71. Auf seiner Gemahlin 28sten Geburts-Tag 1728. O Du Hüter Ephraim, Des 1 geringsten Theils der Heerde Deiner Erde! Unser Häuflein sieht mit Schmerz Niederwerts; Aber unsre Sinnen blikken, Mitten in dem Niederbükken, In Dein hocherhabnes Herz. Herz der Göttlichen Natur, Herz der offenbarten Liebe, Herz der Triebe, Unsre Herzen opfern Dir Liebe hier, Und in brennendem Verlangen Deine Salbung zu empfangen, Oeffnet sich des Geistes Thür. Herz der Welt! belebe uns, Mehr als alles, was da lebet, In Dir webet, Und sich, Herr, von Deiner Macht, Wunder-Pracht Und Allgegenwart erschüttert. Gottheit, unsre Hütte zittert, Aber unser Herze lacht! Herz mit uns! wir schwören Dir Ewige Gesellen-Treue, Als aufs Neue. Dir ist unser Herz bekant; Nim die Hand, Zur Verpfändung aller Triebe, Zur Vergeltung einer Liebe, Die ihr Blut an uns gewandt. Herz der Kraft! durchdringe doch, Unsre Seel ist ja genesen, All ihr Wesen: Mach ihr alles, was da wahr, Sonnen-klar; Aber was Dir nicht will taugen, Das verbirg vor unsren Augen, Hüter der verschloßnen Schaar! Hier ist eine Jüngerin, Gottheit von dem grossen Worte, Das die Pforte Und der Weg der Seelen ist, Jesu Christ! Heute kam sie auf die Erde, Heute kam sie auch zur Heerde, Lamm! wo Du der Hirte bist. Heute ist ihr Gnaden-Tag: König! dem sie zugehöret, Eingekehret, Neigt sie sich, und betet an, Wie sie kan, Und wir wolln uns mit ihr beugen, Licht! wir Deine andre Zeugen, Ihr Geschwister und ihr Mann. Laß Dein Leben ihren Geist Auf das kräftigste erheben, Laß sie leben, Ihre Seele werde Dir Eine Zier Und ihr äusserlicher Wandel Zeuge von dem innern Handel Deiner Lieblichkeit in ihr! Der ihr Allernächster ist, Findt sich nirgendwo geschwinder, Als beym Sünder, Der gerecht sein Haus betrat, Weil er bat: O du ihm bekante Liebe! Reinige, beleb und übe Seinen Sinn, sein Wort und That! Kräfte müssen von Dir aus In ein junges Herze gehen, Herr! wir flehen, Welches unserm Freund voran Zugethan; Wir gedenken seiner Regung Wiederholeten Bewegung, Und erneu'rten Liebes-Bahn. Deine Absicht treffe doch Eines Deiner nächsten Zwekke, An der Ekke, Wo es ihm recht nöthig thut. Höchstes Gut! Laß nicht ab in seinen Willen Alle den Genuß zu füllen, Den ein Kind braucht, eh' es ruht. Nim dich einer Seele an, Die wir itzt nicht bey uns haben, Voller Gaben, Deren Führung jedermann Schrekken kan, Der sich nicht in Staub will legen, Denn Du wandelst ihm den Segen In den allerstrengsten Bann. Habe Acht auf ein Gemüth, Das Du schon vor vielen Stunden Dir verbunden, Welches auch Dein sanftes Joch Immer noch, Doch nicht nach der Absicht träget, Wie Du ihm es aufgeleget, Als es aus den Banden kroch. Der Du mit den Sündern pflegst Bis zum Aergernis zu speisen, Und zu weisen, Daß wir aus der Gnad allein Alles seyn; Siege fort, du Ueberwinder, In dem Grössesten der Sünder, Die sich Deiner Zeugung freun! Der Du die Natur bezwingst, Wenn Du sie mit Liebe reitzest, Oder heitzest Deinen Elends-Ofen so, Daß man froh, Wenn man Dir zu Fusse fallen, Und bereit seyn kan zu allen: Bring Dein Feur zur lichten Loh! Dem die Tugend nicht genug, Der ein neues Herze fodert, Das da lodert Von den Flammen Seiner Gluht, Nim den Muth, Immer mehr und mehr gefangen, Der bey redlichem Verlangen Noch so manchen Fehl-Tritt thut. Ach! was ist doch nur ein Mensch, Wenn sein Anfang noch so kräftig, Der nicht heftig Seinen Willen niederdrükt, Und erstikt? Herr! gedenke an ein Herze, Das sich noch nicht ohne Schmerze Unter Deine Tödtung bükt. Jesu! rette Deine Kraft, Längst an einer Seel erwiesen, Die vor diesen Unsre grosse Hoffnung war, Und nun gar, Obwol nicht dahin gegeben, Doch gar schwächlich scheint zu leben. Fällt doch ohne Dich kein Haar. Der Du Wunder-Wege gehst, Und aus Gifte Honig machest, Denn Du wachest Ueber aller Seelen Heil, Die sich feil, Und bereit sind mit zu gehen, Wenn die Gnaden-Winde wehen: Halt die Braut 2 an Deinem Seil. Endlich, Herr, vollende doch Einen Geist nach Deinem Sinne, Und gewinne, Noch mehr Raum und Bahn für ihn, Der da schien Ins Verderben hinzulauffen, Aber er ließ sich erkauffen, Und geht blindlings mit Dir hin. Gnade bitten wir von Dir: Gnade ist der Seelen Anker, Und ein Kranker Findet in der Gnade Saft, Heilungs-Kraft. Gnade müsse unserm Herzen Leidlich machen alle Schmerzen Der bestimmten Ritterschaft. Alle die zugegen seyn, Laß in Einem Geiste leben, Sich Dir geben, Und nach Dir der Brüderschaft: So geht Kraft Auch aus diesem Liebes-Grunde, Und zu einem solchen Bunde Wird noch mancher hingerafft. Fußnoten 1 Dieses Gedichte ist an dem Geburts-Fest der Gräfin, bey einer vertrauten Gesellschaft oder Cotterie abgesungen worden, und ein jegliches Mitglied derselben dergestalt bedeutet, als es seine damaligen Umstände mit sich gebracht. 2 Catharina Elisabeth Hentschelin, welche Tags drauf mit dem Haus-Meister Friedrichen verehliget wurde.