Zu tun! Zu tun! Heute lese ich da in der Zeitung: In Los Angeles gibts einen Schnapsverein, und man befürchtet seine Verbreitung in dem übrigen Land – dabei fällt mir ein: Ich sollte mal wieder an Edith schreiben (in Kalifornien) – seit Januar liegt der Brief da, und ich laß es bleiben und verschieb es nun schon ein halbes Jahr. Das ist nicht richtig. Es nimmt mir die Ruh. Aber . . . ich komme nicht dazu. Der Arzt sagt, ich soll mir Bewegung machen. Da gibt es so eine Schule für Sport . . . Auf dem Boden liegen noch alte Sachen, die sollten doch längst für die Armen fort! Bin ich an Vaterns Grab gewesen? Ich nehm es mir vor – und dabei wirds nie. Das Gelbbuch wollte ich immer mal lesen, das und Simmels Soziologie. Wie oft wollt ich schon nach Friedrichsruh! Aber . . . ich komme nicht dazu. Einstmals, wenn die Posaunen schallen, steigt auf der Berliner aus seinem Grab. Und er steht in der ersten Reihe vor allen – (»Weil ich doch meine Beziehungen hab!«) Gott, der Herr, mild und voll Frieden, der über allen Gewässern schwebt, spricht: »Berliner! Was tatst du hienieden? Menschenskind! Wie hast du gelebt –?« Und der Berliner sagt darauf verschwommen: »Ich . . . bin leider nicht dazu gekommen.« · Theobald Tiger Die Weltbühne, 10.07.1924, Nr. 28, S. 65.