Bei uns in Europa Ihr schickt uns aus dem Lande von Ford einen ziemlich miesen Menschenexport: überschwemmt sind Paris und Griechenland von euerm mäßigen Mittelstand. Diese Reisenden, laut und prahlerisch, legen geistig die Füße auf den Tisch, fallen lästig an allen Orten; und jeder zweite Satz beginnt mit den Worten: »Bei uns in Amerika . . . « Bei euch in Amerika gibts zweierlei Rechte (für Arme und Reiche) – gibt es Gute und Schlechte; gibt es solche und solche: Lewis und Mencken, und Dollardiener, die in Dollars denken. Bei euch in Amerika gibt es Republikaner und richtende blutige Puritaner. Ihr habt Kraft, Jugend und Silberlinge – aber ihr seid nicht das Maß aller Dinge, bei euch in Amerika. Bei uns in Europa ist das Weib keine Haremsfrau ohne Unterleib – bei uns in Europa ist die schwarze Haut kein Aussatz, dem man Extra-Bahnwagen baut; bei uns in Europa kann wer ohne Geld sein und dennoch, dennoch auf der Welt sein – bei uns in Europa kann man bestehn, ohne in die Sonntags-Schule zu gehn, weil fast keiner so am Altare steht: eine plärrende nüchterne Realität – wie bei euch in Amerika. Das wissen natürlich bei euch die Guten ganz genau. Der Rest hat von Blasen und Tuten keine Ahnung. Hört nur den Schmeichelchor seiner news-papers; kommt sich so erstklassig vor . . . Hör nicht hin, Arbeitsmann. Laß sie ziehn, die Eitelkeiten der Bourgeoisien. Pässe, Fahnen und Paraden das sind lächerliche Zementfassaden . . . Denn die wahre Grenze, zwischen Drohnen und Fronen, läuft quer hindurch durch alle Nationen – bei euch in Amerika. Wie bei uns in Europa. · Theobald Tiger Die Weltbühne, 04.10.1927, Nr. 40, S. 530, wieder in: Deutschland, Deutschland.