Die sechsundsechzigste Fabel. Vom Pfauen und der Nachtigall. Der pfau beklagt sich mechtig ser Vor dem hohen gott Jupiter Und sprach: »Du hast mich schon erschaffen, Mein gefider kan niemand strafen: Am hals und rücken rund geziegelt, Der schwanz mit farben teilt und spiegelt, Hübsch mit eim krönlin ziert mein haubt, Hast mich aber der stimm beraubt. Ein jeder vogel mich veracht, Mit meinem gsang allzeit belacht. Dargegen hast die nachtigall Vor mir und andern vögeln all Mit einer hellen stimm geziert, Den leuten sie des nachts hofiert; Im wald ir schall tut hell erklingen, Von ir die leut auch lieder singen; Verdreußt mich aus der maßen ser.« Darauf antwort der Jupiter: »Es hat ein jede creatur Von Gott die gaben der natur, Die er im selber tut zufügen: Daran laß im ein jedes gnügen. Die nachtigall vergan nicht dir Dein federbusch mit spiegeln zier; Drumb laß ir iren süßen gsang Und hab desselben keinen dank.« Gott hat austeilet seine gab, Daß ein jedes das seine hab; So vil er einem jeden gan, Sol er zu danke nemen an Und sol nicht nach eim andern gaffen, Was Gott mit jenem hab zu schaffen, Und hab sein eigen sach in hut: Gott wird wol wißen, was er tut. So hilft auch nicht, daß einer wil Mit geiz versamlen geldes vil, Und lief er schon in Indiam, In Calicut und Taproban, Hilft doch kein sorg oder müesam leben, Wenns Gott durch segen nicht wil geben. Ist er zu tausent nicht geborn, Erlangets nicht, es ist verlorn. Gott hat ein rechenbuch gemacht, Darin ein jedern menschen bdacht Gleichwie in einem testament, Sein gburt, sein leben und sein end, Wie vil oder wenig er sol han, Den strich wird niemand übergan.