Sibylle Einsam in der Felsenhöhle, Tiefen Ernst in keuscher Seele, Wohnte Phöbus Priesterin. Oft, in stiller Nächte Hüllen, Nahte sich der Gott Sibyllen, Zu erleuchten ihren Sinn. Staunend fiel sie vor ihm nieder, Ihr erschauerten die Glieder, Die der hohe Gast durchdrang. Und sie öffnete die Lippen, Und es schollen rings die Klippen Von prophetischem Gesang. Auf geweihte Palmenblätter Grub sie dann den Spruch der Götter, Von Apoll ihr offenbart. Vieler Menschen Söhne kamen, Fragten, lasen, und vernahmen, Was der Zukunft Schooß bewahrt. Aber öfters fuhr der Flügel Eines Sturmwinds, trotz dem Riegel Ihrer Pforte, durch die Gruft, Ach, und riß die leichten Blätter Ohne Schutz und ohne Retter Sausend in die öde Luft. Die Prophetin, unbekümmert Um ihr Werk, vom Sturm zertrümmert, Haschte keines je zurück. Wer von ihr in bangen Nöthen Trost gehofft und Trost gebeten, Fluchte dann auf sein Geschick. 1 Weisheit läßt mit sich nicht scherzen; Menschen, haltet fest im Herzen Die Orakel der Vernunft. Weh, wenn vor der Lüste Toben Maß und Ordnung weggestoben! Hoffet keine Wiederkunft. Fußnoten 1 Im Göttinger Musen-Almanach 1789 folgen diese 4 Strophen: So erzählt die fromme Sage, So die Dichtung grauer Tage. Klügler, spottet ihrer nicht! Merket auf! Ich will sie deuten. Mit der Fabel Dunkelheiten Gatte sich der Wahrheit Licht. Wie Sibyll' in Cuma's Höhlen, Wohnt in edler Menschen Seelen Himmlische Beschauungskraft. Hoher Kunde wird der innen, Der dem Gaukelspiel der Sinnen, Ihr zu lauschen, sich entrafft. Durch des Lebens tausend Irren, Die des Wallers Fahrt verwirren, Zeigt die Weisheit ihm die Bahn. Mitten hin durch Klipp' und Brandung Leuchtet ihm zu froher Landung Ihre Fackel hell voran. Glücklich steuert' er zu Lande, Lös'te Leichtsinn nicht die Bande, Die der Ernst den Lüsten flicht. Dann kann nichts die Fackel schirmen. Er vernimmt vor ihren Stürmen Der Pilotin Stimme nicht. –