1049. Kunigundens Ring. Von G.F. Keller. – W. Oetter Betrachtung über den Handschuh der Gräfin Stilla von Abensberg. Leipzig 1783. S. 6. Der Frühling stieg vom Himmel nieder In feierlicher Jugendpracht; Es hellte sich des Winters Nacht, Und aus den Felsen strömte wieder Der Quellen silberrein Kristall, Es sang im Hain die Nachtigall. Da lud des Lenzes freundlich Grüßen Hin zu dem neubelebten Hain Die reine Kunigundis ein, Das Fest der Schöpfung zu genießen. Aus Babenberg mit heitrer Brust Geht sie und schlürft des Frühlings Lust. Ihr folgen viele Kammerfrauen, Es war ihr Marschalk auch dabei; Sie fühlen ihre Brust so frei, Als sie das rege Leben schauen. Dem Herrn, der über Sternen geht, Dankt ihr inbrünstiges Gebet. Und als sie hier in frommem Sinnen Andächtig still beisammen steh'n Und Gottes schöne Gaben seh'n, Hört man der Glocken Spiel beginnen Zu Babenberg. Zum Beten zieht Von Neuem sie das Morgenlied. Und als sie das Gebet geendet, Der feine Marschalk dieses spricht, Als er mit heitrem Angesicht Sich zu der Kaiserin gewendet; »Hört Ihr, wie Euer Glöckelein Vor Heinrichs Glocke tönt so fein! Wie tönet es so rein und helle, So rein wie Eure edle Brust; Wer lebt, dem nicht mit hoher Lust Bei dem Getön die Seele schwelle? Ihr seid des Kaisers schönste Zier, Drum Euer Glöcklein tönt herfür.« Und alle Kammerfrauen nicken Dem Marschalk ihren Beifall zu; Doch Kunigund in heil'ger Ruh' Mit tiefgesenkten Demuthsblicken Sprach zu dem feinen Mareschall Mit ihrer Stimme Silberschall: »Nicht also, Marschalk! müßt Ihr sprechen, Die Demuth ist des Weibes Pflicht. Besitzet es die Tugend nicht, Wird bald der Kranz des Ruhmes brechen. Es sei dem auserwählten Mann' Des Weibes Herz stets unterthan.« Und von des Fingers schöner Runde Nahm einen zarten, goldnen Ring, Den sie von ihrem Herrn empfing, Die demuthreiche Kunigunde. Sie hoch empor das Ringlein hält, Es eilig dann nach Bamberg schnellt. Und unsichtbare Hände tragen Das Ringlein, wie im wilden Sturm, Hin in des Domes hohen Thurm, Es in die Glocke fest zu schlagen, Es fließt der Glocke Silberstrahl Nun leiser in das Frühlingsthal. Des Kaisers Glocke tönet lauter In's Weite nun voll Majestät, Und Kunigundens Glöcklein weht Zur Seite ihm nun leiser, trauter, Und kündet wie ein Cherubin: Voll Demuth sei des Weibes Sinn.