1. Rudello In den Talen der Provence Ist der Minnesang entsprossen, Kind des Frühlings und der Minne, Holder, inniger Genossen. Blütenglanz und süße Stimme Konnt an ihm den Vater zeigen, Herzensglut und tiefes Schmachten War ihm von der Mutter eigen. Selige Provencer Tale, Üppig blühend wart ihr immer, Aber eure reichste Blüte War des Minneliedes Schimmer. Jene tapfern, schmucken Ritter, Welch ein edler Sängerorden! Jene hochbeglückten Damen, Wie sie schön gefeiert worden! Vielgeehrt im Sängerchore War Rudellos werter Name, Vielgepriesen, vielbeneidet Die von ihm besungne Dame. Aber niemand mocht erkunden, Wie sie hieße, wo sie lebte, Die so herrlich, überirdisch In Rudellos Liedern schwebte; Denn nur in geheimen Nächten Nahte sie dem Sänger leise, Selbst den Boden nie berührend, Spurlos, schwank, in Traumesweise. Wollt er sie mit Armen fassen, Schwand sie in die Wolken wieder, Und aus Seufzern und aus Tränen Wurden dann ihm süße Lieder. Schiffer, Pilger, Kreuzesritter Brachten dazumal die Märe, Daß von Tripolis die Gräfin Aller Frauen Krone wäre; Und so oft Rudell es hörte, Fühlt' er sich's im Busen schlagen, Und es trieb ihn nach dem Strande, Wo die Schiffe fertig lagen. Meer, unsichres, vielbewegtes, Ohne Grund und ohne Schranken! Wohl auf deiner regen Wüste Mag die irre Sehnsucht schwanken. Fern von Tripolis verschlagen, Irrt die Barke mit dem Sänger; Äußrem Sturm und innrem Drängen Widersteht Rudell nicht länger. Schwer erkranket liegt er nieder, Aber ostwärts schaut er immer, Bis sich hebt am letzten Rand Ein Palast im Morgenschimmer. Und der Himmel hat Erbarmen Mit des kranken Sängers Flehen, In den Port von Tripolis Fliegt das Schiff mit günst'gem Wehen. Kaum vernimmt die schöne Gräfin, Daß so edler Gast gekommen, Der allein um ihretwillen Übers weite Meer geschwommen: Alsobald mit ihren Frauen Steigt sie nieder unerbeten, Als Rudello, schwanken Ganges, Eben das Gestad betreten. Schon will sie die Hand ihm reichen, Doch ihm dünkt, der Boden schwinde; In des Führers Arme sinkt er, Haucht sein Leben in die Winde. Ihren Sänger ehrt die Herrin Durch ein prächtiges Begängnis, Und ein Grabmal von Porphyr Lehrt sein trauriges Verhängnis. Seine Lieder läßt sie schreiben Allesamt mit goldnen Lettern, Köstlich ausgezierte Decken Gibt sie diesen teuren Blättern; Liest darin so manche Stunde, Ach! und oft mit heißen Tränen, Bis auch sie ergriffen ist Von dem unnennbaren Sehnen. Von des Hofes lust'gem Glanz, Aus der Freunde Kreis geschieden, Suchet sie in Klostermauern Ihrer armen Seele Frieden.