165. Wer Vorspuk sehen kann, ist ein unglückseliger Mensch, denn er sieht den Spuk nicht nur, wenn er will, sondern er muß ihn sehen, so oft derselbe kommt. Sobald ein Vorspuk geschieht, bei Tage oder bei Nacht, wird er gerufen, es läßt ihm keine Ruhe, er muß hinaus aus dem Bette, aus dem Familienkreise, aus der fröhlichen Gesellschaft und muß dorthin, wo der Spuk geschieht, und das Unglück – denn Unglück ist es in der Regel – sehen, das seinen Freunden oder Nachbarn bevorsteht. Meistens ist es ein innerer unwiderstehlicher Drang, der den Schichtkieker hinaustreibt, aber es heißt auch, wer seinem Drange nicht folge, empfange zuerst eine Ohrfeige und werde endlich, wenn er auch diese Warnung unbeachtet lasse, mit Ruten gewaltsam aus dem Bette getrieben (Münsterld.). Und hat er den Spuk gesehen, so muß er seine traurige Wissenschaft bei sich behalten und unbefangen und mit vergnügtem Gesichte unter denen herumwandeln, die er von einem schweren Schlage nahe bedroht weiß; denn man soll solche Gesichte nicht weiter erzählen, um die Leute nicht vor der Zeit zu betrüben, und überhaupt, je weniger man von solchen Dingen spricht, desto besser ist es, desto weniger wird der Schichtige durch seine Gabe beunruhigt. Die schichtigen Menschen werden von der fortwährenden Aufregung ganz siech und schwinden hin, und schon mancher hat die beunruhigende, ängstigende Gabe mit einem frühen Tode büßen müssen. Einen den es zum Sehen hinaustreibt, darf man auch nicht etwa zurückhalten wollen, denn es nützt nichts, und man vergrößert nur seine Qual. Meistens sind es die Kreuzwege, zu welchen es den Schichtigen treibt (Oldenbg.). Wer einmal spuksichtig ist, kann die Fähigkeit nur los werden, wenn er sie auf einen anderen überträgt, dadurch nämlich, daß er ihn verführt, auf irgend eine Weise selbst das Sehen zu erlernen. Die Uebertragung geschieht namentlich auch dadurch, daß der Schichtige zugleich mit einem andern einem heulenden Hunde zwischen die Ohren durchsieht, und zwar so, daß der letztere hinten steht und dem ersteren über die Schulter sieht. Vgl. auch 223 a, 208. Doch sagt man im Münsterlande, daß auch besonders fromme Geistliche die Gabe bannen können. a. In einem Wirtshause der Landgemeinde Oldenburg diente eine Magd, welche mitunter des Nachts sich ankleidete und aus der Haustür ging und nach einer kleinen Weile wiederkam. Nachher erzählte sie dann wohl, es werde nächstens ein Leichenzug vorüberkommen, und dies traf immer ein. Als einst die Magd wieder hinaus wollte, hielt das andere Mädchen sie fest, worauf sie flehend bat, sie gehen zu lassen, und sich loszureißen versuchte. Als sie endlich frei kam, lief sie in aller Eile aus dem Hause und kehrte erst nach geraumer Zeit fast atemlos zurück. Da bat sie denn das andere Mädchen, sie künftig nicht wieder fest zu halten, denn sie müsse es sehen und habe jetzt beinahe bis zum Kirchhofe laufen müssen, um den Zug einzuholen. (Oldenburg, ganz ähnlich Bisbek). – Auf dem Gerberhof bei Oldenburg lebte ein Mann, den es gleichfalls des Nachts häufig hinaustrieb, um Spuk zu sehen. Als er einmal ruhig in seinem Bette schlief, banden seine Hausgenossen ihn mit Stricken an die Bettstelle fest, indem sie hofften, ihn so von seiner Plage zu befreien. Nicht lange hernach wachte er auf und wollte aufstehen, und als er sich gebunden fand, bat und flehte er, ihn loszumachen, und arbeitete mit aller Kraft an den Stricken; zuletzt schrie er so, daß man ihn endlich befreien mußte. Sofort sprang er in bloßem Hemde aus dem Bette und aus dem Hause und eilte nach Oldenburg und in der Richtung auf den Kirchhof zu. Aber er kam zu spät, um den Leichenzug, der vorspukte, noch zu sehen, und fiel ohnmächtig auf dem Wege zur Erde. Eine halbe Stunde nachher fanden ihn die Hausgenossen, die ihm nachgelaufen waren, dort liegen und brachten ihn mehr tot als lebendig nach Hause. Er ist nachher auch lange krank gewesen, hat aber doch Spuk sehen müssen nach wie vor.