445. Mechthildenbrünnlein bei Diessen. Von J. Braun. Nächtlich Dunkel hat zur Ruh Längst die Menschen eingewieget, Alles schloß die Augen zu Von des Schlummers Macht besieget; Alle Lichter sind verglommen, In der Kirche nur allein Leuchtet zum Gebet der Frommen Noch der ew'gen Lampe Schein. Bei dem Klang der Mitternacht Tönet von dem Chor die Mette; Denn die Schaar der Nonnen wacht Knieend dorten im Gebete. Sieh! da öffnen sich die Thore, Eingehüllt in dunkles Kleid Naht allnächtlich sich dem Chore Eine demuthsvolle Maid. Sankt Mechthildis ist's, die leis Kommt vom Schlosse hergegangen; Ganz allein, kein Mensch es weiß, Ohne Zagen, ohne Bangen. Denn das nächtlich düstre Grauen Wird erhellt von Liebesglut; Und das fromme Gottvertrauen Haucht in's zarte Herz den Muth. Gott, der kennt der Seele Drang, Sah auch dieses fromme Regen, Und er gab dem nächt'gen Gang Seinen hehren Wundersegen; Sandte ihr zum Schutz und Horte Einen Engel unsichtbar; Die verschlossne Kirchenpforte Leis von ihm geöffnet war. Und es kam die Nacht heran Düster, voller Grauen wieder. Auf Mechthildens stille Bahn Schien kein klares Sternlein nieder; Denn von Wolken ist umzogen Rings das weite Himmelszelt, Und das Brünnlein ward zu Wogen Von dem Regen angeschwellt. Dennoch zog zur Kirche hin Sankt Mechthildis ohne Zagen; Denn für himmlischen Gewinn Wollte gern sie Mühsal tragen. Aber sieh! der wilde Regen Weitete des Brünnleins Lauf, Und er hält auf ihren Wegen Nun die fromme Jungfrau auf. Vor dem Wasser steht sie da. Soll sie zu dem Schlosse kehren? Doch die Kirche ist so nah; Nicht kann sie dem Herzen wehren. Da gewahren ihre Blicke Pfähle an dem Wiesenhang; Eilends baut sie eine Brücke Nun daraus im Herzensdrang. Schreitet rasch darüber her, Eilet hin zum heil'gen Orte; Aber ach! nicht öffnet mehr Selber sich die Kirchenpforte. Da durchzucket ihre Seele Plötzlich eine Schmerzensgluth, Und sie denket an die Pfähle Die sie nahm vom fremden Gut. Demuthsvoll die Stirn gesenkt, Schlägt ans Herz sie, voller Reue, Und die Schritte heimwärts lenkt Sie im Schuldgefühl auf's Neue. Und es ist des Nächsten Habe Sei sie noch so arm und klein, Ihr so heilig bis zum Grabe, Gleich wie Gold und Edelstein. Jetzt noch, nach so manchem Jahr, Das im Zeitengang entschwunden, Steht ihr Angedenken klar In den Herzen lichtumwunden. Und das Brünnlein in dem Grunde, Das mit Pfählen sie belegt, Jetzt noch in des Volkes Munde Sankt Mechthildens Namen trägt.