105. Auf der Frey-Frau von Meußbach 82stes Geburts-Fest 1732. Den zeitigen und jenen sparen, Ist Gottes Weise, wer ist klug? Das Weib bey vier und achtzig Jahren, Die Jesum auf den Armen trug; Der Alte, der zur Ruhe eilte, Als er das Heil der Welt umfing; Wer einem doch Bericht ertheilte! Mir ists ein unbegreiflich Ding. Gewiß, wer seinen Heiland liebet, Und liebt zugleich Sein Eigenthum; Der wird erfreuet und betrübet, Durch Christi Schande oder Ruhm. Ich bitte meinen Seelen-Werber: Er wende nur die Schmach von mir, Darüber ich kein Leiden herber, Und keinen grössern Schmerzen spür. Ich meyne, Jesum Christum nennen, Und Seinem Herzen ferne seyn; Sich selber nicht im Grunde kennen, Und also nicht um Gnade schreyn: Weil aber Fleisch und Blut commode, Und sichs nicht gerne sauer macht, Ein Christenthum auf seine Mode Ersehen, das die Welt erdacht. Zwey Dinge sind, die unsre Seele Der Seligkeit entgegen führn: Das erste ist die Wunden-Höhle Wenn wir uns dahinein verliern; Das andre, Christi Joch, das linde. Das erste bringet uns zur Ruh: Das andre lenket uns geschwinde Und sicher auf die Schranken zu. Hat jemand kein verklärtes Auge, Dem Heiland in Sein Herz zu sehn; Der wisse, daß er gar nichts tauge, Und, daß es um sein Heil geschehn. Hat aber jemand Gnade funden, Und will nicht in die Streiter-Bahn, Darinn die Zeugen überwunden; Der gibt die Gnade wieder an. Herr! der du unsre arme Seele Auf Deinem Mutter-Herzen trägst, Und an der Werkstatt ihrer Höhle Stets neue Treu vor Augen legst; Erhalte uns nach Deinem Willen, Bis jedes sich, Du Seelen-Mann, In Deinen blutgen Wunden stillen, Und Deines Joches rühmen kan.