486. Die Kemptermaise. Von J.B. Tafrathshofer. In einem Städtlein wohlbekannt In unserm lieben Schwabenland Entkam einst unbedachter Weise Des Bürgermeisters Lieblingsmaise. Ob dieser Botschaft schreckensbleich, Eilt er auf's Rathhaus alsogleich Und schwöret dort in finsterm Grolle, Daß sie ihm nicht entwischen solle. Die Diener der Gerechtigkeit Stehn vor der Thüre schon bereit Und lauschen mit gespitzten Ohren, Wozu »Sein Gnaden« sie erkoren. »Auf! auf!« herrscht er mit grimmem Blick, »Bringt meine Maise mir zurück; Greift eilig zu den langen Spießen Und laßt mir schnell die Thore schließen!« Gesagt, gethan. Gewappnet eilt Die Schaar der Wächter unverweilt, Und jedes Thor, massiv geflügelt, Wird fest verrammelt und verriegelt. Dann fliegen sie wie athemlos Durch alle Straßen klein und groß Vom Stadtwirth wiederum zurücke Hinunter bis zur Illerbrücke, Und suchen alle Gärten aus, Durchstöbern Keller, Dach und Haus; Umsonst, sie waren all' betrogen: Die Maise war davon geflogen. Wen jammert nicht der arme Mann, Dem all' sein Erdenglück zerrann? Er fand kein Ende seiner Klage Und starb gerührt vom Nervenschlage. Von diesem klugen Thorverschluß Heißt man noch jeden Pfiffikus, Der weiser ist, als andre Weise, In Schwaben eine »Kemptermaise.«