Däumling. Ein Mährchen. Däumling war im achtzehnten Lebensjahre, ein fingerlanges Männchen, wohlgebildet und niedlich, aber winzig klein. Seine Geschwister zankten mit ihm, daß er nichts arbeiten und nichts verdienen könne, und das nahm der arme Schelm sich sehr zu Herzen. Oft gaben sie ihm das Wenige nicht, das er brauchte, um sich zu sättigen, und als er einst um ein neues Kleidchen bat, schlugen sie ihn und jagten ihn fort. Die Eltern waren schon lange todt, wo sollte nun Däumling hin? Weinend lief er auf der Strasse umher, da kam ein schöner Wagen und darin saß der König und die Königin. Der kleine Fußgänger hätte gerne einen Platz im Wagen gehabt, aber er konnte nicht hinauf. Zufällig zerbrach gerade etwas an einem Rade, und während der Schade verbessert wurde, klätterte Däumling hinauf und verbarg sich, zitternd vor Frost, in die Ecke neben der Königin. Da er ganz durchnäßt war, drang die kalte Feuchtigkeit durch das Kleid dieser Dame. Sie fühlte mit der Hand hin, um zu untersuchen, woher das käme, und ergriff das kleine Männchen. Mit einem Schrei fuhr sie auf und befahl, den Frosch neben ihr aus dem Wagen zu werfen und zu zertreten. Tödlich erschrocken, bat Däumling flehendlich um sein Leben, und versicherte weinend, er sei kein Frosch, sondern ein kleiner Mensch, in einen abgeschabten Röckchen. Sei du wer du bist, schrie die Königin, so mußt du deine Strafe für solchen Frevel leiden. Wie? meinst du, armseliger Wicht, es sei kein Verbrechen, eine hohe Majestät zu erschrecken und zu erkälten? Däumling gestand alles ein, was sie wollte, bat aber noch immer um sein Leben. Da war aber keine Gnade. Sie wiederholte den Befehl mit solchem Nachdruck, daß die Diener zugriffen und den kleinen Kerl beim Kopf erwischten. Wer sollte ihn aber zertreten? Es entstand ein Streit unter der Dienerschaft, denn jeder versicherte, er beschmutze sich die Stiefel mit dem Blut des winzigen Bösewichts und besudele so die Kutsche. Der König erwachte darüber aus seinem Mittagsschlummer, und fragte was es gäbe? Man eilte ihm die wichtige Nachricht mitzutheilen, und den Verbrecher vorzuzeigen. Lachend nahm der König das Männchen in die Hand, und betrachtete es. Däumling säumte nicht, sich niederzuknieen, und indem er die königlichen Finger küßte, bat er demuthsvoll um sein Leben. Nun, nun, sagte der gute König, du kannst noch ein bischen am Leben bleiben, es hat schon Zeit mit der Hinrichtung, denn die Diener machen sich nur die Stiefel schmutzig. Und so warf er ihn, trotz alles Streites und Grimmes der Königin, in den Winkel an seiner Seite. Däumling drückte sich zusammen, so gut er konnte, und verhielt sich ganz still, um von der Königin vergessen zu werden, sie beugte sich aber von Zeit zu Zeit hin und lauerte, mit todverkündenden Blicken, auf ihn, wie die Katze auf die Maus. Der König speisete indessen etwas gebackenes und reichte dem Schützling auch bisweilen einige Brocken, die dieser mit großem Appetit verzehrte. Endlich schlief der Schutzpatron wieder ein, und Däumling, um sicher zu seyn, kroch ganz nahe zu ihm hin. Beim Aussteigen winkte die Königin, aber husch! fuhr das Männchen in des Königs Rocktasche und so war es nicht wohl möglich, es zu erwischen. Im königlichen Pallaste kroch Däumling wieder heraus und freute sich über die Herrlichkeiten, die es da gab, ganz ohne Ende. Aber leider war er seines Lebens nicht sicher, denn die Königin, die so ziemlich einer Furie glich, zu der ihr nichts als die Schlangen, die diese statt der Haare haben sollen, fehlten, trachtete ihm nach dem Leben, und die bestochene Dienerschaft lauerte nur auf eine schickliche Gelegenheit, den armen Tropf aus dem Wege zu schaffen; das waren betrübte Aussichten für die Zukunft, denn, wenn er auch davon gehen wollte, wohin sollte er, und wovon leben? Der König ließ ihn nicht Noth leiden, und er durfte auf dem Sofa schlafen, doch aus Furcht schlich er sich des Abends ins Bette zu den Füssen seines Beschützers, der davon keine Notitz nahm, oder nehmen wollte. Einmal, als die Zimmer gereinigt wurden, und er aus einen ins andere floh, merkte er recht, welche Gefahr ihm drohe. Eine Scheuermagd fegte ihn mit dem Kehrbesen vom Ofen herab, auf welchem der arme Däumling Platz genommen, und schon wartete ein Bube mit einem Stiefelknecht auf seine Ankunft auf dem Fußboden, um ihn den Rest zu geben; aber glücklich kam er herab und rollte unter das Sofa. Bis man dieses wegräumte, um ihn zu haschen, erholte er sich wieder und entschlüpfte seinen Verfolgern, und huschte unbemerkt in ein Bette, wo er sich unter Decken verbarg, bis die Gefahr vorüber gegangen. Die Königin war so schlecht und boshaft, daß sie, um auf den Thron zu gelangen, den Kammerdiener des Königs bestach, daß er ihm Gift unter die Chokolade mischte. Däumling, der recht aufmerksam auf alles war, hatte bemerkt, wie der bübische Diener ein Pulver in die Tasse warf, und es dann mit dem Löffel zerrührte. Geschwind kletterte er auf den Tisch, und als der König eben davon trinken wollte, ergriff er die Schaale mit beiden Händen, und warf sie unter den Tisch, daß sie zerbrach. Der König fuhr auf und schalt ihn, und befahl dem ungezogenen Männchen sich fort zu packen. Däumling kroch erschrocken unter das Bett und versteckte sich da. Ein Hündchen leckte von dem verschütteten Getränk, bekam aber gleich Krämpfe und Verzuckungen und starb, ehe die Diener, die hinzu sprangen, noch Zeit hatten, es fortzuschaffen. Der König schüttelte den Kopf und seufzte, denn nun war es offenbar, daß man ihn hatte vergiften wollen. Dann rief er das getreue Männchen unter dem Bette hervor, und setzte es auf den Tisch, um es mit einer Menge Zuckerwerk zu erquicken. Auch befahl er dem Hofschneider, ihm ein scharlachrothes Röckchen, reich mit Gold gestickt, und blau sammtne Weste und Höschen, zu verfertigen. Gelbe Stiefel, ein Tressenhuth und eine Uhr, so groß wie eine Erbse, zierten noch überdem die kleine Person, und Däumling konnte gar nicht müde werden, sich im Spiegel selbst in diesem Staate zu bewundern. Er bat den König noch um einen Degen, den er auch erhielt. Dieses Waffenstück war so groß wie eine ziemliche Stecknadel, aber wohl geschliffen, und als einmal die Königin eine böse Katze in des Königs Zimmer verbergen ließ, um den Däumling durch sie zu vertilgen, wehrte er sich gegen das Thier so herzhaft mit dem Degen, daß die Katze ihm nichts anhaben konnte; einige Krallenhiebe ungeachtet, die aber des Königs Wundarzt glücklich heilte. In einer Nacht erwachte der Däumling von einem Geräusch und sahe, wie ein Mörder eben den König, der im tiefsten Schlafe lag, durchbohren wollte. Hurtig rannte ihm das Männchen seinen Degen in die Hand, daß der Bösewicht erschrocken zurück fuhr. Darüber erwachte der König und rief nach Hülfe. Der Mörder ward erwischt, und es entdeckte sich, daß die Königin ihn gedungen hatte, diese Schandthat zu begehen, und daß der Kammerdiener mit einverstanden war. Der letzte ward hingerichtet und das böse Weib in ein Loch, wohl fünfzig Klafter tief, hinein gethan. Däumling aber ward vom König hochgehalten und führte ein recht glückliches Leben.