Zweites Lied Doch nicht immer der Berge melanchol'sche Wälderschauer, der Felsschlucht altes Dunkel, Wo des Räubers Auge dem Wandrer lauert, Und der fliegende Dolch so manchen Busen Von den Qualen des Lebens schon befreiet, Doch nicht immer des Bergstroms ödes Brausen Und des Sturmes Gespielen, jene Wipfel Uralt rauschender Bäum' und jene Pfade, Die nur selten das Maulthier keuchend wandelt, Wären meine Gesellschaft. Menschen suchen Gerne Menschen. Erhab'ne Geister freilich, Schöpferische, die Herrscherthrone stützen, Völkern, oder den Sternen, des Gedankens Unergründlichem Werk, ja selbst dem Gotte Den er denkt, des Gesetzes Ordnung geben, Die das All und was in ihm ist, bis zu der Pflanze treibendem Keim, die weite Schöpfung, Die lebend'ge, mit ihrem Geist, mit Anfang Selbst und Ende, die Alles, was im Raume, Alles, was in der Zeit geschieht und lebet, Zaubrern ähnlich, in Zahl und Chiffern bannen, Geister auch, die des Bildes ew'ge Schönheit Aus dem Marmor mit Schöpferfreiheit rufen, Als ob längst sie vollendet in der rohen Ird'schen Masse geschlummert, und nun herrlich, Wie die Seele dem Körper, ihr entstiegen, Ferne wären sie mir. Doch wie die Sonne, Der unendliche Lichtquell, alles Lebens Heitre Mutter, die Schatten auch erzeuget, Folgt dem Genius auch des Schwarzen, Dunkeln, Allzuviel, und der karge Neid, die grimme Eifersucht und der Bosheit Schlangentäuschung, Alle Martern und Leiden einer kühnen Ruhmbegierigen thatenlust'gen Seele, Nie mehr träfen sie mich; treulose Herzen Und eidbrüchige Freunde würfen nie mehr Tödtlich Gift in die Quelle, die kastal'sche, Wo ich schöpf' und den ernsten Musen opfre; Haß und Kleinmuth bekränzte mir den Altar, Wo die Flamm' ich entzünde, nicht mit Dornen, Statt mit Rosen und süßer Myrt' und Lorbeer; Vor dem Grauen der schicksalsheil'gen Furien Furchtsam zitternd, verbärg' ihr süßes Antlitz Mir die fliehende, scheue Grazie nicht mehr; Lieblich wäre mein Lied alsdann und lauter Wie italischer Aether; meines Lebens Milde sinkende Sonne göss' in diesen Sanften Himmel des Liedes ihres Abends Schönstes, glühendstes Gold; besänftigt ruhte Nun im friedlichen Glanze meiner Leiden Endlos Meer, die beschwornen Stürme schwiegen, Und in Blüten des neuen Frühlings sänge Nun die Nachtigall. Wenn die Nacht sich nahte, Stiegen nicht die Gespenster mehr der Todten Leichenbleich aus den Gräbern; still erschiene Mir die Sonne der Schlafenden, der Träume Zücht'ge Göttin; die Stätte, wo sie ruhen, Die Geliebten, umduftet' eine Klarheit, Wie von jenseits zur Erde niederdämmernd. Mein Begleiter, mein Freund und Umgang aber Wäre doch nur Homer; denn wie ich ferne Von der Mitwelt und ihrem Wuste lebte, Möcht' ich auch nur der Kinder und der Helden, Nur der Weisen und Götter Sprache hören! Einsam wäre ja dann und schlicht und kräftig Auch mein Leben, so wie mein Lied; am Quelle Treuer heil'ger Natur säß' ich, in ihrer Unerschöpflichen Flut mich täglich badend, Jeden Flecken vertilgend, und in immer Voll'rer schön'rer Gesundheit wachsend, säh' ich Zur unsterblichen Jugend schon mich reifen; Ruhig kehrt' ich in Platon's Arme wieder, Ein Enttäuschter, zurück, der ich die Wahrheit Irrend außer mir sucht', und, wie sie schweigend Mir im Busen gewohnt so lang' nicht wußte. Freudeschauernd begrüßt' ich Diotima's Seherlehre zum erstenmale wieder, Von den Schmerzen der Wanderung genesen, Von der Liebe der Körper und der Seelen, Von der Sehnsucht der unvollkomm'nen Schönheit. Die zum Menschen uns lockt, zum ersten Anschau'n Allvollendeter, geist'ger, ew'ger Schönheit, Die in Gott ist, die reine Seele wendend.