Die zweiundvierzigste Fabel. Vom Hirsch und dem Ochsen. Es stund ein hirsch an jener heid, Den trieb ein jäger mit gejeit, Daß er vor angst und großer qual Entlief in einen ochsenstall, Bat, daß er sich da möcht verstecken: Die ochsen in mit heu bedecken. Ein ochse sprach: »Du bist fürwar Bei uns allhie nicht sicher zwar; Bald komt der herre oder knecht, Daß sies im stall bestellen recht. Ob sie dich denn ergreifen nun, Umb dein leben ists in zu tun.« Er sprach: »Wo ir nicht macht ein gschrei, Blieb ich wol under disem heu.« Der knecht kam, gab den ochsen für, Bald gieng er wider aus der tür. Da sprach der hirsch: »Es hat kein not, Der knecht mich nicht gesehen hat.« Da antwort im ein alter ochs: »Ja, komt der herr, der ist ein fuchs; Der knecht ist solcher sach ein kind, Dazu in allen dingen blind. Denselben hast wol zu betriegen, Dem herrn ist nicht gut vor zu liegen. Wenn der gegangen komt in stall, Get hie und da, bsichts überall, Beleucht die ochsen, besicht die küe; Verbirgest dich, zwar es hat müe.« Da komt der herr, all ding besicht, Obs der knecht hat wol ausgericht, Beschaut das futter und die streu, Greift under dkrippen in das heu, Erwüscht den hirsch bei seinem horn Und sprach: »Was han wir hie zuvorn?« Rief dem gesind; sie kamen dar, Da stund der hirsch in todes far. Wenn eim das unglück komt geschwinde, Leßt sich die ausflucht schwerlich finden. Villeicht aus unglück also gschicht, Oder daß der mensch aus forcht versicht, Im in der eil gut rat entfellt; Denn wird sein sach in far gestellt, Gelangt im oft zu solchem schaden, Daß er sich nimmer kan entladen.