Ballade Da sprach der Landrat unter Stöhnen: »Könnten Sie sich an meinen Körper gewöhnen?« Und es sagte ihm Frau Kaludrigkeit: »Vielleicht. Vielleicht. Mit der Zeit . . . mit der Zeit . . . « Und der Landrat begann allnächtlich im Schlafe laut zu sprechen und wurde ihr Schklafe und er war ihr hörig und sah alle Zeit Frau Kaludrigkeit – Frau Kaludrigkeit! Und obgleich der Landrat zum Zentrum gehörte, wars eine Schande, wie daß er röhrte; er schlich der Kaludrigkeit ums Haus . . . Die hieß so – und sah ganz anders aus: Ihre Mutter hatte es einst in Brasilien mit einem Herrn der bessern Familien. Sie war ein Halbblut, ein Viertelblut: nußbraun, kreolisch; es stand ihr sehr gut. Und der Landrat balzte: Wann ist es soweit? Frau Kaludrigkeit – Frau Kaludrigkeit! Und eines Abends im Monat September war das Halbblut müde von seinem Gebember und zog sich aus. Und sagte: »Ich bin . . . « und legte sich herrlich nußbraun hin. Der Landrat dachte, ihn träfe der Schlag! Unvorbereitet fand ihn der Tag. Nie hätt er gehofft, es noch zu erreichen. Und er ging hin und tat desgleichen. Pause Sie lag auf den Armen und atmete kaum. Ihr Pyjama flammte, ein bunter Traum. Er glaubte, ihren Herzschlag zu spüren. Er wagte sie nicht mehr zu berühren . . . Er sann, der Landrat. Was war das, soeben? Sie hatte ihm alles und nichts gegeben. Und obgleich der Landrat vom Zentrum war, wurde ihm plötzlich eines klar: Er war nicht der Mann für dieses Wesen. Sie war ein Buch. Er könnt es nicht lesen. Was dann zwischen Liebenden vor sich geht, ist eine leere Formalität. Und so lernte der Mann in Minutenfrist, daß nicht jede Erfüllung Erfüllung ist. Und belästigte nie mehr seit dieser Zeit die schöne Frau Inez Kaludrigkeit. · Theobald Tiger Die Weltbühne, 16.12.1930, Nr. 51, S. 917, wieder in: Lerne Lachen.