59. Sängerlohn 15. Januar 1795. Ein neues Lied, ihr wackern Brüder, Erschall am Becher froh umher! Zu altem Weine neue Lieder Begehrte Pindar und Homer! Ein altes Lied, zu oft gesungen, Entfliegt gedankenlos den Zungen; Und Geist und Seele bleiben leer! Das waren Griechen! Wir Deutschen siechen Am Neid, am Neid! Gehaßt wird neue Trefflichkeit! Von Künstlern nur ward Kunst gerichtet: Ob wahr in Farbe, Stein, Metall Gebildet sei, ob wahr gedichtet In Wort, Gesang und Tanz und Schall. Ich lerne nicht von euch, Athener; Ihr lernt von mir! so strafte jener; Und Beifall klatscht' ihm überall. Das waren Griechen! Wir Deutschen siechen Am Neid, am Neid! Hier meistert jeder lang und breit! Zum Götterfest, zur Siegesfeier, Zum Mahle ward Gesang gesellt. Der frohe Weise sang zur Leier, Zur Leier sang der frohe Held! Gesang war Spiel und Rat der Jugend; Gesang erweckte Männertugend In Land und Meer, in Haus und Feld. Das waren Griechen! Wir Deutsche siechen Am Neid, am Neid! Uns heißt Gesang Verderb der Zeit! Der Geist, durch Eintracht edler Künste, Ward nicht gelehrt nur, auch ergötzt. Was edler schuf, nicht was Gewinste Des Leibes brachte, ward geschätzt. Des weisen Sängers holden Tönen, Zum Dank des Guten und des Schönen, War Ehr' und hoher Lohn gesetzt. Das waren Griechen! Wir Deutschen siechen Am Neid, am Neid! Nur Klang des Geldes nützt und freut! Der weise Sänger kam erfreulich Des Hauses Vätern und des Lands; Vor Göttern selber saß er heilig Auf hellem Stuhl, im Lorbeerkranz. Der Himmel Stolz, des Volkes Ehre, Gewann er Tempel und Altäre, Verherrlicht zum Heroenglanz. Das waren Griechen! Wir Deutschen siechen Am Neid, am Neid! Kaum loben wir noch Grabgeläut.