583. Das starke Schneiderlein. War einmal ein Schneiderlein, das ging auf Reisen, hatte aber einen bösen Fuß und lagerte sich drum am Wege. Die Mücken aber kamen zu Hauf', als er nach dem Schaden sah. Da ergrimmte er und schlug auf sie los, erschlug auch eine große Zahl auf Einen Schlag und zählte sie, wie viel ihrer waren. Und es waren vierundzwanzig, darum schrieb er auf seinen Hut: vierundzwanzig auf Einen Schlag! Als er weiters ging, kam er in eine Stadt. Dort fürchtete man sich vor dem Helden, der vierundzwanzig auf Einen Streich tödtete und wies ihn außer Landes auf einen Weg, da sich ein Wildschwein aufhielt, indem die Väter der Stadt dachten, das würde ihn wohl zwingen, daß der Fürchterliche nicht wiederkehrte. Aber wie der Schneider an einer Kapelle vorüberging, kam der wilde Eber auf ihn losgestürzt und wollte ihn zerschlänzen. Eilig floh er in die Kapelle hinter die Thüre, der Eber blindlings nach, aber wie die Eber schießen, sprang er gradaus dem Altare zu. Der Schneider besann sich nicht lange und sprang aus der Kapelle, schlug aber die Thüre hinter sich zu. So war der Eber in die Kapelle eingeschlossen. Da ging er in die Stadt zurück, erzählte, wie ihm eine Sau begegnet wäre und er diese in die Kapelle geworfen, indem er sie ohne Umstände an den Ohren hineingeführt habe. Da lief Alles hinaus und schaute das Mirakel in der Kapelle. Jezt kam das Ding dem König zu Ohren, und der versprach ihm viel Gold und Silber, wenn er ein Einhorn tödtete, welches das Land unsicher machte. Der Schneider sagte zu, bat sich aber ein Handgeld aus und ging seiner Straßen, indem er dachte, das Einhorn zu lassen, wo es sei. Aber als er eine Weile gegangen war, kam das Einhorn aus dem Walde und stürzte auf ihn zu. Voll Schrecken floh er hinter einen Baum, und als das Einhorn daher kam, rannte er um den Baum herum, das Einhorn hinter ihm her. Er versuchte eine List und that, als wollte er auf eine andere Seite springen, das Einhorn stuzte, und bei dieser Gelegenheit stieß es unversehens sein Horn in den Baum, daß es stecken blieb. Da nahm der Schneider seinen ledernen Hosenträger und band es an den Baum. Nun ging er in die Stadt zurück und redete groß, wie er das Einhorn an den Baum geworfen, daß es stecken geblieben. Da fürchtete ihn der König sehr und versprach ihm seine Tochter, wenn er drei Riesen tödtete, die ihr Schloß auf einem Felsen im Walde hätten. Der Schneider aber gedachte sich mit den Riesen nicht einzulassen, nahm sein Draufgeld und ging einen Fußweg durch den Wald, denkend, es werden die Spitzbuben von Riesen auch nicht grade hier um die Wege sein. Er hatte einen Bachensteinkäs mitgenommen, weil er wohl vermuthete, daß er Hunger bekommen könnte. Unterwegs sah er auf einem Baum einen Maisenschlag, in dem sich eine Maise gefangen hatte. Die holte er herab und that sie in sein Schnupftuch, willens, die Maise mit heim zu nehmen. Da fing es plötzlich zu krachen an, als ob der Wald zusammenbrechen wollte. Ein Riese kam daher und trat die Tannen um wie Stoppeln. Der erblickte den Schneider und sagte, Kerl, wenn du in drei Stücken nicht über mich Herr wirst in der Kraft, dann freß ich dich mit Haut und Haar. Erstens mußt du werfen können wie ich. Dabei schleuderte er einen Kieselstein in die Höhe, daß er erst nach einer Viertelstunde wieder herab kam. Da lachte der Schneider, nahm seine Maise und sprach: mich soll der Teufel holen, wenn der Stein wieder herabfällt, schleuderte die Maise in die Höhe und sagte: gewonnen. Da stuzte der Riese und sprach, aber mach das nach, und drückte einen Felsen mit der Hand, daß Wasser heraus floß; der Schneider lachte, nahm seinen Bachensteiner und drückte ihn an den Fels – da sieh! rief er, ich drücke, daß der Stein Milch gibt. Da kriegte der Riese gewaltig Respekt und sagte, jezt mache mir noch zum dritten und lezten Mal das nach; wie er das gesagt, sprang er vom Waldthal auf den Felsen, auf welchem das Schloß stand, in Einem Sprung. Der Schneider war nicht faul, faßte flink einen Tannenwipfel, der durch den tappigen Riesenfuß zur Erde gebogen worden, und siehe, ihn schleuderte die aufschnellende Tanne noch viel weiter hinauf, als der Riese gesprungen. Da lud der Riese den Schneider zu sich und seinen Brüdern ein. Diese gastirten mit ihm und legten ihn Nachts in eine Himmelbettlade. Der Schneider aber schlief nicht und hörte über sich durch eine Lücke flüstern: glaubt ihr, er schlafe? Da sagte der Schneider: wartet ihr Schlingel, ich will euch kommen, wenn ihr was Böses im Sinn habt. Doch hielt er es für gerathener, unter den Ofen zu kriechen. Nach einer Weile flüsterte wieder einer, glaubt ihr, er schlafe? Ihr Spitzbuben, fuhr sie der Schneider an, wollt ihr ruhig sein oder nicht. Nach geraumer Zeit flüsterte dieselbe Stimme wieder: jezt schläft er, denk ich. Da gab der Schneider keine Antwort. Da ließen die drei Riesen einen Mühlstein auf das Bett herabfallen und dachten, nun müßte der Schneider todt sein. Da sprang der Schneider unter dem Ofen hervor und rief: So, ihr Generalspitzbuben, jezt will ich euch geh' zeigen, wo Bartel den Most holt, gleich komm ich nauf zu euch! Da sprangen die Drei vor Schrecken zum Fenster hinaus und fielen sich todt. Der Schneider aber kehrte in die Stadt zurück und erzählte, wie er die Drei ohne Umschweif zum Fenster hinausgeworfen habe. Der König kam mit seinen Leuten, und sie sahen des Helden Arbeit. Da gab ihm der König seine Tochter zur Frau und waren die Beiden glücklich bis an ihren seligen Tod 1 . Fußnoten 1 Schönw. II. 280. – Einhorn. Lonicerus S. 607 sagt: »Dieses Thier wird nicht lebendig gefangen, sondern wenn es mit dem Löuen streitet, als deme es sonderlich feind ist, so stellet der Löu sich wider einen Baum, alsdenn laufft das Einhorn mit vollem Lauff zum Löuen zu, und vermeint ihn mit dem Horn umzubringen, so weicht ihm der Löue und bleibt das Einhorn mit seinem Horn in dem Baum stecken, und wird also von dem Löuen umgebracht. Es hasset sein eigen Geschlecht, verfolgt auch das Weiblin, ohn allein zur Zeit der Brunfft. – Es trägt sonderliche Lieb und Wohlgefallen zu den Jungfrauen und Weibspersonen, das es sich zu ihnen gesellt, wo es sie siehet und Zahm bei ihnen gehet, ruhet und entschläfft.« Dasselbe steht ähnlich in dem bekannten Brief des Priesters Johann an den Kaiser von Rom und König von Frankreich bei Gräße, Beiträge S. 68 u. Anmerk. 3. Ueber das Einhorn a.a.O. S. 60-71. L. Bechstein, Mythe, Sage, Märe etc. I. 116. Bechstein sagt a.a.O. II. 237: »Eigen ist es, daß gerade dieses Märchen das sonst so selten vorkommende und genannt werdende Einhorn erwähnt.« Das Einhorn in der Symbolik vgl. Menzel, Symbolik I. 230.