527. Sankt Gotthard. Von Isabella Braun. 1. Im jungen Herzen Wissens Drang Und Sehnsucht nach der Lehrer Worte, Jung Gotthard schritt das Thal entlang Jedweden Tags zur Klosterpforte. Es war sein Herz wie Aether rein, Und klar, als wie der Sonnenschein; Und wie das Blümchen auf der Au Wo Jedes nach dem Licht sich kehret; Und wie der reine Tropfen Thau In dem der Himmel sich verkläret; Und wie die Biene war es auch, Die Honig sucht in Blüth' und Strauch; Wie's Vöglein, das die Flügel hebt Und nach den höchsten Lüften schwebt; Und wie das grüne Waldbereich, Drinn Liedlein tönen voll und weich, Die alle Gott im Himmel oben Für seine Vatergüte loben. Mit solchem frommen Kindessinn Der Knabe zog zur Schule hin. – Doch wie er einmal durch die Auen Die Schritte lenket wohlgemuth, Da ist statt Wiesengrün zu schauen Ringsum nur öde Wasserfluth. Vom Regengusse angeschwellt, Daß jagend treiben sich die Wogen, Kam durch der Wiese Blumenwelt Der rasche Donaustrom gezogen; Soweit das Auge immer schaut Entgegen ihm das Wasser graut. Da steht der Knabe sinnend still; Was ist's, das er beginnen will? Erst blickt er in die Wogen nieder, Dann auf das ferne Kloster hin; Nun hebt er seine Augenlider Zum Himmel auf im Glaubenssinn. Es strahlt sein Auge wunderbar, Wie Sternlein in der Nacht so klar; Ein Lächeln schwebt um seinen Mund, Wie Zephyr's Hauch in heißer Stund; Und ein Gebetlein fromm und leis Steigt nun daraus zu Gottes Preis; Dann aber geht er voller Muth Getrost und fröhlich durch die Fluth. Hat ihn ein Engelein geführet? Ward ihm der Glaubenssinn zum Boot? Denn sieh! vom Wasser unberühret Er schreitet durch die Wogennoth Und langt auf seiner nassen Bahn Im Kloster trocknen Fußes an. – 2. Die Glocken läuten im Verein, Daß rings die Auen widerhallen; Sie laden zu dem Feste ein, Und viele fromme Pilger wallen Mit andachtsvollem Glaubenssinn Und eil'gem Schritt zum Kloster hin. Versammelt in der Sakristei Sind schon die Priester und Leviten; Jung Gotthard stehet fromm dabei Als Ministrant in ihrer Mitten; Der Andacht Feuer im Gemüth Aus seinem Kinderauge glüht. Denn o! er darf dem höchsten Gut In heiliger Monstranz verborgen, Des Rauchwerks düftereiche Glut Darbringen heut am Festesmorgen; Drum wallt sein Herz so froh und hehr, Weiß nichts von dieser Erde mehr. Nun tritt der Priester zum Altar, Mit ihm die Ministranten-Knaben. Schon sinkt aufs Knie die gläub'ge Schaar; Und mit des Weihrauchs Opfergaben Tritt Gotthard an der Stufen Rand Das Rauchfaß in der kleinen Hand. Doch sieh! die Glut erloschen ist, Kein Funke lebet in den Kohlen; Da eilt er, – kurz ist ja die Frist – Sich neue zu dem Dienst zu holen. Doch wie er rasch die Kohle wählt Das Glutgefäß dem Armen fehlt. Nur einen kurzen Augenblick Hält Zaudern seinen Sinn umfangen; Dann glüht im Glaubensstrahl sein Blick, Und Freude glänzt auf seinen Wangen; In frommen Eifers Drang und Hast Er mit der Hand die Glut erfaßt. Und einfaltsvoll und glaubensklar, Die Glut er in sein Chorhemd schlinget; Und angekommen am Altar Das Rauchfaß er nun eilig schwinget Auf daß von Weihrauchduft umweht Zum Himmel steige das Gebet. Und segnend blickt vom Himmelsthron Gott Vater auf die Opfergaben. Er spendet reichen Glaubenslohn Dem frommen, unschuldsvollen Knaben, Denn unversehrt vom Glutenbrand Ist Gotthards kirchliches Gewand.