Die Hacke des Helim. Vor vielen Jahren lebte in einem fernen Lande ein Mann der drei Söhne hatte, mit denen er ein artiges Haus bewohnte, das in einem schönen Garten gebauet war. Noch viele Ländereien waren sein Eigenthum und so konnten sie ein vergnügtes und sorgenfreies Leben führen. Er starb, da seine beiden ältesten Söhne schon über zwanzig Jahr alt waren; der Jüngste, Helim war sein Name, hatte aber kaum das siebzehnte Jahr erreicht. Kasem und Gilo, die ältern, waren sehr habsüchtig und bösartig und beneideten ihren jüngern Bruder um den Vorzug, den ihm der Vater einräumte, und den er, durch seine Herzensgüte, seinen Gehorsam und Fleiß wohl verdiente. Kaum war der Vater begraben, als sich beide aller hinterlassenen Güter bemächtigten und dem Helim ankündeten, er könne gehen, wohin er wolle, seine Gegenwart sei ihnen überflüßig. Vergebens stellte er ihnen ihr Unrecht vor, ihn, der gleiches Recht, wie sie, auf die Verlassenschaft des Vaters hatte, seines Antheils zu berauben und hülflos in die Welt hinaus zu stoßen. Sie verhöhnten ihn und warfen ihm seine Hacke hin, mit der Anzeige, er solle diese nur gebrauchen so würde er sich schon ernähren können. Sehr betrübt und niedergeschlagen verließ der arme Jüngling das väterliche Haus und ging mit seiner Hacke in eine neue, ihm völlig unbekannte Welt hinaus. Den ersten Abend lagerte er sich ermattet unter einen Baum und schlief bis die Sonne schon heiß brannte, dann stand er auf und ging weiter. Er bot sich unterwegs vielen Landleuten zum Knecht an, aber sein jugendliches Ansehen war ihm im Wege, ihm ward fast immer dieselbe Antwort: Du bist noch zu jung und schwach, ich kann dich nicht brauchen. Immer betrübter ging er weiter. Sein kleiner Vorrath von Lebensmitteln war verzehrt, er schämte sich zu betteln und Niemand gab ihm ungefordert etwas. Um vieles muthloser als am vorigen Abend, sahe er sich beim Anbruche der Nacht nach einem Lager um, da erblickte er einen Gottesacker, und sogleich beschloß er in demselben zu übernachten. Weinend sprach er: die Todten werden mir eine Ruhestätte bei sich gönnen, wenn auch die Lebenden mich von sich stoßen. Er legte sich nicht fern vom Eingange nieder und schlief bald ein. Nach einigen Stunden erweckte ihn ein Geräusch. Erschrocken fuhr er auf und erblickte im Mondenschein mehrere Leute, welche einen Sarg hinein trugen und ihn dann in eine Grube senkten. Es schauderte Helim bei diesem Anblick, der schon am Tage traurige Empfindungen in uns weckt, da er uns an den Verlust von Personen erinnert, die uns theuer waren, und nun in der einsamen, matt erhellten Nacht war es noch trauriger und grauenvoller. Schon waren die Männer im Begriff Erde auf den Sarg zu schütten, als einer derselben zu den andern sagte: »wartet noch, wir wollen erst den Todten ausziehen, ihm helfen die Kleider nichts mehr, und wir können sie brauchen.« Die andern waren es sogleich zufrieden; Helmin aber fand ihr Vorhaben so abscheulich, daß er schnell beschloß, sie davon zurück zu schrecken. Er war wohl verborgen durch die Grabmahle und die Dämmerung und rief mit hohler Stimme ihnen einige drohende Worte zu. Die Leute erschracken, ließen den Sarg im Stich und liefen davon. Helim nahete der Gruft, da schien es ihm als hörte er im Sarge ein leises Aechzen und Klopfen. Erschrocken prellte er zurück, und schnell siegte seine Gutmüthigkeit über die Furcht. Er sprang in die Grube mit seiner Hacke und öffnete mit dieser, nicht ohne Mühe, den Sarg in möglichster Eile. Er fand einen Jüngling von seinem Alter darin, der matt die Augen aufschlug, doch bald von der frischen Luft gestärkt, sich erhob und zu voller Besinnung gelangte. Helim hob ihn aus dem Sarge und mit großer Anstrengung gelang es beiden aus der Gruft zu kommen. Da hörten sie in der Ferne die Männer sprechen, welche sich von ihrer Furcht erholt hatten und zurückkehrten. Laßt uns fliehen, sprach der Wiedererwachte, und Helim zog ihn mit sich fort, und hinaus aus dem schauerlichen Orte ins Freie. Dort setzten sie sich in einen Wäldchen auf den Rasen und begannen einander mit leiser Stimme ihre Abendtheuer und Lebensläufe zu erzählen. Der Begrabene war Prinz Orar, der Sohn eines Königs. Sein Vater war auf einer Reise in die entfernten Provinzen seines Reiches begriffen, und unterdessen hatte seine zweite Gemahlin ihrem Stiefsohne Orar einen Schlaftrunk beigebracht, um ihren eignen Sohn auf den Thron zu helfen. Sie eilte mit dem Begräbniß, um seinem Erwachen zuvor zu kommen, und glücklicherweise mußte Helim ihn erretten. Beide umarmten sich wie zärtliche Brüder und beschloßen bis zur Zurückkunft des Vaters sich verborgen zu halten. Unterdessen waren die Männer bis zum Sarge gekommen, fanden den Deckel nur angelehnt und den Todten fort und eilten die Königin davon zu unterrichten. Dieses böse Weib gab sogleich heimlich den Befehl den Prinzen aufzusuchen und zu tödten, den Vorfall aber zu verschweigen. Es fanden sich, durch ihr vieles Geld geblendet, schlechte Leute die ihren Wunsch zu erfüllen eilten, und sich auf den Weg machten, den Unglücklichen aufzusuchen. Nach einigen Tagen fanden sie auch die beiden Freunde, und da sie in großer Anzahl, sie, die ohnehin durch Mangel geschwächt waren, überfielen, nahmen sie die Armen bald, trotz ihres Widerstandes, gefangen, und schleppten sie fort in eine naheliegende Hütte, dort hießen sie Helim seiner Wege gehen, und nahmen ihm seine Hacke. »Ach! rief er aus, auch das einzige Erbtheil von meinem Vater muß ich verlieren!« Sie warfen ihm spottend die Hacke hin und stießen ihn fort. Aber Helim entfernte sich nicht weit und lauschte hinter den Bäumen was sie weiter beginnen würden. Er sahe daß einige derselben sich ihm näherten und horchte wohl verborgen ihrem Gespräche. Sie beschloßen, um nicht durch die Leute welche das Häuschen bewohnten verrathen zu werden, den Prinzen am andern Morgen weiter zu bringen und im Walde zu tödten; zugleich machten sie aus, daß einige von ihnen sogleich in der Nacht hingehen und an einem verborgnen Orte ein tiefes Loch graben sollten, um am Tage nicht dieses gefahrvolle Unternehmen ausführen zu müssen, bei welchem man sie überraschen konnte. So war die Anzahl der Wächter geringer. Sie verschloßen die Hütte, banden den Prinzen mit Stricken und begaben sich mit ihm auf den Boden, um dort einige Stunden zu schlafen. Helim, der einen Baum bestiegen hatte, sahe, da eine Lampe brannte, alles das recht wohl. Eiligst lief er tief in den Wald hinein, haute mit seiner Hacke einen Baum ab, der nicht sehr dick war, aber mehrere starke Aeste hatte, die, nicht allzunahe vom Stamme abgehauen, statt der Sprossen einer Leiter dienen konnten, und trug oder schleppte diesen bis zur Hütte. Er lehnte diese selbsterfundene Leiter an das Bodenfenster und schlich sich leise auf derselben hinauf. Er hörte die Wächter schnarchen; denn da sie den armen Gefangenen Hände und Füsse zusammen gebunden hatten, waren sie sicher daß er nicht entfliehen konnte. Kaum Athemholend stieg Helim nun hinauf, lösete die Bande des Prinzen, den die Schmerzen der Stricke und die Angst nicht schlafen ließen, und beide entwischten glücklich durch das Fenster; dann trugen sie die Leiter ins Dickicht, warfen sie dahinein und eilten zu entkommen. Es gelang ihnen auch am andern Morgen in eine entlegene Bauernwohnung zu braven Leuten zu kommen, welche die Erschöpften freundlich aufnahmen und mehrere Tage bei sich behielten; dann setzten sie ihre Wanderung weiter fort und gelangten in ein schönes Thal zu einem alten Mann, der sie freundlich aufnahm und ihnen eine Freistätte einräumte. Er behielt sie, da sie fleißig waren, bei sich, und liebte sie wie Söhne. Sie fanden die Rückkehr sehr gewagt, da die böse Königin ihnen nachstellte und sie nicht hoffen durften unentdeckt bis zum König zu gelangen. So verfloß ein Jahr, und die Sehnsucht das Grab seines Vaters und seine ehemalige Wohnung zu besuchen, erwachte bei Helim so stark mit einemmale, daß er dem Verlangen, eine Wanderung dahin zu unternehmen, nicht mehr widerstehen konnte. Er machte sich, nach einem zärtlichen Abschied von seinen beiden treuen Freunden, auf den Weg, beladen mit einem Vorrath von Lebensmitteln, um nicht wie ehemals Noth leiden zu müssen. Ziemlich unbekannt mit der Lage seiner Heimath, von der ihn sein Weg in großen Umschweifen zum Thale geführt hatte, wußte er sich nicht hinzufinden und überließ es dem Zufalle ihn zum Ziele zu führen. So durchkreuzte er Wochenlang das Land, ohne ans Ende seiner Wanderung gelangen zu können. Einst verirrte er sich in einem Walde, in den er sich tief hinein gewagt hatte, angelockt durch die Früchte einiger Bäume die seinen Hunger stillten. Plötzlich hörte er ein starkes Geräusch. Ungewiß, ob er sich verbergen oder dahin eilen sollte, um zu sehen was es veranlaßte, blieb er schwankend stehen, als ein ältlicher Mann in prächtiger Jagdkleidung aus dem Gebüsch hervordrang, bei Helims unerwartetem Anblick aber erschrocken zurück fuhr, doch plötzlich ermannte er sich und drang, in Ermangelung einer andern Waffe, mit einem schnell ergriffnen Stücke von einem abgebrochnen Baum auf diesen los. Helim wich zurück, denn das zerstörte, erschrockne Gesicht des Mannes, zeigte, daß er einer großen Gefahr kaum entronnen, nur die Absicht habe sich selbst zu vertheidigen. »Was that ich dir, rief er, daß du mir zu schaden suchst?« Der Mann ließ den aufgehobnen Knittel sinken und blickte Helim starr ins Gesicht. Endlich sprach er: Wie kömmst du in diese Wildniß und was ist deine Absicht? Der Gefragte erzählte sogleich daß er auf einer Wanderung begriffen, durch das Ungefähr hieher gekommen sei. Beruhigt durch diese Versicherung wollte der Fremde nun fort, als mehrere Bewaffnete herzu drangen und ihn anfielen. Er setzte sich muthig zur Wehre, Helim half ihm mit seiner Hacke und es gelang ihnen die Bösewichter zurück zu treiben; sie selbst eilten dann zu entkommen. Durch Umwege flohen sie der Stadt zu; aber nicht weit von derselben mehr, wurden sie aufs Neue angefallen. Helim, durch das Beispiel seines Gefährten aufgemuntert und von Natur herzhaft, drang so muthig mit seiner Hacke auf die Feinde ein, daß diese, obgleich ihre Anzahl sehr groß war, doch nicht sobald als es ihr Wille seyn mochte, sie überwältigen konnten. Noch zu rechter Zeit erschien aber Hülfe; es war eine Truppe von der Garde des Königs, die sogleich die Bösewichter verhafteten, und mit Erstaunen sahe Helim daß sein Begleiter der König selbst war. Er fiel ehrerbietig vor ihm nieder; doch dieser, der ihm das Leben dankte, hob ihn auf und umarmte ihn mit gerührter Dankbarkeit, dann nahm er ihn mit sich in seinen Pallast und befahl den Helim das schönste Zimmer einzuräumen. Am andern Tage ließ er ihn zu sich rufen, hieß ihn sich an seine Seite nieder setzen, und ihm sein Schicksal und seine Wünsche für die Zukunft offen erzählen. Helim gehorchte, und da er dem Könige alles was sich mit dem Prinzen Orar zu getragen, entdeckt hatte, gerieth dieser vor Freuden ausser sich, und der Verdacht, daß seine Gemahlin es sei, die ihm nach dem Leben gestrebt hatte, ward durch die Aussage der gefangenen Missethäter und durch diese Erzählung vollkommen bestätigt. Das boshafte Weib ward sogleich verhaftet, und für ihre ganze Lebenszeit in ein Gefängniß gesperrt, der Prinz aber augenblicklich aus dem Thale geholt, und der Greis, der sie so väterlich aufnahm, mit ihm. Die Freude des Vaters und des Sohnes, über dieses Ereigniß, das sie sich einander wieder schenkte, war ohne Grenzen und so auch ihre Dankbarkeit gegen Helim, dem sie hohe Ehrenstellen geben wollten; allein er sprach: ich bin nur einfach und unwissend erzogen, wie es ein Landmann immer ist, der nur dem Anbau seines Feldes lebt; ich müßte erst noch viele Jahre hindurch das erlernen, was mir nöthig ist, um ein hohes Amt würdig zu verwalten, und wer weiß ob ich auch die Fähigkeiten dazu in mir habe; so gebe mir der König nur ein kleines Stückchen Land von dem ich leben kann, und das Versprechen, daß, wenn ich ihm dienen kann, es sei im Kriege oder in etwas anderm, das nicht über meine Kräfte geht, ich zu ihm berufen werde; so bin ich glücklich und belohnt. – Es wurden ihm sogleich eine Menge Ländereien und Sclaven gegeben, und reich gekleidet, mit einem zahlreichen Gefolge kam er vor die väterliche Wohnung. Die Brüder warfen sich überrascht und demüthig vor ihm nieder; er verzieh ihnen ihr Unrecht gerne, und da sie durch ihre Uneinigkeit und Mangel an Fleiß in Dürftigkeit gekommen waren, überhäufte er sie mit Wohlthaten, und vergalt so Böses mit Gutem. – Er lebte glücklich in seiner ländlichen Wohnung, und die Hacke, die ihm so gute Dienste geleistet und zu diesem Glücke geholfen, hing er zum Andenken in seinem Zimmer auf. Der König und der Prinz besuchten ihn oft und alle drei lebten in unwandelbarer Freundschaft bis an ihren Tod. Der Greis aus dem Thale, theilte Helims ländlichen Aufenthalt.