Unser Militär! Einstmals, als ich ein kleiner Junge und mit dem Ranzen zur Schule ging, schrie ich mächtig, aus voller Lunge, hört ich von fern das Tschingderingdsching. Lief wohl mitten über den Damm, stand vor dem Herrn Hauptmann stramm, vor den Leutnants, den schlanken und steifen . . . Und wenn dann die Trommeln und die Pfeifen übergingen zum Preußenmarsch, fiel ich vor Freude fast auf den Boden – die Augen glänzten – zum Himmel stieg Militärmusik! Militärmusik! Die Jahre gingen. Was damals ein Kind bejubelt aus kindlichem Herzen, sah nun ein Jüngling im russischen Wind von nahe und unter Schmerzen. Er sah die Roheit und sah den Betrug. Ducken! ducken! noch nicht genug! Tiefer ducken! tiefer bücken! Treten und stoßen auf krumme Rücken! Die Leutnants fressen und saufen und huren, wenn sie nicht grade auf Urlaub fuhren. Die Leutnants saufen und huren und fressen das Fleisch und das Weizenbrot wessen? wessen? Die Leutnants fressen und huren und saufen . . . Der Mann kann sich kaum das Nötigste kaufen. Und hungert. Und stürmt. Und schwitzt. Und marschiert. Bis er krepiert. Und das sah einer mit brennenden Augen und glaubte, der Krempel könne nichts taugen. Und glaubte, das müsse zusammenfallen zum Heile von Deutschland, zum Heil von uns allen . . . Aber noch übertönte den Jammer im Krieg Militärmusik! Militärmusik! Und heute? Ach heute! Die Herren oben tun ihren Pater Noske loben und brauchen als Stütze für ihr Prinzip den alten, trostlosen Leutnantstyp. Das verhaftet, regiert und vertobakt Leute, damals wie heute, damals wie heute – und fällt einer wirklich mal herein, setzt sich ein andrer für ihn ein. Liebknecht ist tot. Vogel heidi. Solche Mörder straft Deutschland nie. Na und –? Der Haß, der da unten sich sammelt, hat euch den Weg noch nicht verrammelt. Aber das kann noch einmal kommen . . . ! Nicht alle Feuer, die tiefrot glommen unter der Asche, gehen aus. Achtung! Es ist Zündstoff im Haus! Wir wollen nicht diese Nationalisten, diese Ordnungsbolschewisten, all das Gesindel, das uns geknutet, unter dem Rosa Luxemburg verblutet. Nennt ihr es auch Freiwilligenverbände: es sind die alten, schmutzigen Hände. Wir kennen die Firma, wir kennen den Geist, wir wissen, was ein Korpsbefehl heißt . . . Fort damit –! Reißt ihre Achselstücke in Fetzen – die Kultur kriegt keine Lücke, wenn einmal im Lande der verschwindet, dessen Druck kein Freier verwindet. Es gibt zwei Deutschland –: eins ist frei, das andre knechtisch, wer es auch sei. Laß endlich schweigen, o Republik, Militärmusik! Militärmusik–! · Kaspar Hauser Die Weltbühne, 29.05.1919, Nr. 23, S. 629, wieder in: Fromme Gesänge, Mona Lisa.