Die zweiunddreißigste Fabel. Vom Pferd und Löwen. Es kam ein löw zu einem pferd, Dasselb zu freßen er begert; Er war aber von alter schwach, Daß er es nicht zu fellen sach; Gedacht mit listen, wie er tete, Daß er mit worten das pferd beredte, Und sprach zum pferd: »Bruder, kom her, Ich sihe, du bist mit krankheit schwer Beladen; so bin ich ein doctor; Kom, gib mir dein gebrechen vor.« Das pferd merket des löwen list. »Es ist gut«, sprachs, »daß du hie bist: Ich hab gebrechen am hindern fuß. Wenn du darfür wist irkein buß, Mit deiner kunst mich köntest retten, Ich hab in einen dorn getreten; Der tut mir angst und groß verdrieß, Sticht mich, als wers ein knebelspieß. Und küntstu mir denselben bnemen, Darfst dich fürwar deinr kunst nit schemen.« Der löwe sprach: »Heb auf den schenkel! Wie groß ist dir geschwoln der enkel?« Er nam den fuß in seine klauen Und tet mit fleiße zuschauen. Das pferd holt aus, gab im ein schlag, Daß der löw auf dem rücken lag Und kunte sich lang nicht ermannen: Dieweile lief das pferd von dannen. Er sprach: »Ich hab den fuß besehen, Vom pferd ist mir gar recht geschehen. Vor meine kunst muß ich das hon: Mein torheit hat irn rechten lon. Vorwar, das pferd vil klüger ist; Es hat mit list gerochen list.« In diser fabel wird abgemalt: Schmeichlen mit schmeichlen wird bezalt. Ein feind, der sich tut feindlich stellen, Denselben hat man wol zu fellen; Vor dem aber muß man sich hüten, Der schmeichelwort gibt in der güte Und tregt doch gram, im herzen gram; Demselben gram ghört wider gram, Und ist wol wert, daß man in letze, Sich im feindlich entgegen setze.