Die Ehemalige Einmal habe ich in einem berliner Warenhaus dieses hier erlebt: Ich stand bei den Handschuhen und hatte, wie immer, meine Handschuhnummer vergessen und bekam vielerlei Handschuhgebilde übergestülpt. Neben mir stand eine junge Frau, eine Kundin . . . nein, das war keine Kundin. Sie stand da so . . . so, als ob sie dazu gehörte, aber sie gehörte doch offenbar nicht dazu, denn sie hatte Hut und Mantel an und bediente auch niemand, aber sie kaufte auch nichts. Sie sprach mit dem kleinen Fräulein, das hinter dem Ladentisch stand und grade nichts zu tun hatte. Ich hörte: – »Na, und is denn die Kaminski noch da? Was, die ist auch weg? So, nach Magdeburg? Na, und was treibt denn der Rembitzer? Was? Macht er abends immer noch solchen Klamauk? Da ist ja Grete – die ist aber dick geworden . . . !« Es war eine Ehemalige, die hier sprach. Offenbar hatte sie geheiratet, und nun stand sie hier und besuchte ihre früheren Kolleginnen und fragte und bekam Antwort und informierte sich, aus lauter Neugier und Freude und Interesse. Und der Ladentisch wurde auf einmal so breit, so breit . . . Sie war eine Kollegin gewesen; sie war es nicht mehr. Sie war eine Schlachtenbummlerin, und die Mädchen an der Arbeitsfront waren ja soweit ganz nett zu ihr – denn nun waren noch andere dazugetreten – aber es war da spürbar eine Kluft, klein und schmal, aber eben eine Kluft. Und warum war das? Die Ehemalige hatte es nicht mehr nötig. Sie wußte zwar noch recht gut über die kleinen Intimitäten des Rayons Bescheid, gewiß, obgleich sie, wie sich herausstellte, zum Beispiel nicht wußte und auch nicht hatte wissen können, daß die Strember einen gewaltigen Spektakel mit einer Prinzessin aus der Buchhaltung bekommen hatte, und daß es mit der damals so gutmütigen Fahrenheid nicht mehr zum Aushalten sei, man wisse auch warum. Na, so . . . Hier wurde das Gespräch etwas dünn, und ich fing einige Seitenblicke auf. Die Ehemalige verdroß das alles nicht. Sie plauschte und fragte und unterhielt sich und gab ab und zu eine winzige Messerspitze überlegner Ironie in die Unterhaltung, wenig, nur so ein Körnchen . . . Und sagte: »Zu meiner Zeit« – und sah aus wie ein alter pensionierter General. Da stand sie und gehörte nicht mehr dazu. Es half ihr alles nichts: nicht die alte Kameradschaft, nicht die Bekanntschaft mit den Kollegen, beliebt mußte sie auch gewesen sein, das merkte man gut – aber sie gehörte eben nicht mehr dazu. Denn gemeinsame Arbeit schafft Gemeinsamkeitsgefühle. Die halten nicht sehr lange vor – das fängt in der Schulklasse an, geht über die Kompanie bei den Soldaten und hört im Amt auf . . . aber solange man dabei ist, gehört man eben dazu, weil man denselben Kummer zu tragen hat. Das adelt. Das verleiht eine unsichtbare Auszeichnung. Das gibt eine unsichtbare Nummer auf die Schultern: una ex nostris, eine von den Unsrigen. Heiratet sie aber, geht sie aus dem gemeinsamen Trott heraus, läuft ihre Uhr anders (darauf kommt alles an) –: dann gehört sie eben nicht mehr dazu, ist eine Ehemalige, wird wohl noch hier und da akzeptiert und aufgenommen und angehört . . . Da kam die Aufsicht. Der kleine Schwarm stob auseinander. Eine, die erste Verkäuferin, blieb stehen und wechselte mit der Ehemaligen noch ein paar Worte, aber hinter diesen Worten stand schon leise, fast unmerklich, eine kleine Ungeduld: »Nun halt uns hier nicht in der Arbeit auf – du weißt ja, wie es hier ist – du mußt es ja wissen –!« Und da verabschiedete sich die Ehemalige und ging. Es sah aus, als hätte sie ein Gefecht verloren. Sie freute sich wohl, die junge Frau, daß sie nun einen Mann hatte und hier nicht mitzutun brauchte – aber es war doch ein ganz kleines Bedauern dabei und ein ganz winziger, ihr vielleicht nicht bewußter Schmerz. Sie ging ab durch die Mitte. »Paßt dieses Paar hier?« fragte mich die Verkäuferin. »Danke, ja«, sagte ich und sah der Ehemaligen nach, bis sie im Gewühl verschwand. · Peter Panter Vossische Zeitung, 24.05.1931, Nr. 241.