1912 Hinrichtung Sachsen, das sich in Dingen der Verwaltung und Justiz durch ein Unmaß von Gemüt auszeichnet, ist für jede Opposition von nicht zu unterschätzender agitatorischer Bedeutung. So hat es jüngst wieder bei einer Hinrichtung eines Raubmörders wertvolles Material zur Abschaltung der Todesstrafe geliefert. Um sich die Szene zu vergegenwärtigen, muß man sich abgewöhnen, bei dem Wort ›Gefängnishof‹ an etwas Außerordentliches zu denken. Ein Gefängnishof ist schließlich ein Hof wie jeder andere, nur fehlt die Teppichklopfstange, und er wirkt vielleicht ein bißchen grau und Trübselig durch die Gitter, mit denen die Hoffenster der umliegenden Gebäude versehen sind. Aber er ist doch ein Hof, mit Steinen gepflastert, er steht auf ebenderselben Erde wie wir . . . Nun denke man sich, eine Tür öffnet sich und sie zerren einen Menschen heraus, der soll sterben und will nicht. (Sein Opfer wollte es auch nicht – also wozu die Scheußlichkeit wiederholen? –) Der Staatsanwalt, Beamter bis in die Schnurrbartspitzen, liest dem Halbirren, vor Angst Vertierten, etwas vor, » . . . von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht« . . . er wird überbrüllt, überkreischt von dem Tollen, der sich abquält und sich windet unter den Fäusten der Scharfrichterknechte. Dieser hier (Göhlert hieß er wohl) rief zum Beispiel, man habe ihn unschuldig verurteilt, die Justiz solle sich das merken, er habe das auch an seine Frau geschrieben, irres Zeug, hervorgesprudelt von einem Tier, einem Tier. Unter den Zuschauern befanden sich drei Söhne und ein Schwiegersohn der Ermordeten! – Ich bin überzeugt, es war auch ein Pfaffe da mit der Bibel: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet! – Was die Söhne wohl bei dieser Scheußlichkeit gedacht haben? – Rache? Befriedigung? – Im ganzen waren es diesmal nur 60 (sechzig) Zuschauer, Bei Grete Beier fand ja ein kleines Volksfest statt: damals zierten 200 den Hof. Diesmal war es ein kleines, aber gewähltes Publikum, das den spannenden Vorgängen auf der Bühne mit Interesse folgte und nach Schluß der Aufforderung der Beamten Folge leistend, sogleich den Hof verließ. Also: eine mäßige Vorstellung. · K.T. Vorwärts, 07.02.1912.