Die vierundzwanzigste Fabel. Vom Zickel und dem Wolf. Mitten in einem sommer heiß Da wolt ins grüne gras ein geiß Spatzieren gan an jene heid, Da sie möcht finden gute weid. Sie sprach zum zickel: »Bleib im haus, In meim abwesen gee nicht aus; Sich zu und öffne nicht die tür, Zeuh ein die schnur, den rigel für, Und sich, daß niemand zu dir kum, So lang ich selb kum widerumb.« Die rede het ein wolf gehort. So bald die geiß war umb den ort, Da kam der wolf und klopfet an Und sprach: »Daß ich hinweg gegan Und habs daheim nicht recht bestellt, Dasselbig mir in sinn jetzt fellt.« Begund zu reden wie ein geiß Und sprach: »Auf meinen eid, ich weiß, So bald mein stimmen hört mein kind, Der schlüßel zu der tür sich findt.« Das zickel sprach: »Wer klopfet da? Ei mutter, seid ir mir so nah?« Der wolf sprach: »Ja, mein kind, hie bin ich. Tu auf, laß nicht bekümern dich.« Da antwort bald das kleine zickel: »Ich tu nicht auf, mein lieber nickel, Ich hör gar wol meinr mutter stimm; Ich kenn auch wol den wolf so grimm Und seh in jetzund durch die ritzen. Auf mich darfest dein zän nicht spitzen. Hast sonst kein senf, so magst wol stippen, Mit fünf fingern in hindern dippen.« Wer fürsichtig ist und gelert, An alle red sich nicht bald kert, Sich nicht bald nach den worten richt, Biß er die sachen wol besicht: Den schutzt oft die fürsichtigkeit Vor schaden und für großem leid.