Place des Vosges Viereckig liegt der Platz. Die Bäume, Gitter und Häuser rings sehn mich quadratisch an, und in der Mitte trabt ein Marmorritter, ein unbeschreiblich kaiserlicher Mann. Ich sitz und knack an Papageiennüssen und bin schon bis zur dreißigsten gediehn – da hab ich plötzlich daran denken müssen: Was macht wohl jetzt, im Augenblick, Berlin? Vor Josty staut sich hier und da ein Wagen. Ein Dicker kauft ein ›Acht-Uhr-Abendblatt‹ (um Viertel sechs) – zwei dünne Kellner tragen das Eis, das jeder zu verzehren hat. Und in der Untergrundbahn Kellerräumen ruft einer: »Wolln Sie nich den Korb wechziehn?« »Sie Lümmel!« hallt es noch in meinen Träumen . . . Was macht wohl jetzt, im Augenblick, Berlin? Kaufleute schuften. Alle Uhren treiben. Und alle Welt hat Dienst. Kein Mensch flaniert. Ein Redakteur darf einen Aufsatz schreiben auf Poincaré, der doch nicht inseriert. Die Damen gehen shopping voller Eile und wackeln emsig mit dem Hinterteile . . . Auch dieser Platz war einmal ohne Tadel; hier wohnte früher guter, alter Adel. Jetzt kümmert sich kein feiner Mann um ihn. Vielleicht aus Neugier jener oder dieser . . . Ich aber denk als alter Spree-Pariser: Wie lieb ich dich! Von weitem. Mein Berlin –! · Theobald Tiger Die Weltbühne, 17.07.1924, Nr. 29, S. 102.