Der Sieg des republikanischen Gedankens In diesem Zusammenhang kam Hörsing auf die Kleinkaliber-Frage zu sprechen und erklärte, das Kleinkaliber-Schießgewehr sei nicht alleiniges Privileg der sogenannten Vaterländischen. »Das, was die können, können wir auch.« (Brausender Beifall) Jeden Sonntag treten völlig heterogene Menschen zusammen, singen brausend das wirklich schlechte Gedicht ›Deutschland, Deutschland über alles‹ und schwenken schwarz-rot-goldene Fahnen. Dabei trägt der Wind die Worte des Redners über das Feld, über den Marktplatz, und wenn man genau hinhört, so kann man etwas von ›demokratischer Republik‹ und vom ›Sieg des republikanischen Gedankens‹ hören. In der letzten Zeit siegt der republikanische Gedanke ein bißchen viel in Deutschland. Wie sieht der eigentlich aus –? Die zahllosen vaterländischen Verbände, die sich nach dem Kriege unter dem Protektorat von staatrettenden Sozialisten und Demokraten bildeten, hatten zunächst keine rechten Ziele, kaum Ansätze zu einem Programm – sie waren aus einer Mischung von Wut, Vereinsmeierei und jener verblasenen Ideologie zusammengekommen, die sich in das abstrakte Land der Gruppenbeschlüsse flüchtet, weil das Individuum allein mit dem Leben nicht fertig wird. Erst später bemächtigten sich wirtschaftliche und kleinstaatliche Klassen- und Kasteninteressenten der vorhandenen Gefäße, um ihren schmutzigen Wein dahineinzuschütten. Dieser Qualligkeit von Kommerz, Vereinskram, Drillsehnsucht republikanisch dotierter Offiziere und. Größenwahn der ›Jungführer‹ setzte Hörsing eine Tages ›das Reichsbanner‹ entgegen. Also etwas völlig Negatives – wir sind nicht so wie die andern. Was aber sind wir denn? Das Positive ließ nicht lange auf sich warten. Fritz Ebert hatte einen ›republikanischen Gedanken‹ erfunden, der eine einzige treffliche Eigenschaft besaß: er tat keinem Menschen weh. Man konnte ihn propagieren – noch die dickste Achselklappe konnte eigentlich nur dazu blitzen: Höchst brav! Es war ein Bekenntnis zur Republik wie etwa die ›Neunte Symphonie‹. – Jeder hört das mit seinen Ohren, und was in die Töne hineingelegt wird, ist Privatsache. Hier bot sich dem Reichsbannerführer ein weites Feld. Er beschritt es. Nun hat das Reichsbanner – besonders in Untergruppen, besonders da, wo es nicht offiziell arbeitet, und besonders auf dem Lande – seine größten Verdienste. Es hat als Saalwache so und so oft Leute geschützt, die von der nationalen Übermacht ohne Zweifel glorreich verhauen worden wären, was um so risikoloser war, als die Sache nachher vor deutsche Richter gekommen wäre – und der Idealismus, die persönliche Anständigkeit, die Uneigennützigkeit seiner meisten jungen Anhänger steht überhaupt nicht in Frage, Aber wo ist sein positiver Gedanke –? Nicht nur die Tatsache ist leicht komisch, daß die ältern Führer des Reichsbanners und der ihm nahestehenden Organisationen Sonntagsrepublikaner sind, für die die Weimarer Verfassung etwa die Rolle spielt wie für den Industriellen die Heilige Schrift – wochentags gilt das Strafgesetzbuch –, nicht nur das ist komisch, daß diesen bramsigen Reden kaum etwas als positiver Machtfaktor entspricht: die Redner sind ja nicht imstande, auch nur die Brutalisierung eines Polizeigefangenen zu verhindern, haben kaum einen Einfluß auf die Besetzung der mittlern Beamtenstellen, auf die soviel ankommt – und sind sicherlich sehr stolz, wenn einer der ihren durch die edle Zentrale für Heimatdienst zum Polizeipräsidenten von Altona gemacht wird. Nicht nur das ist lustig, wie sie der eignen deutschen Justiz ohnmächtig gegenüberstehen, auf eine Evolution hoffend, der nur sie selbst unterliegen, und der sie zum Teil schon unterlegen sind. Pathos, Ideengänge, Ideologie und Vokabularium dieser Sonntags-Republikaner sind Imperialismus-Ersatz. Sie sind großdeutsch, propagieren den Anschluß an Österreich, lösen die paneuropäische Frage zunächst einmal so, daß die deutschen Grenzen so ausgedehnt wie möglich sein sollen – wem das frommt, das fragen sie nicht. Unklar, verblasen, zu nichts verpflichtend, wolkig und verquollen zeigt doch dieser merkwürdige Republikanismus eines: Die Person des Kaisers ist dahin – seine Ambitionen sind geblieben. Sie sehen nicht, daß die Frage: Republik – Monarchie ganz sekundär geworden ist, sie sehen nicht, daß sich im tiefsten Grunde in Deutschland allerdings etwas geändert hat: Es ist schlimmer geworden. Es gibt heute eine republikanische Verlogenheit, so, wie es eine kaiserliche gab, und diese neue Gesinnung ist im besten Zuge, sich die Schulaula und den Leitartikel zu erobern. Die Gleichheit vor dem Gesetz aufgehoben, ein Streich, der sich auch noch gegen die Urheber kehrte; eine in politischen Strafsachen überall auftretende Verkommenheit, wie sie unter dem Kaiser auf diesem Gebiet niemals von Dauer hätte sein können; dem Tüchtigen freie Bahn: ins Freie – und dieser Zustand gekrönt von einer wirtschaftlichen Versklavung der Arbeiter. Wehe, wer mit Worten daran rührt –! Da entrollen sich die Fahnen im Wind; da schallen die Sprüche; da wird das umlogen und vertuscht – ohne das leiseste ökonomische Glaubensbekenntnis, auf das es so sehr ankommt; da sollen Sentenzen vom Niveau Emanuel Geibels über eine neue Zeit hinweghelfen. Sie helfen nicht. Der Sieg des republikanischen Gedankens ist eine optische Täuschung. Das Ufer bewegt sich nicht – der Dampfer fährt aufs Ufer zu. Der Sieg des republikanischen Gedankens bedeutet nicht etwa, daß diese Republikaner durch die Mächtigkeit ihrer Ideen, durch die Unerbittlichkeit ihres politischen Kampfes die andern bezwingen – er bedeutet vielmehr: Sie geben Tag für Tag eine Position nach der andern auf. Sie rücken den alten, verfaulten, verbrecherischen Idealen immer näher, bekennen sich zur absoluten Souveränität des Staates, zum Recht, Kriege zu führen, zur wirtschaftlichen Autokratie, zum Großdeutschtum, zum Autoritätsgedanken – nur sagen sies mit ein bißchen andern Worten. Und man fühlt gradezu, wie das die Gegner umwimmert, die ja tausendmal mehr gesunden politischen Instinkt haben; wie sie wortlos bitten und betteln: »Auch wir sind Patrioten! Fühls doch! Auch wir wollen ja nur das Beste für unser Vaterland – auch wir! Komm doch, stoß dich nicht an den paar Äußerlichkeiten – im Grunde sind wir doch deutsche Brüder!« Sie sinds. Schon die Feigheit, am 9. November keine Feier zu wagen, zeigt, wes Ungeistes Kinder hier ihr Spiel treiben. Alles, was gegen das Regime, das Deutschland in so unnennbares Unheil gerissen hat, sprechen könnte, ist sorgfältig ausradiert, und der zu nichts verpflichtende 11. August ist so recht ihr Wahrzeichen. Eine Verfassung zu feiern, deren öffentliche Lektüre Lachsalven wecken müßte, von der – bis auf den § 48 – auch nicht ein Buchstabe jemals befolgt worden ist, die man getrost beschwören kann, weil sich das hübsch fotografiert – solche Verfassung an einem Tage zu feiern, der noch dazu in die Schulferien fällt: das ist ein schöner republikanischer Gedanke. Und weil von Jahr zu Jahr immer mehr kluge Leute der deutschen Reaktion, des deutschen Imperialismus, des deutschen Militarismus begreifen lernen, daß die Brüder auf der andern Seite ja im Grunde gar nicht so gefährliche Löwen sind, sondern lauter Weber, Zettel geheißen, weil sie allmählich merken, daß man auf trocknem Wege viel weiter kommt als auf blutigem, daß man auch mit diesen da ›arbeiten‹ kann – so arbeiten sie. Gut drei Viertel ist schon verarbeitet. Führe einen mit verbundenen Augen in eine republikanische Versammlung – er wird lange nachsinnen müssen, wo er sich befindet: die Couleur sieht er nicht, und das ist auch der einzige Unterschied. In Frankreich hält man diese neue Art von deutschem Republikanertum für abgefeimten Schwindel, für ein Betrugsmanöver . . . Ach, so schlau sind diese braven Nationalliberalen nicht einmal! Es gibt ein gut Teil unter ihnen, die ehrlich glauben, was sie da predigen – die nicht nur brav und gottesfürchtig einen Pazifismus betätigen wie der Herr Bergsträsser, der in Bierville vor allem zu sagen hatte, daß die Franzosen aus dem Rheinland herausgehen sollten, weil doch Deutschland solche Wohnungsnot habe – sie glauben wirklich und sehen diese grausige Reaktion nicht, die dabei herauskommt, wenn geschmeichelte und plötzlich nach oben geworfene Kommunalbeamte in einem richtigen Staatsministerium herumwirtschaften dürfen: schlimmer als die adligsten Oberregierungsräte. Und sie glauben an den Sieg des republikanischen Gedankens, sie glauben, daß Hindenburg den Frieden will, sie glauben an die Friedfertigkeit des pulverlosen Mannes, der nicht schießt, weil sein vergrabenes Gewehr grade nicht in Ordnung ist . . . sie glauben das alles in ihrer bodenlosen Instinktlosigkeit. Weil das neue System ihnen erlaubt, sich wichtig zu machen. Weil sie sich fühlen. Weil sie mit dabei sind. Weil sie ›gehört werden‹. (Getan wird nachher allerdings das Gegenteil.) Dieser ›republikanische Gedanke‹ ist nichts wert, weil er zu nichts verpflichtet. Seine allgemeinen Grundsätze sind so weit, daß man bequem alle Welt unter diesem brüchigen Dach zusammentreiben kann. Seine Programmlosigkeit machte ihn zu einem nur ungefährlichen Vereinsunfug, wenn er nicht den guten Willen so vieler junger Leute ablenkte und gefangen nähme. Eine Sackgasse. Dies aber ist die wirkliche Gefahr daran: Wenn übermorgen wegen des polnischen Korridors oder wegen des Saargebiets oder wegen sonst einer Frage, die für die Nation von Belang sein kann, ein Konflikt ausbricht, so wird diese Art Republikaner, ohne Ausnahme, der Hypnose des Nachrichtendienstes unterliegen, weil keine ideologische Impfung sie davor schützt. Sie werden besinnungslos umknicken. Und es stehe hier, zum Nachschlagen: Dieselben Phrasen, mit denen Deutschland 1914 in den Krieg getaumelt ist, werden dann zu lesen und zu hören sein; dieselbe Denkart wird Siege erträumen, wo nur Aktienkonsolidierung und menschliches Elend zu holen ist, Erweiterung der Beamtensphäre und Befriedigung von Kasteneitelkeit – dieselbe falsche Philosophie und wirtschaftliche Ignoranz wird alle zu Etat-Bewilligern machen und noch die widerwärtigsten Militärverbrechen bejahen, weil die ›dienstlich notwendig‹ sind. Brave Kinder. Ihre heutige Begeisterung gleicht Schülerscherzen auf einem Ausflug: es ist alles so erlaubt, so legitim, so artig. Sie sind stolz, stramm stehen zu dürfen, stolz, Abzeichen, Uniform, Fahnen tragen zu können, stolz, einem Verband anzugehören. Merklich und unmerklich rücken sie den schlechtesten Elementen Deutschlands immer näher, freuen sich dessen und bejubeln – »was die können, können wir auch« – den Sieg des republikanischen Gedankens. · Ignaz Wrobel Die Weltbühne, 14.09.1926, Nr. 37, S. 412.