Dem Gehege der Zähne Vor dem Richter stehn zwei Partein, die reden zu gleicher Zeit. Man hört Frau Schnufke: »Na sowas!« schrein. »Das nehm ich glatt auf mein' Eid –!« Da sagt der Richter: »Erzählen Sie mal: Wie war das am Sonntag mit Ihrem Skandal?« Und Frau Schnufke erzählt unter Tränengewimmer; und aus allem, was sie berichtend klagt, hört der ganze Gerichtssaal nur immer: »Und da hab ich gesagt . . . und da hat sie gesagt . . . und da hab ich gesagt . . . « Vor Deutschland stehen achtzehn Partein, die reden zu gleicher Zeit. Man hört Herrn Jarres »Revanche!« schrein und Hergt nach der Kaiserzeit. Da sagt sich der Deutsche: »Erzählt mir mal: Wie komm ich aus diesem Jammertal? Es wird doch täglich schlimmer und schlimmer. Wir sind isoliert. Bewuchert. Geplagt!« Doch von den Politikern klingt es nur immer: » . . . Und da hab ich gesagt . . . Und da hat er gesagt . . . Und da hat der gesagt . . . !« In den Landwehrkanal fällt ein Mann hinein, der furchtbar um Hilfe schreit. Auf der Potsdamer Brücke stehn zwei Partein, die reden zu gleicher Zeit. Sie zerfleischen sich fast in wildem Zwist: Ob dieser Mann ein Jude ist? Die einen sagen: »Nich in die Hand! Ich hab seine braven Eltern gekannt!« Die andern sagen: »Sein Sie doch still! Das hört man doch schon an seinem Gebrüll –!« Und da hab ich gesagt . . . und da hast du gesagt . . . und da hat er gesagt . . . Dann wurde die Debatte vertagt. Und dann sind alle ans Gitter geloffen. Der Mann war unterdessen versoffen. · Theobald Tiger Die Weltbühne, 28.08.1924, Nr. 35, S. 312.