Die siebenundfunfzigste Fabel. Von den Löwen und Hasen. Kurz vor der schöpfung aller ding, Und e die welt zum erst anfieng, Wie man list in den alten gschichten, In fabeln und poetengdichten, Daß da sei gwest ein alter has, Der aß sonst nichts denn kurzes gras Und trank das reine waßer kalt, Der lebt vil jar und war gar alt, Daß im sein har ward grau und greis. Der war verstendig, klug und weis Und het in büchern lang studiert; Drumb er auch all sein kinder lert, Sein vettern, ohmen, mumen, basen Und all das ganz geschlecht der hasen, Daß sie auch glert wurden all gar, Gleich wie ir meister selber war, In heilger schrift und in den rechten Zu disputieren und zu fechten, Mit weisheit, reden und mit leren Geschickter denn all tier sonst weren. Drumb sie ir weisheit zamen brachten, Zum gmeinen nutz also gedachten: »Nach dem jetzt die grimmigen lauen All tier fast trutzen und bedrauen, Und müßen tanzen, wie sie pfeifen, In weidlich auf die hauben greifen, Daß haut und har oft folgen nach, Mit irer tyrannei und rach, Mit wüten, toben und gewalten All tier so trutzlich underhalten, Vor irem greuel müßen streichen Und gleich wie in einr fallen keichen. Müßen sich ducken, ducken, schmucken Vor irem frevel und verdrucken. Drumb gschicht allzeit bei nacht und tag Ein ewig schreien, wee und klag, Und ist niemand, der sie kunt retten, Mit keinem rat noch tat vertreten. Daraus endlich ist zu vermuten, Daß solchs aufs letst zu keinem guten Gereichen mög, wenns lang hin gieng, Nur zum verderben aller ding. Drumb laßt uns eintrechtig hingan Und sie zu leren understan. Wer weiß, ob noch dieselben leben Unsr wort zu hören sich begeben; Wenn wirs den rechten weg jetzt lerten, Villeicht sie sich zum guten kerten, Durch süße wort und hasenstimm Bald ließen ab von irem grimm, Den tieren nit mer widerstrebten, Hinfürder freundlich mit in lebten, Wurden all mit einander frum, Des hetten wir ewig lob und rum.« Als sie der sach nun waren ein, Zohen bald hin allsam gemein, Dorthin, da all die löwen saßen, Vom fleisch und blut der tieren fraßen, Waren all voll mit banketieren, Mit singen, tanzen und hofieren, Hoffertig, stolz, in großer pracht: Ein gringer ward da nit vil gacht, In lust und freud sich alles regt, Wie man in herrenhöfen pflegt. Da sprach von stund der alte has Zu seim geschlecht: »Tret zuher baß! Was wölln wir tun? wölln wir anheben Und in die sach zurkennen geben, Ob sie sich beßern wollen heut Und leben wie die frommen leut, Oder wölln wirs laßen heint beruen?« Da sprach ein has: »Ich rat in treuen, Daß wir die sach jetzt lan bestan, Biß sie den kropf verdauet han, Und heben an biß morgen fru; Dest fleißiger hörn sie uns zu.« Des morgens traten sie hinein, Da die löwen beinander sein, Und meinten großen nutz zu stiften. Ir red bewedmet war mit schriften Aus alt und neuem testament, Sagten, wie sie gut regiment On tyrannei stets sollten ieben, Die warheit und das recht belieben, Nach billichkeit die bösen strafen, Den frommen recht und frieden schaffen, Als ergerlichen wandels maßen, Die tierlin ungefreßen laßen, Witwen, weisen schützen, versorgen, Den armen geben, leihen, borgen, Die schwachen helfen heben, tragen Und keim trostlosen trost versagen Und nemen jederman in schutz. Sie schafften aber keinen nutz; Denn da erzörnt der ganze haufen, Tet greulich durch einander laufen, Gunden zu brüllen und rumorn: Ir keiner wolt die hasen horn, Sprachen: »Was sol das nichtig gschlecht Uns leren, was sei gut und recht? Das flüchtig volk, die losen gsellen, Daß die uns jetzt erst meistern wöllen, Gedenken uns zu reformieren! Wir wöllen sie wol mores leren, Die heillos leut und lose buben!« Eintrechtig sie sich bald erhuben, Mit murren, schnurren sie anzanten Und sich einmütig all ermanten Wie die tollen, torechten hunt: Ir keinr im selber steuren kunt. Im hui die hasen all zerrißen, Verschlungen, fraßen und zerbißen. Dermaß gets in der welt auch zu Von alters her allzeit, auch nu, Daß könig, fürsten und der adel Können nit leiden irkein tadel. Wer sie straft und die warheit sagt, Der wird veracht, getöt, verjagt; Denn was der arm zu hof guts brengt, Das wird zum argen als gelenkt; Da siht man schel und rümpft die nasen Und get der warheit wie den hasen; Wo sie sich nicht bald dannen packt, So wirds verfolgt, gezwackt, gesackt, Ir nimmer keine schanz gelingt, Wie jener in seim liedlin singt: »Denn wer gedecht Zu leben schlecht, Ganz frum und grecht, Was guts fürbrecht, Der wird durchecht Und gar geschwecht, Gehönt und gschmecht Und blieb allzeit der andern knecht.« Ja, im geistlichen regiment Wird auch gelont mit solchem end, Daß, die das heilig wort jetzt leren, Vom teufel uns zu Gott bekeren, Wie die rechten evangelisten, Die helt man jetzt vor widerchristen, Stellt in wie falschen ketzern nach Mit schwert, feur, ban und aberach; Scheltens und lesterns vor den leuten, Die friedsam ler vorn aufrur deuten, Und wird also zum ergsten kert Als, was der has den löwen lert. Drumb darf man sich auch keines guten Hinfürder bei der welt vermuten. Von anbegin die lügen strebt Wider dwarheit, ir nit gmeß lebt. Ungrechtigkeit grechtigkeit schendt, Die finsternis das liecht verblendt. Denn Chaims gschlecht tut nimmer gut, Vergeußt allzeit des Abels blut; Ismahel ist dem Isaac feint, Der Esau widern Jacob greint, Saul allzeit widern David ficht, Der bös den frommen stets hinricht; Und kan der wolf nit anderst tun: Er frißt das lamb, der fuchs das hun.