Die achtunddreißigste Fabel. Vom Lamen und dem Blinden. Ich sahe einmal ein armen blinden, Der kunt allein den weg nit finden Und het auch niemand, der in leit. Da bgab es sich auf eine zeit, Daß er vor einer kirchen saß Und bat die leut umb ein almos. Ongfer zu im ein krüppel kam, Der war an beiden füßen lam, Die waren im zusamen schrumpen Und gwachsen gar an einen klumpen. Er sprach zum blinden: »Lieber bruder, Bis du mein schif und ich dein ruder; Denn wenn du dich vor mir woltst bücken Und tragen mich auf deinem rücken, So möchten wir zusamen wandern, Und unser einer hülf dem andern.« Dasselb war dem blinden beheglich Und in auch allen beiden treglich. Gott hats auf erden so geschickt, Das glück mit dem unglück gespickt, Was er dem ein nit geben wil, Des hat der ander allzu vil, Und ist also ungleich geteilt, Daß allzeit einem etwas feilt, Auf daß die lieb stets findt ursach, Daß sich dem nehsten dienstbar mach, Im nach vermög behilflich sein, Daß ein hant wesch die ander rein. Gleich wie der kelner sprach zum koch: Kom zu mir für das kellerloch, Mit gutem wein lesch dir den durst; Zum früstück brätstu mir ein wurst: So rufen wir dazu den becken, Der bringt semeln und frische wecken, Erfreut das herz und speist den magen! Auf vilen achseln ist gut tragen.