Die neunte Fabel. Von der Stadtmaus und der Feldmaus. Es begab sich, daß ein stadtmaus Spatzieren gieng ins feld hinaus Nahe bei eim dorf; hört, was geschah: Ein feldmaus sie daselb ersah, Hieß sie willkommen, sprach zu ir: »Ich bitt dich, wöllest gen mit mir Und eßen, was Gott hat beschert Und was gekochet hat mein wirt.« Die stadtmaus ließ bereden sich. Sie zohen hin gar heimelich Ins bauren haus zun selben stunden Und aßen, was sie allda funden. Die dorfmaus sucht hervor all das, Was hie und da verborgen was, Und keinen fleiß ließ underwegen, Daß sie eim solchen gast möcht pflegen. Als sie ir bestes het getan, Nam es die stadtmaus schimpflich an Und sprach: »Ge du jetzt heim mit mir, Vil baß so wil ich pflegen dir; Vil beßer speise und getrenke Wil ich dir überflüßig schenke, Daß du mir solt zu danken han; Du rümst noch wol ein jar davon.« Die dorfmaus daucht es gut so sein; Sie zoch mit ir zur stadt hinein In eines reichen bürgers haus. Da ward gefürt dieselb dorfmaus Durch alle kamern, auf den söller, Kamen zu letzt in speisekeller. Da warn die grichte manigfalt. Gewürzet, gallrad, warm und kalt, Von allerlei speis und getrank. Die stadtmaus sprach: »Iß, machs nicht lang! Wir haben hie nicht lang der weil: Uns möcht der kelner übereil.« Wie sie da bei einander saßen, Am aller besten trunken, aßen, Der kelner rumpelt mit den schlüßeln: Vergaßn den bißen in der schüßeln, Ein jede sich zuhand verkroch. Die stadtmaus fand gar bald ein loch In einem winkel weit dort hinden; Die dorfmaus kunt kein loch nicht finden, Verbarg sich under einer bank. Der kelner saumet sich nicht lang; Als er sein ding da het getan, Schloß hinder im zu und gieng davon. Als der kelner war aus der tür, Die stadtmaus kam wider herfür Und rief dem gast und sprach: »Kum wider; Es hat kein not, wo ich bin bider.« Die dorfmaus kam herwider dar, Zittert und war erschrocken gar. Die stadtmaus sprach: »Hab ein gut herz! Mich dunkt zwar, du verstest kein scherz. Den silbern becher gilt dirs gar aus!« »Es schmeckt mir nicht«, sprach die dorfmaus, »Eins, bitt ich, wöllest sagen mir: Rumpelt man so oft an der tür, Daß du must gwarten solcher far? Oder komt es nur ein mal im jar?« Die stadtmaus sprach: »Was kan das letzen? Da darf man sich nicht vor entsetzen. Bis gtrost! es hat derhalb kein not: Das ist hie unser teglich brot. Des muß man stets gewarten sein, Wenn der kelner holt brot und wein.« Die dorfmaus sprach: »Nein, nein! mir nit! Ein ander mal gee ich nicht mit. Die süßen bißlin und guten gericht Wöllen mir in engsten schmecken nicht; Und werns gezuckert noch so wol, So sinds doch bitter wie ein gall. Daußen beim baurn ein grobes brot, Saur buttermilch, und was er hat, Schmecken mir baß in sicherheit Denn all dein gericht in ferlichkeit. Das korn, welchs ich im feld aufles, Schmeckt mir baß denn dein mandelkäs.« Groß mü und sorg gebert groß gelt, Wie uns hie dise fabel meldt, Reichtum leßt sich schon sehen an, Wird auch geliebt von jederman: Wenn mans aber beim liecht besicht, Ists sorg und mü, und anderst nicht; Gar scharpfe dorn, die stetes stechen, Des menschen herz und gmüt zerbrechen. Sanct Paulus sagt: die reich wölln sein, Fallen in angst und schwere pein, In manche far, unsicher leben, Mit teufels stricken sind umbgeben. Ein reicher förcht den armut schwer: Ein armer get on sorg daher. Der nacket für den raubern singt Mit freud, daß in dem wald erklingt. Ein trucken brot, mit freuden geßen, Ist beßer, denn mit sorgen gseßen Bei großen herrn am hohen tisch, Da vil gericht, wildprät und fisch. Die oft ir gelben finger lecken, Voll großer mü und sorge stecken. Ein zobeln schaub und gülden kleid Wird oft gfüttert mit herzeleid, Die herrn müßen sich stetes wagen, Sorg für die undersaßen tragen, Und ist der herr des knechtes knecht. Drumb ist das sprichwort allzeit recht: Wer nicht zu melken hat vil kü, Der hat auch dester kleiner mü.