Die singenden Möbel. In einem alten verlassenen Schlosse fingen um Mitternacht die Möbel an zu singen. Die Spiegel sangen: »Ins uns schaut nimmer Ein liebes Gesicht, Verdüsterter Schimmer Aus grausig umflicht. Es wanket und gleitet Der grünliche Schein Der Waldnacht hinein; Uns Ärger bereitet. Viel lieber wir sähen Eines Faltenrocks Rauschen, Eines Busens Blähen, Eines Auges Lauschen, Eines Mundes Lächeln, Eines Fächers Fächeln; Das sind Sachen Die einem ehrlichen Spiegel Freude machen.« Nachdem die Spiegel gesungen, blieb es eine Weile still, dann erhob sich eine grobe, quäkende Stimme und das Sofa sang: »Auf meinen Kissen, Sollt ihr wissen, Lag schon seit lange kein schöner Arm, Keine Hüfte warm Hat in die Ecke sich eingezwängt, Es streckt sich nicht Auf meinen Polster ein Bein. Eines Nackens Licht Gräbt nicht mehr in meine Kissen sich ein. Ich steh' allein. Wann wird mir wieder Belebung geschenkt?« Die Kommode klapperte mit ihren Messingspangen und sang dann: »Seit lange bewahr' ich In meinen Fächern beiden Nichts was haarig, Nichts was seiden. Kein Müffchen, Kein Kinkerlitzchen, Kein Atlaspüffchen, Kein rotes Mützchen. Kein silbern Fläschchen, Kein Nadelbüchschen, Kein seiden Täschchen Für goldne Füchschen! – Wann füllen sich wieder Mir Brust und Glieder Mit Ambragedüfte? Die Messingspangen An meiner Hüfte, Wann werden von zierlichen Händen Sie wieder umfangen? Wann fühl von Knie und Lenden Ich liebliches Drücken An meinen Nußbaumwangen? Wann, o wann Kommt die alte Kommode Wieder in Mode?« Die Wanduhr tat einen gellenden Ruck, als wollte sie schlagen, aber statt des Schlagens sang sie: »Immer halb neun! Ob Morgen, ob Abend, ob Mittag, ob Nacht, Immer halb neun! In mir arbeitet Gram. Es setzt sich an meine Räder Des Kummers Rost, Ich bekenne mit Scham: Verstockt ist jede Feder, Verkleistert jede Wendung. Ich verfehle meine Sendung. Ich zeige nicht mehr an, Wenn sich küßt Weib und Mann, Wenn geboren wird ein Kind, Wenn die alte Großmutter blind Ihren letzten Faden spinnt. Ich geh' nicht mehr Schritt vor Schritt Mit dem Hause mit; Ich stehe still, Es mag geschehen was will, Ich bleibe halb neun! Das darf nicht sein. Eine ehrliche Uhr bringt das um, Bleibt sie ewig stumm; Sie will sprechen, will erzählen, Will für des Hauses Wohl Sich mühen und quälen. Der Kuckuck hol', Ein solch ewiges Schweigen, Ein solch ewiges Ruhn! Man will sich zeigen, Man will was tun. Auf denn! Den Schlüssel herbei! Hei! hei! Hört mich denn niemand? Mich aufgezogen! Mit Öl mich getränkt! Gott steh mir bei, was es nur denkt Das träge Gesinde! Dort an dem Spinde Hängt ja mein Schlüssel! Eingesteckt, Aufgeschreckt, Den Pendel geneckt, Daß er wieder sich rührt, Wie sich's gebührt, Daß es wieder wird lebendig in meinem Haus. Heraus! – Rasch, rasch – Pasch, pasch! Ha, wenn ich wieder ticke! Wie stolz ich dann um mich blicke! – Vergebens! Es bleibt alles stumm. O wie dumm! Hat man darum eine Uhr Damit sie schweige? Das ist wider die Natur!« Das Himmelbett mit seinen Damastvorhängen fing nun auch an: »Was wollt ihr nur klagen, Nur ich weiß zu sagen Was einsames Leid Bedeutet in dieser bösen Zeit. Wenn's dunkel wird, Und der Sonnenglanz schwächlich Über Wände, Decke und Möbel irrt, Wenn zur Ruhe gemächlich Alles sich anschickt, in Nacht versinkt Das ganze Haus, Mit Kind und Kegel, mit Mann und Maus, Wenn die Fliege nicht mehr summt, Der Käfer nicht mehr brummt, Im tiefen Kellerraum Die kleine Maus liegt im Traum, Die Vögel schlummern oben auf dem Dach, Und selbst an den Wänden Die Bilder nicht bleiben wach, Da zog mit leisen Händen Ein Etwas die Decke von meinem Leib, Und zu mir hinein stieg das schönste Weib. Den schneeigen Pfühl Bot ich ihr kühl, So daß die schöne Gestalt Anfangs süß schaudernd zusammen sich ballt! Doch immer wärmer verbreitet sich Leben, Meine Federn zittern, meine Pfühle beben. Ich dringe mit Inbrunst ganz auf sie ein Und sie ergibt sich mit liebendem Sein; Wir schmiegen uns wonnevoll aneinander. Ist's ihr Busen – ist's mein Kissen? Nicht zu unterscheiden wir es wissen. Ist's mein rundes Polsterende? Ist's ihre Knie, das hinrutscht behende? Beide sind glatt, sind weiß, sind warm, Beide sind wundervolle Polster, es ruht Sich auf dem einen, wie auf dem andern gut. Und um mein Kissen schlingt sich ein Arm. Und, o wie fein, Ein Ohr so klein Legt sich auf den Pfühl, Und eine Wange kühl Gräbt tief sich ein. Jetzt schlummert sie ein. Rings wird es stille, Kein Lufthauch zittert Am weiten Behänge, Keine Falte knittert, Die Nacht behauptet Ihr Recht gar strenge. Ich aber wahre Mein köstlich Gut, Bis die Morgensonne, die klare Wieder auf den Scheiben ruht; Dann steigt sie aus mir empor, Lieblich gerötet bis übers Ohr. Ich bleibe zurück, durchsogen von Glück Und bilde mir ein, daß noch lange, lange Die Jungfraunwange An meiner ruht.« Ganz zuletzt hub noch mit feiner, kläglicher Stimme ein kleines Porzellangefäß an, das unter dem Bette stand. Es sang: »Ach, ich schweige; Den Kummer, den ich fühle Ermißt kein Herz. Wozu den Schmerz Der kalten Welt erzählen? Neige In Demut, wer wie ich Zu darben bestimmt ist, sein Haupt. Nur ein Wort sei mir erlaubt: Seit Monden bin ich verstaubt, Der Veilchenstrauß, gemalt Von Meisterhänden auf meinem Grunde Ihm fehlt zur Stunde Der Tau, der ihn feuchtet, Der Tau, der ihn tränkt. Nun denkt selbst, ward je ein Wesen, So weit die Sonne leuchtet, Schlimmer wie ich gekränkt?« Die übrigen Möbel gaben dem kleinen porzellanen Gefäß völlig recht und erklärten es unter all dem Geräte, das hier in der Einsamkeit darbte und sich lang weilte, für das Beklagenswerteste. »Könnt ihr euch noch besinnen«, hub die Kommode an, »auf die schöne Frau, die hier zuletzt in diesen Räumen sich bewegte?« »Oh, wie sollten wir nicht,« rief der Spiegel. »Ich nahm ihre schöne Gestalt noch in mir auf, bevor sie von Blut triefte und von den häßlich klaffenden Wunden entstellt war.« »Ha!« rief das Bett, »ein Mord also? Ich hab' davon nichts gesehen, denn meine Vorhänge waren zugezogen.« »Auch ich hab' nichts bemerken können,« sagte das Sofa, »denn ich lag voll abgelegter Kleider, Unterröcke, Leibchen und ein Hemde – da kann denn der Scharfsichtigste nichts beobachten.« »Wer kann uns nur den Vorfall erzählen?« fragte die Kommode. »Ich brenne vor Begier, ihn zu erfahren von einem, der von Anfang bis Ende dabei war.« »Die Badewanne könnte das,« rief die Uhr, »aber die spricht nicht. Sie ist zu träge und kümmert sich um nichts.« »Sie gehört auch nicht zu den Möbeln,« sagte das Sofa stolz. »Ich möchte mich nicht mit ihr einlassen.« »Eigentlich zur ›guten Gesellschaft‹ gehört sie auch nicht,« bemerkte der Spiegel. »Man könnte dann auch das Waschbecken dazu zählen.« »Ah – oh! Die Geschichte!« rief die Uhr. »Ist denn niemand da, der sie uns erzählen kann?« Im Winkel am Kamin rührte sich etwas, es war ein bestaubter und angelaufener Leuchter mit einem Stümpfchen Wachskerze darin. »Ich kann es euch erzählen,« hub der Leuchter an, »denn ich hab' alles mit angeschaut und sogar dabei geleuchtet.« »Erzähle, erzähle,« riefen alle Möbel. Es trat für einen Augenblick eine tiefe Stille ein, während man ein leises Wackeln und Rutschen in der Kaminecke vernahm. Der Leuchter, der sehr eitel war, schob sich etwas vor, um sich als Erzähler und Berichterstatter gehörig vor allen Möbeln in der Stube sehen zu lassen. Dann begann er: »In fälschlichen Verdacht War unsre schöne Frau gesunken, Als hätte ihrer Ehre nicht acht Wär' im Lasterpfuhl versunken, Ihr Mann hatte geschworen Sie in der Nacht, von der ich spreche, Mit einem Dolche zu durchbohren, Im Wahn, Daß er sich und seine Ehre räche. Nun hört mich an: Das Zimmer war wie jetzt; Nur brannt' im Kamin ein Feuer, Und ein Stuhl war hingesetzt, Und ein Teppich, ein neuer Tät flockig grün, Den Boden überziehn, So daß der nackte Fuß gar mild, Tief einsank in das Blütgefild, Wie wenn bei später Abendglut Man über die Wiese wandeln tut Und sinkt bei purpurrotem Schein In Gras und Kräuter tief hinein. Das Sofa stand wie jetzt an der Wand, Mit rotem Plüsch Und eingefaßt mit güldnem Band, Die Tische will ich gar nicht schildern, Belegt mit Büchern, Mappen, Bildern, Erwähnen will ich nur, An der Tür die Klingelschnur. An diese faßte und rief: Hanne! Die Frau wenn sie entstieg der Wanne.« »Es war acht Uhr, da trat sie ein Und bei dem milden Schein – Man hatte mich gestellt zur Hand Hinter die rote Seidenwand – Macht sie sich zum Bade bereit. O süße Zeit! Fürs erste ging sie auf und nieder, Und legte hier ein Bändchen, Dort ein Schleifchen, Ein Schlümperchen, ein Flatterendchen, Ein Reifchen und ein Streifchen, Ein Geplättetes und ein Gerunzeltes, Ein Gefältetes und ein Gebunzeltes Und endlich legt' sie zuletzt auch ihr Hemde ab Und ging nun auf und nieder Ganz nackig und vom roten Schein Umflossen die weißen Glieder. In die Nacht, Und dann wieder hervor mit Pracht, Und wieder in die Nacht, Und wieder hervor mit Pracht! – So wandelte in ihrem Heiligtume, Die schöne Frau wie eine prächtige Blume Dann steht sie vor dem Spiegel gut, Der nimmt sie auf in seine schwarze Flut Und frißt und trinkt in sich hinein Der Glieder wundervollen Schein, Wie ein Wolf trinkt des Lammes Blut, So saugt er in sich der Brüste Glut, Der Hüften Wölbung, den Schatten fein Der sich eingenistet, Zwischen den Marmor der Schenkel ein! Er möchte gern ewig sie bei sich haben, Doch auch die andern Möbel wollen sich laben, Das Sofa schon brünstig die Arme ringt, Vor Sehnsucht dem Stuhl die Feder springt, Die schöne Frau spottet sein Und steigt in die Wanne ein. Das Wasser bedeckt sie mit heißem Schwall Und drückt sich an, all überall – Doch eh sie untersinkt, Ein paar Stücklein Holz sie engelgut Dem Kamin gibt für seine Glut. Ich seh sie noch, wie aus der Wanne, Emporgebeugt mit weißem Schenkel, Sie hinwirft den Gemahl der Tanne, Und vom Lindenbaum den Enkel; Und während es knurrt, Auf dem Roste murrt, Sinkt sie lächelnd hinab in den Grund Und bleibt in der Wanne wohl eine Stund'. Indessen schleicht sich heran der Mord; Es flüstert ein Wort Draußen auf dem Gange, Es wird ihr bange, Sie will dem Bad entsteigen, Da hält sie ein Arm, Ein Mund gebietet Schweigen. Eines Dolches Spitze Mit rotem Blitze Trifft auf des Busens Glanz, Sie ringt, sie windet sich, ein Kranz Von nassen Haaren Fliegt dem Mörder um Hüfte und Bein, Sie zerrt ihn in die Stube hinein, Das nackte Weib; Sie schlingt um seinen Leib Den schneeigen Arm, er wankt, Sie hat mit dem nassen Schenkel Sein Bein umrankt, Will es biegen und niederdrücken, Es kann nicht glücken, Er ist der Stärkere – Die geschwinde Faust Um ihren Nacken saust, Das Messer trifft das Herz; Groß ist der Schmerz, Gräßlich der Angstschrei, Fürchterlich der Sturz, Der Kampf ist nicht kurz, Endlich ist er vorbei. Im Hofe steht ein Brunnen, Mit schwarzer Flut, In seiner Tiefe Der Leichnam ruht. – Den bösen Mann, Als er die Tat getan Anwidert der Ort; Er muß fort. Er säubert das Schloß Von allem, was lebet; Er selbst schließt die Tür Und schleudert den Schlüssel In des Sees Tiefe, Der unten sich hebet. Daß ewig nun schliefe Das Gedächtnis der Taten, Die hier sind beraten.« »O grausenvolles Geschick!« riefen die Möbel einstimmig, als der Leuchter seine Erzählung beendet hatte. »Wann wird nun wieder jemand hier einziehen, der Frieden und Ruhe bringt?« »Ja, wann?« rief das kleine porzellanene Gefäß. »Ein Narr kann viel fragen. Ich glaube, daß niemand kommen wird, um hier zu wohnen und wir werden alle in Moder und Staub zerfallen.« »Wie, wir alle?« rief das Bette. »Auch ich? Es soll niemand mehr in mir schlafen?« »Und auf mir niemand sitzen?« rief das Sofa. »Und in mich niemand hineinblicken?« klagte der Spiegel. »Und ich,« rief die Uhr, »ich soll immer halb neun bleiben? Unmöglich.« »Nun, ihr werdet sehn!« entgegnete das Porzellanene. »Der Schlüssel liegt im See. Wer soll kommen? Jedenfalls bin ich am meisten zu beklagen, wie ich schon vorhin die Ehre hatte, zu sagen.« »O verwünschtes Haus!« riefen alle Möbel mit einer Stimme. »O glückseliges Haus!« tönten Stimmen vom Gesims und aus den Ecken und der Chor der Spinnen sang: »O Haus voller Wonnen! Glückselige Wände! Ohne Rast, ohne Ende Spinnen wir hier, Im öden Revier, Und bekleiden die Wände; Nie kommen Hände Und reißen ein, was wir gesponnen, O Haus voll Wonnen, Glückselige Wände!«