V. Liebes-Orakel. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er gerne beruhiget seyn möchte über sein zukünftiges Geschick; es versteht sich daher von selbst, daß auch die Mädchen über die Hauptaufgabe ihres Lebens, einen Mann zu bekommen, eine Frage an das Schicksal stellen. Mädchen haben immer viel zu fragen, wo ein Anderer sich genügsam abspeisen läßt, und so sehen wir denn in den vielen desfallsigen Orakeln einen Reichtum inquisitorischen Scharfsinnes ausgelegt, der in Erstaunen setzt. Sie wissen auch, daß eine Frage zur Unzeit gestellt, selten zur Genüge beantwortet wird, und haben daher gewisse Zeiten hiefür bestimmt, welche, weil nur Einmal im Jahre kommend, um so gewissenhafter benützt werden. Daß es hiebey geheimnißvoll zugehen müsse, versteht sich am Rande, und so werden wir denn ganz natürlich auf die geheimnißvollsten Zeiten des Jahres, die Raunnächte, vorzugsweise angewiesen. Von diesen sind es dann wieder drey, welche besonders in Gnade stehen, nämlich die Andreas-, Thomas- und Weihnacht. 1. In einer dieser Raunnächte geht nun um Velburg die Dirn hinaus an einen Holzbirnbaum, in der zwölften Stunde, zieht die Schuhe aus und wirft sie auf den Baum; zwölfmal darf sie werfen: bleibt innerhalb dieser Zahl der Schuh hängen, so bleibt auch an ihr in diesem Jahre ein Mann hängen. So oft aber nach der Zwölfzahl der Schuh niederfällt, so viele Jahre muß sie noch Jungfrau bleiben. Doch ist das große Glück, daß der Schuh auf den ersten Wurf bleibt, ein großes Unglück; ein solcher Wurf deutet auf Tod in diesem Jahre. Neugierig, ob der Zukünftige jung oder alt sey, geht sie auf dem Heimwege an einen Stall vorüber, in welchem eine Schweinsmutter mit ihren Ferkeln haust; je nachdem bey ihrem Hintreten die Alte oder die Jungen zuerst Laut geben, ist der Bräutigam alt oder jung.