Die sechsundvierzigste Fabel. Von zweien Jünglingen. Zu einem koch zwen jung gesellen Kamen und teten sich freundlich stellen, Als hettens im gern abgegolten Ein stück fleisch, das sie eßen wolten. Weil nun zu schaffen het der koch Ein anders, dem er trachtet nach, Der ein stal im ein großes stück Aus seinem korb da hinder rück, Tels seinem gselln, der solts verstecken Und under seinen rock bedecken. Bald merkt der koch, daß im das fleisch Gestolen was; er sprach: »Ich heisch Euch beid zu recht und sag, daß ir Das fleisch jetzt habt gestolen mir.« Der erst ein eid bald schweren tet, Daß er das fleisch bei im nicht het; Der ander schwur auch unverholen, Er het im nicht das fleisch gestolen. Da sprach der koch: »Ir habt eur stelen Jetzund vor mir wol zu verhelen; Aber der, bei dem ir gschworen habt, Der sicht und kennt eur missethat.« Es sein nicht aller menschen sünd Aus erden allen menschen kund, Und leßt sich wol der schalk verbergen, Daß in die menschen finden niergen. Gott aber alle ding wol sicht, Was in der ganzen welt geschicht. Er sitzt hoch über Cherubin, Hat aller menschen herz und sin In seiner allmechtigen hand, Vor im ist nichtes unbekant. O, wenn die menschen das bedechten Und solchs teglich zu herzen brechten, Würden also nicht allesamt Sündigen frech und unverschamt Und sich vil mer der sünden maßen, Vil bosheit underwegen laßen.