nach ihrem Zusammenhange
mit dem tief bewegten Gefühlsvermögen möglich
ist; so wird auch die vollendete Einheit eines
didactischen Romans wieder tief auf das Gefühlsvermögen
wirken, und ein reines Wohlgefallen an
der gediegenen dichterischen Form vermitteln. (Zu
den didactischen Romanen rechnen wir: den Grandison,
die Clarissa, Wielands Agathon, Fr.
Heinr. Jacobi's Woldemar, Meyers Dya-Na-
Sore, Engels Lorenz Stark u. a.)
Der epische Roman endlich beruht auf der
Darstellung von Jndividuen, Ereignissen und Handlungen
unter der Einheit einer vollendeten ästhetischen
Form. Bei dem epischen Romane müssen aber
mehrere Untergattungen unterschieden werden. Denn
er kann, wenn er einen Helden im Kampfe mit
seinem widrigen Schicksale schildert, und ihn zuletzt
entweder über dasselbe siegen, oder demselben unterliegen
läßt, so nahe an den Epos grenzen, daß beinahe
blos der Abgang des Metrums den epischen
Roman von dem eigentlichen Epos unterscheidet.
(So z. B. Klingers Raphael de Aquilas und
sein Giafar der Barmecide; Schillers Geisterseher
u. a.) Er kann ferner große und gefeierte Jndividuen
des Alterthums oder der neuern Zeit idealisirt
darstellen, und ihnen, unter der ästhetischen
Form, viele psychologische Ansichten abgewinnen.
(So z. B. Hallers Alfred; Feßlers Marc Aurel,
sein Attila, Matthias Corvinus; ─ Karl der
Große u. a.) Er kann aber auch bisweilen nur
eine ins Große gesponnene Erzählung von Ereignissen
des gewöhnlichen Lebens unter einem ernsthaften
oder komischen Gewande seyn (z. B. Müllers
Siegfried von Lindenberg; Anton Walls [Heyne]
|#f0502 : 490|
Amathonte, Corane, das Lamm unter den Wölfen;
Musäus physiognomische Reisen; viele Romane von
Friedr. Laun [Schulz] u. a.). Er kann endlich
unter der humoristisch=satyrischen Einkleidung
sich ankündigen (z. B. Hippels Lebensläufe nach
aufsteigender Linie; Noldmanns Aufklärung in Abyssinien,
und die Papiere des Etatsraths von Schafkopf
von Knigge; Jean Pauls Fibels Leben,
der Komet; Hoffmanns Elixiere des Teufels u. a.)
Zu dem Kreise des Romans gehören auch das
Mährchen und die Novelle.
Der unterscheidende Charakter des Mährchens
beruht theils auf der völligen Erdichtung des Stoffes,
ohne denselben entweder ganz oder theilweise
aus den Begebenheiten der Wirklichkeit zu entlehnen
und dichterisch zu gestalten; theils auf der Einmischung
überirdischer Wesen in die Verwickelung
und Entwickelung der ästhetisch durchgeführten und
zur Einheit der Form erhobenen Handlung. So
wie der epische, und theilweise selbst der dramatische
Dichter höhere Kräfte und Wesen mit dem Kreise
der Menschheit in Verbindung und Wechselwirkung
bringen darf; so auch der Dichter des Romans,
der dabei, wie der epische und dramatische Dichter,
nur an das Gesetz des ästhetischen Causalzusammenhanges
gebunden ist, weil der thatsachlich unerklärbare
Zusammenhang zwischen der Geisterwelt und
der Welt freier Wesen zu dem unermeßlichen Gebiete
des Möglichen gehört, über welches der
Dichter, unter der Bedingung der ästhetischen Darstellbarkeit
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des Stoffes, eben so frei, wie über den
Kreis des Wirklichen gebietet. Die reichste Quelle
und die ansprechendste Form des Mährchens ist das
sogenannte Volksmährchen, wo der Stoff der
Darstellung aus dem einheimischen Sagenkreise des
vaterländischen Volkes entlehnt ist.
Die Novelle ist an sich ein abgekürzter Roman,
oft selbst im metrischen Gewande. Jn dem
Worte selbst liegt kein, seinem Wesen nach von der
allgemeinen Bezeichnung des Romans abweichender,
Begriff; allein nach den ästhetischen Erzeugnissen
zu urtheilen, die unter dem Namen der Novelle
sich ankündigen, verstehen die Dichter derselben
solche romantische, bald kürzere, bald längere, Erzählungen,
in welchen die dargestellten Jndividuen
unter sehr verschiedenartigen Verhältnissen des Lebens
und nach einem oft räthselhaften Gange ihres
Schicksals erscheinen. Wenn die Erfinder der Novellen,
die Spanier und Jtaliener, zunächst unter
diesem Namen scherzhafte Liebesabenteuer schilderten;
so haben die Teutschen diesen Namen im weitern
Sinne gebraucht, und nicht selten ernsthafte und
sentimentale Kunstformen unter dieselbe Bezeichnung
gebracht.
Die Benennung und Form des Epigramms ist
griechischen Ursprungs; es enthielt eine sinnvolle
kurze Ueberschrift oder Aufschrift auf Tempeln, Gebäuden,
Kunstwerken u. s. w. ─ Jn der neuern
Dichtkunst beruht der Charakter des Epigramms auf
der Versinnlichung Eines hervorstechenden Gedankens,
in der möglichst kleinsten, aber ästhetisch vollendeten
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Form der Darstellung. Nur Ein Gedanke
darf in dem Epigramme herrschen; dies sey nun ein
in Worte gekleidetes Gefühl; oder ein von der Einbildungskraft
und dem Witze hervorgehobener Begriff;
oder ein bestimmt bezeichnetes Jndividuum
oder Ereigniß. Dieser Gedanke muß aber hervorstechend
(frappant) seyn, und vermittelst der Form
versinnlicht, so wie durch die ästhetische Vollendung
der Form dem Gefühle so nahe gebracht werden,
daß im Bewußtseyn ein unmittelbares Wohlgefallen
an der Einheit der ästhetisch vollendeten
Form sich ankündigt. Zugleich muß die Form des
Epigramms, so weit es der darzustellende Gedanke
verstattet, die möglichst kleinste seyn, weil der
Eine im Epigramme herrschende Gedanke seine Kraft
und Wirkung bei einer weitern Ausführung verlieren
würde. Endlich muß der ästhetische Treffpunct
(Pointe) im Epigramm, wo möglich, auf
den Schluß fallen, so wie Lessing die ästhetische
Vollkommenheit des Epigramms in zwei Puncte:
Erwartung und Aufschluß setzte. Das Epigramm
gehört zu den gemischten dichterischen Formen,
weil sein Stoff eben so gut individuelle Gefühle,
wie Begriffe des Verstandes, und einzelne
Handlungen und Thatsachen versinnlichen kann.
Man unterscheidet, nicht ohne Grund, zwischen
dem eigentlichen Sinngedichte, und dem Epigramme
im engern Sinne. Jn dem eigentlichen
Sinngedichte wird ein sinnvoller Gedanke
anschaulich, neu, kurz und treffend dargestellt, ohne
die bestimmte Absicht, dadurch zu loben oder zu
tadeln. Dagegen erscheint im Epigramme, im
engern Sinne, Ein Gedanke, der, als Ausdruck des
Witzes, entweder loben, oder tadeln, oder im
|#f0505 : 493|
Allgemeinen spotten soll. Das lobende Epigramm
enthält das verdiente, und durch die Thätigkeit
der Einbildungskraft ästhetisch versinnlichte, Lob
eines Jndividuums, oder einer Handlung und Thatsache.
Das tadelnde Epigramm vergegenwärtigt,
unter der Einheit einer vollendeten Form, bald die
intellectuellen ästhetischen Mängel, Jrrthümer und
Thorheiten, bald die sittlichen Fehler, Verirrungen
und Gebrechen der Menschen. Nicht selten ist es
durch bittern Witz gewürzt, und heißt auch das
Strafgedicht. Das spottende Epigramm endlich
enthält den Ausdruck eines leichten, mit Gewandtheit
dargestellten, Witzes über irgend einen Gegenstand,
den man von seiner schwachen Seite ergreift.
α) des Sinngedichts.
1) von v. Logau († 1655).
Hoffnung und Geduld.
2) von Heydenreich († 1801).
Das Leben, ein Traum.
3) von Conz.
Die Bewährung.
4) von J. Geo. Jacobi († 1814).
Grabschrift zweier Schwestern, welche im blühendsten
Alter bald nach einander starben.
5) von v. Schiller († 1805).
Das Kind in der Wiege.
6) von Pfeffel († 1809).
Das Epheu.
7) von Klamor Schmidt († 1824).
An die sterbende Agathe, als sie sagte: „Wir sehen
uns zum letztenmale!“
8) von Klinkicht († 180.).
Mit der Zeit fortgehen.
9) von Mnioch.
Philosophieen und Philosophie.
10) von einem Ungenannten.
Friedrich der Einzige.
β) des Epigramms.
1) von Flemming († 1640).
Grabschrift eines Hundes.
2) von v. Logau († 1655).
3) von Christian Gryphius († 1706).
Sieben Eigenschaften des Prügels.
4) von Wernike († um 1720).
Segen eines Bischoffs.
5) von Wernike.
Römische Beichtbuße.
6) von Lessing († 1781).
An Einen.
7) von Lessing.
Auf einen Brand zu **.
8) von Bürger († 1794).
9) von Karl Fr. Kretschmann († 1809).
Der gefundene Reim.
10) von Kretschmann.
Auf Maladett, den Wucherer.
11) von Pfeffel († 1809).
Auf Radulphs Grab.
12) von Haug.
Erhörung.
13) von Buddeus († 18..).
Eigene Grabschrift, wenige Tage vor seinem Tode
gemacht.
14) von Herklots.
Goldmacherei.
15) von Weißer.
Ueber das Verbot des Bettelns in Teutschland.
16) von einem Ungenannten.
Raub eines Diploms.
17) von einem Ungenannten.
Der Censor.
18) von einem Ungenannten.
Katechisation.
19) von einem Ungenannten.
Auf einige Romanenschreiberinnen.
20) von Bouterwek.
Die neue Epoche.
21) von v. Kyaw.
Parallele zwischen dem Zeitungsschreiber Matz und
dem Pastor Stentor.
Mehr als leichte Spiele des Witzes, die für
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den Augenblick ein unmittelbares Wohlgefallen erregen,
denn als tief im Gefühlsvermögen begründete
dichterische Formen, müssen das Räthsel, die Charade,
der Logogryh und das Anagramm betrachtet
werden. Nie wird man sie mit den höhern
Erzeugnissen der lyrischen, didactischen und epischen
Dichtkunst auf gleiche Linie des ästhetischen Gehalts
stellen können, wenn gleich ihre Stoffe bald der
einen und bald der andern dieser drei Klassen der
Dichtkunst nahe verwandt sind.
Das Räthsel enthält innerhalb einer kleinen
dichterischen Form die ästhetische Darstellung eines
Gegenstandes, der in der Form nicht genannt,
aber nach seinen gesammten wesentlichen Merkmalen
genau bezeichnet wird, um an diesen angegebenen
Merkmalen erkannt und errathen werden zu können.
Die Charade, oder das Sylbenräthsel, ist
eine Abart des Räthsels, in welcher zuerst die einzelnen
Sylben des Wortes, durch welches der nicht
genannte Gegenstand bezeichnet wird, und dann das
Ganze selbst nach den ihm eigenthümlichen Merkmalen
in der ästhetischen Form versinnlicht werden müssen,
damit man den unter der Hülle verborgenen
Gegenstand errathe.
Der Logogryph, oder das Buchstabenräthsel,
enthält eine ganze Kette von Räthseln, die alle auf
ein Hauptwort führen, dessen Sylben einzeln darin
geschildert sind, so wie dessen Buchstaben, nach ihrer
Versetzung, andere Wörter bilden, die gleichfalls in
dem Logogryphe bezeichnet werden.
Das Anagramm endlich, oder das Worträthsel,
behauptet seine Eigenthümlichkeit dadurch,
daß, nach der völligen Versetzung der Buchstaben
eines Wortes, ein völlig neuer Begriff, mit einer
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von der ursprünglichen Bezeichnung des Wortes wesentlich
verschiedenen Bedeutung, entsteht.
α) des Räthsels.
von Müchler.
(Die Granate.)
β) der Charade.
1) von einem Ungenannten.
(Schneeberg.)
2) von Langbein.
(Hauskreuz.)
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γ) des Logogryphs.
von Friedr. Kind.
(Schleier, Schleie, Leier, Eier.)
δ) des Anagramms.
1) von Heyne († 1812).
2) von Fr. Kind.
(Vaterhaus ─
Schauspiel von Jffland;
Der Hausvater vom Freih.
v. Gemmingen.)
Ende des dritten Theiles.