Zwei alte Leute am 1. Mai – »Weißt du noch, Alter, vor dem Kriege? Wir haben manchen Mai erlebt. Wir glaubten an die schnellen Siege – du hast das Streikplakat geklebt . . . « – »Ja, Alte, das waren schöne Zeiten . . . Wir waren allemal dabei – Ich seh uns noch im Zuge schreiten am 1. Mai.« – »Und unser Jüngster war noch klein. Den ließ ich zu Haus . . . wir gingen los mit Hans. Mitunter wars ja etwas spießig – so . . . Kriegerverein mit Kaffeekranz.« – »Na, laß man – du warst doch die Nettste! Mir wars bloß zu viel Dudelei . . . Und anno 14 wars denn auch der letzte – der 1. Mai.« – »Kein Wunder. Mußt mal denken, Alter: Wer ist uns da voraufmarschiert! Der Wels als roter Fahnenhalter, der Löbe, prächtig ausstaffiert . . . « – »Ja solche haben glatte Hände . . . Für die ist frisch, fromm, frech und frei der Klassenkampf schon längst zu Ende – Die und der 1. Mai! Was wissen die vom Klassenkrieg . . . ! Die schützen sich vor ihrer eigenen Republik –!« – »Na, laß man, Alter, die Beschwerde. Ich weiß, daß etwas in uns singt: Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!« – »Wir wissen, Alte, was wir lieben: den Klassenkampf und die Partei! Wir sind ja doch die Alten geblieben am 1. Mai! Am 1. Mai!« · Theobald Tiger Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Nr. 17, S. 329.