331. Der Waldmann. Von A.v. Chamisso. Der Wandrer eilt das Thal hinauf, Er steigert fast den Schritt zum Lauf, Der Pfad ist steil, die Nacht bricht ein, Die Sonne sinkt in blut'gem Schein, Die Nebel zieh'n um den Drachenstein. Und wie er bald das Dorf erreicht, Ein seltsam Bild vorüberschleicht, Gespenstisch fast, unheimischer Gast, – Drückt ihn annoch des Lebens Last? Gewährt das Grab ihm keine Rast? »Ihr friedlichen Leute, was zaget ihr, Und kreuzigt euch, und zittert schier?« – »›Ob mir das Haar zu Berge steigt, Ich sag's dir an, wenn Alles schweigt: Es hat der Waldmann sich gezeigt.‹« »Der Waldmann?« – »›Ja, du wirst nicht bleich, Du bist hier fremd, ich dacht' es gleich! Ich bin ein achtzigjähr'ger Mann Und war ein Kind als sich's entspann, Ich bin's, der Kunde geben kann.‹ Die Drachenburg stand dazumal Stolz funkelnd noch im Sonnenstrahl: Da lebte der Graf in Herrlichkeit, Bei ihm, bewundert weit und breit, Das junge Fräulein Adelheid. Der Schreiber Waldmann, höflicher Art, Trübsinnig, blaß und hochgelahrt, Erfreute sich der Gunst des Herrn; Er sah das Fräulein gar zu gern, Und der Versucher blieb nicht fern. Zu reden wie er kein Andrer verstund; Er webte fein mit falschem Mund Das Netz, womit er sie umschlang Er sprach von Lieb', er sprach von Rang, Von freier Wahl und hartem Zwang; Von Gott und Christo nebenbei, Und Sündenhaftes allerlei; So hat er sie bestürmt, geplagt, Gequält, umgarnt, sey's Gott geklagt, Bis sie ihm Liebe zugesagt. Spät ward's dem Vater hinterbracht, Sein Zorn, sein Mitleid sich erwacht; Sein Kind Erbarmen bei ihm fand, Der falsche Schreiber ward verbannt, Bei Leibesstrafe von Burg und Land. ›Schön Adelheid in Thränen zerfloß, Der Waldmann aber irrt um das Schloß: Er kannt' nicht Ruh', er wußt' nicht Rath, Er wüthete, brütete früh und spat, Und sann auf schauerliche That. Er sandt' ihr heimlich einen Brief, Wovor es kalt sie überlief: Zusammen sterben! hieß es darin, Getrennt zu leben, bringt keinen Gewinn, Nach einem Dolchstoß steht mein Sinn. Du schleichst zu Nacht aus des Schlosses Raum. Und stellst dich ein beim Kästenbaum; Bestellt das Brautbett findest du, Das Bett zu langer, langer Ruh', Am Morgen deckt dein Vater uns zu. Und wie im schwerem Fiebertraum Zog's sich zu Nacht nach dem Kästenbaum, Ob da sie selbst den Tod begehrt, Ob widerstrebt, ob sich gewehrt, Die Nacht verbirgt's, kein Mensch es erfährt. Der Tag, wie er in Osten ergraut, Das blut'ge Werk hat er geschaut: Er hat in der Geliebten Brust, Die Liebe nur athmet und süße Lust, Den Dolchstoß sicher zu führen gewußt. Wie aber sie sank in seinen Arm, Ihr Blut verspritzte so roth und warm, Da merkt er erst, wie das sterben thut, Da ward er feig, da sank sein Muth, Da dünkt' es ihm zu leben gut. Er hat die Leiche hingestreckt Und ist entflohn und hat sich versteckt. Es war das Schreckniß offenbar, Wie kaum die Arme verblichen war: Der Vater zerraufte sein greises Haar. Er hat dem Mörder grausig geflucht: Dem Tod' zu entkommen, der drohend ihn sucht: Er hat das Grab der Tochter bestellt, Er hat sich bald zu derselben gesellt, Sein Stamm verdorrt, die Burg zerfällt. Der Waldmann dort bei den Gräben haus't, Beim Kästenbaum, wenn der Sturm erbraus't, Gespenstig fast, unheimlicher Gast; – Drückt ihn annoch des Lebens Last? Gewährt das Grab ihm keine Rast? Man weiß es nicht, doch wann er steigt Hinab zu Thal, im Dorf sich zeigt, So folgt ihm Unheil auf dem Fuß; Verderben bringt sein ferner Gruß; Und wen er anhaucht sterben muß.‹«