Wofür? Gleich Kindern laßt ihr euch betrügen, Bis ihr zu spät erkennt, o weh! – Die Wacht am Rhein wird nicht genügen, Der schlimmste Feind steht an der Spree. Georg Herwegh Am 1. August habe ich hier auseinandergesetzt, wofür zwölf Millionen Menschen in vier Blutjahren ihr Leben gelassen haben. Die wenigen Zeilen haben genügt, auf einer Tagung des Reichsbanners einen Teil seiner Führer zu einer feierlichen Bannbulle gegen ›Das Andere Deutschland‹ zu veranlassen. Nachdem der Streit nun eine Weile hin- und hergegangen ist, scheint es mir, als seinem Veranlasser, richtig, ein paar Worte dazu zu sagen. Der moderne Krieg hat wirtschaftliche Ursachen. Die Möglichkeit, ihn vorzubereiten und auf ein Signal Ackergräben mit Schlachtopfern zu füllen, ist nur gegeben, wenn diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt wird. Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich. Es ist nicht wahr, daß in unsrer Epoche und insbesondere in der Schande von 1914 irgend ein Volk Haus und Hof gegen fremde Angreifer verteidigt hat. Zum Überfall gehört einer, der überfällt, und tatsächlich ist dieses aus dem Leben des Individuums entliehene Bild für den Zusammenprall der Staaten vollkommen unzutreffend. Wer Zeit und Lust hat, mag einmal einen gebundenen Jahrgang seines Morgenblattes aus dem Jahr 1914 durchblättern. Im April, im Mai, Anfang Juni wußte auf allen Seiten kein Redakteur und kein Leser, was zwei Monate später geschehen würde; präpariert war nur die Massenbereitschaft, sofort anzutreten, wenns klingelte. Sie sind angetreten, ohne mehr von den Ursachen des Alarms zu wissen, als was ihnen die Telegrafenagenturen der Regierungen vorzusetzen beliebten. Wir wissen heute, daß damals auf allen Seiten schändlich gelogen worden ist. Um eine Wiederholung zu vermeiden, gilt es also, den sittlichen Unterbau einer unsittlichen Idee zu zerstören. Dieser Unterbau heißt: Es ist süß und ehrenvoll fürs Vaterland zu sterben. Was die Süße anbetrifft, so wird ja auch der verlogenste Kriegshetzer nicht mehr wagen (wenn es nicht gerade ein Militärpfarrer ist), von diesem Bonbon des Patriotismus zu sprechen. Wer ihn einmal geschmeckt hat, wer am nebelgrauen Wintermorgen Verwundete mit blutdurchtränkten Verbänden aus einem Wäldchen hat hinken sehen, wer den Zerschossenen, dem die Eingeweide heraushingen, hat brüllen hören: »Schießt mich tot, schießt mich tot!« – wer das gesehen und gehört hat, der weiß, wie süß es ist. Ist es ehrenvoll? Nein. Die Ehre wohnt einer Sache nicht inne, sie wird ihr erst beigelegt. Wenn die überwiegende Mehrheit eines Staates soweit aufgeklärt und erzogen ist, daß sie den Massenmord von Einzelmord nicht mehr unterscheidet, so ist es mit der Ehrung des Soldaten vorbei. Es bleibt das tiefe Bedauern für die Gefallenen, Mitleid mit den Hinterbliebenen, Pflicht, für diese Hinterbliebenen zu sorgen (dieser Pflicht kommt der kriegerische moderne Staat nicht nach –), und es bleibt die tiefste Verachtung für einen wirtschaftlichen Vorgang, der sich mit den Zutaten des Films behängt, um sich populär zu machen, und der seine Bilanz im stillen zieht. Sie ist nicht mit roter Tinte geschrieben. Wer ein modernes Schlachtfeld gesehen und zu innerst erlebt hat, wer auch nur die Fotografien dieser internationalen Greuel kennt, Fotografien, die das böse Gewissen der Offiziere und solcher, die es werden wollen, sorgfältig vor der Öffentlichkeit versteckt, wer die Fleischpakete in den Massengräbern und die eklen Stümpfe der zerhackten Überlebenden – welch ein Leben! – kennt: wer davor nicht zurückschrickt, wer. das nicht mit allen erdenklichen Mitteln verhindern will, wer hier nicht der jungen Generation ein Fanal aufrichtet –: der ist kein Mensch, der ist ein Patriot. In diesem Sinne habe ich am 1. August meinen kleinen Aufsatz geschrieben und in diesem Sinne kämpft ›Das Andere Deutschland‹ . Wir streckendem Reichsbanner unsere Hand hin, und wir erwarten vom Reichsbanner das gleiche. Im Anfang nach dem Kriege war der Nationalismus, die Freikorps, die nationalistischen Jugendverbände, die verhetzten und irregeleiteten Gruppen junger Leute. Das Reichsbanner steht heute noch in der Defensive, wie alles, was in Deutschland Republik ist. Die Verneinung eines gegebenen Gedankens genügt, um eine Gruppe zu bilden; sie genügt nicht, um auf die Dauer tatkräftige Gruppenarbeit zu leisten. »Ich bin kein radaulüsterner Nationalist« – das ist sehr schön. Aber was bist du denn? Das etwas verblasene Ideal ›Republikaner‹ heißt noch gar nichts. Es hat in der Geschichte Monarchien gegeben, die weitaus liberaler, pazifistischer und sozialgesinnter waren, als die Regierung der jetzigen deutschen Republik, und das allgemeine Bekenntnis zur Republik besagt nichts und verpflichtet zu nichts. Nimmt das Reichsbanner Rücksicht auf die ihm angehörenden Frontsoldaten? Aber man höre doch endlich mit dem Unfug auf, zum Kriegsdienst gepreßte Arbeiter und Kaufleute mit Landsknechten zu vergleichen. Die im Jahre 1914 freiwillig gegangen sind, wußten nicht, wohin sie gingen, sie kannten den modernen Krieg überhaupt nicht. Und so verständlich es menschlich ist, daß der, der die schrecklichsten Qualen dieser Hölle hat durchmachen müssen, einen Ausgleich für das Ausgestandene in der Bewunderung seiner Mitbürger sucht, so sehr niemand die Pein, vier Jahre lang seiner Menschenrechte beraubt gewesen zu sein, nutzlos erlitten haben will, ein so starkes Erlebnis für ihn selbst der Krieg gewesen sein mag: eine menschliche Klassifizierung ›Frontsoldaten‹ gibt es nicht. Wir haben keine Zeit, uns mit demokratischen Rechtsanwälten über das Wesen des Krieges zu unterhalten, und nun etwa die Bewegung dafür büßen zu lassen, daß jene in ihrer Jugend keine gute Seelenpflege genossen haben. Wir können auch nicht darauf warten, bis die nächste Generation von Sozialdemokraten oder Demokraten heranwächst, die vielleicht aus dem Kriege gelernt haben könnte. Viel Aussicht ist dafür nicht vorhanden. Wir wenden uns direkt an die junge Generation und sagen: Die Ideale, die man euch gelehrt hat, sind falsch. Es gibt kein staatliches Interesse, kein wirtschaftliches Interesse, kein Volksinteresse, für das solche schweinischen Ungeheuerlichkeiten begangen werden dürfen, wie sie im Kriege auf allen Seiten begangen worden sind. Niemand ist so ein Ungeheuer, daß er allein getan hätte, was jeder Instanzenzug getan hat. Kein Mensch war ein so großer Verbrecher, daß er den Tötungsplan selbst entworfen, ihn selbst in allen Einzelheiten ausgeführt und selbst die Früchte des Sieges davongetragen hätte. Weil jeder immer nur etwas tat, merkte er nicht, was getan wurde. Wir wenden uns an euch, weil ihr das Deutschland vom Jahre 1940 sein werdet. Und ohne uns zum Wortführer der Millionen Gefallener zu machen, unter denen es Pazifisten, Gleichgültige und Kriegsfreudige gegeben hat, machen wir uns zum Wortführer trauernder Frauen und Kinder und zum Wortführer einer durch Gasgranate und Feldsyphilis im tiefsten verletzten Volkskraft, und wir beschwören euch, mit uns gegen kleinbürgerliche Ängstlichkeit und vorbei an unaufgeklärten Konfusionsräten den sittlichsten Kampf zu führen, der jemals gekämpft worden ist: Den Kampf gegen den Krieg. · Ignaz Wrobel Das Andere Deutschland, 24.12.1925.