9. Der Abt gefangen Auf der Burg zu Werdenberg Lebt es wieder in den Mauern, Und der Herr im Hirtenhemd Sitzt, ein Bauer, zwischen Bauern. Leert den Becher an der Seite Seiner Retter oft und gern, Und die Hirten grüßen willig Grafen ihn und gnäd'gen Herrn. In Sankt Gallen auf der Flucht Ist der Herzog angekommen, Hat umsonst den Häuptlisberg Mit der edlen Schar erklommen; Wie ein Dieb muß er entweichen, Denn die Bürger zornig drohn, Treibt mit wenig wunden Rittern Auf des Sees Wellen schon. Und vor Wyl 1 steht jetzt der Hirt Mit den Widdern, mit den Böcken; Weithin höret man durch's Thal Seine schlimme Heerde blöcken; Denn die Köpfe sind von Eisen, Rütteln an den Mauern laut, Daß Herrn Kuno drinn, dem Abte, Vor den wilden Stößen graut. Auch die Leiter steht, zum Sturm Und das Pech, zum Brand gerichtet, Bange wird der Söldnerschar, Die dem Herrn sich hat verpflichtet: Denn es tobt der Feind von außen, Und der Bürger drinnen murrt, Holt die Axt sich aus der Kammer, Um den Leib schnallt er den Gurt. Vor der Stadt erschallt das Horn; Doch da füllen sich die Gassen, Söldner sind ein feiges Volk, Haben ihren Herrn verlassen, Wallen mit dem Bürger friedlich Vor der Stadt gewölbtes Thor, Stehn geschäftig an dem Graben, Schieben selbst die Brücke vor. Durch die Straßen zieht der Hirt, Seine hellen Fahnen fliegen, Rechts und links nicht schaut er um, Eilet zu des Schlosses Stiegen, Seinen alten Feind zu fahen, Der ihm so viel Leides that, Und auf freier Männer Nacken Mit dem stolzen Fuße trat. In dem Saale sitzt der Abt Einsam in dem großen Schlosse, Höret seiner Feinde Ruf Und das Wiehern ihrer Rosse; Aber seinen Willen beugen Lehret die Gefahr ihn nicht; In dem Stuhle bleibt er sitzen, Läßt sie nahen, zürnt und spricht: »Kommet immer, fasset mich, Hirten, weiland meine Knechte! Taucht in des Gesalbten Blut Eure mörderische Rechte! Doch ein Gott im Himmel waltet, Meines frommen Klosters Schild, Und ein Kaiser herrscht auf Erden, Der die Missethat vergilt! In den Kerker, in das Grab Magst du, freches Volk, mich legen; Dich ereilet doch mein Fluch, Was du thust, bringt keinen Segen: Schlagen wird dich Gottes Winter Vor Bregenz, das du bekriegst, Und am See sitzt König Ruprecht, Und zertritt dich, wenn du liegst!« Vöglischerz, der muntre Hirt, Der der Brüder Scharen führet, Rede stehet er dem Abt, Sittsamlich, wie sich gebühret: »Wäre Gott mit Euch, nicht läge, Herr, auf Euch sein Arm so schwer! Schelten lassen wir uns gerne, Schaden mögt ihr uns nicht mehr! Was die Zukunft Böses bringt, Sorget nicht, wir werden's tragen: Ruprecht ist ein alter Mann, Wird uns nicht zu Boden schlagen: Leichtlich schließen sich zwei Augen, Wenn sie noch so zornig glühn, Doch ein freies Volk stirbt nimmer, Wird in ew'ger Jugend blühn! Aber jetzt, wenn's Euch geliebt, Folgt uns, Herr! und steigt zu Pferde!« Und sie hoben ihn auf's Roß, Zogen mit ihm ohne Fährde. Schweigend thut er ihren Willen, Sieht sie an mit scheuem Blick – Doch in's Kloster von Sankt Gallen Führen sie ihn fromm zurück. Lassen in der offnen Pfalz Ihn die Hand zum Schwure heben: In des freien Volkes Schutz Woll' er still und friedlich leben. Als sie das von ihm erlanget, Ziehn die guten Männer ab, Legen Schwert und Helm zur Seite, Greifen zu dem Hirtenstab. Und in's tiefe, stille Thal Steigt die alte Ruhe nieder, Nur der Heerden froh Gebrüll Hallt vom hohen Säntis wider. Nimmer wird die grüne Matte Mit der Hirten Blut getränkt, In der freien Volksgemeinde Tagt der Landmann ungekränkt. Und ein Kirchlein auf dem Stoß Läßt die Glocke jährlich schallen; Das erzählt dem Pilger laut, Von der Fehde mit Sankt Gallen: Dort, im dichten Waldgebüsche Steht es, wo der Frauen Schar, Wie ein Heer von Sigesengeln Leuchtend einst erschienen war. Fußnoten 1 Stadt im Thurgau.