298. In den Ämtern Cloppenburg und Friesoythe, ferner in den Kreisen Meppen, Hümmling und Aschendorf (bis 1803 münstersches Gebiet, Bevölkerung katholisch) herrscht die Sitte, abends vor Neujahr und Dreikönigen Wäperraut (Wäpelraut, Weperraut) und Tunschere auszubringen. Um eine Wäperraut herzustellen, nimmt man eine ihrer Rinde beraubte Weidengerte, steckt Äpfel darauf, reiht sie aneinander wie Perlen auf der Schnur, legt die so beschwerte Gerte in Reifenform auf einen Zweig einer Rot- oder Edeltanne und zwar so, daß die Enden des Zweiges über den Äpfelreifen hinausragen, bindet inmitten des Reifes ein Bild an den Tannenzweig, fügt vielleicht noch Kuchen und bunte Bänder hinzu, und die Wäperraut ist fertig (Lindern, Löningen). Die Tunschere besteht aus einem hölzernen Fuß, einem kleinern und größern Bogen aus Weidengerten, hinter welchen ein weißer Stab, der im Fuße steckt, angebracht ist. An dem Stab sind lockenartige Fäden derart abgeschabt, daß er wie ein Kegel oben spitz zuläuft, unten bauschig sich ausbreitet. Kuchen, Äpfel und Bilder nebst Bändern vervollständigen den Aufputz. Andere Herstellung: Man steckt einen Stab in ein Fußgestell, das bunt bemalt ist; der Stab muß die erwähnten lockenartigen Fäden tragen. Auf diesen legt man einen ebenfalls belockten Querstab, so daß beide ein Kreuz bilden, steckt auf die 3 Enden Äpfel (h. 3 Könige) und umwickelt zuletzt die Stäbe mit bunten Bändern, farbigem Papier u. dgl. Aus dem Saterlande wird die Tunschere um 1860 also beschrieben: »Sie besteht aus drei Teilen, dem Stamm, dem Herzen und der Krone. Der Stamm ist ein weißer Weidenstab von etwa 1 1 / 2 Zoll Dicke und 1 1 / 2 Fuß Länge, der rundum mit einem Messer so geschabt wird, daß das Geschabte in langen feinen lockigen Strähnen gleich Fransen von oben herab den Stamm umhängt und verhüllt. Das Herz ist ein in Herzform geschnittenes Stück Holz, das mit Flittergold umklebt, oben auf dem Stamme angebracht wird. Die Krone ist ein fingerdicker Weidenreif von ungefähr 1 1 / 2 Fuß Durchmesser, der, mit beiden Enden unter dem Herzen befestigt, dieses aufrecht stehend umgibt und zur größeren Festigkeit durch mehrere kleine Weidenstäbe mit dem Herzen verbunden ist. Diese Weidenstäbe ragen außen über den Reif hinaus und sind zugespitzt, damit Äpfel aufgesteckt werden können. Reif und Speichen sind mit Buntpapier umwunden, die ganze Tunschere mit Blumen und Bändern reichlich geschmückt.« Wäperraut und Tunschere sind nach Ort, Zeit und Gegend in Nebendingen verschieden gestaltet gewesen. Günstige und ungünstige Zeiten haben ihren Einfluß ausgeübt, wohlhabende haben für die Ausstattung mehr getan als schwache Leute. Ein Tunschere konnte 10 Mark und darüber kosten. Unbemittelte steckten einen Kohlstamm in einen Torfsoden, hängten ein Bildchen daran und brachten ihn hinaus. Aber in der Hauptsache sind beide dieselben geblieben. Bröring (Saterland I.S. 108 ff.) hält Wäperraut und Tunschere für ein und dasselbe. Das ist falsch. Bei der Wäperraut handelt es sich um einen geschmückten grünen Zweig, der ursprünglich ein Hagedornstrauch war, später Fichten-, Hülsen- oder Wacholderzweigen Platz machte. Bei der Tunschere fällt das Grün fort, die abgeschabten Holzfranzen treten an dessen Stelle, überhaupt ist der gestellartige künstliche Aufbau ein anderer als bei der Wäperraut. Im Amte Cloppenburg werden beide streng unterschieden. Auch im Saterlande hat man ehemals beide gekannt, aber im Laufe der Zeit ist die Wäperraut verschwunden und die Tunschere geblieben. Das geht hervor aus einer Bemerkung des vorhin erwähnten Berichterstatters von dort, früher wäre die Wäperraut (er meint die Tunschere) einfacher gewesen und habe nur aus einem recht astreichen Baumzweige von 1 1 / 2 bis 2 Fuß Höhe ohne alle weitere Verzierung als Äpfel, Kuchen, Bänder und künstliche Blumen bestanden; am liebsten habe man Wacholder-und Hülsenzweige genommen; ferner aus der Bemerkung: »Tunschere und Wepelruthe sind gegenwärtig dasselbe, auch die Art des Ausbringens ist dieselbe«, und daraus, daß man die Tunschere dort noch Wäperraut nennt. Sowohl Wäperraut als Tunschere sind Geschenke, die man erstere am Sylvesterabend, letztere am Vorabend von Dreikönigen ausbringt. Wer Neujahr eine Wäperraut erhalten hat, muß Dreikönigen eine Tunschere zurückbringen. Wo aber, wie im Saterlande, nur noch die Tunschere bekannt ist, heißt es: Tunschere gegen Tunschere. Eigentümlich ist die Art des Schenkens. Man nähert sich heimlich, womöglich auf Socken, dem Hause, welchem das Angebinde zugedacht ist, wirft die Wäperraut unter dem Ruf: Wäp! Wäp! auf die Tenne und eilt schleunigst davon. Die Tunschere setzt man, da sie durch das Werfen Schaden leiden könnte, vor die Türe, gibt durch ein Zeichen (Rufen oder Schießen) seine Ankunft zu erkennen und sucht zu entfliehen. Das ist jedoch nicht so leicht. Die Beschenkten hatten Witterung, haben sich auf die Lauer gelegt und bieten ihre ganze Kraft auf, um den Davonlaufenden zu fassen. Wird dieser gefaßt, was gewöhnlich als schimpflich angesehen wird, so muß er seinen Häschern in deren Wohnung folgen und wird festlich bewirtet. Ist er nicht gefaßt, so wird er bald darauf durch eine Deputation zum Festmahl geladen und kann nun ruhig mitgehen, er hat seine Ehre gerettet. Im Saterland und überall im Cloppenburgischen wird erzählt, früher habe man solche, die sich hätten greifen lassen, erst auf den Hahlbaum (Baum über dem Feuer, woran das Feuerhahl hing) gesetzt und ihnen Branntwein vermischt mit Ruß zu trinken gegeben, erst dann sei die festliche Bewirtung vor sich gegangen. Ist die Art des Schenkens überall dieselbe, so sind nicht überall die Empfänger dieselben. An einem Orte werden Nachbarn beschenkt, am andern Verwandte, an dritter Stelle ist das Ausbringen Sache der jungen Leute, und es werden nur Häuser bedacht, wo heiratsfähige Mädchen sich befinden (Garrel, Saterland usw.) Wo die Sitte herrscht, Mädchen zu beschenken, da wird es leicht als ein Schimpf angesehen, wenn ein junges Wesen leer ausgegangen ist. Dagegen ist ein Haus, das die meisten Wäperrauts oder Tunscheren erhalten, am folgenden Tage in aller Munde. »Neujahrsabend«, schreibt der erwähnte Berichterstatter aus dem Saterlande, »pflegen die jungen Burschen solche Werpelruten ihren Freundinnen in das Haus zu bringen. Häufig ist die Rute nur ein Freundschaftsgeschenk, aber der Gedanke einer Liebeswerbung wird doch in der Regel in Scherz und Ernst damit in Verbindung gebracht. Der Bursche schleicht möglichst unbemerkt zu dem Hause, wo seine Freundin wohnt und sucht die Werpelrute heimlich durch die Türe ins Haus zu werfen. Gelingt ihm das, so schießt er eine Pistole ab, den Bewohnern zum Zeichen, daß eine Werpelrute im Hause sei. Hat der Bursche eine Schwester, die ihm behülflich sein kann, so trägt diese die Rute unter der Schürze versteckt, und beide schleichen sich an das auserwählte Haus; die Schwester wirft die Rute hinein und der Bruder schießt seine Pistole los. Nicht immer gelingt das Unternehmen sofort. Mitunter sind vor dem Hause Wachen ausgestellt, und der Bursche muß stundenlang lauern, bis sich eine günstige Gelegenheit bietet. Hat endlich die Pistole das Zeichen gegeben, so stürzen die Hausbewohner heraus, um den Täter zu fangen. Es beginnt eine eifrige Jagd, die gewönlich damit endet, daß der Verfolgte sich ergreifen und im Triumpfe in das Haus führen läßt, wo er den Abend bleiben muß und reichlich bewirtet wird. In jeder Hütte ist man zu einer solchen Bewirtung gerüstet, weil gegen Neujahr auf dem Lande die Zeit des Einschlachtens ist.« Beim Bringen von Wäpelraut oder Tunschern wird oft ein Spruch aufgesagt, oder weil das Sprechen gefährlich ist und aufhält, auf Papier geschrieben, das man an der Spende befestigt: Hier bring ick ju'n Werperraut, Wenn ji willt den Boaden (Boten) beschenken, Möt ji jau nich lange bedenken. Hier bring ich euch eine Tunschere, Die will ich euch schenken, Und wenn ihr mich greifen wollt, Dann müßt ihr euch nicht lange bedenken. (Saterland, das dortige Idiom hier hochdeutsch wiedergegeben.) Anscheinend hat die Tunschere früher überall die Bedeutung der Liebeswerbung gehabt. Im Saterlande ist später eine Änderung dahin eingetreten, daß nur Verwandte und eng Befreundete sich mit Tunscheren zu beschenken pflegten. Dasselbe hört man von andern Orten, wo bislang junge Männer Mädchen mit Tunscheren beglückten. Der Umstand, daß ein Mädchen es als Schmach ansah, wenn der Neujahrs- oder Dreikönigsabend vorbeiging, ohne daß ein Angebinde ihm beschert worden, führte schließlich dahin, daß Familien mit heiratsfähigen Töchtern oftmals nicht bloß Aufwendungen machten, die über ihre Kräfte gingen, um die jungen Leute heranzuziehen, sondern auch verschiedenes oder alles zuließen, was der guten Sitte hohnsprach. Es gab Familien, die ein Dutzend Tunscheren und darüber zählen konnten, die ihren Töchtern an einem Abend verehrt waren. Von einer Revanche konnte da keine Rede mehr sein. Leute, die auf Zucht und Sitte hielten, mußten deshalb auf Abstellung der zum Unfug ausgearteten Sitte drängen, und ihren Bemühungen ist es schließlich gelungen, die Auswüchse zu beseitigen und das Tunscherenausbringen zu einem anständigen, achtbaren Familienfeste umzuschaffen. An einigen Orten begann die Reform früher, an anderen später. Auf dem Hümmling arbeitete man an der Abstellung des Unfugs zu Anfang des 19. Jahrhunderts, vielleicht auch schon früher. Das Saterland, Garrel, Bösel usw. waren die letzten, die sich an der Abstellung des Mißbrauchs beteiligten. Übrigens scheint die Sitte des Wäperraut- und Tunscherenausbringens stark zu schwinden, dafür ist mehrwärts, z.B. im Saterlande, der Gebrauch aufgekommen, Haushaltungsgegenstände, Kleider usw. als Neujahrs- und Dreikönigsgeschenke Freunden und Verwandten zu verabreichen. In der Gemeinde Löningen (Ort Löningen ausgenommen) behauptete vor 40 Jahren die Tunschere noch das Feld, heute ist sie unbekannt geworden. Auf den Hausböden der Landbewohner kann man noch zu Dutzenden die Tunscheren in vielerlei Formen einer entschwundenen Herrlichkeit nachtrauern sehen. Nur in dem Gebiete, das die neueröffnete Eisenbahnstrecke Cloppenburg-Friesoythe berührt (Garrel, Bösel, Altenoythe, Harkebrügge), hat sich die alte Sitte bis heute erhalten. – Im Meppenschen soll früher das Ausbringen der Wäperraut und Tunschere in den ganzen Zwölften stattgefunden haben. Im Saterlande hat ehemals die Wäperraut oder Tunschere zur Befragung des Schicksals gedient: 115. Bröring bezweifelt die Nachricht, weil seine Gewährsmänner nichts davon gewußt haben. Bröring und seine Berichterstatter gehören der Neuzeit an, die vieles vergessen hat, was vor 30, 40 Jahren noch allgemein bekannt war. Die Wörter Wäperraut und Tunschere ( Wêperôt und tûnsher ) haben schon viel Kopfzerbrechen verursacht. Professor Brinkmann in Eschweiler (Rheinland), in Lindern im Amte Cloppenburg geboren und groß geworden, wo das Wäperraut- und Tunscherenausbringen bislang noch in Blüte stand, schreibt: Was zunächst das Wort wêperrôt betrifft, so haben einige gedacht an wep = schnell ( wepstert = Bachstelze). Wêperrôt soll demnach eine Rute sein, die schnell übergebracht werden muß. Kuhn (Norddeutsche Sagen) urteilt: »Wepel scheint Deminutiv vom goth. vaips d.h. weif zu sein, jedenfalls deutet die ganze Form der wêpelrôt auf ein Bild der Sonne.« Simrock (Mythologie S. 558) sagt: »Radform mit Speichen, ein Bild der Sonne, hat auch die Wêpelrôth, deren von Kuhn aus goth. vaips erklärter Name vielleicht von dem friesischen wepel = Pfütze herrührt, so daß auch sie (wie ein vorherbeschriebenes, zum Verbrennen bestimmtes Wagenrad) im Pfuhl gelegen haben mußte.« Daß diese Erklärungen nicht befriedigen, wird jeder zugeben, der die alte Sitte näher kennt, zumal da die Form des Rades oder der Sonne bei der Wäperraut vollständig fehlt. Andere Deutungen wie werben, werfen, rot = Ruß, weibelruote = Gerichtsrute übergehen wir ganz. Wir bringen wêperrôt mit dem Worte wep wependorn in Verbindung. Bei Schiller-Lübben (Mittelniederdeutsches Wörterbuch 5. B.) wird dasselbe übersetzt mit Hagebuttenbaum. Aus einer daselbst angeführten Stelle ergibt sich, daß es auch Hagedorn bedeutet: Abraham sach achter rugghe einen ram twischen dem wepdorne henghende unde so vele wachandelenberen unde der roten wepen, de dar up deme hagedorne wassen, disse stot tosamene etc. Danach ist also wêperrôt nichts anderes als Hagedornrute (vergl. auch Vulgata Genesis XXII. 13 inter vepres), die ja in der Tat am meisten dazu gebraucht wird. Das unhistorische r (weperrot ) ist wohl durch Assimilation entstanden. Schwieriger erscheint allerdings dabei die Erklärung des harten t am Ende eines niederdeutschen Wortes (vergl. wickerode = Wüschelrute, tunrode = Zaunrute.) Noch schwieriger ist die Erklärung des Wortes tûnshêr. Tûnshêr soll entstanden sein aus tun = Zaun und scheren, weil das zu scherende oder schabende Holz aus dem Zaun genommen oder auch schon im Sommer zum trocknen auf den Zaun gelegt wurde. Eine andere Erklärung ist: tun = Garten, holl. tuin und scharen = leuchten, weil man vor der tûnshêr zuweilen ein Licht anbringt. Wahrscheinlicher klingt die Erklärung Diepenbrocks (Geschichte des Amtes Meppen, 2. Aufl. S. 129 Anm. 24, Lingen 1885). Danach hießen ledige Leute, die im oder außerhalb des elterlichen Hauses wohnten und kein eigentliches Grunderbe hatten, oder solche, die auf fremdem Gut Dienst und Unterkommen suchten, Tunschare ( tun holl. tuin = Besitzung und schêren = teilen, vgl. Schar, Pflugschar oder Pflug = Teil von einem vollen Erbe, Tunschare also Bebauer eines Stückes Landes vom väterlichen oder fremden Gut, Hintersaß, Kötter, Brinksitter). »Bei diesen ledigen und losen Junggesellen,« bemerkt Diepenbrock, »herrschte der Gebrauch, daß sie dem Hause oder Hofe, welchem sie zugehörten oder wohlwollten, einen Kranz (?) als Zeichen besonderer Ehrfurcht und Achtung überreichten. Diese Gewohnheit ist an mehreren Stellen noch nicht erloschen, der Kranz (?) selbst führt den Namen Tunschare.« Bröring leitet das Wort Djunscher (saterl.) von der Verfertigungsart des betreffenden Geschenkstückes ab. Er sagt: Das Abschaben des Weidenholzes nennt man noch jetzt schēre = scheren, schaben; djunschēre = entgegenschaben nennt man das Schaben gegen den Strich, d.h. von der Spitze des Stammes nach unten. (Saterland I, 108, Anm. 2). Welches war nun die Veranlassung der Sitte? Die Mittewinterzeit, in der die Arbeit ruhte (Zwölften) und Wodan als Gott der Stürme das Szepter führte, die Sonne ihren tiefsten Stand erreichte, mehr Nacht als Tag auf Erden herrschte, war ganz danach angetan, die Menschen näher zusammenzubringen. Die Herzen wurden unter dem Drucke der finsteren, stürmischen Zeit weich und mitteilsam. Und es blieb nicht bei Worten, es kam auch zu Taten. Der wilde Jäger, Wodan, der durch die Lüfte raste und als Gott der Fruchtbarkeit im Sommer seine Gaben darbot, legte den Gedanken nahe: Er ist der gütige Geber, nun müssen auch wir gütig sein. Beeinflußt dieser Gedanke heute nicht auch das christliche Volk am Weihnachtsfeste? So kamen unsere Vorfahren dazu, in der Mittewinterszeit durch Geschenke das gegenseitige Wohlwollen und Zutrauen zum Ausdruck zu bringen. Die Sitte des Bescherens setzte sich dann fort in der christlichen Zeit. Hier wurde Nikolaus (6. Dez.) der Bescherungstag, dort die heilige Barbara (7. Dez.), an dritter Stelle (Tirol) die heilige Lucia (13. Dez.). Am Feste der heiligen Barbara und Lucia steckt man Zweige vom Kirschbaum ins Wasser und stellt sie hinter den warmen Ofen, damit sie zu Weihnachten blühen, ein Bild der Hoffnung und des Verlangens nach der besseren Jahreszeit. In Tirol ist die heilige Lucia, wie bei uns Nikolaus, die Freundin der Kinder. Wieder anderswo war der Weihnachtsmann oder der heilige Christ (25. Dez.) der freundliche Spender, der seine Gaben austeilte, und in Frankreich machte man den Neujahrstag zum Spendetag. Daß in Frankreich das Schenken in der Mittewinterszeit alt ist, beweiset das Wort ètrennes (strenae = Neujahrsgeschenke). Durch Sueton wissen wir, daß zu seiner Zeit strenae inieunte anno in voller Blüte standen (Grimm, Mythologie S. 716). Denselben Ursprung und somit dasselbe hohe Alter kann man mit Recht der Wäperraut und Tunschere zusprechen. Man denke nur an die unter dem Namen Julklapp bekannten Weihnachtsgeschenke Vorpommerns und Skandinaviens. Sie werden unter dem Rufe Julklapp vor die Türen geworfen und erinnern dadurch lebhaft an unsere Wäperaut und Tunschere, so daß ein gewisser Zusammenhang nicht geleugnet werden kann. Nur eins mag auffällig erscheinen. Wie kam man hierorts dazu, so eigentümliche Geschenke auszuwählen? Möglicherweise vertrat die Hagedornrute ursprünglich die Stelle der Wünschelrute (vgl. 115). In Frankreich gebrauchte man früher die für heilig gehaltene Mistel am Neujahrstage (Grimm 1158). – Daß die Wäperraut älter ist als die Tunschere, ergibt sich wohl schon aus ihrer Einfachheit. Noch begründeter wird diese Annahme, wenn man die oben erwähnte Diepenbrocksche Erklärung gutheißt. Es läßt sich denken, daß die ledigen und alleinlebenden Junggesellen sich der Wäperraut mit Vorliebe annahmen. Sind es doch auch die jungen Burschen, welche bei den im südlichen Deutschland stattfindenden Neujahrsumzügen die Hauptrolle spielen. Und diese Umzüge sind, freilich mit verändertem Charakter, dieselben, welche ehemals zu Ehren der Göttin Berchta d.h. die Leuchtende (wofür die christliche Zeit die heilige Lucia, d.h. die Lichtvolle setzte) abgehalten wurden. Erklärlich ist es auch, daß die junge Welt bald mit dem einfachen Hagedornstrauche allein sich nicht mehr begnügte (vielleicht deshalb, weil man an seine Wunderkraft nicht mehr glaubte) und daß sie anfingen, mehr künstliche Geschenke anzufertigen, welche dann nach ihnen benannt wurden. So blicken denn Wäperraut und Tunschere auf eine lange lange Vergangenheit zurück, und zäh hielt bislang das Volk an den überlieferten Gebräuchen fest. Und da kommt nun plötzlich das Zeitalter des Dampfes, und Wäperraut und Tunschere schwinden wie Schnee vor der Sonne dahin. Oder sollte einzig und allein der lichtstrahlende Tannenbaum ihnen das Feld abgegraben haben?