1210. Der Schlafhaubenkramer. Mündlich. Ein Krämer von der Schwabingerstraße zu München sitzt vor so und so viel Jahren Abends in Gesellschaft etwelcher ehrsamen Bürger beim Bier. Da wird viel gesprochen, auch von Geistern ist die Rede. Einer sagt: »das Gespenst mit der Schlafhaube läßt sich auch wieder auf dem Frauenfreithofe sehn! 1 « »Was Gespenst!« ruft der Krämer, »das sollte mir in den Weg kommen, ich wollt mit ihm fertig werden!« – Als die Zeit gekommen, nach Hause zu gehen, nimmt der Krämer, welcher sich indessen Courage getrunken, Hut und Laternchen und wandelt dem Frauenfreithofe zu, über welchen sein Weg führte. Da sieht er denn richtig einen langen weißen Mann mit einer Schlafhaube an einem Grabsteine sitzen. Der Krämer erschrickt anfänglich, denkt aber an's Wirthshaus, ermannt sich, ballt die Faust und versetzt der Larve eine Maulschelle, so daß ihr die Schlafhaube vom Schädel fällt. Nun heißt's aber laufen. Der Krämer voraus, das Gespenst hinterdrein. Der Krämer gelangt glücklich in sein Hans und schlägt dem Verfolger die Thüre vor der Nase zu. Der Geist kann nicht durch, weil die Thüre nach altem Brauch mit drei Kreuzen bezeichnet ist. Der Krämer eilt hinauf in seine Stube, da sieht schon die Gestalt zum Fenster herein. Was thun? Im Zimmer hängt ein Bildlein der Muttergottes von Altötting, der Krämer reißt's von der Wand und wirft es dem Eindringling entgegen. Alles still, der Geist ist verschwunden. Am andern Morgen findet man das Muttergottesbildlein ruhig an's Fenster gelehnt. Von selber Stund an hieß der Krämer »Schlafhaubenkramer.« Die Geschichte wissen noch viele Münchner zu erzählen. Fußnoten 1 Die Frauenkirche war damals gleich andern Kirchen mit einem Kirchhofe umgeben.