Mysterium der Nacht Aus heiligen Grotten, wo sie sich barg vor dem grellen Rauschen des Tages, kam leise die Nacht. Schweigend blickt sie um sich mit den sehnsuchtsstillen Augen, in deren dämmernde Tiefen du tauchst wie in des ewigen Meeres verschwimmende, dunkle Fernen. Scheu flieht vor ihrem milden Glanze der harte Tag. Langsam gleitet sie und schweigend heran, und kaum zittern die weiten Falten des dunklen Gewandes, das lang wallend sie umschmiegt. Näher schwebt sie, und atemlos harrend lauschen Wälder und Wiesen. Denn ein Gottesdienst ist ihr Kommen, ein Gebet, keusch und mild und voll Inbrunst. Wehe über euch, Menschen, die ihr nimmer sehet, was Hohes sich über euch neigt! Wehe über euch, die ihr hinwegstampft über den Einzug der Nacht und hohnlächelt über ihr Evangelium wie über den Gott von Nazareth! Wehe über euch, die ihr Schutz sucht vor dem gellenden Schrei des Gewissens hinter verschlossenen Fenstern! Aber euch grüße ich, andachtsvolle Schwärmer, die ihr nicht wachet, noch schlafet, sondern hinträumet und lauschet den leisen Stimmen der Nacht ... Die ihr lauschet gleich der zitternden Natur, die glühend den Atem verhält, daß sie höre, was träumenden Mundes die Herrscherin singt: »Siehe, ich kam, gezogen von fernen Inseln, wo ich ruhte in tiefen, dunklen Grotten. Siehe, ich kam, und wie ich auswarf die seidenen, weichen Seile über die Blütenbüsche und hinschmiegte durchsichtige Schleier auf Fels und Gras, da floh vor mir der Tag. Weiche Harfenlieder entwuchsen meinem stillen Schreiten und überschwollen sanft sein rauhes Brüllen. Siehe, ich kam, und Blumen streutet ihr mir auf den Pfad, duftende Blumen glühender Erwartung. Aber die, denen ich ganz mich schenken wollte, denen ich künden wollte ewige Milde und Schöne, sie verkrochen sich vor mir. Ich sah sie an: Sie achteten nicht der klärenden Sehnsucht, die wie ferner Glockenklang mir aus dem Auge brach. Ich sang zu ihnen: Sie hörten nicht meine Stimme, die lösende ... In starrem Schlafe liegen sie. Aber von ihrem harten Lager weichen nicht die grauverhüllten Weiber, die Dienerinnen des Tages ... Ihr Atem versengt sie, ihr Blick verzehrt sie. Eine eiserne Kette schließen sie um ihre Ruhestätte und wehren mir, zu ihnen zu treten, daß ich sie tröste und sänftige ... Ihr aber, Fels und Moor, Baum und Berg, Blumen und Haide ... Und du, still träumende Dichterin unter den Vögeln: Nehmet, nehmet hin meiner Seele tiefinnerstes Wogen. Siehe, der Mond sprüht über euch bleichen, süßen Tau der Stille ... Siehe, vor euch ausgegossen liegt schimmernde Schönheit ... Trinket, o trinket der überquellenden Fülle!« Raunen und Rauschen wandert über die Welt. Über Fels und Moor, Baum und Berg, Blumen und Haide. Eine aber kann's nicht länger bergen. Die Nachtigall. Aufjauchzen muß sie. Aller Welt künden hehrsten Glückes Überschwang. Jauchzen entquillt ihr – aber es schluchzt hervor wie zehrendes Klagen. Wie das höchste Glück Thränen erpreßt, und reinste Schönheit einhaucht den Atem süßester Wehmut. Und sie klagt ... Klagt und lauscht und klagt wieder ... Sank ich dämmernd nieder dir zu Füßen, milde Königin? Wache ich, oder legtest leise du deine Hand mir aufs Auge und löstest sanft die Spangen schwerenden Sinnens, daß ich lächelnd hingleite durch die stillen Gewässer des Traumes? Ich weiß es nicht. – Aber schmeichelnd wie junger Lenzwind flüstert mir ins Ohr deine Stimme und das schluchzende Jauchzen der Nachtigall ...