620. Bruder Lustig. a. In der Zeit, als Christus und die Apostel noch auf Erden wandelten, traf es sich einmal, daß Christus mit Petrus über Land ging. Sie überholten einen armen Handwerksburschen, der desselben Weges zog, und dieser bat, sie möchten ihm doch etwas zu leben geben, denn er habe den ganzen Tag noch nichts gehabt. Obgleich der Geselle so recht wie ein Bruder Liederlich aussah, dauerte er Jesum doch so, daß er Petrus den Ranzen öffnen, das Brot herausnehmen und mit dem Fremden teilen hieß. Petrus gehorchte den Befehlen seines Herrn, teilte das Brot, legte die Hälfte wieder in den Ranzen und gab die andere Hälfte dem Burschen, der sie alsbald verzehrte. Dann wanderten alle drei rüstig weiter, und als es Mittag ward und die Sonne hoch am Himmel stand, legten sie sich unter einen Baum zum Schlafen nieder. Christus und Petrus waren auch bald eingeschlafen, aber der Handwerksbursche hielt sich wach, und als er die beiden andern schnarchen hörte, öffnete er den Ranzen und aß auch die zweite Hälfte des Brotes; dann überließ er sich auch dem Schlafe. Nachdem alle ausgeschlafen, sagte Christus zu Petrus: »Nun wollen wir das übrige Brot essen«; als aber Petrus den Ranzen öffnete, war das Brot fort. Da sagte Christus, wer das Brot genommen habe, möge es nur bekennen; aber es meldete sich niemand. Sie setzten nun ihre Reise fort und kamen an ein großes Wasser. Christus und Petrus wanderten trockenen Fußes hinüber; als aber der Bruder lustig es auch versuchte, sank er hinein. Da fragte Christus ihn: »Hast du das Brot genommen, so bekenne es, und ich will dich hinüberführen.« Aber jener blieb beim Leugnen und sank immer tiefer, bis endlich Petrus Fürbitte einlegte und Christus ihn hinüber wandern ließ. Dann gelangten sie an eine große Stadt, welche die Hauptstadt des Königreichs war. Die Königstochter darin lag gefährlich krank, und der König hatte bekannt machen lassen, wer sie wieder gesund mache, der solle vier Tonnen Goldes haben; wer sich aber für einen Arzt ausgebe und die Kur nicht glücklich vollbringe, der solle des Todes sterben. Als die drei Wanderer das vernahmen, sagte Christus zu dem Bruder Lustig, er solle nur hingehen und sich zur Heilung der Königstochter erbieten, dann werde ihm auch die Heilung gelingen; aber das Gold wollten sie sich teilen. Bruder Lustig tat, wie ihm geheißen, aber die Königstochter wurde von der Arznei, die er ihr reichte, nur noch kränker. Darum sollte er zum Tode geführt werden, und Christus und Petrus standen dabei, wie er gebunden zur Richtstätte gebracht wurde. Und Christus sprach nochmals zu ihm: »Willst du nun gestehen, wer das Brot genommen hat, so will ich dich auch aus dieser Gefahr erretten«; aber er blieb bei seinem Leugnen und ließ sich weiter führen. Als Petrus auch dieses Mal Fürbitte für ihn einlegte, antwortete Christus: »Sei nur ruhig, es wird sich alles schon machen«, und kaum hatte er dies gesagt, als auch schon Befehl vom Schlosse kam, den Verurteilten frei zu lassen, denn die Königstochter bessere sich zusehends. Bald darauf war die Königstochter ganz wieder hergestellt, und der Bruder Lustig erhielt die vier Tonnen Goldes, die ausgelobt worden waren. Getreulich brachte er sie seinen Gefährten, um mit ihnen zu teilen. Christus teilte das Gold in vier Teile und legte für jeden einen Teil hin, und als Bruder Lustig fragte, wer denn den vierten Teil haben solle, antwortete er: »Den vierten Teil soll der haben, der das Brot genommen hat.« Da sagte Bruder Lustig rasch »das habe ich getan!« (Saterld. u. Oldenbg.)