Der Frühling Da kommt er nun wieder Der Jüngling des Himmels, Und schüttelt aus seidnen Locken Goldnen Thau in die Kelche Der dürstenden Blümchen im Thal; Die Hügel erwachen! Es rauschen die Flüsse Entfesselt vom Eise! Die Lüfte ertönen: Die Wälder erklingen Vom Vogelgesang. Der frömmere Mensch Blickt betend gen Himmel Und Freudenthränen tropfen Ins junge keimende Gras: Willkommen! Willkommen! Du lächelnder Lenz, Gefährte der Engel Im Bräutigamsschmuck! Doch ach, ich soll dich nicht sehen, Du Jüngling des Himmels, Nicht sehen den blinkenden Goldthau, Der sanft dir entträufelt; Nicht hören deiner Flügel Melodie, Und das Geflüster der Winde, Die deine glühende Wange kühlen? Vergib mir's, vergib mir's, Schaffer des Frühlings, Wann ich in bebender Rechte Mein Antlitz berg' und weine! Schöpfer, zwar hab' ich gesündigt; War seiner Blumengerüche, Seiner fröhlichen Farbengemische, Seiner Winde Säuseln nicht werth; Nicht werth seiner Gesänge Und des blüthenbewehten Silberbachs! Doch sah ich nicht auch Vom lächelnden Antlitz des Frühlings Zu dir, seinem Bildner, empor? Ach Gott, du weißt's, Oft tropften Thränen auf den Blüthenzweig, Den ich dankend brach, und ihn Flüstern ließ an der pochenden Brust; Oft entküßt' ich dem ersten Veilchen, Von der Hand des Knaben gepflückt, Die lichteren Tropfen und sog, Gottfühlend, seinen Balsam auf; Hörte preisen Der steigenden Lerche Lied, Der Grasmücke Gezwitscher Aus der blühenden Linde Duft! Und wie stieg mein Herz, Wenn am Abend aus dunkelm Gebüsche Die melodische Nachtigall gluckte! Auch saß ich oft im Frühlingsgrase Der fühlenden Gattin zur Seite, Von goldlockigen Kindern umhüpft; Da sah und fühlt' ich dich, Schöpfer! Fühlt' es, daß du die Liebe bist. Sah im Wiesenblümchen dich! Im Forellenbache dich! In der Rosenknospe dich! Und ach! im schimmernden Blicke der Gattin, Und auf der Kinder röthlichen Wange Dich, Freudengeber, dich! Ich mußte weinen, Vater! Mein Aug' in hohler Hand bergen Und weinen, denn ach! Ich habe gesündigt; Bin des himmlischen Frühlings Anblick Und seiner Umarmung nicht werth. Drum warfst du mich zürnend In des Felsen Nacht, Und sprachst: Fühl' es, Berauschter, Was es heiße, meinen Frühling nicht sehen! O, ich fühl's, ich fühl's, Erbarmer! Denn zu Gefühlen der Schönheit und Größe War dieß Herz immer geöffnet. Ich fühl's, ich fühl's, was es sei Deinen Frühling nicht sehn; Aber tragen deiner Ungnade Last, Fühlen des Rächerblicks Flamme, Nicht von der Ruthe des Vaters, Nein, von der Geißel des Richters zerfleischt, Liegen im Staube des Kerkers Von Finsterniß und Fluch gedrückt, Nicht sehn das Bruderantlitz des Menschen, Der tröstenden Liebe Blick – O das ist mehr, du Ewiger, mehr, Als deinen Frühling nicht sehn! O lächle mir wieder Gnade, Erbarmer, Gnade, Gnade! Laß das Zorngewölk zerfließen, Das mir dein Antlitz verhüllt! Und du, mein Erlöser, Jesus Christus, mein König, mein Gott! Dessen Opferblut Auf die Frühlingsblume floß, Erbarme dich meiner, und bitte für mich! Laß schreien dein Blut am Throne: Gnade! Gnade! Gnade! Dann erheb' ich mein Haupt vom Staube, Achte nicht mehr der Fesseln Geklirr, Und des schüchternen Frühlings, Der mit blässerer Wange Durch mein Eisengitter schaut. Hast du mir vergeben, Erlöser, vergeben, Dann geht mir jenseits des Grabes Ein schönrer Frühling auf, als der, Der Gräber bescheint, Und dunklere Grüfte des Kerkers.