Ernst Schulze Poetisches Tagebuch vom 29sten Junius 1811 bis 17ten Februar 1817 Erklärung Ein leichter Sinn mag oft in neuen Weisen Die Lust erhöhn, die wechselnd ihn beglückt; Mein Singen soll nur eine Herrin preisen, Die doppelt stets mein zweifelnd Aug' erblickt. Dort in des Grabes ewig stummen Kreisen, Hier mit des Lebens frischem Reiz geschmückt; Und wenn auch hier zwey Namen sie benennen, Nie kann mein Herz die holden Bilder trennen. Denn wie sich Träum' im Leben oft entfalten, Und Leben oft in luft'gen Träumen blüht, So gatten sich die minnigen Gestalten Zu einem Bild im liebenden Gemüth. In dieser streb' ich Jene festzuhalten, Und wähne, daß mit dieser Jene flieht. Doch weil die Eine längst sich mir entrissen, Mußt' ich auch stets der Andern Liebe missen. Jetzt hab' ich lange Fahrt für sie begonnen 1 , Um ihren Preis auch ferne zu erhöhn; Zwey Jahre schon sind flüchtig mir verronnen, Seit ich zuletzt den Heimathsstrand gesehn. Wird auch das Ziel mit Mühe nur gewonnen, Doch scheint die Müh' um schönes Ziel mir schön, Wenn sie mich nur durch dunkle Meeresweiten Mit süßer Huld und mildem Schimmer leiten. Wohl seh' ich oft, wie hell vom goldnen Throne Der Einen Bild zu mir herniedersinkt, Und freundlich mir zum wundersel'gen Lohne, Daß nur für sie mein treues Lied erklingt, Mit leiser Hand die heil'ge Sängerkrone, Den Lorbeerzweig, in meine Locken schlingt, Und kühner läßt dann auf Gesanges Wellen Mein trunkner Geist des Liedes Segel schwellen. Doch läßt sich dann so kalt die Andre schauen Mit strengem Blick und stolzem Angesicht, Dann schwindet bald mein freudiges Vertrauen; In Nacht versinkt der Liebe leitend Licht; Auf weitem Meer ergreift mich stilles Grauen, Ich weiß den Pfad, das Ziel, den Hafen nicht. Wohl folgst du, denk' ich, trügerischen Sternen, Was kann dich sonst so weit von ihr entfernen? O ihr, die treu vereint in Leid und Freuden Nur ein Gemüth im Busen sonst gehegt, Was konnte so im Tode jetzt euch scheiden, Daß diese flieht, was Jene schützt und pflegt? Du banges Wechselspiel von Lust und Leiden, Wie hast du oft mein Herz so wild bewegt! Doch kenn' ich leicht die Fäden, die dich weben: Süß ist der Traum, doch hart und kalt das Leben. Und dennoch will ich muthig weiter steuern, So lang ein Hauch mein luftig Segel schwellt, Will gern getäuscht in irren Abenteuern Dein Nichts vergessen, arme, kleine Welt! Vielleicht wird doch der Strand sich einst entschleyern, Wenn treuer Sinn dem treuen Gott gefällt. Auch ist es süß, aus bunten Wellenschäumen Manch liebes Bild sich schöpferisch zu träumen. Wohl Manchem wird das Herz im Busen schlagen Bey meines Liedes vielverflochtnem Klang, Wohl Mancher nach dem treuen Sänger fragen, Der, nie geliebt, die Liebe nur besang. Mag sie allein den Kranz mir auch versagen; Ich zürne nicht, und dien' ihr ohne Dank. Für Freude ward von Gott mir Leid beschieden; Auch Leid ist süß; ich duld' und bin zufrieden. Fußnoten 1 Das Gedicht Cäcilie.