Die neunundzwanzigste Fabel. Vom Wolfen und dem Rappen. Zwen wolfe mit einander kamen Zu eim schafstall; daselb sie namen Jeder ein schäflin von der herden: Dasselb mal auch nit mer begerten. Damit liefen zu holze gach. Ein rapp ersahs und flog in nach, Biß an ein sichern ort sie kamen; Den raub die wolfe für sich namen Und wolten da zu morgen zeren, Da tet der rapp an sie begeren Und sprach: »Wolt meiner nit vergeßen: Ir laßt mich billich mit euch eßen, Denn ich auch heut gar unverzagt Mein leben neben euch gewagt Und neben euch geflogen her. Gebt mir ein stück nach meim beger, So wil ich euch das ander laßen Und wider fliegen meine straßen.« »Ja«, sprach der wolf, »du hast geflohen Und bist uns heute nachgezohen, Aber zwar nicht zu unserm schutz, Sondern geschicht dein eigen nutz, Ob man uns wurd ein schaf abjagen, Oder daß wir beid wern erschlagen, So hettest wol der treu vergeßen Und selb von unserm fleisch gefreßen. Drumb pack dich auf ein ander felt: Diß mal ist nicht für dich bestellt.« Wir werden glert aus disem gdicht, Wo man sich nach den worten richt Und wil nicht auf die meinung sehen, Aus was ursach sie sein geschehen, So wird gar oftmals fel geschlagen: Anderst tut sich das end zutragen, Denn sich die werk ansehen ließen; Dadurch der schlechte wird beschißen; Denn sichs gemeinlich in der welt In allen stenden der maßen helt, Daß nicht das werk, wie mans ansicht, Des willens und der meinung gschicht. Drumb wers noch gut, wie Momus redt, Daß jeder mensch ein fenster het In seiner brust, dadurch man sehe, Was heimlich in seim herzen gschehe, Auf daß man deste baß verstund, Ob das herz stimmet mit dem mund.