Die Muse Noch bin ich nicht allein, wenn auch mein Herz Den Menschen längst verlor, den einst so heiß, So lang geliebten, und vom bunten Kreis Des Lebens und der Gegenwart zur Nacht Und Einsamkeit und in den finstern Graus, Zu Trümmern einer fernen Heldenzeit, In deine stille wilde Felsenwelt, Die grünen Haine, die verlaßnen Höhn, Die lichtbeglänzten, Apeninn, entfloh; O dennoch bin ich nicht allein, noch blieb Mir Eine Freundin nach so trüber Zeit Von Allen, Allen, die ich einst geliebt, Die einz'ge noch, die Treue mir bewahrt. Ach nur mit heißen Thränen, mit dem Schmerz, Der letzten Liebe, Freundin, nenn' ich dich, Erhab'ne, die dem Stammelnden ja schon Dein hoch uranisch Angesicht gezeigt, Dem Schüchternen, der noch dich nicht verstand, Und dennoch, wenn auch irrend, dir geglüht, Dem Jünglinge, der deine Gottheit nur Im allverwüstenden Orkan gesucht, Nicht zürntest du ihm, du vergabst ihm gern, Du großes Herz! Als Alles mein noch war, Da schien's, als liebtest du mich weniger, Und als ich Alles nun verlor, da warst Es du, die Alles mir ersetzt. Als mich Das Sterbliche verließ, da zeigtest du Das Ew'ge mir; als ich verzagt war, gabst Du Muth und Kraft mir in's gesunkne Herz; Als ich auf Erden nichts mehr fand, worauf Vertrau'n, eröffnetest du mir die Welt, Die nie betrügt; als mir die Gegenwart Zur Nacht geworden, führte mir dein Geist Das holde Mondlicht der Vergangenheit In meines Lebens düstres Reich zurück, Und wecktest, wenn auch nur im Silberduft Der Mondnacht, einen neuen Frühling mir, Und liehst der Nachtigall die Zaubermacht Ihr Weh zu klagen in die Einsamkeit. Und als auch die Vergangenheit zu eng Mir ward, da lüftetest den Schleier du, Den schicksalsvollen, der die Zukunft deckt, Und zeigtest mir den weiten Ocean, Den ungemeßnen, wo die kühne Schaar Der Ruhmbegier'gen unter Klipp' und Sturm Auf unfruchtbarer Woge schwankend kämpft, Und ließest mich im magisch fernen Duft Das neue Eiland sehn, wo spät vielleicht Nach langer Irrfahrt mich die Ruh' empfängt. O Muse, was verdank' ich dir, was bin Ich ohne dich? Ich denk' es nicht, weil ich Mich ohne Seele ja nicht denken kann. Das All, was wär' es ohne Gott – die Welt Des Lichts beraubt? und das Lebendige Der heil'gen Luft? – was ohne Mutterbrust Der Säugling, und was ohne Frühling wohl Das Veilchen, und das ungestillte Herz Wohl ohne Hoffnung der Unsterblichkeit? Du älteste der Genien, die du warst, Noch eh' die Welt war, die dem Schöpfer du Die Elemente scheiden halfst, daß sie Nach richt'ger Weis', in schöner Harmonie Sich flohn und liebten, daß die Welten selbst In streng gemeßnem Gange wandelten, Du Geist der Urwelt, dessen schaffend Wort Im Reich des Seins beherrscht, was auch sich nur Mit gleichem Maß gebildet, Ton und Wort Und menschliche Gestalt – das all' ist dein! Ein sprachlos Kind war selbst die Weisheit einst, Du öffnetest ihr Herz und Mund, du warst's, Die einst dem Sichtbaren die Zagende Mit himmlischer Gewalt entriß, und kühn Sie durch die Welt des Geistigen geführt, Du gabst ihr Muth und Licht, und wenn sie oft So hoch von allem Irdischen hinweg Gestrauchelt, hohe Lehrerin, da nahmst Die Schwankende begeisternd du hinein In deinen Aetherwagen und im Schwung Der Winde trugst du durch den Himmel sie. Du lehrtest sie die Sprache, sie zum Glück Der Menschheit auferziehend, und dein Hauch, Der schöpferische, gab der Schülerin Die ersten heiligen Gedanken ein. Und sanft bescheiden, wie du bist, hast du Der Undankbaren nicht gezürnt, als sie Im Wechsel der Jahrtausende vergaß, Was sie dir dankt, das sie im Uebermuth Und eiteln Eigendünkel endlich ganz Von ihrer hehren Schwester loß sich riß, Kein Platon mehr, von eurer Lieb' erfüllt, Auf Einer Opferschal' im Tempel auch Die Flamme der Begeisterung erhielt, Da hörtest dennoch du nicht auf, wenn auch Geschmäht vom Wahnwitz jener Rasenden, Zu segnen das entartete Geschlecht. O wär' ich deiner würdig, wär ich's auch Nur halb, langmüth'ge Göttin, der ich mich Beschämt nur näh're. Ja, gesteh' ich's dir, Zuweilen, wenn von der Cäsare Burg Aus Riesentrümmern über's alte Rom Mein Auge schaut, erscheinst du furchtbar mir, Und nicht vermag ich's, deiner Stirne Glanz, Dein ewig ruhig Antlitz anzuschau'n, So groß erscheinst du mir, so niedrig ich. Und dennoch, Freundin, wenn dein milder Geist Mit süßem Licht die weite Wölbung hin Im Pantheon der Dämmrung sich vermählt, Da scheinst mit ernstem stillen Tiefsinn du Auch mich zu rufen, und getröstet tritt Dein Jünger aus dem alten Götterhaus. Hab' ich ja deine Huld geprüft, wenn auch Ein Undankbarer, fühl' ich's ja so lang Im Innern mir, wie du besel'gen kannst, Wie du mein Alles bist, und weiß ich's ja Nun erst so unaussprechlich, da mir nichts Von so unendlich vielem übrig blieb, Bin ich ja doch so reich durch dich, so fest, So duldsam, standhaft in des Unglücks Nacht, So sicher auch am Abgrund. O vergib, Vergib dem Frevelnden, der Opfer nur Zu viele hab' ich dir gebracht, das Letzte selbst, Was mein noch war, gelassen, ganz mich dir, Von allen Banden frei, zum Dienst geweiht. Schau nicht auf das, was hinter uns, ich kann Sonst nicht bestehn, zu wenig ist's, und nichts Ganz deiner Würd'ges, was ich that; sei mir, O Freundin, ach nicht Freundin noch, sei mir, O Göttin, gnädig – Dank, Unsterbliche, Dank bring' ich dir nur mit Unsterblichem.