Zweites Lied Jeden Tag an meinem Hause Seh' ich dich vorüber wandeln, Kaum bin ich am Webestuhle Früh des Morgens, sieh da kommst du Schon herauf die Felsentreppen, Und nach meinem Fenster schielet Stets dein Aug', und freundlich grüßend Gehst du weiter, sage, Fremdling, Sage, was ist dein Begehr? Jeden Tag an deinem Hause Muß ich wohl vorüberwandeln, Schon bist du am Webestuhle Früh des Morgens, wenn ich komme, Und dein Engelsköpfchen lächelt Durch das Fenster und dein Auge Schielt nach mir und freundlich grüßend Nickst du: sage, Nazarena, Sage, was ist dein Begehr? Gestern kaum nach Sonnenaufgang, Als ich noch dich schlummern dachte, Und im Felsengarten draußen Blumen für die Mutter Gottes Abzupflücken ging, da sahst du Schon zu unsrem Fels herüber, Und erkanntest aus der Ferne Mich so gut, und winktest, glaub' ich, Sage doch, was denk' ich mir? Gestern kaum nach Sonnenaufgang Als ich noch dich schlummern dachte, Warst du schon im Felsengarten, Weil du wußtest, daß der Schlummer Frühe mich verläßt, und sahest Schon von deinem Fels herüber, Und erkanntest aus der Ferne Mich so gut, und grüßtest, glaub' ich, Sage, Kind, was denk' ich mir? Ja und was geschah! Ich dachte Nicht an dich, da hör' ich leise Hinter'm Gartenbusch den Bergweg Einen Tritt herauf, es flüstert, Und ich schau, wer ist's? Vor'm Garten Draußen an dem Feigenbaume Stehst du schon, mit süßen Worten Einen guten Tag mir wünschend, Sage, wie versteh' ich das? Wahr ist es, ich eilte hurtig Den Olivenberg hinunter, Und den Fußpfad hin gelangt' ich An den Garten, und ich zische, Und du schaust heraus und grüßest Herzlich mich, und lispelst leise: Hier entdeckt man uns, zu Hause Wart' ich dein in einer Stunde; Sage, wie versteh' ich das? O du kannst dich nicht verstellen: In der Messe drauf, 's ist Sünde, Saßest du in meiner Nähe, Und anstatt daß du gebetet, Sahest du mich an, ich schämte Mich vor all' den vielen Mädchen, Und war froh, als sie geendet, Aber ach – du folgtest eilig; Wie entschuldigest du dich? O du kannst dich nicht verstellen: In der Mess', in meiner Nähe Knietest du, denn vor dir kam ich, Und du sahst mich an: erröthen Mußtest du, und wie du schöner Bist als alle, warst du schöner Als du selbst in dieser Röthe, Und ich folgte dir – du wolltest's; Wie entschuldigest du dich? Kannst du läugnen, daß du Briefchen Mir geschrieben, und mit Blumen Ein Sonett geschickt, und hab' ich Eine Antwort dir gegeben? Sagst du nicht an jedem Tage, Morgen scheid' ich, übermorgen Bin ich schon in Rom, und immer Bleibst du hier, o Fremdling, läugne, Läugn' es nicht, du bist mir gut. Wahr ist's, daß ich dir geschrieben, Doch ich weiß auch, daß du Antwort Mir gegeben, wenn du anders Schreiben könntest – und so läugne Du mir nicht, daß du mich batest: Bleibe hier, und wenn du scheidest, Kehre wieder, und auf lange, Und dann nimm mich hin auf immer; Nazarena, läugnest du's?